Analyse: Deutschlands Parteien im Koordinatensystem des „politischen Kompass“


Ist diese Verteilung realistisch? (Screenshot)

In der politischen Kommentatorenecke des amerikanischen Internets ist seit einiger Zeit ein „politischer Kompass“ beliebt. Es handelt sich dabei um einen Fragebogen, bei dem man insgesamt 62 Fragen beantworten muss, anhand derer man am Ende eine Einschätzung bekommt, wo man im politischen Koordinatensystem zwischen links und rechts, sowie zwischen autoritär und libertär steht. Auf der offiziellen Seite gibt es auch die Einordnung der deutschen Parteien für das Jahr 2017, allerdings mit etwas seltsamen Ergebnissen, weshalb ich ihn wiederholt habe mit ganz anderen Ergebnissen.



Wie kommt es, dass mit Ausnahme der Linken alle rechts oben in der Ecke hängen?



Glaubt man dem Ergebnis, dann könnte man fast glauben, wir leben zu 90% in einem rechtsautoritären Staatswesen. Selbst die Linkspartei befindet sich in diesem Koordinantensystem nur knapp links der Mitte. Immerhin handelt es sich dabei um eine Partei, die in ihrem Programm und bei öffentlichen Kommentaren noch immer vehement klassisch linksdogmatische Positionen vertritt, dazu über eine eigene „Kommunistische Plattform“ verfügt, sowie eine Jugendorganisation, die sich voll und ganz dem „Antifaschismus“ verschrieben hat.

Nähme man diese Ergebnisse für bare Münze, dann wäre es tatsächlich gerechtfertigt, in den Medien von „braunem Sumpf“, „rechtsradikalen Tendenzen“ zu sprechen und davor zu warnen, dass die Ideologie des Mannes aus Braunau kurz vor der Wiederauferstehung steht.

Da die Ergebnisse des Kompass aber sehr weit entfernt davon liegen, was mir jeden Tag politisch entgegenschlägt und was ich über die Parteien und ihre Vertreter in Regierung und Opposition weiß, kann ich kaum glauben, dass bei der Beantwortung der Fragen aus Sicht der deutschen Parteien mit Integrität vorgegangen wurde, um zu einer halbwegs objektiven Einschätzung zu gelangen.

Leider liefert die Seite des Kompass keine näheren Informationen dazu, wie genau diese Ergebnisse zustande kamen, obwohl es ein leichtes gewesen wäre, die jeweiligen Antworten öffentlich zugänglich zu machen. Jenseits des Verweises auf ProfessorChristoph Herzog, einem Turkologen an der Universität in Bamberg gibt es auch keine Anhaltspunkte, wer für diese Ergebnisse verantwortlich ist, oder auf Basis welcher Informationen die Beantwortung der Fragen durchgeführt wurde. Laut der Seite hat Herzog selbst auch nur den zum Ergebnis gehörenden Text ins Deutsche übersetzt, ist also vermutlich nicht der eigentliche Verantwortliche für die Resultate.

Ich habe mich daher dazu entschlossen, den Test für die sechs Bundestagsparteien (CDU und CSU als eins betrachtet) noch einmal durchzuführen.



Trotz kultureller Unterschiede durchaus nachvollziehbare Ergebnisse



Zunächst einmal ist der Fragebogen nicht wirklich gut geeignet für Deutschland. Bei Political Compass handelt es sich um ein amerikanisches Angebot, das lediglich übersetzt wurde ohne aber die Fragen anzupassen, um sie an das leicht abweichende kulturelle Umfeld Deutschlands anzupassen. Vor allem die Fragen zur Sexualität dürften in Deutschland nur ein müdes Lächeln hervorrufen. Jenseits des Altantiks wird das Thema dagegen mitunter heiß debattiert aufgrund des großen „Bible Belt“ und der dort weit verbreiteten wertkonservativen Ansichten. Gleichzeitig stehen andere Fragen, die in Deutschland eine große Rolle spielen in den USA kaum zur Debatte und kommen daher nicht vor. Zu nennen wären etwa Aspekte der staatlichen Sozialsysteme oder auch Angelegenheiten rund um die EU.

