Wie Präsident Putin den Preisverfall als geopolitischen Hebel gegen die USA verwendet


... und Schachmatt! (Bildquelle)


Strategic Culture Foundation: Putin stößt die USA in das strategische Fegefeuer



Ich bin ein begeisterter Brettspieler. Mein Ding sind allerdings weniger die Klassiker wie Schach oder Go, vielmehr gefallen mir vor allem die modern Spiele. Als jemand aber, der das empfindliche Gleichgewicht zwischen Strategie und Taktik zu schätzen weiß muss ich sagen, dass ich von Russlands Präsident Wladimir Putins Gespür für den richtigen Zeitpunkt überaus beeindruckt bin.

Denn wenn es jemals einen optimalen Moment gab, in dem Putin und Russland den Vereinigten Staaten mit einem Schnitt die Achillesferse in Form ihrer Finanzmärkte und des unstillbaren Durst nach Schulden zerschneiden konnte, dann war das in diesem Monat, als das Coronavirus die Ufer Nordamerikas erreichte.

Wie gesagt, ich bin begeisterter Spieler und ich liebe vor allem Spiele, bei denen es ein empfindliches Gleichgewicht zwischen der Macht der Spieler gibt, das es aufrecht zu erhalten gilt, bis der richtige Moment gekommen ist. Angriffe müssen gerade so weit abgewehrt werden, dass der eine Gegenspieler nicht vorankommt, aber die Abwehr darf auch nicht zu stark ausfallen, damit man nicht ungewollt dem anderen Gegenspieler hilft.

All das dient dazu, die Partie am Leben zu erhalten, bis sich schließlich der perfekte Moment abzeichnet, in dem man sich durchzusetzen und den Sieg erringen kann. Nachdem ich in den vergangenen acht Jahren Putin bei seinen Spielzügen zugesehen habe, bin ich der festen Überzeugung, dass es heute niemanden gibt, der sich seiner Machtposition besser bewusst ist und diese versteht als er.

Und ich glaube, dass dieser Schritt, mit der OPEC+ zu brechen und dann dabei zuzusehen, wie Mohammed bin Salman die OPEC ebenso im Stich lässt, ein großer Zug war von Putin, der ihn ganz einem Judokämpfer als einen Umkehrschritt im Judostil vollzog. Mit diesem Zug nämlich konnte er in weniger als einer Woche das gesamte US-Finanzsystem völlig lahmlegen.

Es war am Freitag, dem 6. März diesen Jahres, als sich Russland der OPEC verweigerte. Bereits sechs Tage danach, am Mittwoch, musste die Federal Reserve ihre täglichen Interventionen an den Repo-Märkten zur Aufrechterhaltung der Liquidität der Banken verdoppeln.

Am Mittag des 12. März kündigte die Fed schließlich neue kurzlaufende Repo-Kreditlinien in Höhe von 1,5 Billionen Dollar an. In einer kurzen Phase diesen Tages gab es keine einzige Kaufnachfrage für sogenannte „T-Bills“, bei denen es sich um unterjährige US-Staatsanleihen handelt. Das besondere daran ist, dass es sich dabei um die die liquidesten und begehrtesten Finanzanlagen der Welt handelt. Aber niemand wollte zugreifen.

Warum? Ihr Preis war so hoch, dass sie niemand wollte.

Wir erhielten als Ergebnis von Putins Schachzug nicht nur eine massive Ausweitung der Repo-Interventionen durch die Federal Reserve, sondern sie waren auch von längerer Dauer. Das ist ein klares Zeichen dafür, dass es sich dabei um ein Problem handelt, das kaum absehbar ist. Dabei sind Repo-Verträge mit einer Laufzeit von mehr als drei Tagen in diesem Zusammenhang eine ziemliche Seltenheit. Dass die Fed nun aber eine Billion Dollar in dreimonatigen Repos auf den Markt werfen musste bedeutet eindeutig, dass der US-Zentralbank die Tragweite des vorliegenden Problems klar sein muss und sie davon ausgeht, dass es länger anhalten wird, als bis zum baldigen Ende des Quartals.

Kurz gesagt bedeutet es, dass sich die Weltfinanzmärkte völlig festgefahren haben. Noch einmal um eine Ecke jedoch ist, dass die massive Intervention der Fed nicht funktioniert hat.

Die Aktienkurse rutschten weiter ab, Gold und auch andere sichere Anlagen wurden von der Umkehr der Kapitalabflüsse aus den USA hart getroffen. In der ersten phase nach der Entscheidung Putins gegen die OPEC brach der Dollar ein, da europäische und japanische Investoren ihre US-Werte, die sie eigentlich als einen sicheren Hafen erachteten, wieder verkauften und ihr Kapital abzogen.

