Kein Abschiedsgruß (Bildquelle) |
Ob man Israel mag oder nicht, es ist definitiv ein unterhaltsamer Ort, innenpolitisch betrachtet. Die Politik dort ist unsteter als in Italiens, sie strotzt mit mehr Kraftmeiereien als die Türkei und lädt bereitwillig mehr Einwanderer unterschiedlichster Prägung ein (und macht sie Stande Pede zu Staatsbürgern) als Merkel in ihren besten Zeiten. Dennoch funktioniert der, tschuldigung, Sauhaufen auf hohem Niveu, spielt technologisch ganz oben mit und wehrt sich wie eh und je erfolgreich gegen permanente Bedrohungen von allen Seiten. Ob das trotz oder wegen Benjamin Netanjahu der Fall ist, bleibt dahingestellt, so wie es aber aussieht, wird er trotz Wahlproblemen der israelischen Politik und damit auch uns als Beobachtern des Schauspiels so schnell nicht verloren gehen.
The Spectator: Wie Benjamin Netanjahu alle seine politischen Rivalen überleben konnte
Nach einem Jahr der
Ungewissheit mit drei Wahlen konnte Israels Premierminister Benjamin
Netanjahu endlich einen Koalitionsvertrag unterzeichnen, der ihn noch
mindestens anderthalb Jahre an der Macht halten soll. Sollte alles
gut gehen mit dem Korruptionsprozess gegen ihn, der wegen der
Coronapandemie verschoben wurde und am 24. Mai beginnen soll, wird er
seine Gegner wieder einmal alle überlistet haben und mehr als ein
Jahrzehnt im Amt bleiben.
Die große Frage ist, wie der israelische
Ministerpräsident dieses Kunststück fertig brachte, obwohl seine
eigene Partei nie mehr als 35 Sitze in der 120 Mitglieder zählenden
Knesset des Landes hielt und er mit politischen Parteien aus dem
gesamten Spektrum über Kreuz zu liegen scheint?
Netanjahu konnte
bislang sämtliche seiner Rivalen so lange überdauern, weil er es
immer wieder schaffte, sie gegeneinander auszuspielen. In den meisten
Ländern wäre es wahrscheinlich an der Zeit für den Abtritt, wenn
er wie es Netanjahu passierte zwei Wahlen in Folge nicht gewinnen
kann, weil es nicht gelingt, eine Regierung zu bilden. Genau das
passierte in Ländern wie Italien oder Großbritannien in den letzten
Jahren, wenn das politische Führungspersonal gestolpert ist. Nicht
so in Israel.
Die Politik des Landes ist so sehr von
religiös-sektiererischen Fraktionen balkanisiert, dass Netanjahu
die eine Lücke finden konnte, in der er sich als unverzichtbar für
einen großen Teil der Bevölkerung darstellen konnte. In gewisser
Weise hat er mit seiner Art das politische System der
parlamentarischen Demokratie in Israel gesprengt und konnte es so
über ein Jahrzehnt lang in einer Gänze dominieren, dass es schwer
vorstellbar ist, dass ihn einmal jemand ersetzen könnte.
Man denke nur einmal
an die letzten Wahlen. Netanjahu warnte monatelang davor, dass die
zentristische Blau-Weiß-Partei unter Führung seines ehemaligen
Stabschefs Benny Gantz eine linke Regierung bilden würde, sollte
Netanjahu nicht die erneute Führung des Landes übernehmen dürfen.
Doch als Netanyahu im April in den Koalitionsverhandlungen saß, da
stimmte er einer Partnerschaft mit Gantz zu, weshalb die rechte
Yamina Partei in die Opposition musste. Das war ein klassischer
Netanyahu: Erst kämpfte er für rechte Stimmen und ließ sich von
diesen am Wahltag über die Ziellinie tragen, nur um sich dann wieder
in Richtung Mitte zu bewegen.
Netanjahus andere
Taktik zum Machterhalt ist seine Schwächung seiner zentristischen
Gegner. Israels Sozialdemokratie hat in den letzten Jahrzehnten einen
herben Bedeutungsverlust erfahren und fiel von bis zu 44 Sitzen vor
einem Vierteljahrhundert auf nur noch eine Handvoll Sitze in der
aktuellen Wahlperiode. Als Reaktion auf den Zusammenbruch der Linken
hat sich eine Reihe von zentristischen Parteien herausgebildet,
darunter Kadima (die 2009 mit 28 Sitzen den ersten Platz belegte),
Yesh Atid (die 2013 19 Sitze gewann) und Blau-Weiß (die 2019 33
Sitze gewann).
Netanjahu verstand, dass die wirkliche
Herausforderung für den Erhalt seiner Machtposition darin bestand,
die Auflösung der alten Rechts-Links-Ideologie und den Entwicklung
der Gesellschaft an der Küste in Richtung Hightech, Säkularität
und Zentrismus berücksichtigen. Er schächte die für diesen neuen
gesellschaftlichen Status Quo stehenden Zentristen ganz einfach,
indem er sie kooptierte. Er band ihre Parteien als Juniorpartner in
Regierungskoalitionen mit ein und nahm ihnen so den Wind aus den
Segeln. Es überrascht nicht, dass Gantz, dessen blau-weiße Partei
zweimal vom israelischen Präsidenten den Auftrag zur
Regierungsbildung bekam, schließlich vor Netanjahu kapitulierte und
ein Abkommen unterzeichnete, das Netanjahu die Spitzenposition
brachte.
Das finale
politische Meisterstück Netanjahus besteht wiederum darin, dass er
die religiösen jüdisch-orthodoxen Parteien dazu brachte, nur noch
auf ihn zu bauen. Aus Furcht vor Zentristen, denen die orthodoxe
Macht über die religiösen Fragen des Staates verringern wollten,
haben die beiden orthodoxen Parteien in Israel während der letzten
Koalitionsvereinbarungen Netanjahu die Treue geschworen. Die
Opposition in Israel wurde dadurch endgültig in hoffnungsloser Weise
gespalten.
Sie besteht nunmehr aus einer kleinen rechten
Oppositionspartei, den Überbleibseln einer zentristischen Partei,
einer winzigen Partei der extremen Linken und mehreren Parteien für
Wähler der arabischen Minderheit. Dabei hassen sich die
Oppositionsparteien gegenseitig mehr als sie Netanjahu hassen. So
ähnelt die israelische Politik ein wenig jener der Türkei, wo die
Opposition ebenso unüberbrückbar in sich gespalten ist.
Netanjahu befindet
sich jetzt auf dem Höhepunkt seiner Macht. Und mit einer
freundlichen US-Regierung, einer mächtigen Armee und Wirtschaft,
einer besiegten palästinensischen Nationalbewegung und einer
Innenpolitik, die sich eher wie ein Zirkus als wie eine Opposition
verhält, sieht es nicht so aus, als würde er bald schon abtreten
müssen.
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