"Landbrücke nach Tobruk" (Bildquelle) |
Gefira: Die Osmanen kommen!
Der gut
orchestrierte Arabische Frühling stürzte in so manchem arabisch
geprägten Land die Regierung und so traf es auch den 42 Jahre lang
über Libyen herrschenden Muammar Gaddaffi, unter dem das Landes zu
den wohlhabendsten in ganz Afrika zählte. Der auf seinen Tod
folgende und bis heute andauernde Bürgerkrieg erzeugte ein
Machtvakuum, in dem verschiedene Akteure um die Kontrolle über das
erdöl- und erdgasreiche Land wetteifern. Nach fast zehn Jahren mit
Auseinandersetzungen konnten zwei große Rivalen
herauskristallisieren: Die in Tripolis ansässige Einheitsregierung
(GNA) und das in Tobruk ansässige Repräsentantenhaus (HOR). Erstere
wird von der Türkei und den Vereinten Nationen unterstützt, während
letztere von Russland, den Vereinigten Arabischen Emiraten,
Saudi-Arabien und Ägypten unterstützt wird.
Die türkische
Beteiligung im Spiel schien die Waage nun endgültig zugunsten der
GNA gedreht zu haben. Bis zur Beteiligung Ankaras hatte die zur HOR
gehörende libysche Nationalarmee (LNA) unter dem Kommando von
General Khalifa Haftar, den größten Teil des Landes erobert und
stand kurz vor dem Vorstoß auf Tripolis. Die türkische Intervention
kam gerade noch rechtzeitig, um die GNA zu retten und die
herannahenden Einheiten der LNA zurückzudrängen. Doch warum ist
Ankara so sehr an der Region interessiert?
Libyen (d.h. die
Provinzen Tripolitanien, Fezzan und Cyrenaica zusammengenommen)
gehörte jahrhundertelang zum Osmanischen Reich, so dass sich die
türkischen Entscheidungsträger in natürlicher Weise zur Region
hingezogen fühlen, wo es schon einmal eine türkische Herrschaft
gab. So versucht die Türkei auch, ihren Einfluss auf dem Balkan
auszuweiten - in Bulgarien und Bosnien und Herzegowina mit ihren
bedeutenden muslimischen oder türkischen Minderheiten, dazu im
überwiegend muslimischen Albanien, in Aserbaidschan im Kaukasus, in
Syrien und im Irak und seit kurzem eben auch in Libyen.
Die Türkei unter
Präsident Recep Tayyip Erdogan versucht immer intensiver, ihren
internationalen Einfluss auszuweiten und sich nach dem Ersten
Weltkrieg von den Westmächten auferlegten Zwängen zu befreien, was
insbesondere für den Vertrag von Lausanne aus dem Jahr 1923 gilt,
der die Kontrolle Ankaras über den Bosporus und die Dardanellen
beschränkt, was die Souveränität des Landes über sein Territorium
einschränkt. Abschütteln will die Türkei diese Beschränkungen mit
Hilfe der Doktrin „Blaue Heimat“ (Mavi Vatan), in deren Rahmen
die ausschließliche Wirtschaftszone des Landes vor seiner Küste
ausgedehnt werden soll.
Das östliche Mittelmeer soll türkisch werden
Zusammengefasst
lässt sich sagen, dass Ankara große Gebiete des Schwarzen Meeres,
der Ägäis und des Mittelmeers als seine Einflusssphären erachtet,
die auch als ausschließliche Wirtschaftszonen bezeichnet werden.
Damit befindet sich Ankara auf Kollisionskurs mit den beiden Nachbarn
Griechenland und Zypern, da unmittelbar vor der türkischen Westküste
sehr viele der Inseln zu Griechenland gehören.
In dieses schwelende
Feuer gab die Erben des Osmanischen Reiches nun reichlich Öl, indem
die Türkei ein Abkommen mit der in Tripolis sitzenden GNA einging,
in dessen Rahmen festgelegt wurde, dass sich die jeweiligen
ausschließlichen Wirtschaftszonen Libyens und der Türkei im
Mittelmeer aneinander grenzen, während der Türkei durch die GNA
überdies erlaubt wird, die libyschen Gewässer zu kontrollieren.
