Wissenschaftler prognostizierte vor zehn Jahren die aktuellen Unruhen in den USA und befürchtet jetzt ein Abgleiten in einen Bürgerkrieg


Ob es diesmal hinterher noch Gemälde geben wird? (Bildquelle)


Time: Ein Wissenschaftler prognostizierte vor zehn Jahren, dass im Jahr 2020 Chaos herrschen würde. Das folgende wird laut ihm noch kommen.


Kaum jemand hat Peter Turchin ernst genommen, als er vor einem Jahrzehnt sagte, dass in den USA des Jahres 2020 große ziviele Unruhen ausbrechen würden.

„Sie hatten keinen Grund zur Annahme, dass ich nicht verrückt bin“, sagt der 63 Jahre alte Turchin über sich selbst, der an der Universität von Connecticut kulturelle Evolution lehrt.

Turchin machte 2010 seine Vorhersage, nachdem er historische Zyklen mit gesellschaftlichen Instabilitäten analysiert hatte, und die damals in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde. Sein Fazit: Amerika wird ab etwa 2020 eine Periode großer sozialer Umwälzungen erleben.

Viele waren skeptisch, so Turchin, weil „die Leute nicht verstanden, dass es eine wissenschaftliche Prognose darstellte und keine Prophezeiung“.

Dann kam das Jahr 2020. Inmitten einer globalen Pandemie - die bisher alleine in den USA mehr als 116.000 Menschen das Leben gekostet hat und zu einer Rekordarbeitslosenzahl führte - brachen Ende Mai wegen des Todes von George Floyd im ganzen Land Unruhen aus, einem 46-jährigen Schwarzen aus Minneapolis, der fast neun Minuten lang um sein Leben bettelte, während ein weißer Polizist lang auf seinem Nacken kniete.

In Dutzenden von Städten wurden Ausgangssperren verhängt, während sich Protestmärsche gegen Polizeibrutalität und Rassismus über Autobahnen, Brücken und Innenstädte gossen. Dazu kursierten zahlreiche Videos im Netz mit zweifelhaft agierenden Polizisten: Friedliche Demonstranten und Journalisten wurden mit Pfefferspray bearbeitet, Polizisten stießen in ruppiger Weise Demonstranten zu Boden. Einige Proteste endeten in Gewalt, in deren Folge Streifenwagen angezündet und Geschäfte geplündert wurden. Mehrere Bundesstaaten setzten die Nationalgarde ein.

Obwohl er sich bestätigt fühlt, ist Turchin dennoch entsetzt darüber, wie recht er hatte. „Als Wissenschaftler fühle ich mich bestätigt“, sagt er. „Auf der anderen Seite bin ich aber auch Amerikaner und muss wie alle anderen auch diese harten Zeiten durchleben.“.

Nachdem er die letzten 20 Jahre damit verbracht hatte, die Krisen in Amerika und die dahinter liegenden strukturellen Mängel zu studieren, kam Turchin zum Schluss, dass zahlreiche Anzeichen für eine regelrechte Spirale des Umbruchs in diesem Jahrzehnt für die USA sprechen.

Etwa alle 50 Jahre hat das Land in seiner Geschichte Unruhen erlebt, so Turchin, beginnend mit 1870 während der erhöhten Spannungen in der Zeit des Wiederaufbaus und auch 1970 nach der Ermordung von Martin Luther King Jr., als Frauen und viele Minderheitengruppen inmitten der Proteste gegen den anhaltenden Vietnamkrieg für Gleichberechtigung kämpften.

Turchin analysierte für den Zeitraum zwischen 1780 und 2010 friedliche und gewalttätige Demonstrationen gegen die Regierung, an denen mindestens 100 Menschen teilnahmen. Mit Hilfe eines Computermodells berücksichtigte er auch wirtschaftliche Muster aus dem gleichen Zeitraum - darunter sinkende Löhne, Vermögensungleichheit, die explodierende Staatsverschuldung und andere soziale Notlagen, die zur Instabilität beitragen können. Das Modell zeigte ihm schließlich, dass die sozialen und wirtschaftlichen Turbulenzen in den USA um das Jahr 2020 zum Siedepunkt kommen würden, was Turchin in seinem Beitrag von 2010 festhielt.

Es könnte noch schlimmere kommen


Turchin sagt, dass gesellschaftliche Krisen typischerweise 5 bis 15 Jahre andauern können, wenn sich der aufgestaute Druck einen Ausweg sucht. Sofern die den Unruhen zugrunde liegenden Ursachen systematisch angegangen werden, dann kann die turbulente Zeit schnell wieder überwunden werden. In Südafrika zum Beispiel, das laut Weltbank eines der Länder mit der größten Vermögensungleichheit der Welt ist, gib es laut Weltbank auch 26 Jahre nach dem Ende der Apartheid immer noch heftige Proteste und Ausbrüche der Gewalt, hinter denen die Ungleichheit zwischen den Rassen und des verteilten Wohlstandes im Land steckt. Nach Angaben der Associated Press gibt es in dem Land fast täglich Proteste, bei denen Reifen angezündet werden.

Seit Floyds Tod am 25. Mai haben sich Gespräche über systemischen Rassismus und Polizeibrutalität gegen schwarze Männer und Frauen bis jenseits des Landes auf die ganze Welt übertragen. In einigen Städten, darunter New York und Minneapolis, kündigten die Behörden Pläne an, nach denen sie ihren Polizeidienststellen entweder das Geld entziehen oder sie zurückfahren wollen, während die amerikanische Bundesregierung darauf drängt, die Polizei auf andere Weise zu reformieren, einschließlich des Verbots von Würgegriffen und der Einrichtung eines nationalen Registers für Fehlverhalten von Polizisten.

Bei der Suche nach Lösungen gebe es eine wachsende Dynamik, meint Turchin, allerdings zeigt die Geschichte, dass eine Trendumkehr im Allgemeinen nur langsam vonstatten geht. Vor allem das Abstreiten von systematischem Rassismus im Strafverfolgungssystem der Vereinigen Staaten durch die Regierung von Präsident Donald Trump könnte den Wandel länger hinauszögern.

Darüber hinaus spielt laut Turchin auch COVID-19-Pandemie negativ in die Situation hinein, da sie einem Gutteil der amerikanischen Bevölkerung den Wohlstand entzogen hat – einem starken Indikator für Instabilität – und sich die dahingehende Situation weiter verschlechtern könnte, was wiederum das Vertrauen der Öffentlichkeit in staatliche Institutionen verringern würde. Da Millionen von Amerikaner weiterhin arbeitslos sind, befürchtet Turchin in der kommenden Zeit weitere Gewaltausbrüche. Er befürchtet, dass die Spannungen gar „bis hin zu einem Bürgerkrieg eskalieren könnten“.

„Leider“, sagt er, „sind die Dinge derzeit nicht so schlimm, wie sie sein könnten.“

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