Vermüllt und verseucht. Wie unsere Gesellschaft (Bildquelle) |
Ganz am Ende meines ersten Beitrags nach der kleinen Sommerpause habe ich eine kleine Maskengeschichte erzählt, wie sie mir vor kurzem in der Bahn zugestoßen ist. Weil sie auf mich so einprägsam wirkte, kann man sie hier gleich noch einmal nachlesen. Dazu einige weitere Leckerbissen des Zusammenlebens im „Neuen Normal“, das zumindest meiner Erfahrung nach ebenso „täglich neu ausgehandelt werden“ will, wie gewisse andere Neuerungen im gesellschaftlichen Zusammenleben unseres Landes.
Leere Sitzreihen voller Viren
Vor nicht allzu
langer Zeit saß ich gemütlich in einem fast leeren Zug und hörte
von einer Schaffnerin in breitestem Bayrisch die folgende Durchsage
(das „R“ beim mitlesen bitte rollen):
„Bitt‘schön
denkens dran, dass ma nicht nur eine Masknpflicht hamn, sondern aach,
dass diesi Maskn übers Naserl gahn mussn. Mir is Wurscht, was‘s da
hängn hobn. Haapsach, s‘Naserl is verdeckt.“
Keine Minute danach
folgen zwei automatische Banddurchsagen (hochdeutsch, Männerstimme).
Durchsage 1: „Bitte
denken sie daran, auf allen Bahnhöfen und Zügen der Deutschen Bahn
herrscht zu jeder Zeit und in allen Bereichen eine Maskenpflicht.“
Drei Sekunden Pause.
Durchsage 2: „Bitte
denken sie daran, alle Zugabteile der Deutschen Bahn werden
videoüberwacht.“
Die zweite Durchsage
war ein Novum für mich. Zwar waren mir die allgegenwärtigen Kameras
bekannt, sie blicken stets aus allen Richtungen gesichtslos an.
Aber eine derartige
Durchsage? Und das direkt hinter der anderen?
Die Nudging
Abteilung der Deutschen Bahn weiß offenbar, was sie macht.
Ich konnte nicht
anders, als dem Mann am Überwachungsbildschirm mit einem Lächeln zu
antworten. Meine Maske hing dabei schlaff vom rechten Ohr.
Wiederum drei
Sekunden später tippt mir ein kaum 20-jähriger an die Schulter. Er
sitzt schräg hinter mir, sein Sitz geht in die andere Richtung. Wir
sind die einzigen im Abteil.
Nuschelnd unter
seiner bestimmt nicht billigen, dafür asbestfähigen Maske herrscht
er er mich an:
„Können Sie bitte
Ihre Maske aufsetzen? Hier herrscht Maskenpflicht.“
5mm Plexiglas
Nicht alles geht
online. Entgegen der allgemeinen Euphorie über die Möglichkeiten
digitaler Endgeräte muss man heutzutage vor allem dann noch physisch
vorstellig werden, wenn man kein Smartphone besitzt.
Ja, ich bin ein
Verweigerer dieser Geräte – zumindest noch. Wobei ich mir nicht
sicher bin, wie lange ich es noch durchhalten kann, ohne mobilen
Daueranschluss an die Datenzentren der Elite am allgemeinen
Gesellschaftsleben teilzunehmen. Die zum Wirbelwind geratene
normative Kraft des Faktischen geht auch an mir nicht spurlos vorbei.
Jedenfalls musste
ich wegen einer digitalen Angelegenheit bei der Post vorstellig
werden und meine Identität bestätigen lassen. Eigentlich kein
großer Vorgang.
Auch virentechnisch
war der Ausflug unbedenklich. Außer mir befand sich in der
Postfiliale kundenseitig nur noch eine weitere Person, und das am
Schalter am anderen Ende des Raumes.
Hinter mir wiederum
standen zwei Personen in der Schlange. Dank einer räumlichen
Anpassung standen diese aber an der anderen Wandseite, während
zwischendrin die üblichen Verkaufswarenstände den Viren den Weg
versperrten.
Ich stand also
ziemlich alleine vor meinem Schalter. Gleichzeitig wurde die Dame auf
der anderen Seite des Schalters von mir getrennt durch eine üppig
dimensionierte Plexiglasscheibe. Gefühlt war die Scheibe so dick,
dass selbst mit Pistolen verschossene Viren daran abgeprallt wären.
Wie immer in
geschlossenen Räumen verstand ich das Tragen meiner Maske als
„Dienst nach Vorschrift“. Das heißt: Das Ding hängt im Gesicht,
der Mund ist halb bedeckt, die Nase frei.