Es dauerte dann einige Tage, bevor die Nachricht bei Christine Lagarde in der Europäischen Zentralbank ankam, und sie dann allen erzählte, dass sie dort keine andere Antwort auf die Entwicklung hätten, als den Kauf von Vermögenswerten auszuweiten – also mit dem weiterzumachen, was in der Vergangenheit schon nicht funktioniert hat und noch weiter in die Krise führte.

Damit wurde die nächste Phase der Krise eingeläutet, in der sich der Dollarpreis wieder stabilisierte. Genau an diesem Punkt sind wir jetzt.

Putin versteht dabei, dass völlig überschuldete Welt nicht vom Gelddrucken ablassen kann, um die Zinsen auf die immer schneller steigenden Schulden zu zahlen.

Das setzt seine geopolitischen Rivalen weiter unter Druck und zwingt sie dazu, sich auf ihre inneren Angelegenheiten zu konzentrieren und sich in Übersee zurückzuhalten.

Seit Jahren schon fleht Putin die Länder des Westens an, dass sie ihre wahnsinnigen Kriege im Nahen Osten und in ganz Asien beenden sollen. Sowohl in der UNO als auch in Interviews argumentierte er wortgewandt, dass der unipolare Moment vorbei ist die USA ihren Status als alleinige Supermacht der Welt nicht für ewig beanspruchen werden können. Letztendlich würde die Verschuldung ihre Stärke untergraben und sie sich im Augenblick der Wahrheit als weitaus schwächer herausstellen als gedacht.

Präsident Trump, der an die amerikanische Ausnahmestellung glaubt, passt das natürlich gar nicht. Er wird daher bis zum Schluss für seine Version von „America First“ mit allen ihm zur Verfügung stehenden Waffen kämpfen. Das Problem allerdings mit dieser „niemals nachgebenden“ Haltung ist, dass sie ihn sehr berechenbar macht.

Beispielsweise waren Trumps Sanktionen gegen Europa zur Verhinderung der Nord Stream 2 Pipeline nichts anderes als dumm und kurzsichtig. Er hat dafür gesorgt, dass Russland gnadenlos reagierte, während das Projekt nur um einige Monate verzögert wurde.

Trump war hier leicht zu kontern. Alles, was es brauchte war ein Vertrag mit der notorisch finanzknappen Ukraine und das Verlegeschiff für die Leitung konnte zurück in die Ostsee, um die Pipeline dort fertigzustellen.

Und da sich die Erdgaspreise in Europa wegen des Überangebots und wegen eines milden Winters sowieso bereits auf einem sehr niedrigen Niveau lagen, ging am Ende ein bisschen Zeit, aber kaum Geld verloren. Für Putin ist es von größerem Vorteil, den Weltölpreis deutlich unter die US-Produktionskosten zu drücken, so dass Trumps favorisierter Plan, Europa mit amerikanischem LNG zu beliefern flach fällt, während gleichzeitig der Mythos der amerikanischen Energieautarkie in einer Rauchwolke aus Finanzderivaten aufgeht.

Nun steht Trump vor den historischen Trümmern einer zuvor historischen Marktrallye. Das dort herrschende Chaos ist dabei weit größer, als seine Fähigkeit, die Situation zu verstehen oder so darauf zu reagieren, dass die Krise wieder systematisch überwunden werden kann. Russland auf der anderen Seite befindet sich in der einzigartigen Position, die Energiekosten für unglaublich viele Menschen zu senken, während es dank seiner Ersparnisse gleichzeitig den Schock des globalen Systems auszusitzen kann.

Da das Geld stets dorthin fließt, wo die besten Renditen erzielt werden, ersticken in Russland wie überall hohe Öl- und Gaspreise die Entwicklung anderer Industriesektoren. Mit dem Verfall des Ölpreises implodiert damit nicht nur die Finanzmacht der USA, sondern auch einen Teil der Macht der Erdölindustrie im Inland. Das gibt Putin die Möglichkeit, die russische Wirtschaft in einen Evolutionsprozess zu bringen. Billiges Öl und Gas bedeutet eine geringere Rentabilität von Investitionen in Energieprojekte, was wiederum verfügbares Kapital für den Einsatz in anderen Bereichen der Wirtschaft freigibt.

Putin hat der Welt gerade gesagt, dass er die Öl- und Gasressourcen seines Landes nicht wie eine Melkkuh reitet, sondern er sie als einen wichtigen Teil einer anderen Wirtschaftsstrategie für die Entwicklung Russlands erachtet.

Es ist so, als würde man jemanden beobachten, der in der ersten Hälfte eines Spiels eine bestimmte Strategie verfolgt und in der Mitte des Spiels einen kritischen Wechsel zu einer anderen Strategie vollzieht, wobei er die Nachlässigkeit des Gegners ausnutzt. Eine solche Strategie funktioniert selten, aber wenn sie funktioniert, dann ist das Ergebnis ziemlich spektakulär.



Blogverzeichnis Bloggerei.de
loading...