Nichtsdestotrotz haben mich die Ergebnisse positiv überrascht, da sie relativ unverzerrt das wiedergeben, was ich davor bereits vermutet habe über die Positionierung der Parteien. Lediglich die in der Vertikalen relativ niedrige Einstufung einiger Parteien scheint mir etwas übertrieben. Das führe ich auf die kulturellen Unterschiede zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschlands zurück, die zu einer anderen Betonung führen. Die horizontale Ausrichtung der Parteien wiederum scheint mir zuverlässig zu sein, da genügend Antworten bei den einzelnen Parteien unterschiedlich beantwortet wurden.

Die Fragen selbst sind unterteilt in verschiedene Themenbereiche, die sich zusammenfassen lassen als:
  • Internationale Beziehungen (7 Fragen)
  • Ethik und Soziales (30 Fragen)
  • Ökonomie (14 Fragen)
  • Sexualität (6 Fragen)
  • Religion (5 Fragen)
Da mir die Gewichtung der Fragen nicht bekannt war schließe ich aus, dass ich bei der Beantwortung unbewusst in signifikanter Weise meine subjektive Meinung mit einfließen ließ. Um der Transparenz Willen habe ich die Antworten in einer Excel Tabelle zusammengefasst, die hier heruntergeladen werden kann.



Unser Problem? Ein dicker links-grüner Haufen am linken Rand…





Die Grafik mit dem Gesamtergebnis für alle Parteien zeigt eindeutig, dass AfD und Union eng beieinander liegen, was den Anspruch der AfD unterstreicht, eine liberal-konservative Alternative zur vermerkelten CDU zu sein, obwohl bei weniger als die Hälfte der Fragen die gleiche Antwort gegeben wurde. 

Während die Union als ganzes und in ihren Programmen zwar noch immer konservative Werte vertritt die jenen der AfD nicht unähnlich sind, so gibt es in den Unionsparteien vor allem ein Personaltableu, das nicht mehr zu den festgeschriebenen Werten passt (Merkel, Kramp-Karrenbauer, Manfred Weber etc.).

Die FDP wiederum dreht einsam und alleine relativ weit rechts unten ihre Runden. Das war nicht anders zu erwarten für die liberale Partei, die in ihrem Grundsatzprogramm mit einem Umfang von 25.000 Worten über 400 Mal das Wort „Freiheit“ verwendet, also quasi in jedem Absatz.

Bei allen drei nicht-linken Bundestagsparteien ist die Einordnung meines Erachtens sowohl im vertikalen als auch horizontal korrekt. Etwas anders sieht die Lage dagegen links der Mitte aus.

Alle drei Parteien – SPD, Grüne und Linke – bilden einen Haufen und liegen fast deckungsgleich aufeinander, obwohl nur bei 50% der Fragen eine Deckungsgleichheit herrscht. Erwartet habe ich das nicht wirklich. Vor allem stimmt etwas an der vertikalen Ausrichtung der drei Parteien nicht. Insbesondere die Linkspartei müsste eigentlich deutlich im autoritären Bereich angesiedelt sein und auch die Grünen haben bekanntlich den ein oder anderen Schlenker in Richtung Ökodiktatur.

Aber seis drum. Viel wichtiger ist die horizontale Deckungsgleichheit der drei, da sie wie ich meine erklärt, warum wir ein Land sind, das eine strukturelle Mehrheit rechts der Mitte hat, allerdings quasi auf allen Ebenen links regiert wird. Union, FDP und AfD kommen aktuell auf satte 55 Prozent bei den Wählern, ein Wert der relativ stabil ist, da sich nur die Verteilung zwischen den drei Parteien verändert. Gleichzeitig liegen die drei linken Parteien zusammen stabil bei 40 Prozent während die übrigen 5 Prozent an Kleinparteien gehen, für dich ich annehme, dass sie im Spektrum gleichverteilt sind.

Als logische Konsequenz müsste sich daraus eigentlich eine Politik ergeben, die rechts dominiert wird, was aber bekanntlich überhaupt nicht der Fall ist. Der Grund dafür lässt sich unmittelbar an den Kompassergebnissen ablesen.


Berücksichtigt man bei der Verteilung der Parteien ihre prozentuale Gewichtung beim Wähler, dann ergibt sich eine „rechte Mitte“ nahe der Union und der AfD mit einer leichten Abweichung in der Vertikalen nach unten aufgrund des FPD Einflusses.

