General Salah, Jahrgang 1940; Bouteflika ist Jahrgang 1937 (Bildquelle) |
Die politischenProteste in Algerien gingen in eine neue Phase über, als sich das Militär öffentlich zur Lage im Land äußerte und den Demonstranten den Rücken stärkte. Dabei wurde bereits eine erste Veränderung erzielt, Bouteflika wird nicht noch einmal für das Präsidentenamt kandidieren. Während es oberflächlich nach politischen Reformen aussieht, könnte das Militär insgeheim auch einen Putsch anvisieren und in Algerien ähnlich wie Sissi in Ägypten die Macht übernehmen. Die im Artikel mitschwingende Frage lautet: Könnte sich das als nächstes auch in Frankreich so abspielen?
Oilprice.com: In Algerien bahnt sich ein „perfekter Putsch“ an
Die brodelnden
Unruhen in Algerien, einem der größten öl- und gasproduzierenden
Länder Afrikas, erreichen den Siedepunkt.
Nach wochenlangen
Protesten der Opposition zur Verhinderung einer möglichen Wiederwahl
des langjährigen Präsidenten Bouteflika scheint es noch immer keine
Lösung in Reichweite zu geben. Denn auch nach dem plötzlichen
Rückzug von Bouteflika als Kandidat für die kommenden
Präsidentschaftswahlen gingen die Demonstrationen weiter.
Die Opposition und
einige Insider des Regimes sind nach wie vor der Ansicht, dass die
alte Garde versuchen wird, sich an der Macht festzuhalten. Nun aber
ist auch die algerische Armee in den Kampf eingestiegen und forderte
die Entfernung des derzeitigen Präsidenten. Der Generalstabschef der
algerischen Armee General Ahmed Gaid Salah erklärte, dass Abdelaziz
Bouteflika regierungsunfähig erklärt werden sollte.
Oppositionsparteien und europäischer Analysten begrüßten diese
Stellungnahme der Armeeführung. So scheint das Ende der alten Garde
und des Bouteflika Clans in greifbare Nähe gerückt zu sein.
Offiziell entschied
sich die algerische Armee zu diesem Schritt, um die „legitimen
Forderungen“ der Hunderttausenden von Demonstranten zu
unterstützen, die in letzter Zeit in Protest auf die Straßen
gingen. Der Optimismus wächst und in den westlichen Medien wird
bereits auf die Möglichkeit einer neuen arabischen Frühlingsbewegung
hingewiesen. Die Realität des politischen Umbruchs in Algerien
jedoch besteht darin, dass dem Land weniger ein „Arabischer
Frühling 2.0“ bevorstehen könnte, sondern eher ein „Kairo 2.0“,
in dem das Militär sich aufschwingt zum wahren Königsmacher.
Seit dem algerischen
Aufstand gegen Frankreich wird das nordafrikanische Land von einem
parteiübergreifenden System regiert, in dessen Kern sich eine
politische Partei befindet, die sich aus den algerischen
Unabhängigkeitsgruppen und der damals neu gebildeten algerischen
Armee rekrutierte. Dieses System hat eine Vielzahl von Veränderungen
und Krisen durchlebt und wurde während der kurzen Herrschaft der
Islamisten nach ihrem Wahlsieg in den 90er Jahren sogar fast
ausgelöscht.
Kurz nach dem Sieg
der Islamisten holte sich allerdings die algerische Armee mit
Unterstützung der alten Garde die Macht zurück und setzte ihre
eigene Klientel wieder ein. Die aktuelle Situation ähnelt der
damaligen Situation sehr stark, wobei es einen großen Unterschied
gibt. Algerische Militärstrategen scheinen aufmerksam die Berichte
und Analysen gelesen zu haben, die sich mit dem arabischen Frühling
in Ägypten beschäftigen. Die langjährige Regierungselite Kairos
unter der Leitung von Präsident Husni Mubarak hatte ihre Zeit
überlebt. Demokratische und religiöse Oppositionsgruppen bündelten
ihre Kräfte und vertrieben Mubarak von der Macht. Gleichzeitig blieb
die ägyptische Armee in den Kasernen und mischte sich überhaupt
nicht ein, obwohl die Herrschaft von Mubarak überhaupt erst vom
Militär ermöglicht wurde.
