Wissenschaftler erfinden „Solarstrom bei Nacht“ und zeigen damit, wie kaputt auch die universitären MINT-Fächer sind


Hashtag "Brown People forscht" (Bildquelle)

Vor ein paar Tagen las ich einen Titel in der Daily Mail, der mich als heimlicher Freund der umweltfreundlichen Stromerzeugung mit Freude klicken ließ. Versprochen wurde dem Leser eine Methode, mit der Sonnenenergie auch nachts in Strom umgewandelt werden kann. Das klingt großartig, dachte ich mir, und ließ mich darauf ein in der Erwartung etwas zu lesen über die Strahlungsintensitität des Mond und der Sterne, sowie über die Effizienz von Solarzellen in bestimmten Bereichen des Lichtwellenspektrums. Was dann aber kam erinnerte mich an den traurigen Zustand der Universitäten in den Sozial- und Geisteswissenschaften.




Bemerkenswerte 4 Milliwatt Stromausbeute



Mit „bemerkenswert“ bezeichnete der leitende Ingenieur Aaswath Raman das Projekt von der Universität von Kalifornien. Bemerkenswert ist es durchaus, die Frage allerdings ist, in welche Richtung bemerkenswert. Laut Artikel ging es den Forschern darum, mit handelsüblichen Materialien aus dem Baumarkt einen Stromgenerator zu bauen, der auch bei Nacht abfallfreien Strom produziert.

Die grundsätzliche Idee dazu ist nicht schlecht, hätte ein Erfolg doch immerhin zur Folge, dass sich Otto Normalverbraucher künftig für ein paar Euro das E-Werk für den Heimgebrauch selbst bauen könnte, um damit die Mikrowelle für den Mitternachtssnack betreiben zu können. 

Selbiges gilt auch für die von den Forschern gewählte potenzielle Energiequelle, dem sogenannten „radiative cooling“, das sich mit Strahlungskühlung übersetzen lässt. Bei dieser Strahlungskühlung geht es darum, dass wenn ein Körper nachts seine Wärme an die Atmosphäre abgibt, dann kann es sein, dass die Temperatur des Körpers unter jene der Umgebungsluft fällt und dadurch ein Potenzialunterschied entsteht. Die technische Realisierung einer Apparatur, mit der dieser natürliche Effekt systematisch genutzt werden könnte wäre also nicht übel. Genug Nachtkälte knapp über dem Gefrierpunkt gäbe es jedenfalls.

Das Ergebnis des Experiments allerdings scheint nicht so recht mitzuhalten mit den Hoffnungen auf die Endlösung aller Energiefragen. Auch wenn der Artikel davon spricht, dass die Methode „verfeinert und hochskaliert“ werden könnte, so wirken die Ergebnisse mit dem Testaufbau nicht gerade ermutigend.

Die Forscher berechneten für ihr Experiment eine Ausbeute von 25 Milliwattstunden pro Quadratmeter für die sechs Nachtstunden, in denen sie den Aufbau der Natur aussetzten. Das wären pro Stunde und Quadratmeter ganze 0,004167 Watt. Beschämend wenig wäre noch freundlich ausgedrückt für eine derartige Ausbeute. Selbst das Jaulen einer wilden Katze produziert mehr Strom.

Warum die Forscher dennoch an den großen Durchbruch glauben ist mir schleierhaft – nicht zu reden von dem Artikel darüber. Dieser konnte nur deswegen entstehen, weil die Universität oder die Fakultät einen Wert darin sah, dem kleinen Experiment einen Platz zu geben im begrenzten Raum der öffentlichen Wahrnehmung, und sich das von mir bislang als seriös eingeschätzte Wissenschaftsjournal Joule für eine Veröffentlichung der zugehörigen Studie entschied. Dabei ist eigentlich auf den ersten Blick erkennbar, dass es sich dabei kaum um eine ernstzunehmende Alternative handeln kann.

