Nur noch Weiber und Betas: Verwundert da das Ergebnis? (Bildquelle) |
Selten liest man ein so gutes Argument gegen das Frauenwahlrecht (außerhalb des Schuhladens und der Küche) - na gut, gegen Frauen an Universitäten oder zumindest gegen gemischte Fakultäten mit Männern und Frauen. Das Argument ist sogar so gut, dass der Autor Zachary Rausch eine dieser ominösen „Trigger Warnungen“ voranstellen musste.
Psychology Today: Über die Auswirkungen geschlechtsbezogener Präferenzen an Universitäten
Trigger Warnung
Ich werde den
Artikel mit einem für einige möglicherweise unangenehmen Hypothese
beginnen. Im Rest dieses Artikels möchte ich dann versuchen, Sie
davon zu überzeugen, dass etwas dran sein könnte an dem Argument.
Die Hypothese
Ohne ein Verständnis
der Auswirkungen, die von den geschlechtsbezogenen demographischen
Veränderungen im Hochschulwesen ausgehen, wird es unmöglich sein,
viele der (post-)modernen sozialen Bewegungen (z.B. „Trigger
Warnungen“, „Safe Spaces“, Ausladungen von Rednern mit
falscher Meinung usw.) an Hochschulen vollständig zu verstehen.
Wie die Sache für mich begann
Für mich begann die
Beschäftigung mit diesem Thema mit einem bemerkenswerten Ereignis in
einem Universitätsseminar. Irgendwann drehte sich die Debatte im
Raum um einen besonders prominenten Psychologen, der einige
Äußerungen tätigte, die als ethisch fragwürdig interpretiert
werden konnten. Einer der Studenten meinte darzu, dass dieser
Professor angesichts der ethisch fragwürdigen Ideen, die er
angeblich in einer seiner Aufsätze zum Ausdruck gebracht hatte,
nicht an die Universität eingeladen werden sollte, um dort einen
Vortrag zu halten.
Das Echauffieren
meines Kommilitonen damals führte bei den anderen Anwesenden zu
einem stillen Nicken und anderen Gesten der Zustimmung. Zu diesem
Zeitpunkt meiner akademischen Laufbahn wusste ich noch nicht so
recht, was ich davon halten sollte. Jedenfalls war es am Ende des
Seminars so, dass wir im Wesentlichen alle zu der Schlussfolgerung
kamen, dass der empörte Student Recht hatte und zwar ganz einfach,
weil wir keine weiteren Informationen zu dieser angeblich
fragwürdigen Äußerung bekamen und auch kein Gegenargument
vorgebracht wurde. Dieser Professor, so unser Fazit, muss mit einem
umfassenden Verbot belegt werden, an Universitäten aufzutreten. Im
übertragenen Sinn verlangten wir damals nichts weniger als seinen
Kopf.
Der Hintergrund
Einige von Ihnen
werden diese Geschichte vielleicht überraschend finden; einige mögen
dem Standpunkt der Studenten zustimmen; einige mögen hartnäckig
anderer Meinung sein; und einige von Ihnen werden denken, dass die
Szene kaum einer näheren Betrachtung wert ist. Unabhängig von
meiner eigenen Überzeugung jedoch ist mir klar geworden, dass diese
Anekdote prototypisch steht für die zutiefst politische Debatte um
die politische Korrektheit und die Redefreiheit an Hochschulen. Dabei
geht es um die immer öfters erzwungenen Ausladungen von Rednern, um
die Einrichtung von „Safe Spaces“, um das verpflichtende
Aussprechen von „Trigger Warnungen“, um die fast schon
ausschließlich politisch linke Universitätskultur, um die komplexe
Beziehung zwischen Emotion und Vernunft, sowie um die Befürchtung,
dass Bildung an sich gerade eine umfassende Verschiebung durchlebt,
angesichts einer „verhätschelten“ neuen Studentengeneration.