Die „linke Mitte“ auf der anderen Seite ist deckungsgleich mit den Grünen. Vor einiger Zeit schrieb der Umfragenmetzger Manfred Güllner (Forsa) ein Buch über genau diesen Sachverhalt. Dieses Ergebnis spricht eindeutig für die Qualität des Kompass und auch für Güllners Aussagen.

Für die politische Mitte des Landes als ganzes hat die linke Mitte am linken Rand zur Folge, dass auch die „Mitte gesamt“ in ihrer relativen Gewichtung deutlich im linken Spektrum liegt. Die konservativen und liberalen Bürger  und ihre Parteien in Deutschlands sind also völlig erwartbar im rechten Spektrum verteilt. Vielmehr sind es die links und grün Gesinnten unter uns mit ihren Parteien, die den Kompass verloren haben und so weit an den linken Rand gerutscht sind, dass sie die Mitte des ganzen Landes mit sich ziehen.

Ich denke, die Schuld an dieser Entwicklung kann vor allem der SPD zugeschrieben werden, die aufgrund der Konkurrenz im eigenen Lager weit abgerutscht ist von ihrer ursprünglichen Position als linkes Pendant zur Union. In der folgenden Grafik sieht man, wo die politische Mitte bei konstanten Wähleranteilen läge, wenn die SPD noch immer das linke Spiegelbild der Union darstellen würde.


Die Grafik mit einer mittigen SPD zeigt klar, dass die Mitte des Landes zwar noch immer einen leichten linken Überhang hätte, sie wäre aber klar mittig angesiedelt und nicht mehr eindeutig links und ohne jeglichen rechten Einschlag.

Daraus ergibt sich die Frage, wie sich die AfD als politischer Vektor so positionieren müsste, um die alte Mitte wieder herzustellen.



Das beunruhigende Fazit: Die AfD müsste ihrem Ruf als rechtsautoritäres Schreckgespenst gerecht werden



Glaubt man den Einordnungen des politischen Kompass und nimmt man an, dass keine der Altparteien sich bewegen wird, oder sich signifikant Wählerbewegungen abzeichnen, dann müsste die AfD ihrem Ruf gerecht werden als Partei voller Nazisympathisanten, um die politische Mitte des Landes wieder dahin zu bewegen, wo sie war, als die SPD noch nicht nach links abgedriftet ist, wie das folgende Diagramm zeigt.


Das Ergebnis dieser Umpositionierung ist meines Erachtens außerordentlich beunruhigend. 

Sollte es sich bei der oben ermittelten politischen Mitte mit einer SPD als Spiegel der Union nämlich um das natürliche Gleichgewicht des politischen Deutschland handeln, dann wird es mittelfristig deutliche Änderungen in der Zusammensetzung der AfD geben und damit eine Extremisierung ihrer Positionen.

Das allerdings halte ich für unwahrscheinlich. Die Distanzierungen der AfD von autoritärenm oder faschistischem Gedankengut sind meines Erachtens glaubwürdig, um davon ausgehen zu können, dass die Netzwerke um Bernd Höcke und ähnlich denkende Mitglieder in der Partei nicht dominant werden, sondern nur Teil eines größeren Potpourris bleiben und die Partei sich insgesamt zum 1:1 Nachfolger der Union entwickeln wird.

Die Alternative dazu wäre, dass eine weitere Partei aufkommt, die diese notwendige Korrektur an der politischen Mittellage provozieren wird. Es ist ein Gedanke, der mir einen kalten Schauer den Rücken runter gehen lässt. 

Ich hoffe sehr, dass sich die SPD auf ihre Wurzeln besinnt und nicht weiter ihre linksextremen Strömungen pflegt, sondern dahin zurückkehrt wo sie einmal stand. Andernfalls drohen uns tatsächlich Weimarer Verhältnisse, da kein System eine solche Spreizung ohne Brüche internalisieren kann.

Insgesamt jedoch muss man wie ich oben geschrieben habe die vertikale Ausrichtung der linken Parteien mit Vorsicht genießen. Sobald sich diese verändert, dann ändert sich auch der Vektor, mit dem die AfD (oder eine andere Partei) auf das politische Geschehen einwirken muss, um die Mitte dahin zurückzuziehen, wo sie einmal stand.

Ich werde mir in den kommenden Tagen ein paar Fragen ausdenken für einen an Deutschland angepassten Kompass. Möglicherweise kommen dann andere Ergebnisse mit anderen Implikationen heraus.
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