16. Mai 2020

Geopolitischer Paradigmenwechsel: Vom Globalismus zum Regionalismus



Zurück ins 15. Jahrhundert? Da lacht das libertäre Herz! (Bildquelle)

Strategic Culture Foundation: Das Gesicht der Geopolitik nach dem Coronavirus



Die internationale geopolitische Struktur nach dem Coronavirus könnte dem Muster der tödlichsten Pandemie aller Zeiten ähneln - dem hochansteckenden Schwarzen Tod des 14. Jahrhunderts. Überall in Asien, Europa und Nordafrika tötete die Beulenpest damals zwischen 75 und 200 Millionen Menschen. Es wird vermutet, dass die Pestepidemie von Parasiten des schwarzen Rattenflohs ausging, die zunächst über die Seidenstraße aus China und dann auf genuesischen Handelsschiffen von der Krim aus nach Europa und in den Nahen Osten gelangten. Die Flöhe sprangen bei über von ihren tierischen Wirten auf den Menschen. Eine unheimliche Verbindung zu Covid-19 besteht darin, dass sich unter den ersten Opfern des Schwarzen Todes 80 Prozent der Bevölkerung der chinesischen Provinz Hubei befanden, darunter auch die Stadt Wuchang, heute bekannt als Wuhan.

Bis Ende 1346 war Indien weitgehend entvölkert und es wurde berichtet, dass Tatarstan, Mesopotamien, Syrien und Armenien mit Leichen bedeckt war. Im Jahr 1345 gab es in Damaskus 2000 Todesfälle pro Tag. Bis 1349 hatte sich die Seuche in Italien, Frankreich, Spanien, Deutschland, England, Schottland, Irland, Norwegen und sogar bis die fernen Inseln Island und Grönland ausgebreitet. Nur Regionen mit nur wenig Handel und Kontakt zu anderen Ländern blieben von der Pest relativ verschont. Dazu gehörten das Baskenland und isolierte Gebiete in den Alpen, Pyrenäen und im Atlasgebirge. Danach, vom 15. bis 17. Jahrhundert, kehrte die Pest in mehreren Wellen erneut zurück. So verlor Frankreich zwischen 1628 und 1631 in nur vier Jahren eine Million seiner Bürger.

Ohne einen geeigneten Impfstoff zur Abwehr von Covid-19 könnte die Welt am Ende in den Bereichen Geopolitik, Handel, Wirtschaft und Sozialstruktur einen vergleichbaren Weg nehmen, wie sie die Welt nach dem Schwarzen Tod nahm. 

Allzu menschliche Reaktionen auf die Pest des 14. Jahrhunderts

Aufgrund der Pest flohen Stadtbewohner auf das Land, Geschäfte schlossen ihre Türen für immer und Ärzte verweigerten die Patientenaufnahme. Die Beulenpest sprang auch auf andere Spezies über. Der Mensch infizierte Ziegen, Schafe, Kühe, Schweine, Hunde, Katzen und Hühner und umgekehrt. Bislang wurde über den Coronavirus berichtet, dass auch Hunde, Katzen, Löwen, Tiger und Nerze davon betroffen sein können.

Ähnlich wie der Coronavirus die Tore öffnet für den Fingerzeig auf Sündenböcke wie etwa Asiaten, Muslime, Juden und andere Minderheiten, so trug auch der Schwarze Tod seinen Teil zu allerlei Beschuldigungen bei, die oftmals tödliche Folgen hatten. Unter jenen, die im 14. Jahrhundert für die Pest verantwortlich gemacht wurden, waren Juden, Zigeuner, generell Ausländer, religiöse Pilger, Hexen, Straßenbettler, Aussätzige und Mönche. In Straßburg, Mainz und Köln wurden die jüdischen Gemeinden dezimiert.

Genau wie bei Covid-19 kam es während des Schwarzen Todes zu zahlreichen „Wunderheilungen“. Zu den unwirksamen Behandlungen gehörten Aderlass und Kochsalzlanzetten. Eine vorgeschlagene Heilmethode bestand darin, ein Gebräu aus Milch und Knoblauchzehen zu trinken. Andere empfahlen das Trinken einer Lösung aus gemahlenen Hühnerknochen oder kaltem Wasser vermischt mit Essig. Weitere Heilmittel umfasten das Verbrennen von Weihrauch, Myrrhe, Basilikum, Aloe , Knoblauch und Traubenblättern, oder das Einatmen starker Gerüche aus Latrinen, um die infektiösen „Dämpfe“ der Pest mit einem Gegengift zu bekämpfen. Auch das Abwaschen der Wände mit einer Lösung aus Wasser und Essig und eine Ernährung bestehend aus Weizenbrot und Zitrusfrüchten unter Vermeidung von rotem Fleisch waren gängige Abwehrmaßnahmen.

Diejenigen, die glaubten, die Pest sei eine Strafe Gottes, nahmen an Selbstgeißelungsprozessionen durch Dörfer und Städte teil. Zum Vergleich, im Kampf gegen den Coronavirus haben sich einige führende Politiker der Welt für Bleich- und Desinfektionsmittel, Wodka, Kräutertonika sowie Ultraviolett- und Sonnenlichtstrahlung als Heilmittel für Covid-19 ausgesprochen.

Zwangsweise zum Prioritätenwechsel


Während der Pest begannen die Behörden von Venedig damit, von den ankommenden Schiffsbesatzungen zu verlangen, dass sie 40 Tage lang an Bord ihrer Schiffe bleiben mussten - was als „Quarantäne“ bezeichnet wurde. Diese Praxis wird bis heute von den Gesundheitsbehörden als Methode angewandt, um die Ausbreitung einer Seuche zu verhindern.