Es gibt viele
verschiedene kausale Erklärungen für die beobachtbaren
Veränderungen auf dem Campus. Eine bahnbrechende Diagnose dieser
neuartigen Universitätskultur findet man bei Greg Lukianoffs
(Präsident der Foundation for Individual Rights in Education [FIRE])
und Jonathan Haidts (NYU-Sozialpsychologe), die kürzlich das Buch
„The Coddling of the American Mind“ veröffentlichten.
Die Autoren meinen
darin, dass die gegenwärtige Generation von Studenten (insbesondere
jene zwischen 1995 und 2014 geborenen, also „Generation Z“) in
einer Weise aufgewachsen ist, die sie in eine einzigartige Position
gebracht hat, in der es einfach ist, einer Opferkultur zu verfallen.
Die Wurzeln liegen in der digitalen Überfrachtung, einer zu
behüteten Kindheit, der Abwesenheit des freien Spiels, der
politischen Polarisierung, der konformitätsorientierten
Universitätspolitik und der linken Ideologie. Mit anderen Worten,
eine Generation von Studenten, die die Wahrheit durch subjektive
Gefühle bestimmt, die sehr empfindlich auf emotionale Kränkungen
reagiert und die Notwendigkeit verspürt, die Marginalisierten über
alles andere zu schützen.
Lukianoff und Haidt
stellten fest, dass die emotionalen und sozialen Bedürfnisse der
Studenten Vorrang vor anderen akademischen Zielen wie der Freiheit
des intellektuellen Austauschs haben. Haidt argumentierte zusätzlich,
dass auch emotionale und soziale Werte Vorrang vor dem Wert der
Wahrheitssuche genießen.
Kritiker meinen
dagegen, dass Lukianoff und Haidt in ihrer Analyse falsch liegen.
Diese Autoren stellten fest, dass
- die Beziehung zwischen Helikoptereltern, der Mangel an freiem Spiel und die emotionale Zerbrechlichkeit vor allem auf junge Menschen aus sozio-ökonomisch bessergestellten Familien zutrifft
- dass die emotionalen Probleme bei jungen Menschen aufgrund anderer kausaler Faktoren auf der Makroebene existieren, die von den beiden außen vor gelassen wurden (z.B, die Verschuldung mit Studentenkredite, die Wirtschaftskrise von 2008, der Klimawandel, die soziale Ungleichheit und die schlechten Berufsaussichten)
- die historische Diskriminierung bestimmter Studentengruppen (z.B. Frauen und Farbige) an den Universitäten berücksichtigt werden muss, wenn man versucht, die aktuellen sozialen Bewegungen auf dem Campus zu verstehen.
Das fehlende Element
Wir erkannten, dass
sich in diesem Wust an Ideen jede Menge unbeantworter Fragen und
Probleme verbargen. Zunächst einmal gab es keinerlei empirische
Forschung dazu, so dass nicht bekannt ist, was die Studenten und
Professoren selbst als Ursache für die gegenwärtige Lage sehen. Mit
anderen Worten, wir wissen nicht, ob die Studentenschaft und die
Professoren tatsächlich Ziele der sozialen Gerechtigkeit und
emotionale Sensibilität über die traditionellen akademischen Werte
wie die akademische Freiheit (Freiheit zu lehren, zu lernen und zu
sagen, was man will), die Wissensförderung (das Nutzen von Bildung
als Mittel zur Entdeckung der „Wahrheit“) und akademische Strenge
(anspruchsvolle akademische Arbeit zu leisten) stellt.
Zweitens wissen wir
ebenso wenig, wie inwieweit sich die pädagogischen Werte
unterscheiden zwischen den Studenten und den Professoren. Und
schließlich wissen wir auch nicht, ob es wirklich Unterschiede gibt
zwischen den Ansichten der Studenten der Generation Z und älteren
Generation, oder zwischen männlichen und weiblichen Studenten.
