Brexit Chaos total: Harter Brexit, weicher Brexit, kein Brexit, ein zweites Referendum oder ein Putsch gegen die Regierung inklusive Neuwahlen


Das Ergebnis der Bildersuche nach "bipolare Störung" (Bildquelle)

Zwar verfolge ich die britischen Medien recht eng, habe beim Thema Brexit und Regierungschaos aber vor einiger Zeit aufgegeben. Zu viel Hickhack und kaum nachvollziehbare Manöver. Nun aber geht es auf die Zielgeraden, der ursprünglich anvisierte Austrittstag kommt in vier Tagen. Ein Abkommen mit der EU für die Zeit gibt es noch nicht, da sich die einzelnen Fraktionen in der Regierung nicht einigen können. Hier der am wenigsten verwirrende Überblick, den ich zum Thema finden konnte.


Spectator: Gibt es einen Putsch gegen das Kabinett oder nicht, die Regierung steht wegen des Brexit kurz vor dem Zusammenbruch



Die beiden inhaltlich zutreffenden Berichte in der Sunday Times und der Mail On Sunday, wonach einige (nicht alle) Minister wollen, dass Theresa May jetzt geht und Platz für einen Übergangspremier macht – in Frage kämen David Lidington oder Michael Gove - sagen mir, dass sie zwar sehr wahrscheinlich nicht in den kommenden Tagen zurückzutreten plant (obwohl sie es könnte), dass die Regierung als ganzes aber gefährlich nahe an einem Zusammenbruch steht.

Denn was die beiden Artikel zeigen ist die tiefe Spaltung zwischen jenen Kabinettsmitgliedern - Gauke, Clark, Rudd, Mundell - die einen Brexit ohne Regelungen mit der EU für die Zeit danach um jeden Preis stoppen wollen ,und jenen - Leadsom, Mordaunt, Fox, Grayling - die entweder ein zweites Referendum oder einen „weichen“ Brexit verhindern wollen, bei dem das Land „nur dem Namen nach“ austritt, wobei sich beide Seiten ohne Kompromissmöglichkeit gegenüberstehen.

Für einen kurzen Moment Ende letzter Woche nahmen die für einen Verbleib eintretenden Minister an, dass ein Austausch von Theresa May helfen könnte, um diese tiefe Kluft hinsichtlich der wichtigsten Entscheidung des Landes seit dem Beitritt zur EU im Jahr 1973 zu überwinden - aber auch das kann und wird wohl nicht helfen.

Vielmehr würden Lidington und Gove als die beiden Anwärter auf die Position des Platzhalters den Rücktritt von Kabinettsministern nur beschleunigen, da beide ebenso wahrscheinlich wie May - vermutlich sogar noch wahrscheinlicher - das Vereinigte Königreich zu jener Art von Brexit führen würden, der von vielen Konservativen als bezeichnet würde als „Vasallenstatus“ gegenüber der EU, was wiederum zu Forderungen einer weiteren Volksabstimmung führen könnte.

Jene Minister, die nicht Teil eines der beiden unversöhnlichen Lager sind stimmen mit mir darüber ein, dass ein vorzeitiger Abgang von May nichts lösen würde. Einer sagte: „Wir müssen den Ball spielen, nicht den Mann.“

Ein anderer sagte: „Es gibt keinen gangbaren Weg von A nach B“ [sprich, ein Wechsel des Ministerpräsidenten würde nicht die Unzufriedenheit und die Uneinigkeit innerhalb des Kabinetts beenden.]

Ein dritter fügte hinzu: „Ich glaube nicht, dass es passieren wird [Mays Rücktritt] und ich würde mich daran auch nicht beteiligen. Alle denken gerade die eher unwahrscheinlichen Szenarien durch, um aus der Situation herauszukommen.“ Und genau da ist auch der Haken, der die wahre Bedeutung des Geschehens enthält.

Wie ich gestern Abend schrieb werden die Parlamentsabgeordneten – also nicht die Regierung - in den kommenden Tagen darüber abstimmen, ob es am 12. April einem Brexit ohne Abkommen gibt oder ein alternativer Weg gegangen wird, wobei über diese Alternativen die am Dienstag und Mittwoch abgestimmt werden wird.

Der Ministerpräsident - ob May oder Lidington oder Gove - musst dann wiederum entscheiden, ob er mit Brüssel und den Staats- und Regierungschefs der EU-27 über dieses vom Parlament bevorzugte Vorgehen beim Brexit noch einmal neu verhandeln will oder nicht. Sollten sich die Abgeordneten dabei für die beiden wahrscheinlichsten Optionen entscheiden – also entweder ein Brexit nur dem Namen nach oder ein zweites Referendum - dann würden sowohl das Kabinett als auch die regierende Tory Partei genau in der Mitte gespalten werden.

Ein Minister sagte zu mir: „Klar ist, dass sich einige meiner Kollegen für eine Auflösung des Parlaments einsetzen wollen, so dass wir unsere Chancen bei einer vorgezogenen Parlamentswahl nutzen können, und nicht ein neuerliches Referendum abhalten oder auf einen weichen Brexit eingehen müssen“.

Aus diesem Grund wird viel darüber debattiert, ob die Hinterbänkler im Parlament nicht nur die Entscheidung über den Brexit, sondern den gesamten Regierungsapparat übernehmen sollten - indem sie jemanden zum Ministerpräsident ernennen, dem alle Gruppierungen (welche auch immer das sein mögen) unter den Hinterbänklen vertrauen, und der als Ausführer des Brexit eine temporäre Regierung der nationalen Einheit bildet.

Wie wahrscheinlich ist eine solche Revolte im Unterhaus gegen die Ministerpräsidentin und die gesamte Exekutive?

Ein derartiger vollwertigen Putsch wäre knifflig auszuführen. Die bevorstehende Entscheidung über die Frage des EU Austritts am 12. April aber ist ein starker Antrieb für diese Gruppierungen. Die Unzufriedenheit mit Mays Leistung in der Sache steht stellvertretend für den Frust darüber, dass die gesamte Regierung nicht in der Lage war, das wichtigste und hartnäckigste Problem der modernen britischen Politik im Griff zu behalten – also einen Brexit, der die Konservative Partei nicht zerstört, zumal sie die Partei war, die das Brexit Referendum überhaupt erst möglich machte.

Sollte May fallen, dann könnte mit ihr auch die gesamte Regierung fallen.

PS: Der Kabinettsputsch gegen Theresa May könnte vorbei, bevor er überhaupt begonnen hat. Erstklassig informierte Quellen in der Nähe von Michael Gove sagen mir, dass er nicht davon ausgeht, dass es einen Übergangsministerpräsidenten geben sollte – er wird es also nicht sein. Und David Lidington hat zu Protokoll gegeben, dass er nicht Ministerpräsident werden will…
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