Die kognitive Dissonanz der politischen Linken beim Thema der Migrationskrise

(Bildquelle)


Eben bin ich bei Telepolis auf einen Kommentarartikel gestoßen, der sich mit dem Vorwurf auseinandersetzt, dass Flüchtlinge zu teuer seien und das Geld besser woanders angelegt wäre. Erstaunt und geschockt stellt der Autor fest, dass sich “nicht nur die rechten bis rechtsradikalen Kreise“ fragen, warum zweistellige Milliardenbeträge für die Armee der Jungmänner aus Südand vorhanden sind, während überall die Infrastruktur verrottet und Rentner in Mülleimern nach Pfandlfaschen suchen müssen. „Denkfehler“ seien das und so listet der Autor auf, was daran falsch sein soll.



Zunächst die gute Nachricht



Wie es scheint hat man am linken Ende des politischen Denkens inzwischen nicht nur begriffen, dass das Thema ein kontroverses ist und keines der „bedingungslosen Solidarität“, sondern man gibt auch offen zu, dass Milliardenbeträge fließen, die woanders fehlen könnten. Bekanntlich ist diese Einsicht ja keine Selbstverständlichkeit im linken Lager, da frei nach Marx „genug für alle da ist und es von den Kapitalisten nur falsch verteilt wird“.

Der Druck in den Debattenzirkeln, Bürgersprechstunden und Leserforen – Telepolis fährt hier eine erstaunlich liberale Politik und bekommt dadurch täglich frei Haus dutzendweise Gegenargumente geliefert – ist mittlerweile so hoch, dass man nicht mehr wegsehen oder den alten „Nazi“ hervorkramen kann, sondern tatsächlich auf die Einwände gegen Merkels Politik der offenen Grenzen eingehen muss.

Auch wenn man bei Linken leider nur in Ausnahmefällen von einem integren Interesse an einer Debatte ausgehen kann, weil dahinter meist andere Intentionen lauern, so ist das in meinen Augen eine gute Nachricht. Wenn auch nur zwangsweise, aber man reagiert tatsächlich auf das, was das Gros der Menschen umtreibt.

Nun schauen wir uns einmal an, was der linke Schreiber namens Gerrit Wustmann den „nicht-rechtsradikalen“ Migrationskritikern zu sagen hat.



1. Man sollte Menschen nie als reine Kostenfaktoren betrachten und sie auf ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit zu reduzieren



Wer Migranten als reine Kostenfaktoren betrachtet und sie auf ihre Verwertbarkeit reduziert, der vertritt eine „neoliberale Haltung“, die ein „höchst problematisches Menschenbild“ beinhaltet, so Wurstmann.

Er schreibt das ganz so, als hätte der ehemalige SPD und Globalisten-EU Frontmann Martin Schulz nie von „Flüchtlingen, wertvoller als Gold“ geredet, und als hätte es auch nie den breit angelegten Versuch gegeben, den eher skeptischen Menschen im Land anno 2015 die Flutung mit Migranten schmackhaft zu machen mit dem Argument, dass wir einen „Fachkräftemangel“ und eine „demografische Lücke“ haben, die sich perfekt mit diesen „Flüchtlingen“ schließen ließen.

Wohlgemerkt noch vor ihrer epochalen Fehlentscheidung hat Angela Merkel höchstselbst von Afrikanern als Chemielaboranten gesprochen, die für uns in deutschen Laboren Chemieerzeugnisse erfinden können, um zu unserem Wohlstand beizutragen.

Ein Jahr danach sprach auch Thomas Straubhaar in einem Interview mit der nicht gerade rechtsradikalen TAZ unwidersprochen darüber, dass „die Flüchtlinge den drohenden Mangel an Fachkräften kompensieren“ könnten und bestand auch darauf, dass Flüchtlingsbewegungen langfristig kaum eine nachhaltige Wirkung entfalten, weder positiv noch negativ“.

Wenn also jemand diese Migranten in die Ecke reiner Kostenfaktoren rückt und sie auf ihre „wirtschaftliche Verwertbarkeit“ reduziert, dann sind es lingsdogmatische Postillen und die Urheber der Migrationskrise selbst. Alles andere sind lediglich sarkastische Reaktionen auf die Diskrepanz zwischen Wunsch und Realität.