Wie wenig tauglich diese Methode für eine industrielle Anwendung ist, zeigt der Stromverbrauch eines durchschnittlichen Nigerianers als jemand, der am Tag mit 400 Wattstunden Strom nicht wirklich viel davon konsumiert. Wollte der seine Glühbirnen alleine über die Strahlungskühlung betreiben, er müsste die Hausanlage zur Deckung seines Bedarfs „hochskalieren“ auf massive 10 Hektar Land. Selbst wenn man das Material dafür billig im Baumarkt bekommt, es wäre aufgrund des Flächenverbrauchs völlig irrsinnig, den Anspruch zu erheben, eine Technologie entdeckt zu haben, die es wert sein könnte entwickelt zu werden.

Nicht anders verhält es sich bei der Erschließung von Effizienzpotenzialen durch eine „Verfeinerung“. Mal abgesehen davon, dass der meiste Strom tagsüber verbraucht und damit produziert werden muss und Nachts selbst in Ländern wie Nigeria ein leichter Überschuss auf dem Markt herrschen sollte, müsste ein Quadratmeter aufgrund der Materialkosten von über Null Euro – für Styropor, Alufolie, 2m Klebeband; McGyver lässt grüßen - mindestens 4 Watt liefern. 

Effektiv sprechen wir also von einer zwingenden Vertausendfachung durch Forschungsanstrengungen, bis endlich die Marktreife erreicht wäre. Die Forscher gehen laut Artikel aber nur vom Faktor 20 aus, um den sich ihre Methode verbessern ließe.

Der wohl eindrücklichste Vergleich für die Impotenz dieser „bemerkenswerten“ Methode zur Stromerzeugung zeigt sich aber im Vergleich zu gewöhnlichen Photovoltaikanlagen und deren Leistung des Nächtens. Bei Vollmond und klarem Himmel fallen – oh Wunder und bitte mit der Zahl von weiter oben vergleichen - 0,003 Watt in Form von Licht vom Himmel. Die gemeine PV-Anlage auf dem Dach kann davon grob ein Viertel in Strom verwursten. Die Photovoltaik bringt es damit nachts zwar nur auf ungefähr 20% der Leistungsfähigkeit der Technik mit Alufolie und Styropor, sie produziert dafür aber auch tagsüber jede Menge Strom, während das Styropor in der Sonne liegt und die Form verliert.


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Siebtklässler und berechtigte Trophäen



Es mag sein, dass ich Wissenschaftler und die Wissenschaft einfach nur überschätze. Aber es sollte doch Teil des Gesamtgedankenganges sein, sich auch kurz mit den Opportunitäten und weiteren Kausalitäten einer Technik zu beschäftigen, wenn man sich ein kleines Experiment bastelt und bevor man damit an die Öffentlichkeit drängt.

Das Beispiel zeigt, dass jene auf Ignoranz basierende wissenschaftliche Arroganz, die in den Geistes- und Sozialwissenschaften schon lange normal ist, so langsam auch in die harten Wissenschaften überzuschwappen scheint. Wir leisten uns für sehr, sehr viel Geld Universitäten und ein Heer an Wissenschaftlern, die sich dort zunehmend - aber bestenfalls noch - mit Projekten beschäftigen, für die es früher bei Jugend forscht einen Ehrenpreis für innovatives Querdenken gegeben hätte. In diesem Fall sogar völlig zurecht.

Nur, für Wissenschaftler mit 6-stelligem Gehalt, mit fünfzehn Jahren Forschungs- und Studienerfahrung, Diplom, Doktorgrad und Zitationen mitsamt Artikel in einem großen Medium erwarte ich eigentlich etwas anderes: Thoriumreaktoren, Quantenmechanik, Kernfusion etcpp. Es gäbe einiges, mit dem sich der Herr Prof. Dr. Raman an diesem einen Abend hätte beschäftigen können, als er das Ding zusammen gepfuscht hat.

Völlig ignorieren kann man dabei die fast schon typischen Verwirrungen und Verwechslungen zwischen Watt und Wattstunden, wie es auch wieder im Daily Mail Artikel zelebriert wurde. Immerhin, Raman und Kollegen wissen um den Unterschied.


Kontext und antiweißes Minderheitengedöns



Dafür, warum das Experiment überhaupt erst und dann noch mit dem Anspruch einer Endlösung durchführt wurde; warum die Universität einen Grund sah, dessen Ergebnisse an das digitale Schwarze Brett zu heften; warum es überdies bei Joule abgedruckt wurde; und warum das alles am Ende in der Daily Mail und schließlich nagend in meinem Kopf gelandet ist, gibt es zwei Hinweise.