Aus diesem Grund
haben wir beschlossen, Antworten darauf zu finden. Es folgen in aller
Kürze die Ergebnisse einer Studie über die akademischen Werte
aktueller Studenten amerikanischer Hochschulen, die ich kürzlich in
meiner Rolle als Diplom-Psychologiestudent an der Universität von
New York.
Unser Vorgehen
Für unsere Studie
wurden mehrere hundert Hochschulstudenten aus den ganzen Vereinigten
Staaten gebeten, insgesamt 100 Punkte zu vergeben für die fünf
verschiedenen akademischen Werte der akademischen Freiheit, der
Wissensförderung, der akademische Strenge, der soziale Gerechtigkeit
und für das emotionale Wohlbefinden. Dazu mussten die Studenten für
einen theoretischen moralischen Konflikt im wissenschaftlichen
Bereich eine speziell angefertigte Skala mit unterschiedlichen
Handlungsmöglichkeiten ausfüllen, welche dem von den Teilnehmern am
meisten geschätzten Werte widerspiegelt.
Die Studenten lesen
zum Beispiel ein Szenario und müssen dazu dann aus fünf möglichen
Antwortmöglichkeiten jene auszuwählen, wie sie am ehesten auf
dieses Szenario reagieren würden. Hierzu ein Beispiel:
„Ihre Hochschule
lädt einen Professor mit Ihres Erachtens extremen politischen
Ansichten ein, um eine öffentliche Vorlesung vor Studenten und
Dozenten zu halten.“
Die
Antwortmöglichkeiten wären in diesen Fall:
- Die Einladung darf ausgesprochen werden. Jeder hat das Recht auf die Äußerung seiner Meinung zu äußern, unabhängig vom Inhalt. (entsprechend der akademischen Freiheit)
- Wenn dies zu einem besseren Verständnis des Thema führt und uns der Wahrheit näher bringt, dann kann die Einladung ausgesprochen werden. (entsprechend dem Generieren von neuem Wissen)
- Wenn sich die Mehrheit der Studenten emotional unsicher oder mit dem Inhalt des Referenten unzufrieden fühlt, dann sollte die Einladung nicht ausgesprochen werden. (entsprechend dem emotionalen Wohlbefinden)
- Diese Person hat kein Recht zu kommen, da die Ansichten beleidigend sind und wir gegen Personen mit derartigen Ansichten klar Stellung beziehen müssen. (entsprechend der sozialen Gerechtigkeit)
- Sofern der Vortrag die Zuhörer mit einem sehr hohen inhaltlichen Niveau herausfordert und die weitere Selbstreflexion fördert, dann lohnt sich die Einladung. (entsprechend der akademischen Strenge)
Jede der fünf
Antwortmöglichkeiten korrespondierte direkt mit einem der fünf
akademischen Werte. Mit Hilfe der von den Studenten gegebenen
Antworten konnten wir schließlich Unterschiede in der
Wertepriorisierung herausarbeiten entlang der Merkmale Geschlecht,
Generation, Fakultät/Fachrichtung, Persönlichkeit und politischer
Einordnung.
Was wir gefunden haben
Wie üblich ist es
wichtig zu wissen, was sich aus Studienergebnissen ablesen lässt und
was nicht. Erstens waren unsere Ergebnisse eher korrelierend und
hatten kaum eine kausale Aussage. Zweitens ist es unklar, ob die
Ergebnisse unserer Studie direkt mit dem Verhalten in der realen Welt
übereinstimmen. Drittens sind unsere Maße für akademische Werte
neu und müssen erst noch reproduziert werden.
Unabhängig von
diesen Einschränkungen konnten wir auf Basis der Studie dennoch
einige allgemeine Aussagen treffen, die in etwa jenen entsprechen,
wie sie Lukianoff und Haidt vermutet hatten. Die heutige
Studentengeneration legt wesentlich mehr Wert auf ihr eigenes
emotionales Wohlbefinden, als auf den Wert ihrer Ausbildung.
