12. Oktober 2019

Mit dem Moslem Mohed Altrad als möglichem französischen Präsidenten könnte eine weitere Houellebecq Prophezeihung wahr werden


Mohad Altrad: Soumission oder Ras de bol? (Bildquelle)


The Spectator: Könnte dieser Self-Made Milliardär der erste muslimische Präsident Frankreichs werden?


Der französische Schriftsteller Michel Houellebecq hat die beunruhigende Begabung, negative Entwicklungen fast punktgenau vorherzusagen. Im Jahr 2001 sagte er in seinem Buch Plateforme einen Terroranschlag auf Touristen voraus, der ein Jahr später auf Bali stattfand. In seinem im letzten Jahr veröffentlichten Sérotonine, nahm er die Gelbwestenbewegung vorweg. In Soumission aus dem Jahr 2015 wiederum spekulierte er, dass Frankreich bis 2022 einen muslimischen Präsidenten bekommen würde.

Dieses Szenario ist nach wie vor unwahrscheinlich angesichts von nur noch drei Jahren bis dorthin. Die Chancen dafür allerdings haben sich merklich verbessert aufgrund des Geschäftsmannes Mohed Altrad, einem in Syrien geborenen Immobilienunternehmer, der weltweit 30.000 Menschen beschäftigt und im nächsten Jahr als Bürgermeister von Montpellier kandidieren wird und das in einem Land, in dem das Bürgermeisteramt ein beliebtes Sprungbrett für höhere Weihen darstellt.

Altrad weigert sich ganz bewusst, eine Antwort zu geben auf die wiederholten Anfragen für seine politischen Ambitionen. Denn bevor er sich überhaupt für den Elysée bewerben kann muss er erst noch Montpelliers sozialistischen Amtsinhaber besiegen. Dennoch ergeben sich mit seiner Kandidatur einige faszinierende Spekulationen und das in einem Land, in dem das Unwahrscheinliche in beunruhigender Weise zur Routine gehört.

Altrad ist in jeder Hinsicht eine Ausnahme. Die mysteriöse Lebensgeschichte des einzigen französischen Arabers, der es aus eigener Kraft zum Milliardär brachte, findet sich in seiner Autobiographie Badawi aus dem Jahr 1994. Er ist das Produkt einer Vergewaltigung und wurde 1948 geboren als Sohn einer Beduinin aus Raqqqa, einer Stadt, die jüngst zu Bekanntheit gelangte als Hochburg des Islamischen Staates. Zur Welt gebracht wurde er angeblich in einem Zelt, wobei seine Mutter die Nabelschnur mit ihren Zähnen durchtrennt haben soll.

Über ein staatliches Stipendium im Gegenwert von 200 Euro in der Tasche kam er 1975 nach Paris und besuchte dort die Dauphine Universität. Danach folgte eine steile Karriere. Er arbeitete für Alcatel, dann für Thomson, dann für die Abu Dhabi National Oil Company, bevor er 1984 gemeinsam mit einem britischen Partner ein bankrottes Gerüstbauunternehmen übernahm. Nachfolgend kaufte er er die Anteile seines Partner auf und machte das Unternehmen zu einem großen Erfolg. Sein derzeitiges Vermögen wird auf drei Milliarden Euro geschätzt.

Als ich ihn vor vier Jahren interviewte, da sagte er, dass er sich erst als Schriftsteller und dann als Geschäftsmann sieht. Neben seiner Autobiographie hat er drei viel beachtete Romane veröffentlicht. Damals lehnte er jegliche politische Ambitionen ab, obwohl ich das Gefühl hatte, dass er sich ein wenig langweilte.

Seine politischen Ansichten sind faszinierend. Er verachtet die etatistische politische Kultur Frankreichs und betont, dass „nur Unternehmen Reichtum schaffen können“. Er verurteilt die starken Investitionshemmnisse des Landes. Und er denkt groß. Der Besitzer des Rugby Clubs der Stadt Montpellier, wo Rugby den Stellenwert einer Religion einnimmt will für den Club sogar einen gigantischen Sportkomplex bauen.