Nach der Entfernung
von Mubarak und dem Wahlsieg der Moslembrüder nahm die Armee dann
aber eine aktivere Rolle an und entwickelte eine Strategie, mit der
sie das zerbrochene Land wieder in den Griff bekommen wollte.
Tatsächlich übernahmen schließlich der ägyptische
Verteidigungsminister und General Sissi nach weniger als zwei Jahren
die Macht und das mit einer breiten Rückendeckung durch die
ägyptische Öffentlichkeit.
Blickt man auf
Algerien, dann sieht man, dass sich sehr ähnliche Strukturen und
Strategien zu entwickeln scheinen. Ein alter Präsident, unterstützt
von einer korrupten und undemokratischen Partei, steuert auf den
Abgrund zu. Gleichzeitig liegt die algerische Wirtschaft am Boden und
dasg, obwohl das Land über riesige Öl- und Gasvorkommen sowie
andere Bodenschätze verfügt. Eine Mischung Missmanagement und
Klientismus kombiniert mit paternalistischen politischen Ansichten
haben das Land in die Knie gezwungen. Europas ehemaliger zweitgrößter
Gasversorger kämpft sogar darum, seine Gas- und LNG-Exporte
aufrechtzuerhalten, obwohl die bereitstehenden Vorräte enorm sind.
Im Hinblick auf die derzeit tobenden politischen Unruhen und die
chronische Wirtschaftskrise ist die Zeit eindeutig reif für
Veränderungen.
Die Opposition ist
der Meinung, dass es die Chance auf Veränderungen gut stehent. Was
jedoch kommen könnte ist keine Änderung nach ihrem Geschmack,
sondern ein Wiederaufleben der Militärregierung, die gedeckt wird
von der offiziellen Politik. Indem sie derzeit auf die legitimen
Forderungen des algerischen Volkes pochen können die Streitkräfte
einschließlich der Sicherheitsdienste am Ende die gleiche Rolle
spielen, wie die ägyptischen Streitkräfte vor einigen Jahren. Die
oftmals vertretene Meinung in den Medien, wonach die Äußerungen
durch die Armee als „Unterstützung des Volkes“ bewertet werden
können, ist höchstwahrscheinlich eine Fehleinschätzung.
Ohne es selbst zu
bemerken sieht sich das nordafrikanische Land dem ägyptischen
Szenario gegenüber . Die derzeitige von den algerischen
Streitkräften unterstützte Veränderungsbewegung wird weder die
Demokratie stärken, noch die Regeln des politischen Alltagsgeschäfts
ändern. Die Armee hat die Situation analysiert und ist zu dem
Schluss gekommen, dass sie in die von Bouteflika hinterlassene Lücke
füllen muss. Die seit jeher in der Innenpolitik des Landes eine
wichtige Rolle spielenden Streitkräfte erfinden sich gerade neu,
während gleichzeitig eine neue Generation von Militärpolitikern auf
ihre kündigte Aufgabe vorbereitet wird.
Ohne Zweifel wird
Bouteflika in den nächsten Tagen oder Wochen entweder von der
Nationalversammlung oder mit Gewalt von der Armee entfernt werden.
Mit großer Geste wird General Salah dann das Amt des
Interimspräsidenten an Abdelkader Bensalah übergeben, dem
Präsidenten des algerischen Senats. Letzterer wird jedoch sehr wohl
wissen, dass er seine Position nur der Armee zu verdanken hat.