Nur dann, wenn sich
jemand beschwert schiebe ich sie hoch, um sie nach einigen Momenten
über die Kieferbewegungen beim Kaugummi kauen wieder auf halbmast zu
setzen.
Ihr gefiel es nicht.
Noch vor der Begrüßung herrschte sie mich an: „Maske hoch!“
„Hier herrscht Maskenpflicht. Die Nase muss verdeckt sein.“
Unter Aufbietung all
meiner Selbstbeherrschung ignorierte ich ihren Tonfall und auch die
Tatsache, dass sich da dank ihrer vorschriftsmäßig sitzenden Maske
und der Plexiglasscheibe gleich zwei Barrieren zwischen uns befanden,
die nicht nur keine Viren durchließen, sondern auch einen Teil des
stimmlichen Frequenzbereichs abprallen ließen.
So schob ich die
Maske über die Nase und trug der Dame drei Mal mein Anliegen vor.
Die ersten beiden Male verstand sie mich leider nicht.
Ich legte also meine
Unterlagen vor und durfte kurz die Maske vom Gesicht ziehen, damit
sie mein Ausweisgesicht mit dem echten vergleichen konnte.
„Maske sofort
wieder hoch!“ kam es keine zwei Sekunden nach der Befreiung meiner
oberen Atemorgane in meine Richtung geschossen. Wieder im Befehlston.
Es entsprach jener
Art von Ansage durch Autoritätspersonen, die ich zu Schulzeiten mit
der vollen Wucht eines gelangweilten Pubertierenden quittierte.
Aber egal. Es ist ja
gleich vorbei, dachte ich mir.
Die Frau nahm ihren
Stempel und hämmerte diesen auf mehrere Durchschläge. Es hatte
sogar etwas humoristisches, wie sie ihre Finger an der Maske vorbei
zwängend zu ihrem Mund führte, um diese für den besseren
Papierwechsel zu befeuchten.
Schon war sie fertig
damit und schob mir die gestempelten Blätter zur Unterschrift rüber.
Ich unterschrieb und machte mich von Dannen.
Die Maske hing schon
wieder auf halbmast, als es mir dämmerte: Hat die Tussi etwa gerade
ihren Sabber über die Theke geschmiert?
Nuschelzwang mit Nasenfreiheit
Seitdem ich vor
vielen Jahren mittlerweile für einen Bafög Antrag erstmalig so
richtig mit staatlichen Behörden in Berührung kam, hege ich eine
Abneigung diese, die vergleichbar nur noch ist mit der Abneigung
einiger gegen den Zahnarzt.
So machte ich mich
mit der üblichen Gemütsmischung aus Frust, präventiver Wut und
Hoffnung, dass es doch nicht so schlimm würde, auf zum Behördenturm.
Dort angekommen
stellte ich mich zu den anderen in die Social-Distancing Schlange,
bei der ich mir angesichts der Klientel aus aller Welt mehr vorkam
wie bei der UN als bei einer deutschen Stadtverwaltung.
Endlich war ich an
der Reihe und setzte an, um den Mann hinter der Plexiglaswand zu
adressieren. Während das mit dem Mann als Attribut leicht
übertrieben war, so muss man sich das mit der Wand aus Plexiglas
durchaus wörtlich verstehen. Der ganze Raum war geteilt von einem
Monstrum aus Plexiglas, bei dem ich mich frage, wie sie das Ding
überhaupt durch die Tür brachten. Ränder verschiedener Segmente
konnte ich zumindest keine ausmachen.
Mir blieb allerdings
auch kaum Zeit für eine nähere Inspektion der Umbauten, wie auch
das erste Wort in einem Granateneinschlag von Hinweis erstickte.
„Die Maske hoch!“
hieß es von hinter der Wand.
Dabei hatte ich beim
Betreten des Raumes extra die Maske bis über – ja, über – die
Nase gezogen und auch dort gelassen, um sie erst auf der markierten
Fläche am Boden stehend wieder herunterzuziehen, damit der Herr mein
Anliegen besser versteht.
Man kann es wirklich
niemandem recht machen in diesen Tagen. Also wieder hoch mit dem
Ding.
Aber nur über den
Mund, meldete sich im Affekt mein innerer Dissident und so schob ich
den Stofffetzen bis genau über die Oberlippen, aber keinen
Millimeter weiter.
Ich begann zu reden.
„Können Sie das
bitte wiederholen?“ kam es zurück.
Zum Glück konnte er
meine ins genervte gezogenen Mundwinkel nicht sehen.
