Der Cantillon-Effekt als Institution (Bildquelle) |
Was zur Hölle passierte im Jahr 1971? Das ist nicht nur eine Frage, sondern auf Englisch mit WTFhappenedin1971.com auch der Name einer Internetseite. Dort findet sich nicht viel jenseits einer Reihe von Diagrammen zu Wirtschaft, Gesellschaft und Finanzen, die allerdings tatsächlich die Frage aufwerfen, was zur Hölle im Jahr 1971 geschehen ist. Denn vom Ölpreis, über das Übergewicht von Kindern und der Inhaftierungsrate bis hin zur Volatilität der Aktienpreise gab es ein „davor“ und ein „danach“. Wer über einen groben Überblick über die Entwicklung der Geldpolitik in den letzten 50 Jahren hat, der weiß, dass 1971 unter Präsident Nixon die Goldbindung des US-Dollar aufgegeben wurde. Voima Insight führte ein Interview mit den Personen hinter der Seite darüber, was damals geschah, weshalb es geschah und wieso die Auswirkungen so dramatisch sind.
Voima Gold: Was im Jahr 1971 schief gegangen ist
Es war im August
1971, als die letzten Überbleibsel des Goldstandards aufgegeben
wurden mit dem Beschluss des Präsidenten der Vereinigten Staaten
Richard Nixon, das Goldfenster zu schließen (Ausländer konnten bis
dahin beim US-Finanzministerium ihre US-Dollar in Gold umtauschen).
Von 1945 bis 1971 war der US-Dollar mit Gold unterlegt und diente als
Weltreservewährung in einem System genannt „Bretton Woods“.
Dieser „Nixon
Schock“ - wie die einseitige Suspendierung von Bretton Woods oft
genannt wird - führte weltweit zu einer Vielzahl von Veränderungen
in Wirtschaft und Gesellschaft, da von da an sämtliche nationalen
Währungen ohne einen Anker dastanden. Die fortan ausgegebenen
Fiatwährungen konnten grenzenlos geschaffen werden. Um ein besseres
Verständnis für die Veränderungen zu bekommen, die seit 1971
vonstatten gingen beschloss ich, Ben
und Collin als die
Personen hinter der Website „WTF Happened in 1971“ zu
kontaktieren.
Falls Sie diese
Internetseite nicht kennen, sollten Sie unbedingt einmal einen Blick
darauf werfen. Dort findet sich eine Sammlung von Diagrammen, die
alle eine bemerkenswerte Veränderung ab etwa dem Jahr 1971 zeigen.
(Die meisten der Diagramme weiter unten stammen von der Seite).
Jan: Also, wer seid
ihr denn eigentlich? Was ist euer Hintergrund?
Ben: Mein
Hintergrund ist sehr vielfältig. Ich habe viele Interessen, viele
Hobbys. Ich komme aus der Ecke der 3D-Grafikentwicklung. Einen
wirtschaftlichen Hintergrund habe ich zwar nicht, interessiere mich
aber seit einiger Zeit sehr für wirtschaftliche Zusammenhänge. Ich
bin einer von jenen, die wenn sie sich erst einmal für etwas
interessieren, so weit wie möglich in die Materie einsteigen und
versuchen, maximal viel zu lernen. Ganz offenbar haben wir bei dem
Thema einen Kaninchenbau entdeckt, wobei das meiste auf der Seite aus
unserem Studium der Geld- und Währungsökonomie stammt.
Jan: Wie begann Ihr
Interesse am Thema der Ökonomie?
Ben: Ich begann mich
dafür zu interessieren, weil ich mich für Bitcoin interessierte und
es verstehen wollte. Dann aber musste ich feststellen, dass ich kein
wirkliches Verständnis von Geld habe. Daraufhin habe ich mich mit
vielen Fragen zur Geschichte des Geldes auseinandergesetzt, wie es
entstand und welchen Zweck es in der Gesellschaft erfüllt.
Jan: Dieselben
Fragen für Sie, Collin.
Collin: Man könnte
uns beide als österreichische Amateurökonomen bezeichnen. So würden
wir uns wahrscheinlich auch selbst einordnen. Keiner von uns hat eine
formale Ausbildung in Finanzen, Wirtschaft oder Ökonomie, was in
vielerlei Hinsicht zu unserem Vorteil war. Wir stellen uns ganz
einfach gerne Fragen, und sind in unserem Erkenntnisprozess auch der
Frage nachgegangen, worin die Grundprinzipien des Wirtschaftens
bestehen. Wir erkannten, dass es die beste Herangehensweise ist, also
dass man sich zuerst Fragen stellt und nicht gleich mit einer
Schlussfolgerung beginnt.
Jan: Was hat Sie
dazu bewogen, die eine Internetseite über die nach 1971
eingetretenen wirtschaftlichen Entwicklungen ins Leben zu rufen?
