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Gerne und mit
einigem Recht wird auf 1984 oder A Brave New World
verwiesen wenn es darum geht, die negativen gesellschaftlichen und
politischen Entwicklungen der heutigen Zeit auf den Punkt zu bringen. Es gibt aber noch
eine weitere Dystopie, die wie die Faust aufs Auge der immer mehr um
sich greifenden geistigen Verarmung passt, und die den verordneten
Zwang zur Gleichmacherei auf die Spitze des Absurden treibt. Es handelt
sich dabei um eine Kurzgeschichte
von Kurt Vonnegut mit dem Titel „Harrison Bergeron“.
"Wir schreiben das Jahr 2091 und alle waren nun endlich gleich."
Mit diesem Satz
beginnt Vonneguts gerade einmal sechs Seiten lange Kurzgeschichte
über den 14-jährigen Harrison Bergeron. Die Geschichte spielt in
den Vereinigten Staaten, die nach und nach mit Hilfe von
Verfassungszusätzen alle Bürger für gleich erklärten. Sie waren
nun nicht mehr alle gleich vor dem Gesetz, nein, sie
waren dank umfassender politischer Anstrengungen auch alle gleich in
ihrer Intelligenz, in ihrem Aussehen, in ihrer Stärke und
hinsichtlich all der übrigen Merkmale, anhand derer die Menschen
früher ungleich waren.
Durchgesetzt wird
diese Gleichheit aller in allem von einem sogenannten „Handicapper
General“, was auf Deutsch in etwa so viel heißt wie
„Generalbehinderer“. Schöne bekommen entstellende
Gesichtsmasken, Starke müssen Bleiwesten tragen und Intelligente ein
Stirnband, das ihnen immer dann Stromschläge verpasst, wenn sie
etwas gehaltvolles denken.
Jeder Amerikaner ist
zum Tragen dieser Gerätschaft verpflichtet, das Abnehmen wird mit
hohen Geld-, Gefängnis- und sogar der Todesstrafe geahndet.
Harrison Bergereon
ist einer jener Talente, die in jeder Hinsicht so überlegen sind,
dass er alle Behinderungen tragen muss und darüber hinaus in einer
Korrekturanstalt lebt. Doch dann passiert es, er bricht aus und
will der Welt beweisen wer er ist.
Er verschafft sich
Zugang zu einem Fernsehstudio, in dem gerade live eine
Balletveranstaltung übertragen wird, bei auch seine Eltern zuschauen,
die ihn aber dank der Behinderungen schon vergessen haben. Dort reißt
sich, den anwesenden Musikern und einer Ballerina vor den Augen der Nation die Behinderungen vom Körper.
Kurze Zeit später
trifft die Generalbehinderin ein und erschießt Bergeron und seine Ballerina. Die
Gleichheit ist wieder hergestellt und das Ausnahmetalent Bergeron vergessen, als hätte es ihn nie gegeben.
Es braucht nicht
viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass unsere
politischen und gesellschaftlichen Gleichmacher insgeheim
ebenfalls davon träumen, mit der Schrotflinte Jagd auf all das
zu machen, das aus der Menge herausragt.
Sehenswerte filmische Adaption aus dem Jahr 1995
Verfilmt wurde die
Geschichte bislang drei Mal, wobei es sich um zwei Kurzfilme handelt, die sich
nahe an das Original halten, sowie eine kanadische Produktion in
Spielfilmlänge. Es war dieser Film, den ich vor Jahren einmal sah
und an den ich mich kürzlich wieder erinnerte. Zum Glück fand ich
den Titel dazu.
Der Film heißt in der synchronisierten Fassung „Harrison
Bergeron – IQ Runner“ und ist
trotz des kleinen Budgets absolut sehenswert.
Nicht nur die
filmische Qualität ist ansprechend, sondern auch die Art und Weise,
wie die Geschichte ausgeschmückt wurde macht die 100 Minuten
Laufzeit zu einem nachdenklichen Vergnügen. Letzteres, weil der Film
sich an Vonnegut orientiert und nicht nur spannend erzählt ist,
sondern an einigen Stellen als Satire daher kommt. Es gibt dazu
einige zitierwürdige Stellen, die den Aberwitz dieser gelebten
Dystopie herausstellen.
Die Geschichte ist
wie ihre Vorlage in den USA der Zukunft angesiedelt. Nach einem
Zweiten Amerikanischen Bürgerkrieg erkannte man die Bedeutung der
Gleichheit und beschloss, die Menschen alle gleich intelligent beziehungsweise dumm zu machen. „Men
are not born equal, but they are made equal,“ so der Eingangssatz
der neuen Verfassung. Als Szenario wurde das Amerika der 1950er Jahre
gewählt, da diese als die „besten der amerikanischen Geschichte“
erachtet wurden.
Politische Ämter
bis hoch zum Präsidenten werden von einem Zufallsgenerator vergeben,
da der „Durchschnittsamerikaner“ als völlig ausreichend erachtet
wird für das Führen des Landes. Und so leben die Menschen zufrieden
und mit sich selbst beschäftigt Tag ein, Tag aus in dieser Kulisse,
aus der sie dank der Stirnbänder nicht ausbrechen können.
Harrison Bergeson
ist im Film hochintelligent und schreibt trotz immer intensiverer
Stromstöße zum Verdruss seiner Lehrerin immer noch gute Noten.
Daher muss er sich qua Gesetz einer vermeintlich harmlosen
Gehirnoperation unterziehen, die seine Intelligenz dauerhaft mindert.
Anstelle in ein Krankenhaus wird er aber an einen Ort hinter den Kulissen gebracht. Zu
seinem Erstaunen sind die Menschen dort anders. Sie sind intelligent,
kultiviert, lernen und wissen über die Vergangenheit. Er wird dort
eingeführt, weil er mit seiner Intelligenz aufgefallen ist und er
wurde dafür bestimmt, einer der wahren Verwalter Amerikas zu werden.
Die Verwalter
begründen ihre Existenz damit, dass die Gleichheit aller zwar
wünschenswert ist und angestrebt wird, da dies Kriminalität, Armut,
Abgehängtheit und Krisen verhindert. Gleichzeitig aber braucht es
eine Funktionselite, die hinter den Kulissen die Fäden zieht.
Verkehrssysteme, Kommunikation und Verteidigung können
nicht von durchschnittlichen Gemütern verwaltet werden. Es braucht
dafür Experten mit Intelligenz und daraus leiten die Verwalter ihre
Daseinsberechtigung ab.
In der Kulisse ahnt
niemand etwas davon. Selbst der Präsident ist nicht im Bilde und so
darf er sogar Länder mit Atomwaffen angreifen, oder die Todesstrafe
selbst für Ordnungswidrigkeiten anordnen. Den Verwaltern ist das
egal, so lange sie die Macht haben und so lange das System selbst davon
nicht in Mitleidenschaft gezogen wird.
Als Bergeron die
Tragweite erkennt beginnt er zu rebellieren und sucht ähnlich wie in
der Buchvorlage die Öffentlichkeit, um die Menschen aufzuklären. Am Ende
scheitert er damit und wird ermordet und vergessen. Ganz amerikanisch
bietet das Filmende aber einen Hoffnungsschimmer. Nicht alle haben
ihn und seine Botschaft der Exzellenz, der Ausnahme, des Geschmacks
und der menschlichen Gestaltungskraft vergessen...
Also ich
bin ein Harrison Bergeron, und Sie?
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