Ich zog die Maske
wieder runter un.. “Die Maske hoch!“
Na gut. Die Macht
scheint stark zu sein in diesem jungen Mann.
Ohne Murren zog ich
die Maske wieder hoch, aber erneut nur über den Mund und setzte ein
weiteres Mal zum Sprechen an.
Diesmal eben etwas
lauter und zudem etwas abgehackt, weil ich mit jeder Silbe erwartete,
dass er mich ein weiteres Mal anherrschen würde.
Doch die freie Nase
störte ihn nicht. Keine Unterbrechung, kein Hinweis, kein auf die
eigene Nase tippen. Nichts.
Er ignorierte es
einfach und schickte mich danach auf den Weg.
Die gänzliche
Abwesenheit jeglicher verbaler wie nonverbaler Maßregelungen
bezüglich der Nase irritierte mich so sehr, dass ich mich danach
zunächst im falschen Raum meldete.
Am Ende ging doch
noch alles gut, ich fand das korrekte Zimmer. Die Frau dort war sogar
so freundlich, dass ihr nicht nur meine am Kinn hängende Maske egal
war, sondern mich sogar ohne vorige Desinfektion ihren Kugelschreiber
benutzen ließ.
Aber sie war auch
alleine im Raum mit mir. Vielleicht lag es daran.
Bestrafe einen, erziehe Hundert
Ich hasse Rewe. Wann
immer es geht, meide ich diese Kette. Zu oft gibt es in ihrem
Riesensortiment alles, nur das nicht, was ich gerade brauche. Auch
die Kassierer dort sind nicht gerade die schnellsten und manch einer
auch nicht der hellste, um es einmal freundlich auszudrücken.
Inwieweit Ursache
und Wirkung verteilt sind, dass Rewe als Arbeitgeber überdies ein
Magnet für Arschlöcher zu sein scheint, kann ich nicht beurteilen.
Aber es gibt einige dort und sie lieben ihre Macht.
So stand ich wieder
einmal in der viel zu langen Schlange, um mir etwas überteuertes zu
kaufen, das ich eigentlich nicht haben wollte, weil ich mir etwas
anderes holen wollte. Ich weiß nicht mehr was, es war.
Möglicherweise war es ein kühles Radler, das ich zum doppelten
Preis durch ein Bier und eine Limonade substituieren musste.
Ich stand also in
der Schlange und döste der exakt 1,5m vor mir wartenden Studentin
auf den Hintern blickend vor mich hin. Als es weiterging wachte ich
kurz auf und erblickte hinter der durchsichtigen Schutzwand, dass der
Kassierer keine Maske trug.
Nicht einmal ein
Schild oder etwas ähnliches. Auch nicht pro forma am Hals, um es bei
Bedarf nach oben ziehen zu können. Ganz so, als sei nichts geschehen
saß er da, wie es damals normal gewesen ist.
Ich war beeindruckt.
Sitzt da etwa ein kleiner Rebell? Er sah zumindest so aus.
Geschätzt Ende 20,
wilde lange Haare, ausgiebige Tätowierungen und grob geschätzt ein
halbes Pfund Metall in die sichtbaren Körperöffnungen gestochen.
Ein Ensemble mit
einer kaum fehlinterpretierbaren Aussage, dachte ich mir. Wäre ich
Frau oder schwul, er hätte mit Sicherheit in dem ein oder anderen
feuchten Traum eine Hauptrolle bekommen.
Das einzig schräge
an ihm war seine Rewe Uniform. Über diese sah ich genauso hinweg,
wie sie in einem feuchten Traum noch in der ersten Szene am Boden
gelegen hätte.
Ich sah da an der
Kasse einen Gleichgesinnten sitzen und wog mich so sehr in
Sicherheit, dass ich die Maske nicht nur bis zum Kinn herunterzog,
sondern am linken Ohr baumeln ließ.
Doch ich sollte mich
täuschen. Sofort kam es geschossen: „Maske auf! Hier herrscht
Maskenplicht!“
Er sprach es aus,
als hätte ich auf einem Kasernengelände gerade den Stift aus einer
Granate gezogen. Mehr noch: Sofort stoppte er das Scannen der Waren,
streckte seinen Arm aus und zeigte mit dem Finger auf mich.
Was für ein krasses
Arschloch!
Der halbe Laden
drehte ich zu mir um. Es war eine Szene, die nahe dran war an dem,
was zu Maos Zeiten in China abging. Bestrafe einen, erziehe Hundert.
