Leihbarer E-Scooter; bald Teil einer Insolvenzmasse (Bildquelle) |
Wer in einer der großen Städte Deutschlands lebt, dem wird es in den letzten Wochen selbst aufgefallen sein. Überall stehen nun diese E-Scooter herum, die man per App aktivieren kann, um dann für ein paar Pfennig mit bis zu 25km/h durch die Straßen zu brausen. Ein Spaß ist das allemal, das sieht man den meist jungen Fahrern an, auch wenn aufgrund der mangelnden Sicherheit ab und an mal etwas schief geht. Es scheint, als seien E-Scooter gekommen, um zu bleiben. Die Frage aber ist, ob das Geschäftsmodell der Verleihdienste eine Zukunft haben wird, oder ob es sich dabei nur um ein weiteres Strohfeuer handelt.
Preise und Opportunitäten
Einer der Verleihanbieter für E-Scooter ist das in Berlin ansässige Unternehmen Tier, dessen überall verteilten E-Scooter farblich in schwarz-grün gehalten sind. Auf den ersten Blick wirken die Geräte überaus hochwertig und stabil, was sie aufgrund des Wetters - sie stehen ganzjährig draußen - und der erwartbar rabiaten Benutzung aber auch sein müssen. Überrascht war ich von den Preisen, allerdings in negativer Weise. Jeder Fahrtantritt kostet einen Euro plus weitere 15 Cent pro Minute, wobei es laut FAQ für Deutschland derzeit noch einen kleinen Bonus von 19 Cent gibt, was ich auf die frische Markteinführung zurückführe und wohl bald wieder verschwinden wird.
Das ist ziemlich viel Geld, muss ich sagen, da die Geräte aufgrund des städtischen Terrains wohl selten die Maximalgeschwindigkeit erreichen und effektiv im Schnitt 16km/h schnell sein dürften. Für eine Strecke von vier Kilometern braucht man mit dem E-Scooter entsprechend 15 Minuten, so dass der der Kilometerpreis damit bei realistischen 3,10 Euro liegt. Mit der Maximalgeschwindigkeit von 25km/h kommt man für die Strecke bei 2,07 Euro heraus und mit nicht unrealistischen 12 km/h sind es sogar 4,05 Euro.
Zum Vergleich, ein Taxi kostet für die selbe Strecke circa neun Euro und dafür kann man sitzen, hat einen Kofferraum und bekommt ein Dach über dem Kopf. Die zweite Alternative mit den ÖPNV kostet selten mehr als 2,50 Euro, ist also zumindest tagsüber und unter der Woche eindeutig günstiger.
Alleine schon an diesem Vergleich zeigt sich daher, dass der E-Scooter Verleih entweder drastisch mit den Preisen herunter gehen muss, oder aber absehbar wieder verschwinden wird.
Kosten und Opportunitäten
Die zweite kaum zu überwindende Hürde für E-Scooter besteht in dem Problem, dass E-Scooter ziemlich billig sind und mit dem steigenden Marktvolumen weiter im Preis sinken werden. Aktuell kosten E-Scooter der zweituntersten Preiskategorie bei Media Markt ungefähr 350 Euro. In der billigsten Ausführung kann man sogar schon für unter 250 Euro zugreifen, wobei hier vermutlich inakzeptable Abschläge bei der Qualität zu erwarten sind. Aber auch wenn man die Verleihdienste verlgeicht mit der 350 Euro Klasse, dann kostet das Gerät effektiv fünfzig Cent pro Tag, da zwei Jahre Garantie gegeben werden.
Teilt man die Kosten für einen Kauf durch die realistischen Kilometerkosten beim Verleih von 3,10 Euro, dann erhält man 113 Kilometer, die ein Fahrer mit einem E-Scooter in zwei Jahren maximal zurücklegen darf, damit sich das Leihen im Vergleich zum Kauf lohnt. Pro Tag sind das magere 160 Meter und pro Monat 4,9 Kilometer.
Das macht es quasi unmöglich für Verleihdienste, auch nur im Ansatz mit E-Scootern als Eigentum mithalten zu können, wenn diese für mehr als eine sich zufällig ergebende Fahrt verwendet werden sollen. Wirtschaftlich eignet sich das Ausleihen nur für all jene, die den Bus verpasst haben, oder die einen wichtigen Termin haben und keinen Parkplatz in der Nähe fanden, oder für jene, die in einer fremden Stadt vom Bahnhof zum Konzert/der Jugendherberge/dem Fußballspiel wollen und gerade kein Bus fährt oder dieser voll ist.
Kunden und ihre Mobilitätsnachfrage
Die dritte Hürde besteht in der starken Witterungsabhängigkeit der Geräte und der Tatsache, dass viele ein Gerät gleichzeitig benötigen. Das Wetter schränkt die Benutzung zumindest in unseren Breitengraden stark ein auf die Zeit zwischen Frühling und Herbst. Wenn es regnet oder im Winter werden die Geräte erwartbar kaum verwendet werden. Kunden aber müssen auch bei schlechtem Wetter von A nach B und eignen sich E-Scooter nur als gelegentliche Ergänzung zu anderen Fortbewegungsmitteln.