Gleichzeitig gehören die meisten Studienteilnehmer der „Generation
Z“ an (geboren nach 1995), aber es liegen auch umfangreiche Daten
von älteren Studenten vor (auch bekannt als „Boomer“). So war es
möglich, die akademischen Werte der jüngsten Generation Studenten
zu vergleichen mit den Werten älterer Studentengenerationen.
Einige wichtige Erkenntnisse
- Bei Studenten der Generation Z findet sich eine Gleichgewichtung zwischen Wissensfortschritt und emotionalem Wohlbefinden (das am allerhöchsten bewertet wird). Ältere Studentengenerationen haben allgemein den Wissensfortschritt höher bewertet.
- Von allen relevanten Variablen war die politische Einordnung der beste Prädiktor für die Werte der sozialen Gerechtigkeit und des emotionalen Wohlbefindens. Da Studenten intergenerationell immer linker wurden, stiegen entsprechend die Werte für die Bewertung der sozialen Gerechtigkeit und des emotionalen Wohlbefindens.
- Im Hinblick auf die Persönlichkeit wirkte sich die emotionale Stabilität positiv auf die Präferenz des wissenschaftlichen Fortschritts aus und negativ für den Wert des emotionalen Wohlbefindens. Die Neigung zur sozialen Anpassung hatte wiederum hohe Werte für das emotionale Wohlbefinden zur Folge und gleichzeitig niedrige für den Wissensfortschritt und die akademische Freiheit.
- Sozialwissenschaftliche Studiengänge erzielten höhere Werte hinsichtlich der sozialen Gerechtigkeit und das emotionale Wohlbefinden, während „harte“ wissenschaftliche Studiengänge höhere Werte bei fortschreitendem Wissen und der akademischen Strenge erzielten.
- Männliche Studenten bewerteten den Wissensfortschritt und die akademische Strenge höher und soziale Gerechtigkeit und emotionales Wohlergehen niedriger als weibliche Studenten.
Das finale Bild
Unsere Ergebnisse
unterstützen viele der Behauptungen, die von Lukianoff und Haidt
bezüglich der politischen und sozialen Haltung von
Universitätsstudenten vorgebracht wurden. Insbesondere die
politische Einstellung spielte eine zentrale Rolle bei der Prognose
sämtlicher akademischer Werte und war sogar der bedeutendste Faktor
für die Werte der sozialen Gerechtigkeit und des emotionalen
Wohlbefindens (zusammen mit der emotionalen Stabilität). Hinzu
kamen markante Generationsunterschiede in der Bewertung von sozialer
Gerechtigkeit und emotionalem Wohlbefinden.
Am bedeutendsten
allerdings ist, dass wir zeigen konnten, dass Lukinoff, Haidt und
andere Kommentatoren einen kritischen Faktor übersehen haben: Das
Geschlecht.
Der Geschlechtsfaktor
In den letzten
fünfzig Jahren hat sich das Geschlechterverhältnis an Hochschulen
enorm verändert. In den 1970er Jahren lag das Verhältnis zwischen
Männern und Frauen in den USA bei 58 bis 42 Prozent, während eine
kürzlich durchgeführte Umfrage im Jahr 2017 zeigte, dass Frauen
heute etwa 56 Prozent der Hochschulbevölkerung ausmachen. Mit
anderen Worten: Die Geschlechtermehrheit der Studentenschaft in den
Vereinigten Staaten hat sich in den letzten fünfzig Jahren
umgekehrt.
Dieser demografische
Wandel ist von größter Bedeutung, weil umfangreiche Untersuchungen
erhebliche Unterschiede in den Persönlichkeitsmerkmalen, in der
politischen Einstellung und in der Werteorientierung zwischen
Männern und Frauen nachweisen konnten:
- Frauen sind in der Regel linker als Männer.