Ohne mich zu rühren
zog ich die Maske wieder dahin, wo sie mir den Atem abschnürt,
wartete bis ich dran war, sagte brav „Hallo“ und „Danke“, und
unterstrich in Gedanken die vier Buchstaben der Kette noch ein
bisschen stärker auf der Liste jener Orte, die ich nicht mehr
besuchen werde.
Menopausenmedikamente
Im Supermarkt einer
anderen Kette läufts besser. Zwar wird auch dort am Eingang erinnert
an den Wisch im Gesicht. Aber man stört sich nicht daran, wenn er
nur da hängt wie ein nasses Handtuch.
Hauptsache irgendwie
da. Eine Mentalität, mit der ich mich abfinden kann. Problematisch,
so mein kleines Erlebnis vor kurzem beim Einkauf, sind eher die
Kunden.
Ich stand gerade in
der Regalreihe für Süßkram und blickte mir in die Suche vertieft
die Auslage an.
Da kam plötzlich
von der Seite ein lang gezogenes und nicht laut, aber intensiv
ausgesprochenes:
„Haaaaaahhhllllooooohhhh!“
Eine mittelalte Frau
verlangte nach meiner Aufmerksamkeit, was zunächst aber gar nicht
bemerkte. Ich nahm sie erst wahr, als sie direkt neben mir stehend
wild in Richtung ihrer Maske gestikulierte und noch einmal heischte:
„Haaaaaahhhllllooooohhhh!“
Als Begrüßung war
das nicht gedacht. Das war klar.
Ich drehte mich
wortlos zu ihr hin.
„Entschuldigung
bitte?“ machte sie weiter und das in der selben eindringlichen
Weise, wobei diesmal die Augen Pate standen für die Angstpanik, die
im Gemüt dieser Frau am brodeln war.
Ich begriff zwar,
was sie wollte, war aber nicht bereit, ihre Panik zu teilen. Vor
allem aber wollte ich auch, dass sie mir sagt, was sie will. Ich bin
kein Gedankenleser und ich hatte auch keine Lust, die Maske in einer
fast menschenleeren Regalreihe sinnlos über die die Nase zu ziehen.
Mein Unverständnis
über ihr Anliegen deutete ich mit einem leichten Kopfschütteln an,
blieb aber weiterhin stumm.
Dann wurde sie laut:
„Es gibt eine Maskenpflicht! Ziehen sie sofort die Maske über ihre
Nase!“
„Oder wollen Sie
uns alle umbringen?“
Es kam schrill aus
ihr heraus. Bevor ich reagieren konnte setzte sie zu einer
regelrechten Tirade an.
„Sind sie
eigentlich komplett verblödet? Wissen sie eigentlich, was sie da
machen? Das ist illegal!“
Ich wusste in dem
Moment nicht, was ich sagen sollte.
Klein beigeben oder
zum Contra ansetzen?
Einen Moment lang
schaute ich mir die schimpfende Frau einfach nur an. Sie muss derzeit
eine furchtbare Zeit erleben, dachte ich mir. Wahrscheinlich würde
mir am liebsten an die Kehle gehen, wenn da nur nicht diese
Killerviren an mir hingen.
So blieb ich still
und wog meine Optionen ab. Es machte sie nur noch wilder.
Dann entschloss ich
mich für Option drei und stellte mich dumm.
„Was ist denn
damit, mit der Maske?“ fragte ich mehrmals in den Momenten, in
denen sie zum einatmen absetzen musste.
Sie wurde nur noch
hysterischer.
Schließlich
beendete ich das Schauspiel und zog die Maske über die Nase.
Noch einmal zeigte
sie mir den Vogel, ließ mich dann aber wieder in Ruhe.
Spaß hat das ja
nicht gemacht, kommentierte ich die Szene im Kopf, eher bedenklich.
Ich tippte auf
falsch eingestellte Medikamente für die Menopause plus die übliche
Propaganda. Soll öfters vorkommen bei Frauen in einem bestimmten
Alter.
Gegen weitere
Maßnahmen im Kampf gegen Corona wird sie aber definitiv nicht
stimmen. Im Gegenteil, Bill Gates wird ihr bestimmt schon bald seinen
Impfstoff spritzen dürfen.
Was mich an der
Szene aber vor allem verwunderte ist, warum sich kein einziger
Mitarbeiter blicken ließ. Solche Szenen, vor allem zu diesem Thema
und in dieser Lautstärke, werden vom Personal eigentlich sehr
schnell wieder aufgelöst.
Vermutlich hatte
einfach niemand die Lust und die Nerven, um sich damit zu befassen.
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