2. Die Empörung über die staatlichen Ausgaben für Flüchtlinge basiert auf mehreren Denkfehlern



Wer sich über die Ausgaben für Flüchtlinge beschwert, der macht einen Denkfehler so Wurstmann, weil nur ein geringer Teil der offiziell ausgewiesenen 14 Milliarden Euro im letzten Jahr in Form von Bargeld an die Migranten ausgezahlt wurde. Knapp 3,7 Milliarden Euro waren es, wobei die Sozialleistungen für Flüchtlinge „deutlich unter dem ALG II-Satz liegen“.

Warum Wurstmann darauf besteht, dass es weniger als Hartz 4 ist, das erst in die Taschen der Migranten und am Ende in die Schlitze der Fußballwettautomaten wandert leuchtet mir nicht so recht ein. Ich vermute, er hält es für Neid, von dem die Kritiker der monetären Migrantenfütterung getrieben sind. Ein klassisch linker Denkfehler, aber was erwartet man auch anderes.

Viel größer, so Wurstmann, seien die Budgets für die sogenannte „Fluchtursachenbekämpfung“ und dann folgt ein glatter Durchschuss durchs eigene Argumentationsknie, da laut ihm ein Gutteil dieser Gelder an einen gewissen Herr Erdogan aus Ankara fließen, damit er die Schleusen für noch mehr Migranten zuhält. Ausgerechnet einer der Hauptschuldigen am Chaos in Syrien mit einer illegalen Präsenz im Land inklusive Islamextremisten als örtlichen Ordnungshütern bekommt also den Löwenanteil der deutschen Flüchtlingsgelder und nicht etwa die hungernde Kriegswittwe mit drei Kindern in einer deutschen Unterkunft!

Ich nehme an, das ist gelebte Solidarität nach Gusto der politischen Linken.



3. Das Geld für die Migranten ist ja nicht weg, sondern wirkt wie ein Konjunkturprogramm



Wurstmanns Logik ist wirklich bestechend in diesem Punkt, wobei auch hier typisch linke Denkfehler vorliegen - allerdings sind die meisten Linken mit ökonomischem Sachverstand sowieso meist nicht allzu lange links. Er meint, dass die Direktzahlungen an Migranten wie ein Konjunkturprogramm wirken, weil diese das Geld gleich ausgeben und nicht unter der Matratze verstecken.

Zwar gilt das nicht für die Milliarden an Erdogan, das gibt er zu, aber für den Rest des Geldes gilt es definitiv. Während er also im Absatz darüber behauptete, dass nur ein geringer Teil der Gelder effektiv an die Klientel geht, so ist das nun - vielleicht gefühlt(?) - doch ein riesiger Batzen, der gleich wieder in den Wirtschaftskreislauf eingegeben wird.

Man nimmt den Leuten also erst einen Haufen Geld weg - gemeint sind Steuerzahler, die das Geld sicherlich auch gerne ausgegeben hätten - zweigt dann zwei Drittel des Geldes ab, um es in dunkle Kanäle weit jenseits der Landesgrenzen abfließen zu lassen und vom Rest bekommen wir ohne weiteres Zutun ein neues Wirtschaftswunder geliefert!

Es ist zwar schon etwas länger her, dass ich in Vorlesungen saß zur Gleichgewichtstheorie der Makroökonomie und den dazugehörenden Rechnungen mit Multiplikatoren, aber das klingt für mich nicht gerade wie ein Rezept für Wirtschaftswachstum, eher dem Gegenteil.



4. Die Konjunkturspritze durch die Flüchtlingsgelder wirkt beim Einzelhandel



Das ist mein Lieblingsargument am Text, zeigt es doch die linke Verlogenheit in ihrer ganzen Pracht. 

Gerne wird ja auf Aldi und Lidl herumgeritten als Billiglöhner und prototypische Kapitalistenabschneider, die ihre überarbeiteten Mitarbeiter drangsalieren und sie mit einem Hungerlohn abspeisen. Dem ist nachweislich nicht so, vor allem bei Aldi verdient man sehr gut (was sich auch an der Qualität der Mitarbeiter zeigt), aber das wissen Linke meist nicht. Warum das so ist weiß ich nicht, ich vermute mal, sie haben einfach noch nie gearbeitet. Hier aber plötzlich ist der Einzelhandel der große Held, den es zu belohnen gilt. 

