Das Aufkommen und der Kampf gegen totalitäre Technologien


Die Pre-Crime Kollegen von Tom Cruise aus Minority Report (Bildquelle)

Es ist vor allem unsere Sorglosigkeit im Umgang mit unseren persönlichen Informationen im digitalen Bereich, die als Türöffner dient für totalitäre Technologien. Dabei ist vor allem die jüngere Generation der Millennials besonders unachtsam und vertraut den Technologiegiganten der Welt selbst intimste Informationen an. Staaten wie private Unternehmen nutzen dies aus und dringen mit Hilfe der digitalen Rechenmacht immer weiter in unsere Privatsphäre ein. Das Ziel dabei sind graduelle Veränderungen unserer Verhaltensweisen.



Forbes: Das Aufkommen totalitärer Technologie



Ist der technologische Fortschritt schlecht für die menschliche Autonomie? Das ist die Frage von Shoshana Zuboff in "The Age of Surveillance Capitalism", einem Buch, das beschreibt, wie Unternehmen und Staaten morderne Technologien nutzen, um unser Verhalten zu beeinflussen. Zuboffs Buch ist nur das neueste Beispiel für das Aufkommen „totalitärer Technologie“, ein Begriff, mit dem Geräte und Algorithmen beschrieben werden, die Einzelpersonen ihre Privatsphäre und Autonomie zu Gunsten Dritter rauben.

In den Vereinigten Staaten kann dieser Technologiezweig in drei verschiedene Kategorien oder „Lebensbereiche“ eingeteilt werden: Verbraucherdienstleistungen, der Arbeitsplatz sowie Staat und Politik.

Totalitäre Technologie ist bereits jetzt in der immer mehr datengesteuerten Welt des Einzelhandels weit verbreitet. Viele Konsumenten-Apps für das Smartphone greifen auf die eingebaute GPS Funktion zu, um den Standort des potenziellen Käufers zuzugreifen, so dass Einzelhändler diesen zielgerichtet Werbung zusenden können, sobald sie an deren Schaufenster vorbeigehen. Personalisierte Preise ermöglichen es Einzelhändlern darüber hinaus, ihren so gewonnen Kunden genau das Maximum in Rechnung zu stellen, das sie bereit wären für ein bestimmtes Produkt zu bezahlen.

Auch zu Hause sind Ihre persönlichen Daten nicht sicher: Digitale Assistenten wie Amazons Alexa speichern sämtliche Anfragen an das Gerät, und das bedeutet, dass Amazon alles weiß und zwar von der einzigartigen Einkaufsgeschichte des Nutzers, über deren Reisemuster bis hin zur persönlichen Musikpräferenz.

Arbeitgeber verwenden auch totalitäre Technologien, um ihre Mitarbeiter nachzuverfolgen und zu überwachen. Eine wachsende Zahl von Unternehmen verwendet biometrische Zeitkarten, die den Fingerabdruck, die Handform, die Netzhaut oder die Iris eines Mitarbeiters scannen. UPS stattet seine Lastwagen mit Sensoren aus, die das Öffnen und Schließen von Türen, den Motor des Fahrzeugs und das Klicken von Sicherheitsgurten verfolgen. Amazon hat ein elektronisches Armband patentiert, mit dem Handbewegungen verfolgt werden können und damit auch, wann, wie, wo und ob ein Lagerarbeiter damit beschäftigt ist, Kartons zu bewegen. Die globale Freelancer Plattform Upwork bietet ein digitales „Arbeitstagebuch“ an, das Tastenanschläge zählt und Screenshots von Mitarbeitern erstellt.

Besonders auffällig war die Einführung totalitärer Technologie in der Staatsverwaltung und Politik. Die Polizei von New Orleans etwa betreibt ein „predictive policing“-Programm, das mit Hilfe von Big Data potenzieller Straftäter findet, bevor sie zuschlagen. Die TSA (eine US-Behörde für Transportsicherheit) betreibt mit „Quiet Skies" ihr eigenes totalitäres Technologieprogramm, nach dem Reisende anhand von „verdächtigen“ Verhaltensmustern selektiert und markiert werden. Reisende enden auf der Quiet Skies-Liste, wenn sie sich beispielsweise auf der Toilette umziehen, wenn sie als letzte Person an Bord des Flugzeugs gehen und selbst dann, wennn sie einfach nur ihr Spiegelbild in einem Terminalfenster betrachten.

Noch eine Ecke totalitärer ist eine an der Stanford University entwickelte Software, die es jedem ermöglicht, Videomaterial in Echtzeit zu bearbeiten. Mit dem Programm ist es also beispielsweise möglich, den Gesichtsausdruck eines Politikers zu verändern, der gerade eine Rede hält und gleichzeitig dazu eine neue Audioaufnahme einzuspielen, mit der die Rede auch inhaltlich verändert wird.

Weltweit ist China das Aushängeschild für extreme totalitäre Technologieprogramme. Bis 2020 wird Chinas „Sozialkreditsystem“ das Verhalten jedes einzelnen Bürgers überwachen und quasi alles im Auge behalten von Strafzetteln bis hin zu staatskritischen Äußerungen in den Sozialen Medien. Jeder erhält dann seinen eigenen, einzigartigen „Ehrlichkeitswert“, also einen Rang, der bestimmt, ob man eine gute Wohnung bekommt, eine schnelle Internetverbindung, ob die Kinder an eine renommierte Schule dürfen und ob man eine lukrative Arbeitsstelle erhält.
Warum aber explodiert der Markt für totalitäre Technologie ausgerechnet jetzt? Es ist vor allem die Öffentlichkeit, die danach verlangt. Im Laufe der Geschichte wurde die Verwendung von Technologien stets von unseren Wünschen und Bedürfnissen als Gesellschaft bestimmt.