Was für ein Kandidat könnte er sein? Nun, die französischen Wähler sind es leid, wie die Regierungen vor ihren Augen scheitern und sie zeigen wenig Loyalität zu traditionellen Parteien und kämpfen immer noch darum, über die Runden zu kommen. Altrad muss mit seiner eingehenden Kritik an der wirtschaftlichen und sozialen Stagnation Frankreichs zynische Wähler davon überzeugen, dass er ein machbares Rezept hat, mit dem er Frankreich aus der nunmehr 30 Jahre dauernden Grande Malaise zu befreien.

Montpellier präsentiert sich für ihn daher als ein faszinierendes Labor, wo er seine Vorhaben testen kann. Seit Jahrzehnten wird die Stadt von einer verknöcherten sozialistischen Verwaltungsmaschine regiert. Altrad hat sich bereits in das Handbuch von Macron eingearbeitet und präsentiert sich als technokratischer „Nicht-Politiker“ mit zentristischen Ansichten. Seine Liste umfasst sowohl linke als auch rechte Positionen, schließt aber die Extreme aus.

Sein potenzieller politischer Einfluss ist faszinierend und einzigartig. Altrad scheint eine seltsame Mischung zu sein aus Barack Obama (den er persönlich kennt) und Margaret Thatcher (die er bewundert). Sein Erbe ist muslimisch, aber er ist kaum gläubig. Seine Frau und seine Kinder sind gänzlich in die französische Lebensweise integriert. Als gewählter Politiker wäre er ein radikal neues Gesicht in der französischen Politik.

Aufgrund der verqueren französischen Wahlarithmetik wird Macron im Jahr 2022 mit ziemlicher Sicherheit wiedergewählt werden. Gleichzeitig wird alleine der Sieg im Rennen um das Bürgermeisteramt im nächsten Jahr für Altrad eine große Herausforderung darstellen. Sollte er es schaffen, dann steht ihm in Montpellier eine große Aufgabe bevor, da er Arbeitsplätze schaffen muss, er muss die außer Kontrolle geratenen Viertel aufräumen und insgesamt die lokale Wirtschaft in Schwung bringen.

Wenn überhaupt, dann würde seine Chance im Jahr 2027 kommen, wobei er dann 79 sein wird. Es es gibt in Frankreich aber auch sieben bis zehn Millionen politisch obdachlose Schwarze in Frankreich, von denen die meisten muslimisch sind und die der Republik entfremdet gegenüberstehen, da sie sich in ihr nicht wiederfinden. Altrad könnte sie ansprechen.

Während man nicht gerade behaupten kann, dass es in Frankreich kaum Animositäten gegen Muslime gibt, so gibt es dennoch viele Stimmen zu gewinnen, wenn man das vorhandene Sentiment in diesem Bezug nicht bedient. Macron siegte knapp über Marine Le Pen. Bis 2027 könnte Altrad daher auch die Stimmen der enttäuschten Demonstranten einsammeln, da Macron offensichtlich über keinen Nachfolgeplan verfügt und seine zweite Amtszeit vermutlich vergleichbar schwach und erfolglos enden wird wie seine jetzige. Altrad könnte auch die Stimmen der wirtschaftlich konservativen Franzosen einsammeln, die noch immer verzweifelt nach einem Kandidaten Ausschau halten, der etwas gegen die hohen Steuern unternimmt und den Etatismus beenden will.

Würde Altrad tatsächlich den großen Sprung wagen, es wäre ein ziemlicher Hammer. Die Chancen darauf aber stehen ziemlich gering. Houellebecqs Prophezeihungsgabe kann einfach nicht so gut sein. Gänzlich neue politische Geometrien sind in Frankreich aber durchaus möglich, wobei der Aufstieg Altrads zum Bürgermeister der siebtgrößten (und schnell wachsenden) Stadt Frankreichs ein Zeichen sein könnte für ein völlig neues Frankreich.