Auch Wurstmann selektiert sich die Realität eben so wie es ihm gerade passt. Daher schreibt er auch „Einzelhandel“ wenn es um die Ausgaben der Flüchtlinge geht. Diese können das wenige Geld, das sie vom Staat bekommen naheliegenderweise nicht ansparen oder sich davon Mercedes leisten, vielmehr geben sie das allermeiste direkt aus und kaufen sich davon vor allem„Kleidung, Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs“.

Das ist nicht falsch, er hätte aber auch „Aldi, Lidl, Rewe und Edeka“ schreiben können anstelle von "Einzelhandel", wo deren Geld liegen bleibt. Die großen vier kapitalistisch organisierten Großkonzerne haben auf dem deutschen Einzelhandelsmarkt zusammen einen Marktanteil von 70 Prozent. Zählt man in dem Marktsegment die sechs nachfolgenden Großkonzerne hinzu, dann bleiben gerade einmal 11,8 Prozent für den Rest. 

Von den knapp 3,7 Millarden Euro an Direktzahlungen für Flüchtlinge gehen also 3,3 Millarden aufwärts an den Großkapitalismus. Aber hey, "Refugees Welcome!" Da muss man auch mal fünf gerade sein lassen - oder fünf Milliarden.

So ist das mit Linken: Einmal sagen sie „Hü“ und einmal „Hott“. Die Familien Albrecht (Aldi), Schwarz (Lidl) und Haniel (Metro) sagen Danke.



5. Investitionen in die Infrastruktur sind auch toll



Geld floss an hiesige Bau- und Handwerksbetriebe, an Catering-Unternehmen, Wachdienste, Sprachschulen und dergleichen mehr“. Das alles wirkt sich fraglos positiv auf die Konjunktur aus und ist eine Wohltat für uns alle. Denn profitieren wir nicht alle direkt oder indirekt davon?

Als ob der Engpass auf dem Immobilienmarkt nicht zuerst jene trifft die zu viel haben für Stütze, aber zu wenig, um mit der Zahlungssicherheit vom Amt mithalten zu können beim Rennen um die dringend benötigte Unterkunft.

Oder als ob es positiv wäre, wenn wir heute in der Öffentlichkeit, beim Einkauf, auf dem Markt und andernorts auf Schritt und Tritt von Wachdiensten beobachtet werden, so dass man sich nicht mehr sicher sein kann, ob man sich gerade in einem „Land, in dem wir alle gut und gerne leben“ befindet oder in einem postapokalyptischen Krisengebiet. 

Und soll ich es nun als positiv erachten, dass ich heute immer weiß wann der Ramadan beginnt, weil in der Zeit die Zahl der Sicherheitsleute im Supermarkt stark ansteigt?

Ich frage mich auch, wie es sein konnte, dass die vielen lange vor dem aktuellen Schwall Migranten zu uns kommenden Einwanderer keine speziellen Sprachschulen mit Gutschein brauchten. Wenn, dann haben die das aus eigener Initiative gemacht und vom eigenen Geld finanziert und der Rest hat die Sprache im (Arbeits!)Alltag gelernt und das meist recht zügig.

Also alle bis auf die bestimmte Klientel. Aber die bekommen ja auch ohne Sprachkenntnisse Stütze, damit sie die deutsche Konjunktur anheizen können. Oder so ähnlich.

Wurstmann fasst das Argument zusammen mit: „Jeder Euro, der aus der Staatskasse an wirtschaftlich schwache Menschen gezahlt wird, wird umgehend reinvestiert. Davon profitieren am Ende alle.“

Meine Zustimmung, denn negativ profitieren ist ja bekanntlich auch eine Art des Profitierens.



6. Andere Finanzlöcher sind schlimmer



Fröhlich weiter geht es mit Wurstmanns linker Argumentationsdemenz mit dem Verweis auf Steuerhinterziehung, die – Oh, Wunder! - fast exakt dem Betrag entspricht, den der Bund für Flüchtlinge ausgibt. Er verweist dazu auf einen Professor aus Linz, wobei ich vermute, dass es für jeden Betrag einen Professor gibt und man dann bei Bedarf auf jenen mit der richtigen Summe verweisen kann.

