Es war einmal... die seltsamste Touristenattraktion der Welt (Bildquelle) |
The Spectator: Lebe wohl, mein geliebtes Hongkong
Bei meiner letzten
Reise nach Hongkong vor einigen Jahren war noch nicht abzusehen, dass
es meine letzte sein würde.
Eigentlich bin ich
fest davon ausgegangen, dass Hongkong im Rahmen der „Ein Land -
zwei Systeme“ Abmachung sein Lebensende erst in 27 Jahren erreichen
würde. Peking aber hatte andere Pläne. Die chinesische Regierung,
die sich innenpolitisch ihren Griff dank der sozialen
Kontrollmechanismen immer stärker ermutigt fühlt und in ihrer
Außenpolitik zunehmend selbstbewusst auftritt, brach ihr Versprechen
bei der Rückgabe Hongkongs, indem sie unter Umgehung der Legislative
Hongkongs ein weitreichendes nationales Sicherheitsgesetz
durchsetzte, das die Themen „Sezession“, „Subversion“ und
„Verschwörung“ zum Inhalt hat. Dabei wurden die Begriffe so weit
gefasst, dass sie gegen jeden Kritiker der KPCh leicht zur Waffe
werden können, und das mit der Möglichkeit einer lebenslangen Haft
als Strafe. Mit dem Gesetz wird Dissens effektiv unter Strafe
gestellt, während der Gültigkeitsbereich des Gesetzes bis weit
jenseits von Hongkongs Küsten hinaus ausgedehnt wurde und sogar bei
Ausländern anwendbar ist. Der amerikanische Außenminister Mike
Pompeo verurteilte die Verabschiedung des Gesetzes als den „Todesstoß
für die Autonomie Hongkongs“. Tatsächlich ist das noch
untertrieben, da es selbstverständlich dem Ende von Hongkong selbst
gleichkommt.
In gewisser Weise
ist meine Trauer und Wut über diese Veränderung unverdient. Ich
habe keinen Anspruch auf die Stadt Hongkong, abgesehen davon, dass
ich ein regelmäßiger und geradezu verliebter Besucher der Stadt
war, wenn ich sie von meiner Heimat Singapur aus besucht habe. Beide
Städte waren kosmopolitische, schnelllebige, asiatische Städte, die
in sich die unauslöschlichen Spuren der britischen
Kolonialvergangenheit trugen. Hongkong aber hatte insbesondere in den
1980er und 90er Jahren stets den Ruf, die freizügigere, buntere und
härtere der beiden Städten zu sein. Im Gegensatz zu Singapur, wo
das Leben voller Ansprüche, Ordnung und manchmal etwas eintönig
war, bot das nahe und doch so ferne Hongkong Extreme und Dualitäten:
Schwindelerregende Wolkenkratzer und erhabene, mit unberührtem Grün
bedeckte Gipfel, das Zusammentreffen von Ost und West, Glitzer und
Glamour, hochmoderne Technologie und Traditionen der alten Welt,
Wohlstand und dazwischen Elend.
Die Stadt selbst zu
betreten ist ein Angriff auf alle Sinne. Helle Neonschilder
wetteifern aus dem Gewirr der oberirdischen Straßenbahnen und der
Kakophonie der Hupen um Aufmerksamkeit. Inmitten des Milieus rund um
die Uhr geöffneter Geschäfte in Mong Kok, in denen jedes
Preisschild das Angebot für eine Verhandlung beinhaltet, vermischen
sich die Aromen von Eiergerichten und gegrilltem Fleisch mit
chinesischem Weihrauch und ausgefallenem französischen Parfüm.
Ungehobelte und stets gereizte Taxifahrer klären einen nur zu gerne
über ihre politischen Ansichten auf. In Lan Kwai Fong war der
Anblick von wild feiernden Menschen - junge Ausländer genauso wie
Einheimische – keine Ausnahme, wie sie dasaßen und Champagner
tranken oder ein Bier von Tsingtao tranken, während sie den Blick
über den Hafen von Victoria genossen.
Mehr als 150 Jahre
britischer Herrschaft schützten Hongkong vor den katastrophalen
Folgen von Maos Politik. Für einige kurze Jahrzehnte war es sogar
physisch vom Festland abgeschnitten. Indem Hongkong seinen eigenen
Weg beschritt, entwickelte es seine eigene Identität. Im Mittelpunkt
steht dabei die kulturelle Verankerung des lokalen Idioms Kongisch.
Es handelt sich um Kantonesisch, das oft mit englischen Wörtern
gespickt ist und sein eigenes Singsang bildet. In hartnäckiger
Missachtung der auf dem Festland verwendeten vereinfachten Zeichen
wird noch immer überall die traditionelle Schrift verwendet. Je mehr
darüber debattiert wurde, auch Hongkong das offizielle Mandarin
überzustülpen, desto deutlicher wurde den Menschen, dass es hier
nicht nur um linguistische Feinheiten ging; es ging letztlich um
einen Kampf um die Seele Hongkongs.
Auf Schritt und
Tritt versuchte Hongkong, seine Abgrenzung zu China zu betonen, wobei
2014 ein kleiner Erfolg erreicht wurde. Die lokale Identität
Hongkongs fand Einzug im globalen Bewusstsein, als der Begriff „Hong
Konger“ vom Oxford English Dictionary definiert wurde als ein
„Einheimischer oder Einwohner Hongkongs“. Damit stand es den
Menschen in Hongkong endlich frei sich selbst zu definieren, ohne das
zunehmend belastete Etikett „chinesisch“ zu verwenden. Als die
Demokratieproteste im vergangenen Juni begannen zeigten Umfragen,
dass sich erstaunliche 75 Prozent der jungen Erwachsenen als
„Hongkonger“ und nicht weder als „Chinesen“ erachteten, noch
als „Chinesen in Hongkong“ oder „Hongkong in China“. Von
diesem wachsenden Gefühl des kulturellen Separatismus sieht China
sein übergeordnetes nationales Interesse bedroht, weshalb Peking
sein Sicherheitsgesetz darauf ausgerichtet hat, den Ausdruck der
einzigartigen Identität und des Selbstverständnisses Hongkongs zu
erschweren.