Ben: Den Nixon
Schock und das Ende des Abkommens von Bretton Woods entdeckten wir,
als wir der Geschichte des Geldes nachgegangen sind. Beispielsweise
finden Sie auch unserer Seite einige Diagramme, die auch im
Wikipediaartikel über den Nixon Schock abgebildet sind. Ich fand
diese Diagramme überaus faszinierend, da sich an ihnen der
grundlegende Wandel in unserer Gesellschaft nachvollziehen lässt.
Wir stießen auf einige interessante Zahlen, die in dieser Zeit
[1971] aus dem Ruder liefen und so begannen wir damit, immer mehr
dieser Diagramme zu sammeln. Daraufhin entstand die Idee einer
Datenbank, in dem wir all diese Diagramme einfach ablegen könnten,
so dass sie auch von anderen nachvollzogen werden können. Das war
dann die Geburtsstunde des Mems, als Collin die einfache Frage
stellte: Was zur Hölle ist 1971 passiert?
Jan: Was sind Ihrer
Meinung nach die wichtigsten Entwicklungen, die seit 1971
stattgefunden haben?
Collin: Das war vor
allem die Geldmengenexpansion – allerdings bekommen wir eine Menge
Kritik dazu. Viele bemängeln, dass wir die Vielzahl an
regulatorischen Veränderungen oder auch die soziokulturellen
Veränderungen nicht beachten, die im gleichen Zeitraum stattfanden,
und von denen einige Effekte zweiter und dritter Ordnung ausgingen,
die Sie dann dem zentralen Datenpunkt von 1971 zuschreiben. In einer
Debatte würden wir ihnen damit begegnen, dass die Geschichte viel
weiter zurückreicht. Wir würden bis zu den Jahren 1944 und 1933
zurückgehen und uns auch die Weltwirtschaftskrise in Amerika im Jahr
1929 ansehen. Wir würden uns die Gründung der Federal Reserve im
Jahr 1913 ansehen und noch weiter zurück zur eigentlichen Geburt von
Fiatwährungen in den Vereinigten Staaten, die noch vor der Gründung
der USA als einem eigenen Land aufkamen. Wir würden uns die frühen
Experimente mit ungedecktem Geld ansehen, wir die zu die
Bimetallstandards analysieren und wir würden uns den Prozess des
Münzschneidens unter den Feudalherren anschauen. Die Geschichte
beginnt keineswegs im Jahr 1971. Es war aber genau in dem Jahr, ab
dem wir eine interessante Wendung in den Zahlenreihen feststellen
können und auf die wir zeigen können mit dem Standpunkt, dass ab da
quasi alles verrückt geworden ist.
Allgemein sehen wir
die Ausweitung der Geldpolitik als Ursache für grobe
Fehlallokationen. Diese Fehlallokationen werden fortgeschrieben und
können nicht liquidiert werden, so dass die Gesellschaft Probleme
zweiter und dritter Ordnung erlebt, die sich mit der weiteren
Ausdehnung der geschaffenen Blase verschärfen, so dass die Korrektur
der Fehlallokationen über eine weitere Ausdehnung der Blase zeitlich
immer weiter nach hinten geschoben wird.
Jan: Das erste
Diagramm auf Ihrer Seite dreht sich um Ungleichheit. Wie hängt die
von Ihnen dargestellte Kausalitätsbeziehung mit der Ungleichheit in
der Gesellschaft zusammen?
Ben: Ich glaube, die
größte Triebkraft der Ungleichheit ist heute die Inflation der
Geldvermögen, bei der es sich um eine direkte Folge der monetären
Expansion handelt. Wenn man die Geldmenge erhöht, dann erhöht man
auch die Kosten für schwer zu beschaffende Vermögenswerte wie zum
Beispiel Aktien. Gleichzeitig sinkt damit der Wertes des Geldes –
das bei der Wertaufbewahrung eine zentrale Rolle spielt – so dass
die Gesellschaft immer weiter dazu übergeht, finanzielle
Vermögenswerte wie Wertpapiere und Immobilien als Geld im Sinne der
Wertaufbewahrung zu verwenden. Viele Menschen halten ihr Vermögen
heute in finanziellen Vermögenswerten, weil ihnen jeder
Finanzberater davon abrät, allzu viele Dollar für diesen Zweck zu
verwenden. Der stark ungleiche Zugang zu diesen finanziellen
Vermögenswerten wiederum führt zu einer Vermögensschichtung in der
Gesellschaft, da der Zugang dazu im Verhältnis zum jeweiligen
Vermögen steht. Ärmere Menschen können anteilsmäßig viel weniger
Geld in finanzielle Vermögenswerte anlegen als wohlhabende, deren
Prozentsatz an finanziellen Vermögenswerte relativ zu ihrem
Gesamtvermögen immer stärker ansteigt.