Bereits in den 1980er und 1990er Jahren, als sich die Welt weitgehend in Richtung Individualismus, freies Unternehmertum, begrenzte Staatswesen und umfassender Globalisierung bewegte wurden die technologischen Durchbrüche dieser Zeit hauptsächlich als Werkzeug der allgemein libertären Entwicklung angesehen. Kurz nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens erklärte Ronald Reagan, dass „der Goliath des Totalitarismus vom David des Mikrochips besiegt werden wird“. In den letzten Jahren jedoch hat sich die Welt in eine ganz andere Richtung bewegt - in Richtung Vergesellschaftung, Populismus, zentralisierter Kontrolle und Nationalismus. Nicht zufällig bewegen sich die heutigen technologischen Durchbrüche wieder in Richtung der Gruppe und nicht des Einzelnen (der inzwischen versteht, dass er das Produkt ist und nicht der Kunde).

Die Generationendynamik verstärkt diesen Wandel hin zu gruppenorientierten totalitären Technologiesystemen. Während ältere Generationen der Meinung sind, dass die Opferung ihrer Privatsphäre von Natur aus riskant ist, sehen Millennials die mitunter positiven Auswirkungen der Technologie als Ganzes als natürlich an. Sie sind deutlich optimistischer als andere Generationen, was das Potenzial der Technologie betrifft: Laut einer Umfrage von 2015 glauben 25 % der 18- bis 24-Jährigen, dass sich die Technologie „überwiegend positiv“ auf ihr Leben auswirkt, was dem höchsten Anteil aller Altersgruppen entspricht. (Bei 60- bis 64-Jährigen liegt der Wert bei nur 12%.) Außerdem neigen Millennials dazu großen Institutionen zu vertrauen, die den Schutz ihrer personenbezogenen Daten bewerkstelligen sollen. Einige Millennials betrachten die persönliche Autonomie sogar als eine Last und weniger als einen schützenswerten Vorteil.

Die meisten Einwände gegen den Einsatz totalitärer Technologie werden heute von älteren Konsumenten geäußert. Ein Bericht des Pew Research Center aus dem Jahr 2017 kommt zu dem Schluss, dass 60% der 50- bis 64-Jährigen und 56% der über 65-Jährigen sagen, dass ihre Daten heute weniger sicher sind als vor fünf Jahren - verglichen mit nur 41% der unter 50-Jährigen. Ältere Personen variieren dazu auch viel öfters ihre Passwörter und halten sie vor Freunden und der Familie geheim, um ihre Daten nicht zu gefährden.

Die Zukunft der totalitären Technologie in Amerika und anderswo im Westen wird ein Kampf sein zwischen dem Streben nach Effizienz und der Wahrung der Privatsphäre und Autonomie. Wie wird dieser Kampf ablaufen?

Wir können in der Geschichte nach der Antwort suchen. Das letzte Mal, als wir einen Stimmungsumschwung in Richtung Vergesellschaftung sahen, der begleitet wurde von umfassenden technologischen Sprüngen waren die 1930er Jahre, als inmitten der Weltwirtschaftskrise Roosevelt und seine Mitstreiter der New-Deal-Demokraten dank des Zuspruchs der krisengeschüttelten Bevölkerung in die Lage kamen, umfassende Veränderungen an der Gesellschaft vorzunehmen. Damals nutzte die Regierung riesige technologische Durchbrüche, um die Nation zu bewaffnen und den Feind (in diesem Fall den Faschismus) zu besiegen - von Massenradiosendungen bis hin zur Massenfertigung, von Radar- und codebrechenden Computern bis hin zu Näherungszündern und der Atomspaltung. Politische Anführer, die unterstützt wurden von einer entschlossenen Öffentlichkeit nutzten immer schon neue Technologien für die Transformation der Gesellschaft. In den USA versuchten sie damit eine friedliche und demokratische Welt zu schaffen, in der gefährlich autoritäre Regime in Schach gehalten werden. Die heutigen Spieler mögen dabei vielleicht andere sein als damals - die Geschichte aber könnte ganz ähnlich verlaufen.

Das Ende fällt typisch amerikanisch sehr positiv aus. Auch wenn ich mich dem gerne anschließen würde, so waren die politischen Entwicklungen der 1930er Jahre in Nordamerika wie ich meine weniger dem Drang nach dem Erhalt der Freiheit geschuldet, sondern eher ein zufälliges Nebenprodukt der Opportunität.

Ob wir auch dieses Mal unsere Freiheit nur mit dem ein oder anderen blauen Auge bezahlen müssen ist ebenso dahingestellt. Gibt es doch genügend nützliche Idioten auf der Welt, die in ihrer Sorglosigkeit den Schlund von Big Data füllen und auf diese Weise letztlich uns alle in die total(itär)e Überwachungsmatrix hineinziehen. Darunter auch all jene, die selbst ihre Privatsphäre hochhalten und erfolgreich schützen.

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