Offensichtlich hat es Präsident Recep Tayyip Erdogan vor allem auf
die libyschen Ölfelder abgesehen, da deren Kontrolle die
Abhängigkeit Ankaras von Energielieferungen aus Russland, dem Iran
und Irak drastisch reduzieren würde. Eine Pipeline vom Osten Libyens
in den Südwesten der Türkei wäre von enormer strategischer
Bedeutung.
Ein solcher Schritt
jedoch würde mit den anderen Akteuren im Mittelmeerraum kollidieren,
die andere Pläne verfolgen. Griechenland, Zypern und Israel
beispielsweise unterzeichneten ein Abkommen über die Verlegung ihrer
Pipeline durch das östliche Mittelmeer. Damit stehen sich die
Interessenhalter in Ankara über Kreuz mit jenen in Athen, Nikosia
und Tel Aviv. Dazu würde auch Italien von der Pipeline profitieren,
während Frankreich - historisch gesehen - das Mittelmeer als seinen
Hinterhof betrachtet. Aber auch Ägypten wurde vom Schritt durch
Ankara in Aufregung versetzt: Das Parlament des Landes ermächtigte
die Regierung sogar zu einer militärischen Intervention im
benachbarten Libyen, falls sich die Situation dort in einer Weise
entwickelt, die Kairo als Bedrohung seiner nationalen Interessen
betrachten könnte. Dabei wird eine potenzielle Eroberung der Stadt
Sirte als Alarmstufe Rot erachtet. Der Konflikt zwischen den
libyschen GNA und HOR könnte sich also bald in enen Zusammenstoß
zwischen der Türkei und Ägypten ausarten.
Türkische Großmachtfrüchte
Sollte die Türkei
tatsächlich die Kontrolle über Libyen erlangen und damit seine
Rivalen aus der Region zu verdrängen, dann hätte das Land fortan
einen exklusiven Zugang zu Öl und Gas, was beides von der sich
entwickelnden türkischen Wirtschaft des Landes dringend benötigt
wird. Des weiteren würde die Türkei in dem Fall auch ihren Druck
auf die Europäische Union verstärken können, da Ankara dann die
Kontrolle über zwei der drei Routen hat wird, über welche die
Menschen aus der Dritten Welt auf den europäischen Kontinent
strömen. Europas Politiker wären fortan dazu gezwungen, Ankara
dauerhaft Geld für das Fernhalten von Menschenmassen von der
westlichen Welt zu bezahlen.
Nicht vergessen im
Kalkül darf man auch die zahlenmäßig große und größer werdende
türkische Minderheit in Deutschland, Belgien und den Niederlanden,
deren Loyalität weiterhin ihrem Herkunftsland gilt und nicht den
Ländern, deren Staatsbürgerschaft sie besitzen. Auch die
militärische Macht der Türkei nimmt stetig zu: Das Land verfügt
über Überseestützpunkte in Aserbaidschan, Irak, Syrien, Sudan,
Somalia, Albanien und jetzt auch in Libyen.
Das Land steht auch kurz
vor der Einsatzreife seines ersten Flugzeugträgers - der TCG
Anadolu. Verbunden mit diesem Mittel zur Machtprojektion ist die
Entschlossenheit, die darin ruhende militärische Macht auch zu
nutzen. Kürzlich wurde ein französisches Kriegsschiff von einem
türkischen Schiff aus dem Gebiet vor der libyschen Küste praktisch
verjagt.
Hegemonialdenken
Gegenwärtig hat die
Türkei ihre Tentakel in Libyen, Nordsyrien und Irak, Nordzypern und
in Albanien ausgebreiet. Sie übt auch viel „Soft Power“ auf dem
Balkan aus. Dabei handelt es sich allesamt um Gebiete, die einst vom
Osmanischen Reich regiert wurden.
Allzu wahrscheinlich ist es zwar
nicht, dass Präsident Recep Tayyip Erdogan oder seine Nachfolger die
territoriale Reichweite des alten Osmanischen Reiches
wiederherstellen werden, indem sie die Regionen in einen Superstaat
mit Ankara als Hauptstadt eingliedern. Vielmehr strebt die Türkei
die Schaffung eines Rings abhängiger Staaten an wie es etwa das
deutsche Mitteleuropa darstellt, oder die Europäische Union für
Deutschland und Frankreich, oder auch die Satelliten der einstigen
Sowjetunion. All diese Länder sind heute mindestens in ihrer Region
die hegemonialen Supermächte, und genau das wäre auch ein
wiederauferstandenes Osmanische Reich.
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