Dazu stellt auch die Gleichzeitigkeit der Nachfrage ein Problem dar. Wären verliehene E-Scooter der Standard für das kurze Pendeln, dann bräuchte es genauso viele dieser Geräte wie es Pendler gibt, da morgens alle damit zur Arbeit fahren wollen und nachmittags wieder nach Hause. Das Teilen und damit die Effizienzsteigerung aus dem gemeinsamen Benutzen ist demnach enge Grenzen gesetzt und beschränkt sich auf zufällige Fahren in fremdem Terrain, wo man keine Alternativen kennt.
Das Geschäft muss sich daher in den acht Monaten mit relativ gutem Wetter und über unregelmäßige Fahrten refinanzieren, die derzeit noch nicht abgedeckt werden über Fahrräder, Motorroller, den ÖPNV, Taxis, private PKWs oder im Zweifel den Fußweg. Viel bleibt da nicht übrig, wobei der E-Scooter Verleih kaum mehr als fünf Prozent des heutigen Mobilitätsbedarfs bedienen würde.
Bei den 40 Kilometern, die jeder Deutsche täglich im Schnitt zurücklegt wären das zwei Kilometer, die per geliehenem E-Scooter zu einem Preis von 1,38 Euro zu haben wären. Im Optimalfall würde die Fahrt dabei knapp fünf Minuten dauern plus An- und Abmelden des Scooters. Es ist eine Preisleistung, bei der sogar das zu Fuß gehen in Flipflops mithalten kann.
Die Frage nach der Wirtschaftlichkeit
Schließlich muss die Leihflotte auch finanziert, betrieben und jeden Abend neu verteilt werden. Mit einem Einkaufspreis von 300 Euro und einer Betriebsdauer von zwei Jahren muss jedes Gerät durchschnittlich alle zwei Tage Verwendung finden, damit das Gerät über den Grundpreis von einem Euro pro Fahrt abgezahlt werden kann. Das ist nicht unrealistisch, wobei die Rechnung doch recht knapp erscheint, wenn man bedenkt, dass die Scooter im Winter kaum und ansonsten vor allem an Wochenenden nachgefragt werden und in normalen Zeiten Finanzierungszinsen anfallen.
Gleichzeitig scheinen auch die 19 Cent pro Minute realistisch kalkuliert, da die Diffusion der Verteilung bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 15km/h pro Minute circa 250 Meter liegt. Damit lässt sich das Einsammeln, Überprüfen, Laden und Neuverteilen der Geräte durchaus finanzieren, sofern der Prozess nicht mehr als fünf Minuten dauert, der Mindestlohn bezahlt wird und ein Scooter im Schnitt mindestens zwei Kilometer pro Tag bewegt wird.
Vor allem fällt aber diese Arbeit nur dann an, wenn die Scooter auch wirklich benutzt werden. Für die Betreiber ist das eine gute Nachricht, sofern sie die tägliche Betreuung vor Ort an dritte Dienstleister auslagern und keine eigenen festen Angestellten dafür halten, da es die Fixkosten nach oben treibt.
Viel betriebswirtschaftlichen Spielraum gibt es aber nicht, falls ein Preisdruck einsetzen sollte oder sich die Benutzung und damit die notwendige Betreuung als stark erratisch oder auf bestimmte Spitzenzeiten beschränkt erweisen sollte.
Das Fazit zur Zukunft von Verleihdiensten für E-Scooter
Im Anbetracht der Faktoren, die den Markt beherrschen haben große Anbieter wie Tier keine Chance, und das auch dann, falls es zu einer Subventionierung der Arbeitskosten oder zu Sanktionen für andere Verkehrsmitteln kommen sollte. Wer auch nur annähernd regelmäßig Verwendung für einen E-Scooter hat, der probiert es zuerst per Ausleihe aus, kauft sich dann aber einen eigenen.
Lediglich in Nischen wird der E-Scooter Verleih überleben. Beispielsweise in stark touristisch geprägten Orten, wo die einzelnen Sehenswürdigkeiten entweder relativ weit auseinander oder auf einem Berg liegen, der nur zu Fuß erreichbar ist. Der Philosophenweg in Heidelberg wäre so ein Beispiel. In meiner Erinnerung ist dieser zwar nur kurz, aber er ist auch ziemlich steil. Gleichzeitig kommen dort regelmäßig Touristen vorbei, die sich das Stadtpanorama gerne von oben ansehen würden und von denen manche auch den ganzen Berg hochgehen wollen. Für derartige Orte, von denen es einige gibt in Deutschland ist der Verleih von E-Scootern eine perfekte Ergänzung, die sicherlich von vielen wahrgenommen würde.
Eine derartige Bedienung von speziellen Nischen ist aber nichts für Generalisten, als die sich die neuen E-Scooter Verleihdienste präsentieren. Vielmehr ist das Geschäft prädestiniert für lokale Anbieter, die sich auskennen und vor Ort präsent sind, um die Geräte mehrmals täglich wieder zum Anfangspunkt zu schaffen. Es ist ein saisonales Geschäft, das die übrige touristische Infrastruktur ergänzen kann.
Als Fazit bleiben drei Erkenntnisse. Erstens, E-Scooter können praktisch sein und machen Spaß, sie werden also bleiben. Zweitens, Verleihdienste wird es künftig geben, aber sie bleiben auf sehr spezielle ortsgebundene Nischen beschränkt. Drittens, die Investoren in Tier und andere Verleihdienste für E-Scooter und andere elektrische Fortbewegungsmittel werden ihr Geld sehr wahrscheinlich nicht wieder zurückbekommen.
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