- Frauen erzielen höhere Werte bei den Maßen der sozialen Verträglichkeit und Offenheit
- Frauen haben niedrigere Werte bei der emotionalen Stabilität
- Das Verhältnis zwischen Frauen zu Männern in den Sozialwissenschaften (z.B. Soziologie, Psychologie, Anthropologie) ist erheblich ausgeglichener, als in den „harten“ Wissenschaften (MINT)
Wichtig ist, dass
die aktuelle Forschung gezeigt hat, dass
- eine höhere soziale Verträglichkeit höhere Werte für soziale Gerechtigkeit und emotionales Wohlergehen vorhersagt und niedrigere Werte für den Wissensfortschritt und die akademische Strenge;
- eine niedrigere emotionale Stabilität höhere Werte für emotionales Wohlergehen und soziale Gerechtigkeit vorhersagt und niedrigere Werte für den Wissensfortschritt und die akademische Strenge
- eine linke Gesinnung höhere Werte für emotionales Wohlergehen und soziale Gerechtigkeit voraussagt und niedrigere Werte für fortschreitendes Wissen und akademische Strenge
- harte wissenschaftliche Studiengänge höhere Werte für fortschreitendes Wissen und akademische Strenge voraussagen und niedrigere Werte für soziale Gerechtigkeit und emotionales Wohlergehen.
Mit anderen Worten,
sämtliche Faktoren, die den Charakter der Hochschulen ausmachen und
damit auch deren Verschiebung in der letzten Generation hängen mit
dem Geschlecht zusammen. Denn generell neigen Frauen im Vergleich zu
Männern erheblich stärker dazu, die heute dominierenden Werte zu
präferieren. Wer also die Unterschiede zwischen den Geschlechtern
nicht berücksichtigt, dem fehlt ein zentrales Bindeglied für die
Erklärung der gegenwärtigen Entwicklung.
Bedeutend ist
überdies, dass sich die geschlechtsspezifische Demographie nicht nur
bei den Studenten, sondern auch bei den Professoren verändert hat.
Im Jahr 2013 hatten Frauen 49,2% aller Fakultätspositionen inne,
während es 1993 nur 38,6% waren. Wie in einer Studie über die
akademischen Werte von Universitätsprofessoren gezeigt wurde,
stimmen die akademischen Werte von Professorinnen mit den Werten von
weiblichen Studenten und die akademischen Werte von Professoren mit
denen von männlichen Studenten überein. Insbesondere bewerten
Männer (Studenten wie Professoren) den Wissensfortschritt und die
akademische Strenge höher als Frauen und schneiden bei sozialer
Gerechtigkeit und emotionalem Wohlbefinden schlechter ab. Natürlich
gibt es auch innerhalb der Geschlechter Unterschiede, aber es
scheint, als sei es nicht möglich, die vertretenen Werte und
Verhaltensweisen an den Hochschulen nicht vollständig zu erklären,
ohne dabei instrumental die Geschlechterunterschiede zu
berücksichtigen.
Eine Anmerkung dazu
Um es klar zu sagen:
Ich persönlich glaube fest daran, dass der steigende Frauenanteil in
der Hochschulbildung eine gute Sache war und ist. Ich versuche
lediglich zu erklären, was die Studenten glauben und warum dies der
Fall sein könnte. Darüber hinaus können andere Faktoren wie der
sozioökonomische Status und die sexuelle Orientierung, mit den von
uns vorgestellten Ergebnissen interagieren und sollten in der
künftigen Forschung untersucht werden.
Fazit
Auch wenn jede
Debatte, die sich um geschlechtsspezifische Unterschiede dreht
komplex und kontrovers ist, so müssen wir diese Unterschiede in
allen relevanten Fällen ansprechen. Dennoch bleiben sie ein Teil
einer viel größeren Geschichte. Da wir in einer Ära leben, in der
sich die politische Polarisierung verschärft, die psychischen
Gesundheitsprobleme junger Menschen steigen, der Universitätsbetrieb
immer weiter nach links driftet, es immer mehr Besorgnis über die
künftigen Berufsaussichten und damit die Verschuldung von
Absolventen gibt und andere Belastungen wie die Angst vor dem Klima
hinzukommen ist es überaus verständlich, dass unter Studenten bei
beiden Geschlechtern das Bedürfnis des emotionalen Wohlergehens
heute eine zentrale Stellung einnimmt.
