Zwei Sikh und ein Hochstapler (Bildquelle) |
Justin Trudeau, linker Strahlemann mit Aussetzern, konnte seinen Kopf bei den kürzlichen Parlamentswahlen in Kanada gerade noch so retten. Die absolute Mehrheit verloren er und seine (links-)liberale Partei allerdings, so dass sie nun auf andere Parteien angewiesen sind. Eine bedeutende Rolle fällt dabei einem Sikh zu – erkennbar am Turban, Rauschebart und dem Lächeln im Gesicht – der zum Königsmacher avanciert ist. Er stellt dabei keine Ausnahme dar für die Sikh als relativ junge Einwanderergruppe in Kanada, sondern eher die Regel. Denn trotz ihrer relativ geringen Anzahl sind Sikh sind in nur zwei Generationen zu einer respektablen Macht in Kanada angewachsen. Von einer umgehenden „Sikhophobie“ unter Kanadas ethnischen Europäern ist allerdings noch nichts zu hören.
The Print: Wie konnten Sikhs in Kanada so mächtig werden? Es ist nicht ihre Anzahl…
Die Schlagkraft der
Gemeinschaft lässt sich daran ablesen, dass im kanadischen Unterhaus
achtzehn Sikh Abgeordnete sitzen. In der viel größeren indischen
Lok Sabha sitzen dagegen nur dreizehn.
Jagmeet Singh,
Parteichef von Kanadas Neuen Demokratischen Partei (NDP), der im Jahr
1979 in Ontario als Sohn eines Paares aus dem Punjab geboren wurde,
wird aktuell als der „Königsmacher“ bezeichnet, nachdem die
Liberale Partei von Premierminister Justin Trudeau bei den Wahlen in
diesem Monat keine eigene Mehrheit erzielen konnte.
Ablesen lässt sich
der Boom der Sikh in Kanada an der Stadt Woodstock, die rund 100
Kilometer von Toronto entfernt liegt, und wo kürzlich ein neues
Viertel entstand, in dem 80 Prozent der Einwohner aus Sikh bestehen.
Angesichts ihrer
örtlichen demographischen Dominanz schenkte ihnen der
Immobilienentwickler des Viertels einige Hektar für eine Gurdwara,
dem Tempel und Gemeindezentrum der Sikh.
Insgesamt wurden bei
dieser Wahl achtzehn Sikh in das kanadische Unterhaus mit 338 Sitzen
gewählt, ihr Anteil liegt damit bei 5,3%. In der Lok Sabha dagegen,
dem indischem Äquivalent dazu mit 545 Sitzen, sitzen nur dreizehn
Sikhs mit einem Anteil von 2,4%.
Vor Jahren schon
avancierte Punjabi zur drittbedeutendsten Sprache in Kanada nach
Englisch und Französisch.
Auch wenn die Sikh
in Kanada nur ein Prozent der Bevölkerung ausmachen, so konnten sie
doch wesentlich mehr Macht erlangen als die meisten anderen
Einwanderungsgruppen.
Die Basis dafür
bildet eine solide Kultur an der Basis der Sikh Gemeinden, die sich
aktiv auseinandersetzt mit politischen Belangen, und die über eine
starke Organisationsfähigkeit verfügen und damit auch leicht
Spenden für politische Kampagnen sammeln können. Darüber hinaus
kommt ihnen ein besonderes Merkmal des kanadischen Wahlsystems zu
Gute, das von jedem parteipolitischen Kandidaten verlangt, eine
bestimmte Anzahl von Unterschriften und Parteimitgliedern
einzubringen, um für höhere Ämter nominiert zu werden.
Was zeigen die Zahlen?
Laut Statistics
Canada wuchs die Zahl der punjabisprachigen Bürger in Kanada
zwischen 2006 und 2016 von 368.000 auf 502.000, was einem Wachstum
von 36,5 Prozent in nur einer halben Generation entspricht. Die
einzigen im selben Zeitraum noch stärker wachsenden
Einwanderergemeinschaften waren Filipinos und Araber mit jeweils 83,1
bzw. 60,5 Prozent.
Es sei jedoch darauf
hingewiesen, dass die Filipinos im Basisjahr 2006 mit 236.000
Personen eine viel kleinere Gruppe bildeten und sich die Araber
Kanadas aus Menschen mit den verschiedensten Hintergründen zwischen
Nordafrika und Westasien zusammensetzen.
Von den 92.231
Personen, die 2018 von Kanada eine dauerhafte
Aufenthaltsgenehmigung erhielten als erstem Schritt zur Einbürgerung,
waren 39.600 oder 43 Prozent indische Staatsbürger. Es wird
angenommen, dass Punjabis und darunter insbesondere Sikhs, einen
großen Teil davon ausmachen.
Die politische Schlagkraft der Sikh in Kanada
Wie sehr die Sikh in
Kanada an politischem Einfluss gewannen
wurde 2018 deutlich, als ein kanadischer Geheimdienstbericht
Khalistanis
als eine der fünf größten terroristischen Bedrohungen des Landes
aufführte. Die Gruppierung will in der indischen Region des Punjab
einen eigenen Staat als Heimstätte für die Sikh errichten.
