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Die relativen
Prozentanteile für Parteien sind ein wichtiger Faktor, an dem sich
der Zusammenhalt einer Gesellschaft
ablesen lässt. Gibt es wenige große Parteien und nur wenige
relevante kleine, dann kann man schlussfolgern, dass sich die
Milieus der Gesellschaft überschneiden und durchlässig sind
und große Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Lebenswelten
bestehen. In Berlin, das zeigt eine aktuelle Wahlumfrage durch INSA für Bild, hat sich das Gegenteil manifestiert.
Sechs Fraktionen mit fast gleicher Größe teilen die Politik der Stadt
Geht in einer
Gesellschaft der Zusammenhalt verloren, dann splittern sich auch die
Parteien auf und bedienen nur noch ein streng abgegrenztes Milieu.
Man erkennt dies an einem Niedergang der ehemals großen
Volksparteien und einem Anstieg der Anhängerschaft für ehemals
kleine Parteien.
In Berlin sind die
einst großen Parteien CDU, SPD und aufgrund der Teilung der Stadt in
eingeschränkter Form die Linkspartei zusammengeschrumpft von
zusammen 75% der Wählerstimmen anlässlich der Wahlen
zum Abgeordnetenhaus im Jahr 2001 auf zusammen nur noch knapp 55%
in der aktuellen INSA Umfrage.
Die Parteien sind
aber nicht nur geschrumpft, während AfD und Grüne hinzugewinnen
konnten, vielmehr sind die Anteile sogar fast gleich. In Berlin gibt
es gleich fünf Parteien mit 15% bis 18%, sowie ein Block kleiner
Parteien angeführt von der FDP mit gemeinsam 16%.
Effektiv haben
wir es in Berlin also mit einer Sechsteilung der Wählerschaft zu
tun.
Die politischen Konsequenzen der Balkanisierung
Wählermilieus, die
nichts mit den anderen Milieus zu tun haben neigen dazu, ihre eigenen
Interessen deutlich über jene der übrigen zu stellen. Dieser Effekt
basiert auf der schlichten Unkenntnis der Interessen der anderen. Wo
kein Wissen über die Unterschiede vorhanden ist, da entsteht auch
kein Denkprozess hinsichtlich möglicher und notwendiger Kompromisse
für das gemeinsame Zusammenleben.
Hinzu kommt, dass
die Abwesenheit einer klaren Präferenzhierarchie schwache
Regierungen zur Folge hat. Nicht nur müssen sich die einzelnen
Parteien sehr stark den eigenen Wählern anbiedern mit allerlei
Wahlversprechen, was in der Regel zu Ausgabenprogrammen führt und
damit die Handlungsfähigkeit der Stadt als ganzes mindert. Vielmehr
kann im Zweifel auch niemand die Rolle des primus inter pares
übernehmen und bei Streitigkeiten eine Entscheidung herbeiführen.
Die Folge ist eine
Lähmung der politischen Entscheidungsgewalt, woraufhin sich das
Verfolgen politischer Interessen vom Parlament auf andere Bereiche
der öffentlichen Verwaltung verlagert. In Sozialbehörden,
öffentliche Unternehmen und politische Vorfeldorganisationen.
Mit der
Balkanisierung einer Gesellschaft droht die schleichende Entmachtung
des Parlaments und die Verlagerung des politischen Diskurses in
unregulierte und nicht-institutionalisierte Bahnen.
Was dies in einer Krise zur Folge hat zeit das Original: Der Balkan
Selbst wenn eine
balkanisierte Gesellschaft nominell gut auf eine Krise vorbereitet
ist kann es in einer Krise zu einem Kollaps kommen. Sobald eine
entschiedene Vorgehensweise der staatlichen Gewalt gefordert ist,
diese aber nicht mehr autonom genug ist und sie von den hinter den
Kulissen wirkenden Partikularinteressen abhängig ist, ist denkbar, dass sie im entscheidenden Moment inaktiv bleibt und die Krise sich erst manifestieren kann.
Je länger der
Zustand der Balkanisierung davor bereits besteht und je tiefer die Krise ist, desto
stärker wirken auch die Kräfte der Unwissenheit über die anderen
Milieus. Vorurteile, unbegründete Ängste, der Verdacht einer Übervorteilung der
anderen, sprich ein umfassendes Rudelverhalten sorgt dann für eine
weitere Zuspitzung im Fall, dass es zu akuten Engpässen in der Versorgung
kommt.
Sind die einzelnen
Milieus nicht nur lebensweltlich sondern auch weltanschaulich und
räumlich ausreichend getrennt, also eine Ghettoisierung vorliegt,
dann haben die Milieus überdies Rückzugsräume, in denen ausschließlich ihre
eigenen Regeln gelten. Dies gilt in Berlin sowohl für das islamische
Milieu, als auch für Alt- und Neukommunisten, wie auch für
das ökologisch angehauchte und das klassische Arbeitermilieu und jenes der ethnischen Deutschen, die sich als klassisch konservativ
verstehen.
Die Gemengenlage
Berlins, das zeigt die Wahlumfrage deutlich, gleicht immer mehr jener Jugoslawiens Anfang der
1990er Jahre, einem der wenigen relativ gut funktionierenden Länder mit
realsozialistischer Regierung. Nachdem aber in Jugoslawien die über
Jahrzehnte mit harter Hand regierende Kommunistische Partei die
Kontrolle über die Bundesländer und ihre Existenzberechtigung verlor, da dauerte es nicht lange
und die einzelnen Milieus standen gegeneinander im Krieg.
Der Unterschied
zwischen dem Berlin von heute und dem Jugoslawien damals besteht
aktuell noch darin, dass die Stadt von den übrigen Teilen
Deutschlands jedes Jahr mit vielen Milliarden Euro querfinanziert
wird, wodurch den Forderungen der einzelnen Milieus für eine
Befriedung noch immer in ausreichender Weise nachgegeben werden kann.
Die Frage aber
ist: Was würde passieren, wenn Berlin plötzlich keine Hilfe mehr
von außen erhält? Werden sich die Milieus weiterhin ignorieren? Das
Beispiel Jugoslawiens zeigt, die vielfach gespaltene Stadt könnte
sehr schnell in Chaos und Krieg abgleiten.
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