Das Bedürfnis, über
emotionale Belastungen zu sprechen und diese zu bewältigen, sollte
nicht als Teil des Strebens nach Wahrheit angesehen werden.
Unabhängig von den Ursachen ist das emotionale Leiden junger
Menschen schlichtweg eine Realität unserer Zeit, und die Hochschulen
müssen sich nun einmal an jene Studenten anpassen, die sie haben. Am
wichtigsten aber ist aus meiner Sicht, das was von Lukianoff und
Haidt als Kern der Debatte gesehen wird, wonach das Eingehen auf die
emotionalen Bedürfnisse der Studenten nicht auf der Annahme beruhen
sollte, dass es sich (1) bei Unbehagen, Angst, Schmerz und
Traurigkeit nicht problematische Zustände handeln darf, die um jeden
Preis vermieden werden müssen, und (2) dass einige Ideen oder
Ansichten zu tabu oder emotional zu schmerzhaft sind, als dass man
darüber sprechen oder sie sich anhören sollte.
Universitäten und
Professoren müssen weiterhin jede Herausforderung annehmen. Das gilt
für die emotionalen Probleme ihrer Studenten (und deren Ursachen)
genauso, wie dass sie ihre Autorität dazu nutzen sollten, um das
subjektive emotionale Leiden ihrer Studenten in Frage zu stellen, so
dass diese ihre Emotionen als Antrieb nutzen können, um damit zu den
weniger gut fassbaren, komplizierten und unsicheren Dingen zu
gelangen, die man gemeinhin mit Gerechtigkeit und Wahrheit
bezeichnet.
Vor einigen Jahren
brachte ein Student in einem Kurs mit mir seine Empörung darüber
zum Ausdruck, dass unser Campus einen politisch fragwürdigen Redner
einladen wollte, was definitiv keine illegitime Ansicht war; wenn
überhaupt, dann war es eine wertvolle Perspektive, die ernst
genommen und geschätzt werden muss. Das Problem daran war jedoch das
Meer an nickenden Studenten um sie herum. Denn intellektuelle
Heterogenität ist der Motor, der die Wissenschaft antreibt.
Ohne
unterschiedliche Perspektiven, Meinungsverschiedenheiten, Unbehagen
und Dialog friert der moralische Kompass zwischen richtig und falsch
ein und gibt uns keinen Hinweis mehr, wo das richtige liegen könnte.
Die Frage ist nicht, ob jemand eingeladen werden sollte oder nicht.
Vielmehr müssen wir uns fragen, ob Universitäten Bastionen für
Ideen und Stimmen sein und bleiben sollten, die das gesamte Spektrum
der menschlichen Erfahrung hinweg beherbergen. Genau darum geht es im
Kern, wenn wir über die Meinungsfreiheit in der Hochschulbildung
sprechen.
Mein Fazit daher ist
vierfach:
- Wir müssen die Meinungsvielfalt in der Hochschulbildung unterstützen und das bedeutet, dass wir Wege finden müssen, mit denen die Kommunikation in den verschiedenen Bereichen der Wissenschaft verbessert wird.
- Der demographische Wandel innerhalb der Hochschulen verändert wahrscheinlich auch jene Werte in wesentlicher Weise, mit denen die Universität erfährt und erfahren wird.
- Wir müssen weiterhin die Universität als einen Ort pflegen, der den Studenten beibringt, wie man denkt – aber nicht, was man denken sollte.
- Universitäten und Professoren sollten ihren Studenten zutrauen, dass sie all das in einem wissenschaftlichem Umfeld unvermeidliche Leiden, die Schmerzen und die unangenehmen Konfrontation ertragen, und dass sie daran wachsen können.
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