Wirtschaftlich steht
für Hongkong auch sein Status als globales Finanz- und Kulturzentrum
auf dem Spiel. Die schiere vertikale Dimension der dicht gedrängten
Hochhäuser ist in vielerlei Hinsicht ein passender Hintergrund für
Hongkongs turbogeladene, hyperkapitalistische Gesellschaft. Die
Menschen sind in Gebäude gepfercht, verdichtet und ökonomisch
geschichtet, die sich in fast unmögliche Höhen aufschwingen –
einige leben in Mikrowohnungen, die so klein sind, dass man sie
Sargkabinen nennt, während andere Himmelspalästen mit Blick auf den
goldenen Sand der Repulse Bay bewohnen. Hongking ist einer der
wenigen Orte auf der Welt, wo sich ein echtes Wildwestgefühl
wahrnehmen lässt. Die Hongkonger selbst sind im Allgemeinen ein
geschwätziger Haufen und halten selten zurück, was sie wirklich
denken. In quasi jedem von ihnen scheint das Blut eines Spielers zu
fließen, und so streben sie stets nach der nächsten Gelegenheit.
Dieser
Unternehmungsgeist und diese Kultur des relativ ungehemmten Ausdrucks
trieb Hongkongs Filmindustrie zu einer Blüte, dass sie die
asiatischen Kinokassen beherrschte und im Westen begeisterte Anhänger
fand. In ihrer Blütezeit wurden nur in den Vereinigten Staaten mehr
Filme produziert und exportiert. Hongkong produzierte Filmstars und
Regisseure wie am Fließband, und sie schafften es, die Grenze des
Orients zu überschritten und selbst in Hollywood zu Berühmtheit
gelangten: Jackie Chan, John Woo, Wong Kar Wai und der legendäre
Bruce Lee.
Hongkongs Einfluss
auf die Vorstellungswelt Asiens erstreckte sich auch auf seine
Presse- und Verlagswelt. Die Dynamik der Stadt schuf einst eine
lebendige Gemeinschaft von Schriftstellern, Akademikern, Buchhändlern
und Verlegern, die inzwischen entweder ihr Handwerk aufgegeben haben,
oder aber es hat sich ein Schatten der Angst über ihre Tätigkeit
gelegt. Wer könnte es ihnen verdenken, nachdem die KPCh den
Buchhändler Causeway außergerichtlich entführen ließ, weil er
sich auf regierungskritische Bücher im Boulevard-Stil spezialisiert
hatte?
Und dann ist da noch
das Tiananmen, das nach Ansicht der chinesischen Regierung für ewig
verschwiegen werden sollte. Angesichts der Säuberung sämtlicher
Informationsquellen auf Festland blieb nur noch Hongkongs Presse- und
Verlagswesen, das den einzigen Zeugen und Hüter der Erinnerung an
die damaligen Geschehnisse darstellt. Können die Menschen darauf
vertrauen, dass dies auch künftig so sein wird, während die KPCh
gleichzeitig ihre Agenda gegen subversive Tätigkeiten angeht?
Die neuen
Sicherheitsgesetze hatten bereits einen abschreckenden Effekt auf
Hongkong. Verschiedene Mitglieder der Oppositionspartei sind
zurückgetreten und geflohen. Einige prominente Aktivisten sind
angesichts der neuen gesetzlichen Einschränkungen ihres Lebens in
den Nihilismus verfallen.
Hongkongs
Anziehungskraft als Finanzzentrum ist schon lange in der Weise
zurückgegangen, wie die eigenen Metropolen auf dem chinesischen
Festland im Aufstieg begriffen waren. Die robuste, phantasievolle
Landschaft, die Achtung der bürgerlichen Freiheiten und sein Ruf für
Stabilität und Sicherheit machten Hongkong jedoch immer noch zu
einem wettbewerbsfähigen Markt und einem wünschenswerten Ort zum
Leben. Mit dem Einsetzen einer Marionettenregierung mit mittelmäßigen
Führungsqualitäten, mit der Verabschiedung des neuen
Sicherheitsgesetzes und mit der Eröffnung eines berüchtigten
undurchsichtigen Sicherheitsbüros zu dessen Durchsetzung sabotiert
die KPCh im Wesentlichen alle noch verbliebenden Druckmittel
Hongkongs. Es ist ein Tod durch tausend kleine Stiche.
Denn ohne seine
kulturelle und intellektuelle DNS ist Hongkong einfach nicht
Hongkong. Die siebenundzwanzig Jahre, die von der geliehenen Zeit
noch übrig waren, sind auf Null zusammengeschrumpft. Vor Jahrzehnten
sagte Milton Friedman: „Hongkong ist der Vorreiter. Wenn die
Chinesen an ihrer Vereinbarung festhalten, Hongkong seinen eigenen
Weg gehen zu lassen, dann wird auch China diesen Weg gehen. Sollten
sie das aber nicht erlauben, dann wird das ein sehr schlechtes
Zeichen sein.“
Friedman hatte Recht
- das ist in der Tat ein sehr schlechtes Zeichen. Es ist an der Zeit,
auf das Hongkong wie wir es kennen, einen Platz in unserer Erinnerung
freizuräumen.
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