Die Gegenreaktion
der kanadischen Sikh Gemeinschaft - auch
innerhalb der Liberalen Partei - war so gravierend, dass sich
Trudeaus Regierung dazu gezwungen sah, die gemachten Äußerungen
über den khalistanischen Terrorismus zu relativieren.
„Sikh sind eine
jetzt schon die dominante Ethnie in acht Bundesbereichen und verfügen
über eine erhebliche Präsenz in dreizehn weiteren, so dass sie
wichtig genug sind, um das Gleichgewicht zugunsten einer Partei zu
kippen“, sagte Professor Shinder Purewal von der Polytechnischen Universität Kwantlen gegenüber ThePrint.
Die kanadischen
Wahlergebnisse haben gezeigt, dass Abgeordnete ethnischer
Minderheiten oft Wahlkreise gewinnen, in denen ihre Gemeinschaft
nicht die Mehrheit bildet. „Im Jahr 2015 wurden neun der 47
Abgeordneten, denen man ihre ethnische Zugehörigkeit ansieht in
Wahlkreisen gewählt, in denen die Wahlbevölkerung zu weniger als
20% aus deren Minderheit besteht“, hieß es in
einem Meinungsartikel vom Mai 2018 in der kanadischen Zeitung
Globe and Mail.
Erklären lässt
sich dies mit dem kanadischen System, wonach jeder Kandidat seiner
Partei Unterschriften und neue Mitglieder liefern muss, um nominiert
zu werden.
„Die meisten
Bundesparteien erlauben es ihren regionalen Ablegern, in den
Wahlkreisen eigene Vorwahlen durchzuführen. Kann dann ein Kandidat
genügend Mitglieder (aus seiner ethnischen Gruppe) rekrutieren, dann
hat derjenige gute Chancen, den innerparteilichen Wahlkampf zu
gewinnen“, sagte Purewal.
„Die Sikhs
verfügen über eine starke innere Einheit, die auf der Zugehörigkeit
zur selben Kaste basiert, da die große Mehrheit der Sikhs zur Kaste
der Jat Sikhs gehört.“
Beobachter meinen
daher, dass es vor allem an der für Sikhs bekannten enge
Gemeinschaftsstruktur liegt, das ihnen im kanadischen System den
entscheidenden Vorteil bringt.
„Um im
Nominierungsverfahren erfolgreich zu sein braucht man sehr starke
Basisnetzwerke, aus denen man Mitglieder rekrutieren kann, die dann
bei der Nominierungsauswahlsitzung für einen stimmen“, sagte der
Politikberater Jaskaran Sandhu.
„Diese Netzwerke
innerhalb der Sikh Gemeinschaft sind heute sehr weit verzweigt,
nachdem sie über die letzten Jahrzehnte organisch entstanden sind
und entwickelt wurden, so dass es schwer ist, diese nachzuahmen.“
So hat das spezielle
Nominierungssystem letztlich dazu geführt, dass sich eine
Minderheit innerhalb einer Minderheit – gemeint sind die
Unterstützer Khalistans – in der kanadischen Politik durchsetzen
konnten.
„Der Grund, warum
Sikh in Kanada politisch so erfolgreich sind liegt daran, dass sie
gut organisiert sind. In ihren Gurdwaras organisieren sie
Gemeindeveranstaltungen, gemeinnützige Organisationen, führen
Spendenaktionen durch, betreiben Suppenküchen etc. Sie sind eine
sehr wohltätig orientierte Gemeinschaft“, sagte Anita Singh, eine
Doktorandin der kanadischen Dalhousie Universität und Expertin für
die Diasporapolitik des Landes.
„Innerhalb der
Gemeinden gibt es auch Geldtöpfe, die ganz bewusst für politische
Zwecke gedacht sind“, fügte sie hinzu.
Das politische
Engagement der Sikh beginnt also auf Graswurzelebene und es sind vor
allem die Vorstandswahlen für die Gurdwaras, wo die Politik zum
Tragen kommt. In der Regel gewinnt eine Gruppe von zehn bis zwanzig
Männern die Kontrolle über eine Gurdwara, die diese schließlich
nutzen können, um dort Geld für politische Kampagnen zu sammeln,
wobei sie von dort aus meist etwa 40 bis 50 Großfamilien
beeinflussen können.
„Von klein auf
werden Sikhs ermutigt, sich freiwillig bei den Kampagnen zu
engagieren und sie lernen dabei nicht nur das Einmaleins des
Wahlkampfes, sondern auch, wie das Staatswesen generell
funktioniert“, sagte Sandhu.
„Bei den Sikhs
spielen der Aufbau einer Gemeinschaft, das demokratische Engagement
und die Stärkung der Basis eine bedeutende Rolle. Es ist Teil des
Ethos der Sikh“, fügte er hinzu.
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