Muss sich wegen Corona keine Sorgen machen (Bildquelle) |
Verschwörungstheorien bekommt man in den Mainstream Medien eigentlich nur bei Themen wie der AfD, dem Klima oder dem bösen Kapitalismus zu hören. Von jener Sorte Verschwörungstheorie, die den Mächtigen dieser Welt unangenehm werden könnten, ließt man dagegen eher selten. So fällt ganz besonders auf, wie der englische Spectator beim Thema Coronakrise und dem Umgang durch Frankreichs Präsident Macron eine Ausnahme macht und Macron eine heimliche Wahltaktik beim staatlichen Anti-Coronaprogramm unterstellt. Offenbar lässt die Gemengelage in dem Land keinen anderen Schluss mehr zu.
Zugegeben, der Spectator als eine Art englischssprachige Weltwoche ist nicht wirklich Mainstream-Mainstream, vielmehr ist der Status des Blattes eher seinem hohen Alter geschuldet. Allerdings erstaunt es dennoch, eine derartige Meinung dort zu lesen zu bekommen. Denn immerhin wird das Blatt sehr wahrscheinlich auch vom aktuellen britischen Premier Boris Johnson gelesen. Denn dieser verdingte sich vor dem Beginn seiner politischen Karriere beim Spectator als Redakteur.
The Spectator: Wird Frankreich bis zum Äußersten getrieben?
Während sich
Frankreich auf die dritte Woche der allgemeinen Ausgangssperre
vorbereitet warnte Premierminister Edouard Philippe, dass „der
Kampf gerade erst begonnen hat“. Das Coronavirus forderte in
Frankreich bisher 2.606 Todesopfer, allerdings meinte Philippe auf
einer Pressekonferenz am Samstagabend: „Die ersten 15 Tage des
April werden noch schwieriger sein als die vergangenen 15 Tage.“
Zu Beginn der Woche
lobte Philippe die Entschlossenheit der großen Mehrheit der Menschen
im Land für das Einhalten der Sperre und forderte Frankreich dazu
auf, den eingeschlagenen Kurs beizubehalten, wobei er gleichzeitig
ankündigte, dass die Sperre mindestens bis zum 15. April andauern
wird. „Unser Kampf wird andauern“, sagte er. „Wir werden nur
gewinnen, wenn wir diszipliniert sind und die Maßnahmen zur
Abriegelung einhalten.“
Nur, wie lange
werden die Franzosen durchhalten? In Italien gibt es Berichte, dass
einige Menschen nach drei Wochen Hausarrest kurz vor dem
Zusammenbruch stehen. Das Coronavirus ist in Frankreich nicht
annähernd so tödlich wie in Spanien und Italien, wobei junge und
gesunde Menschen wahrscheinlich als erste die Legitimität ihrer
Gefangenschaft in Frage stellen werden, insbesondere da auch in
Frankreich die große Mehrheit der Opfer über 65 Jahre alt ist.
Neben dem
kämpferischen Auftritt von Philippe bei der Pressekonferenz am
Samstag muss man sich überdies fragen, ob das Land weiterhin den
drakonischen Maßnahmen seiner Regierung gehorchen wird.
Offiziell endet das
aktuelle Schuljahr an diesem Freitag, und das wird die
Entschlossenheit des Landes psychologisch auf die Probe stellen. Die
Kinder werden nicht mehr mit Schulaufgaben beschäftigt sein, so dass
es ihre Eltern werden sicherlich schwerer haben werden, sie zu
beschäftigen; Millionen wären eigentlich in den Urlaub ans Meer
oder aufs Land aufgebrochen, aber stattdessen sind sie jetzt
Gefangene in ihrem eigenen Haus.
Wenn die
Wettervorhersage stimmt, dann wird die südliche Hälfte Frankreichs
an diesem Wochenende in warmen Sonnenschein getaucht sein, was die
Ausgangssperre für Jugendliche, die gerne am Strand flirten oder im
Park Fußball spielen würden, noch quälender macht.
Man fragt sich, ob
in einem so patriarchalischen und hierarchischen Land wie Frankreich,
realistisch betrachtet gerade die Jugend für die selbsternannte
68er-Generation geopfert wird. Präsident Macron gehört vielleicht
nicht zu ihnen, aber er weiß, wie wichtig sie bei den Wahlen sind.