Der erste besteht im Namen von Raman, der seinen Ursprung offenbar im Großraum des Subkontinents hat, während der zweite in einer Passage des englischen Wikipediaeintrags zum Thema Radiative Cooling versteckt ist. Dieser ist betitelt mit: „Nächtliche Eisherstellung im frühen Indien und Iran“, in dem es darum geht, dass sich die Menschen den Effekt dort schon vor Jahrhunderten oder noch länger zur Herstellung von Eis zu Nutze macht haben.

Dabei handelt es sich fraglos um eine großartige Kulturleistung, bei der viel Intelligenz und Beobachtungsgabe im Spiel waren. Ebenso wahr ist, dass in unseren Breiten in Abwesenheit dieser Technik die längste Zeit mit halbfertigen Hilfskonstruktionen gearbeitet werden musste, die ihren Höhepunkt in Kulturprodukten wie „Märzen“ und „Oktoberfest“ fanden, um das schal gewordene Bier nicht wegschütten zu müssen.

Anstelle aber das Experiment in diesen historischen Kontext einzuordnen und zum Verständnis der Weltgeschichte beizutragen, schwingt mit der Auslassung der historischen Dimension und dem nachweislich idiotischen Anspruch, eine anwendungsfähige Technik wiederbelebt zu haben, im Subtext eine Einstellung mit, wonach „braune Menschen“ die Technologie der Zukunft schon vor Generationen entdeckt haben. Dann aber kam der böse weiße Rassistenmensch, begann die guten braunen Zukunftsmenschen und ihre Intelligenz zu unterdrücken, und klaute überdies schamlos alle dort schon lange vorhandenen Ideen, Erfindungen und Weltlösungen, um sie als seine eigenen auszugeben.

Es muss da eine tiefsitzende Beleidigung geben bei einigen Leuten, bei der es darum geht, dass man es selbst nicht schaffte und überrollt wurde von Fremden, die in kürzester Zeit unfassbar erfolgreich waren. Denn gänzlich ohne jegliche Berufung auf indische Errungenschaften waren es die Leistungen der weißen Herren Newton, Watt, Diesel und Linde, auf denen noch heute das Standardmodell für Eismaschinen beruht, und mit dem die millionenfache Leistung aller Alternativen erzielt werden kann. Sie schafften es erfolgreich zu formalisieren, zu systematisieren und „hochzuskalieren“ - und nicht jemand in Indien vor 500 oder noch mehr Jahren.

Wäre Raman ehrlich und ein integrer Wissenschaftler, er hätte sich mit der Erforschung dieses alten subkontinentalen Herstellungsverfahrens für Eis auch die Frage gestellt, warum die Technik dort irgendwann im Sande verlief. Kluge Köpfe gab es auch in Altpersien und in Indien selbst noch unter den Mogulen jede Menge, die über die Generationen sicherlich gerne weitergemacht hätten mit der sukzessiven Verbesserung der Technik. Sie hätte jenseits aller politischen und kulturellen Launen allen Beteiligten nur Vorteile gebracht. Aber sie wurde nicht mehr verbessert und dafür muss es einen Grund geben.

Vielleicht, denkt sich da mein innerer Skeptiker, war die Technik aus Stroh einfach nur ausgereift, so dass keine nennenswerte Verbesserung oder Ableitungen für andere Anwendungen mehr möglich waren?

Wir wissen es nicht. Dennoch bin ich mir sicher, dass der Herr Raman den ein oder anderen staatlichen Fördertopf wird finden können, um das Ende der damaligen Sackgasse für teuer Geld noch einmal experimentell nachvollziehen zu können.

Bei mir jedenfalls bleibt der Eindruck haften, dass hier eine großartige Chance vertan wurde, in der ein sicherlich exzellenter Wissenschaftler jenseits seines Tellerrandes zum Wissen der Menschheit und ihrer geschichtlichen Entwicklung hätte beitragen können. Gleichzeitig kommt in mir das fade Gefühl auf, dass auch die scheinbar harten MINT-Wissenschaften ganz langsam vom ignoranten Dummenkult des Kulturmarxismus weichgekocht werden.


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