Mohad Altrad: Soumission oder Ras de bol? (Bildquelle) |
The Spectator: Könnte dieser Self-Made Milliardär der erste muslimische Präsident Frankreichs werden?
Der französische
Schriftsteller Michel Houellebecq hat die beunruhigende Begabung,
negative Entwicklungen fast punktgenau vorherzusagen. Im Jahr 2001
sagte er in seinem Buch Plateforme einen Terroranschlag auf Touristen
voraus, der ein Jahr später auf Bali stattfand. In seinem im letzten
Jahr veröffentlichten Sérotonine, nahm er die Gelbwestenbewegung
vorweg. In Soumission aus dem Jahr 2015 wiederum spekulierte er, dass
Frankreich bis 2022 einen muslimischen Präsidenten bekommen würde.
Dieses Szenario ist
nach wie vor unwahrscheinlich angesichts von nur noch drei Jahren bis
dorthin. Die Chancen dafür allerdings haben sich merklich verbessert
aufgrund des Geschäftsmannes Mohed Altrad, einem in Syrien geborenen
Immobilienunternehmer, der weltweit 30.000 Menschen beschäftigt und
im nächsten Jahr als Bürgermeister von Montpellier kandidieren wird
und das in einem Land, in dem das Bürgermeisteramt ein beliebtes
Sprungbrett für höhere Weihen darstellt.
Altrad weigert sich
ganz bewusst, eine Antwort zu geben auf die wiederholten Anfragen für
seine politischen Ambitionen. Denn bevor er sich überhaupt für den
Elysée bewerben kann muss er erst noch Montpelliers sozialistischen
Amtsinhaber besiegen. Dennoch ergeben sich mit seiner Kandidatur
einige faszinierende Spekulationen und das in einem Land, in dem das
Unwahrscheinliche in beunruhigender Weise zur Routine gehört.
Altrad ist in jeder
Hinsicht eine Ausnahme. Die mysteriöse Lebensgeschichte des einzigen
französischen Arabers, der es aus eigener Kraft zum Milliardär
brachte, findet sich in seiner Autobiographie Badawi aus dem Jahr
1994. Er ist das Produkt einer Vergewaltigung und wurde 1948 geboren
als Sohn einer Beduinin aus Raqqqa, einer Stadt, die jüngst zu
Bekanntheit gelangte als Hochburg des Islamischen Staates. Zur Welt
gebracht wurde er angeblich in einem Zelt, wobei seine Mutter die
Nabelschnur mit ihren Zähnen durchtrennt haben soll.
Über ein
staatliches Stipendium im Gegenwert von 200 Euro in der Tasche kam er
1975 nach Paris und besuchte dort die Dauphine Universität. Danach
folgte eine steile Karriere. Er arbeitete für Alcatel, dann für
Thomson, dann für die Abu Dhabi National Oil Company, bevor er 1984
gemeinsam mit einem britischen Partner ein bankrottes
Gerüstbauunternehmen übernahm. Nachfolgend kaufte er er die Anteile
seines Partner auf und machte das Unternehmen zu einem großen
Erfolg. Sein derzeitiges Vermögen wird auf drei Milliarden Euro
geschätzt.
Als ich ihn vor vier
Jahren interviewte, da sagte er, dass er sich erst als Schriftsteller
und dann als Geschäftsmann sieht. Neben seiner Autobiographie hat er
drei viel beachtete Romane veröffentlicht. Damals lehnte er jegliche
politische Ambitionen ab, obwohl ich das Gefühl hatte, dass er sich
ein wenig langweilte.
Seine politischen
Ansichten sind faszinierend. Er verachtet die etatistische politische
Kultur Frankreichs und betont, dass „nur Unternehmen Reichtum
schaffen können“. Er verurteilt die starken Investitionshemmnisse
des Landes. Und er denkt groß. Der Besitzer des Rugby Clubs der
Stadt Montpellier, wo Rugby den Stellenwert einer Religion einnimmt
will für den Club sogar einen gigantischen Sportkomplex bauen.