Es gibt ein
Diagramm, das bei verschiedenen Vermögensniveaus anzeigt, wie viel
Prozent das Auto ausmacht. Bei Menschen mit niedrigem Einkommen macht
das Auto einen bedeutenden Anteil des Vermögens aus.
Einzelne Vermögenswerte relativ zum Gesamtvermögen (Bildquelle) |
Ein Auto aber ist
ein Vermögenswert, der stetig an Wert verliert. Wohlhabende Menschen
dagegen halten 95 Prozent ihres Vermögens in finanziellen
Vermögenswerten, die sich aufgrund der Geldmengenexpansion immer
weiter aufblähen, so dass ihr Auto nur einen winzigen Teil des
Gesamtvermögens ausmacht. Aktien befinden stark unverhältnismäßig
im Besitz der Reichsten in der Gesellschaft. Ungefähr 10 Prozent der
Bevölkerung halten 84 Prozent aller Aktien. Diese Dynamik hat die
Gesellschaft auseinandergezogen und die Mittelschicht ausgehöhlt.
Durchschnittlicher US-Hauspreis relativ zum Durchschnittsstundenlohn (Bildquelle) |
Jan: Im Moment gibt
es in den Vereinigten Staaten an vielen Orten zivile Unruhen. Glauben
Sie, dass diese mit dem zusammenhängen, über was wir gerade
sprechen?
Ben: Ja.
Collin: Ja. Den
Menschen ist es vielleicht nicht bewusst, aber sie schauen sich um
und verstehen, dass etwas grundfalsch läuft. Sie verstehen es
intuitiv. Sie gehören überwiegend zu unserer Generation [der
Millennials] oder sind jünger als wir, und sie sind mit einer Welt
konfrontiert, in der es eine permanente Wertinflation der Vermögen
gibt, so dass sie dazu gezwungen sind, mit einem Nachteil ins Leben
zu gehen.
Aufgrund der
Inflation müssen heute für eine Ausbildung viel mehr zahlen als
früher und auch Vermögenswerte wie Aktien oder ein Haus kosten
immer mehr. Gleichzeitig verdienen sie ihr Geld im Umfeld einer sich
permanent abwertenden Währung, so dass sie den Wert des verdienten
Geldes nur kurzfristig zu speichern können. So schmälert sich der
Spalt immer weiter, um sich eine Basis für ein persönliches
Vermögen zu schaffen.
Was wir überdies
auch sehen ist eine massive Störung der wirtschaftlichen Kalküle,
die verursacht wird von den in den USA durch die Zentralbank
künstlich niedrig gehaltenen Leitzinsen seit Ende der 1980er Jahre.
Dabei werden die Zinsen weiterhin künstlich nach unten gedrückt,
obwohl es keine auf dem Markt keine Indikation gäbe, dass es zu
einer Kapitalakkumulation kommen würde, die derartig niedrige Zinsen
rechtfertigen würden. Die Zinsen werden von den Zentralbanken in
künstlicher Weise unten gehalten und weiter nach unten gedrückt.
Als Folge
übersteigen die Wiederbeschaffungskosten von Vermögenswerten die
Wiederbeschaffungskosten von Kapital. Das Kapital ist für einige
Unternehmen so billig, dass sie einen finanziellen Anreiz darin
haben, sich einen Kredit aufzunehmen, um mit dem Geld daraus eigene
Aktien aufzukaufen, um deren Preis nach oben zu drücken, anstatt es
zu reinvestieren und die Nachfrage der Verbraucher zu bedienen. Aus
diesem Grund sehen wir in Amerika Unternehmen wie Apple, die zwar
sehr kapitalkräftig sind, sich aber dennoch Geld leihen, mit dem sie
dann ihre Aktien zurückkaufen. Das Zinsregime verführt sie dazu,
den Wert ihres Vermögens aufzupumpen, anstelle, dass sie sich als
Anbieter auf dem Markt präsentieren und sich die Rechtfertigung für
den Wert ihrer Aktie zu verdienen.
Jan: Im Moment
scheint es mir, dass die einzige Triebfeder der Wirtschaft noch in
der Erwartung auf die nächste Blase besteht. Würden Sie dem
zustimmen?
Collin: Ja. Wir sind
gefangen in einer Rückkopplungsschleife, bei der immer weiter
Liquidität in das System gepumpt wird, um die Liquidierung von
Fehlinvestitionen zu verhindern. Sobald diese Liquidität aber in das
System gelangt, dann werden dadurch noch mehr Fehlinvestitionen
geschaffen und die Blase wächst.