In der Stichwahl 2017, als er gegen Marine Le Pen antrat, da stimmten
78 Prozent der über 70-Jährigen für ihn, während seine Rivalin im
Gegenzug bei den unter den 25-49 jährigen, die übrigens auch den
Kern der Gelbwestenbewegung bilden, am besten abschnitt. Auch bei den
letztjährigen Europawahlen erzielte Macrons regierende LREM-Partei
die höchste Punktzahl unter den über 65-Jährigen, von denen 30
Prozent dem Präsidenten ihre Stimme gaben.
Angesichts der durch
das Coronavirus am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppe ist es
sinnvoll, dass Macron ihre Bedürfnisse in den Vordergrund stellt,
wobei seine Sorge um ihr Wohlergehen überaus geschätzt wird. Am
Wochenende ergab eine Umfrage, dass Macrons Zustimmungswert unter den
über 65-Jährigen im letzten Monat um 17 Prozent gestiegen ist.
Insgesamt haben 44 Prozent der befragten Franzosen Vertrauen in die
Fähigkeit ihrer Regierung, die Coronakise erfolgreich zu bewältigen;
am skeptischsten waren die Anhänger von Le Pen (22 Prozent
Vertrauen) und die der linksextremen France Insoumise (29 Prozent),
die beide über eine große jugendliche Anhängerschaft verfügen.
Es gibt jedoch noch
einen weiteren Faktor, der beim großen Vertrauen älterer Franzosen
in ihren Präsidenten eine Rolle spielt. Denn die 68er-Generation mag
vor einem halben Jahrhundert zwar kurzzeitig rebelliert haben, aber
sie reifte bald heran und nahm ihren Platz in der Kette der
republikanischen Befehlskette ein. Um ein Beispiel zu nennen: Die
Generation wurden so autoritär, dass nach der Katastrophe von
Tschernobyl im Jahr 1986 Millionen von Menschen dem Versprechen von
Francois Mitterrand glaubten, dass Frankreich nichts zu befürchten
habe, weil ein antizyklonisches Wettersystem Frankreich vor Strahlung
schützen würde.
Das Ende der
Wehrpflicht für alle männlichen Schulabgänger im Jahr 1997 ist mit
ein Grund dafür, dass diese Achtung vor den Institutionen der
Republik bei den unter 40-Jährigen abnahm. Im selben Jahr begann das
Internet in Frankreich seine Spuren zu hinterlassen, indem es die
beeinflussbaren Köpfe neuen Ideen und neuen Kulturen aussetzte, so
dass sie ihren Horizont und ihren Verstand auf das erweiterte, was
sich jenseits des klassischen französischen Selbstverständnisses
abspielt.
Auf dem Höhepunkt
der Gelbwestenbewegung wurden in einigen ausländischen Zeitungen
Vergleiche mit den Protesten der 68er angestellt, aber den beiden ist
so gut wie gar nichts gemein. Die 68er waren überwiegend Studenten
der Mittelschicht, die zu viel Zeit mit Maos kleinem roten Buch
verbrachten. Die Gelbwestendemonstranten dagegen – jedenfalls in
ihren Anfangstagen, bevor linksextreme Aktivisten die Bewegung im
Jahr 2019 übernehmen konnten - waren Männer und Frauen aus der
Arbeiterklasse, die im Angesicht der Gleichgültigkeit seitens der
Regierung um ihr Überleben kämpften.
Wenn Frankreich im
Laufe dieses Jahres unweigerlich in eine Rezession geraten wird, dann
werden es die Gelbwesten sein, die am härtesten davon betroffen sein
werden viele der über 65-jährigen hingegen können darauf
vertrauen, von den großzügigen Rentenzahlungen abgefedert zu
werden. Frankreich gibt rund 14 Prozent seines BIP für Renten aus,
mehr als fast jedes andere EU-Land.
Solche Tatsachen
werden unter Millionen jüngerer französischer Männer und Frauen
eitern, die Tag für Tag in ihren kleinen Wohnungen verharren und zum
schmoren verdammt sind. Edouard Philippes Warnung, wonach die
nächsten 15 Tage schwierig sein werden, wird auf taube Ohren stoßen
– allerdings sind es ohnehin die nächsten 15 Jahre, über die sich
Frankreichs Elite Sorgen macht.
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