Die Demenz in der Argumentationskette bezieht sich übrigens auf Wurstmanns Reduktion der Migranten als „reine Kostenfaktoren“. Ich muss schon sagen, der Mann vertritt hier ein „ höchst problematisches Menschenbild“ und das nicht nur hinsichtlich der Migranten, sondern auch der Steuer(nicht)zahler.

Als Quintessenz lernen wir: „Die Asylkosten sind im Vergleich dazu Peanuts“, die Steuerhinterziehung sei ein viel größeres Problem. Dazu hätte ich spontan eine Idee, Herr Wurstmann:

Warum holen wir uns anstelle von wahllos zusammengewürfelten Migranten nicht einfach treuselige Steuerzahler ins Land? Wir bauen uns dazu eine Weltsteuerberatungsagentur auf, die den Menschen weltweit kostenlos die Einkommensteuerformulare ausfüllt und dann laden wir all jene in unser Land ein, die nicht murren, wenn sie über 30 Prozent ihres Einkommens an den örtlichen Fiskus abführen müssen.

Ich kann mir kaum vorstellen, dass irgendjemand etwas gegen diese Art der Migration hätte!



7. Es gibt keine empirischen Beweise, dass eine Mehrheit der Betroffenen dauerhaft Sozialleistungen beziehen wird und selbst nichts einzahlt



Nachdem er den Blick nach vorne ausgeschöpft hat blickt Wurstmann noch einmal genau in die Vergangenheit und meint: „Tatsächlich gibt es über Jahrzehnte keine einzige Statistik zu Zuwanderungskosten in Deutschland, die diese Annahme stützen könnte.“

Davon abgesehen, dass man eine solche Statistik aus naheliegenden Gründen lieber nicht erstellt frage ich mich, mit welchen Migrationsbewegungen Wurstmann die aktuelle Migrantenwelle eigentlich vergleichen will: Mit Ostdeutschen, die nach der Wende in den Westen wanderten? Mit Kriegsvertriebenen, die nach dem 2. Weltkrieg aus Schlesien abhauen mussten? Oder vielleicht mit türkisch-arabischen Migranten, die über die Jahrzehnte in das Land und die Sozialsysteme einsickerten?

Erstere wussten, wie man arbeitet, zweitere mussten arbeiten, da ihnen niemand etwas gab und letztere – nun, diese Statistik sollten wir wie gesagt besser nicht erstellen. Alternativ könnten wir in diesem Fall die Sozialversicherungssysteme auch nach der Religion spalten. Das wäre doch eine Lösung, nicht wahr?

Hätten Katholiken ihr eigenes System, Protestanten ihr eigenes, dazu auch Orthodoxe, Schiiten, Sunniten, Aleviten, Buddhisten, Mormonen und so weiter, während der große Rest in den Topf der Atheisten gesteckt wird, dann gäbe es keinen Grund mehr für Neid und Missgunst. Jeder könnte sofort sehen, was Sache ist und wenn die eigenen Glaubensgenossen zu teuer sind, na dann wechselt man eben die Religion und zahlt woanders ein.

Ich frage mich ehrlich, wer dieses Rennen am Ende gewinnen würde.



Fazit



Gerrit Wurstmann macht seinem Namen wirklich alle Ehre. Dieses Elaborat ist an Wurstigkeit wirklich kaum zu überbieten und das ist ein gutes Zeichen, ein sehr gutes sogar. Es zeigt nämlich, dass man in der linken Ecke nicht mehr weiter weiß.

Einerseits rennen ihnen die Leute davon, weil sie merken, wie sehr sie von ihrer Avantgarde verraten wurden und andererseits lauert im eigenen Lager das grüne Ungeheuer, das sich von Argumenten und Existenznöten unberührt aufspielen kann als der neue Weltenretter und Wunderheiler aller gesellschaftlichen Nöte. 

Die einen gehen also von der roten Fahne, weil sie rechnen können, und die anderen gehen, weil sie nicht rechnen wollen und die Vertreter der politischen Linken, sie werden zerrieben von diesem unmöglichen Spagat zur argumentativen und weltanschaulichen kognitiven Dissonanz.

Ich denke, bis in zwei oder drei Jahren wird in Deutschland nicht viel übrig sein von der klassischen Linken.


PS: Ein Blick in die Leserkommentare zum Artikel lohnt sich. Die Linke hat fertig.
Blogverzeichnis Bloggerei.de
loading...