Ben: Das ist
gemeinhin, was man unter Zombieunternehmen und einer Zombiewirtschaft
versteht. Dabei handelt es sich um Zustand allgemeiner Fehlallokation
mit Unternehmen, die vermutlich schon längst pleite gegangen wären
und nur noch über zinslose Kredite am Leben gehalten werden. Auf die
Gesellschaft wirkt so etwas zerstörerisch, weil sie weiterhin etwas
tragen muss, das schon längst hätte liquidiert werden müssen.
Anteil an US-Unternehmen, deren Kreditkosten den Gewinn übersteigen (Bildquelle) |
Collin: Über die
Analyse von Konjunkturzyklus werden derartige Zusammenhänge sehr
vorhersehbar. Meist laufen sie in zehn Jahre dauernden Zyklen ab.
Gegenwärtig führen alle den aktuellen wirtschaftlichen Abschwung
auf die Coronapandemie zurück mit dem Tenor, dass es niemand
vorhersehen konnte. Wer allerdings vor der Coronakrise aufmerksam die
Finanzmärkte verfolgte, der sah zahlreiche Warnsignale, dass es bald
zu einem Bruch kommen würde.
So kam es in den USA
zum Zusammenbruch des
Repo-Marktes. Die Finanzinstitute haben ihre überschüssigen
Reserven lieber bei der Fed hinterlegt, als sie anderen Banken am
Repo-Markt zu leihen, was insgesamt keinen Sinn macht in dem Sinn,
als dass es sich bei den Banken um Unternehmen handelt, die im
Geschäft des Verleihen von Geldes tätig sind. Das sind Warnzeichen.
Darüber hinaus kam es zu einer Umkehrung der Zinsen zwischen kurz-
und langfristigen Anleihen und zu einer extrem niedrigen
Arbeitslosenquote. Auch das sind Warnsignale, wobei sogar die Fed
selbst sagte, dass in 12 bis 18 Monaten möglicherweise eine
Rezession ansteht.
Dennoch glauben
viele aufgrund des mangelnden Bewusstseins der Öffentlichkeit für
wirtschaftliche Zusammenhänge, dass der aktuelle wirtschaftliche
Abschwung alleine von den wegen des Coronavirus erlassenen
Quarantänemaßnahmen verursacht wurde, weil sie dadurch nicht
arbeiten und Geld ausgeben konnten. Man schiebt lieber etwas vor, als
dass man die Krise den bei einer expansiven Geldpolitik immer
auftretenden Konjunkturzyklen zuschreibt.
Jan: Glauben Sie,
dass es eine starke Lobby seitens der Banken gibt, damit das aktuelle
System so bleibt, wie es ist? Immerhin gibt es zahlreiche
Deregulierungen, die nachweislich zu Problemen führten und nur
möglich wurden, weil es seit 1971 keine Goldbindung mehr gibt.
Wurden diese vielleicht von speziellen Interessengruppen
durchgesetzt?
Ben: Genau so ist
es. Ich glaube, dabei handelt es sich tatsächlich auch um eines der
größten Missverständnisse in Bezug auf die auf unserer Seite
präsentierten Zahlen. Es gibt eine andere Seite als einer Art
Variation der unseren, die genau das selbe macht wir wir, allerdings
auf das Jahr 1980 verweist mit Ronald Reagan und den unter ihm
durchgesetzten Deregulierungen. Ich halte das für überaus
faszinierend, weil es das Gegenteil der von mir angenommenen
Kausalität darstellt. Für mich wäre Deregulierung eine gute Sache,
so lange diese im Umfeld einer harten Währung umgesetzt wird. Die
Probleme aus der Deregulierung kommen für mich vom weichen Geld,
nicht aber von der Deregulierung selbst.
Jan: Die Ursache
findet sich also im Gelddrucken durch die Zentralbanken?
Collin: Wir
vergleichen Zentralbanken oftmals mit Feudalherren, die den
Materialwert ihrer Münzen verringern, sie dann aber wieder zum alten
Nennwert in Umlauf bringen. Schaut man sich diese Vorgehensweise aus
der Perspektive des Cantillon-Effekts
an, dann wird klar, dass diejenigen am meisten von einer derartigen
Geldentwertung profitieren, die am nahesten dran sind an der
Druckerpresse. Das ist so gewollt, man will, dass es sich in dieser
Weise verhält. Denn würde man den nominalen Wert der Währung
überall gleichzeitig um den selben Anteil verringern, dann würde
sich nichts ändern und niemand könnte einen Vorteil daraus
schöpfen. Bei einer expansiven Geldpolitik wird die relative
Kaufkraft bestimmter Gruppen gezielt stärker beeinflusst als bei
anderen, denn sonst käme es zu keiner Umverteilung von Reichtum, die
expansive Geldpolitik brächte effektiv nichts.
Jan: Das heißt
also, dass wir ohne Zentralbanken besser dastünden?
Collin: Auf jeden
Fall.
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