Sollte sich dieses
Szenario eines „Kairo 2.0“ durchsetzen, dann wird es keine
wirklichen Veränderungen in der Machtstruktur des Landes geben. Aus
westlicher Sicht sind mehr Befugnisse für die Armee immer schlecht,
zumindest in den Augen von Medien und Politik. Das sich in Algerien
abzeichnende Machtvakuum würde aber nichts Gutes bringen. Die
Wirtschaftskrise in Verbindung mit einem noch jungen Öl- und
Gassektor erfordert in den kommenden Monaten eingehende
Veränderungen. Die algerische Opposition ist dazu nicht in der Lage,
da alle wichtigen Wirtschaftssektoren noch in den Händen der
herrschenden Parteistrukturen liegen. Der vollzogene Schachzug der
Armee wird daher bereits als „perfekter Putsch“ bezeichnet, da es
keine tragfähige Opposition gibt, die an ihrer Stelle die Macht
ausüben könnte, selbst wenn man sie an die Macht ließe.
Gleichzeitig ist die
Stimmung bei den Nachbarn Algeriens sehr angespannt. Der
Hauptkonkurrent Marokko wird sich sehr wahrscheinlich zurückhaltend
geben, da es kein Interesse an einem möglichen regionalen Konflikt
hat, wie er sich in der Westsahara abspielt. Andere wiederum sind
sehr besorgt über eine mögliche von Algerien ausgehende
Instabilität in der Region, da das Land im benachbarten Libyen noch
immer eine wichtige Rolle spielt, wo man noch immer um eine
Konsolidierung der neuen Staatlichkeit kämpft
Auch für die
Supermächte USA und Russland steht viel auf dem Spiel. Einige
Experten in Washington werden eine Chance sehen für eine Annäherung
an Algerien, da sich Bouteflika in der Vergangenheit eher an Russland
orientiert hat. Dieser Traum Washingtons jedoch könnte sich als eine
Fata Morgana entpuppen, da Moskau seit den 1960er Jahren vor Ort ist.
Die Mittelmeerstrategie Putins, deren Zentrum sich in der Hochburg
Syrien befindet, beinhaltet auch eine umfassende militärische
Zusammenarbeit (Armee und Marine) mit Algerien. Nach einer kurzen
Pause in den 90er Jahren hat Russland heute das nordafrikanische Land
wieder voll im Griff und versorgt es mit modernen Waffen und
engagiert sich wirtschaftlich auch in dessen Öl- und Gassektor.
Russische Beamte haben sogar erklärt, dass etwa 50% der gesamten
Waffenexporte in Richtung Afrika nach Algerien gehen. Gleichzeitig
sind Moskau und Algier besorgt über US-NATO-Operationen in und um
Zentralafrika und Libyen. Die aktuelle Analyse Moskaus wird sicher
zum Schluss kommen, dass eine Machtübernahme des Militärs in
Algerien deren Einfluss keineswegs vermindern würde.
In Europa
schließlich wartet man wie immer passiv darauf, was geschieht, ohne
dabei eine proaktive Strategie zu verfolgen. Algerien liegt in der
Nähe des weichen Bauches von Europas und könnte sich potenziell in
einen Anlaufpunkt für Migranten in Richtung des Kontinents
entwickeln, allerdings haben Brüssel und auch die dort ansässige
NATO bisher zur Sache geschwiegen. Gleichzeitig veröffentlichen
europäische Agenturen wie die IEA in Paris Berichte, wonach die
algerische Öl- und Gasproduktion und deren Export noch nicht
gefährdet sind. Letzteres steht in krassem Gegensatz zu Berichten,
nach denen die Gespräche des US-Olkonzerns ExxonMobil mit Algerien
letzte Woche aufgrund der Unruhen zum Stillstand gekommen sind.
Bislang droht noch
keine der involvierten Parteien, die algerischen Öl- und Gasfelder
oder deren Export zu gefährden. Sollte die Situation im Land aber
hochkochen, dann könnte Europas Energieversorgung beeinträchtigt
werden.
Definitiv rechnen
muss man mit einer möglichen Gegenreaktion von Anhängern Bouteflikas oder desillusionierten Demonstranten, falls es nicht so läuft wie
erhofft. Da Algeriens einzige Lebensgrundlage im Export von Öl und
Gas besteht sollte man definitiv ein Auge darauf halten. Dazu wird
sich die zunehmende Instabilität des Landes sehr wahrscheinlich auch
auch nachteilig auf Westlibyen und die Regionen
Mauretanien/Westsahara und bis nach Zentralafrika auswirken.
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