Was für ein
Kandidat könnte er sein? Nun, die französischen Wähler sind es
leid, wie die Regierungen vor ihren Augen scheitern und sie zeigen
wenig Loyalität zu traditionellen Parteien und kämpfen immer noch
darum, über die Runden zu kommen. Altrad muss mit seiner eingehenden
Kritik an der wirtschaftlichen und sozialen Stagnation Frankreichs
zynische Wähler davon überzeugen, dass er ein machbares Rezept hat,
mit dem er Frankreich aus der nunmehr 30 Jahre dauernden Grande
Malaise zu befreien.
Montpellier
präsentiert sich für ihn daher als ein faszinierendes Labor, wo er
seine Vorhaben testen kann. Seit Jahrzehnten wird die Stadt von einer
verknöcherten sozialistischen Verwaltungsmaschine regiert. Altrad
hat sich bereits in das Handbuch von Macron eingearbeitet und
präsentiert sich als technokratischer „Nicht-Politiker“ mit
zentristischen Ansichten. Seine Liste umfasst sowohl linke als auch
rechte Positionen, schließt aber die Extreme aus.
Sein potenzieller
politischer Einfluss ist faszinierend und einzigartig. Altrad scheint
eine seltsame Mischung zu sein aus Barack Obama (den er persönlich
kennt) und Margaret Thatcher (die er bewundert). Sein Erbe ist
muslimisch, aber er ist kaum gläubig. Seine Frau und seine Kinder
sind gänzlich in die französische Lebensweise integriert. Als
gewählter Politiker wäre er ein radikal neues Gesicht in der
französischen Politik.
Aufgrund der
verqueren französischen Wahlarithmetik wird Macron im Jahr 2022 mit
ziemlicher Sicherheit wiedergewählt werden. Gleichzeitig wird
alleine der Sieg im Rennen um das Bürgermeisteramt im nächsten Jahr
für Altrad eine große Herausforderung darstellen. Sollte er es
schaffen, dann steht ihm in Montpellier eine große Aufgabe bevor, da
er Arbeitsplätze schaffen muss, er muss die außer Kontrolle
geratenen Viertel aufräumen und insgesamt die lokale Wirtschaft in
Schwung bringen.
Wenn überhaupt,
dann würde seine Chance im Jahr 2027 kommen, wobei er dann 79 sein
wird. Es es gibt in Frankreich aber auch sieben bis zehn Millionen
politisch obdachlose Schwarze in Frankreich, von denen die meisten
muslimisch sind und die der Republik entfremdet gegenüberstehen, da
sie sich in ihr nicht wiederfinden. Altrad könnte sie ansprechen.
Während man nicht
gerade behaupten kann, dass es in Frankreich kaum Animositäten gegen
Muslime gibt, so gibt es dennoch viele Stimmen zu gewinnen, wenn man
das vorhandene Sentiment in diesem Bezug nicht bedient. Macron siegte
knapp über Marine Le Pen. Bis 2027 könnte Altrad daher auch die
Stimmen der enttäuschten Demonstranten einsammeln, da Macron
offensichtlich über keinen Nachfolgeplan verfügt und seine zweite
Amtszeit vermutlich vergleichbar schwach und erfolglos enden wird wie
seine jetzige. Altrad könnte auch die Stimmen der wirtschaftlich
konservativen Franzosen einsammeln, die noch immer verzweifelt nach
einem Kandidaten Ausschau halten, der etwas gegen die hohen Steuern
unternimmt und den Etatismus beenden will.
Würde Altrad
tatsächlich den großen Sprung wagen, es wäre ein ziemlicher
Hammer. Die Chancen darauf aber stehen ziemlich gering. Houellebecqs
Prophezeihungsgabe kann einfach nicht so gut sein. Gänzlich neue
politische Geometrien sind in Frankreich aber durchaus möglich,
wobei der Aufstieg Altrads zum Bürgermeister der siebtgrößten (und
schnell wachsenden) Stadt Frankreichs ein Zeichen sein könnte für
ein völlig neues Frankreich.
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