Als sich die Seuche in Europa und Nordafrika ausbreitete stiegen damals die Rohstoffpreise und die Arbeitskosten rapide an. Da Leibeigene nun plötzlich in der Lage waren, mit den Landbesitzern über die Arbeitsbedingungen zu verhandeln, wurde das Feudalsystem zu einem der Kollateralopfer des Schwarzen Todes. Die Arbeiter errangen die Freiheit, ihre Dienste an den Meistbietenden zu verkaufen, woraufhin sich die Durchschnittslöhne schnell verdoppelten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis eine mobile Arbeiterschicht entstand.

Die Nachwirkungen des Schwarzen Todes schufen ein politisches Klima des Misstrauens gegenüber anderen, einschließlich ausländischer Reisender, Handelskaufleuten und Bankiers. Niemand wollte eine Rückkehr in das 14. Jahrhundert, das in England als „ekelhaft, brutal und kurz“ charakterisiert wurde. In England stellte der Kleriker John Wycliffe die Autorität des Papstes in Frage und trat für die Vorrangstellung der Bibel ein. Wycliffe wurde 1377 wegen Ketzerei angeklagt, aber John of Gaunt, der jüngere Sohn des Königs und der oberste Berater seines Vaters, verteidigte Wycliffe und stetzte beim König sogar höhrere Steuern für den Klerus durch. Der Schwarze Tod ebnete den Weg für die protestantische Reformation in England zwei Jahrhunderte später.

Edward III. war zu Beginn der Pest der Donald Trump seiner Ära. Er bestand darauf, Turniere auf Schloss Windsor und an anderen Orten in England zu veranstalten, obwohl einige seiner königlichen Berater zur Vorsicht mahnten, da England vom Schwarzen Tod heimgesucht wurde. Edwards Turniere beinhalteten Ritterturniere, Schlemmen und Tänze – während ganz nebenbei wegen des engen sozialen Kontakts die Beulenpest übertragen wurde. Erst als Prinzessin Johanna, die 14-jährige Tochter des Königs, auf dem Weg nach Spanien zur Hochzeit mit Kronprinz Pedro von Kastilien an der Pest starb, dämmerte Edward die Schwere der Krankheit, und dass „essen, trinken und fröhlich sein“ die Entvölkerung seines Reiches nur beschleunigen würde.

Johanna, die im im französischen Bordeaux starb, war Edwards Lieblingskind. Als dann aber auch Edwards geliebte Frau Philippa an der Pest starb, da wurde Edward auch bewusst, dass seine gesamte Herrschaft in großer Gefahr war. Er machte daraufhin Englisch, nicht Französisch, zur offiziellen Sprache seiner Regentschaft und willigte sogar ein, persönlich vor dem Parlament zu sprechen, was er zuvor noch mit allen Mitteln zu verhindern versuchte. Das Schicksal der englischen Königsfamilie übertragen auf die Trump Familie von heute wäre in etwa so, als hätte Trump den Coronatod von Tochter Ivanka und Ehefrau Melania zu beklagen.

Als Reaktion auf den Schwarzen Tod verboten viele Monarchen den Export von Nahrungsmitteln und gingen gegen Schwarzmärkte vor. Die Bevölkerung begann, bei Grundbedürfnisse wie Nahrung, sauberes Wasser, Kleidung, Bestattungsdienste und medizinische Versorgung auf die örtlichen Behörden zu vertrauen. Einige Kommunalbehörden richteten Pestkrankenhäuser ein, errichteten Lazarette (Quarantäneunterkünfte), richteten „Cordons sanitaires“ ein, schlossen die Grenzen und verlangten das Tragen von Masken. Einige örtliche Führungspersönlichkeiten richteten Geheimdienstnetzwerk ein, um ihre Regierungen vor Pestausbrüchen und zivilen Unruhen in anderen Ländern zu warnen. Die entschlossenen Maßnahmen des Dogen von Venedig, die ankommenden Schiffsbesatzungen unter Quarantäne zu stellen und ein Gesundheitsamt einzurichten, die Abriegelung Mailands durch den regierenden Visconti-Rat und sogar die bewaffneten Gesetzlosen, die das englische Bristol vor den möglicherweise infizierten Personen schützten, trugen alle dazu bei, das Vertrauen der Öffentlichkeit in ihre lokalen Regierungsbehörden zu stärken.

Zurück zu Autonomie und Subsistenz


In Afrika verließ die Bevölkerung entlang des Nils, wo die Pest durch Sklaven und arabische Händler eingeschleppt wurde, ihre Flussstädte, darunter auch Asyut, und floh vor der Pandemie in entlegene Gebiete am Nil. Der arabische Gelehrte und Historiker Ibn Khaldun schrieb, dass ein Geist der „asabiyya“ einige Nordafrikaner vor der Pest schützte. Er definierte „asabiyya“ als eine gemeinschaftliche Verbundenheit mit dem Land, sei es die Wüste Sahara oder das Atlasgebirge. Ibn Khaldun weist darauf hin, dass die Beduinen und Sanhaja der Sahara und die Berber im Atlasgebirge durch die Selbstversorgung und das gemeinsame Engagement für den Stamm gerettet wurden. In Teilen Belgiens, der Schweiz, Böhmens und Polens sowie in Stadtstaaten in der Bucht von Benin in Westafrika, die ihre Loyalität dem Yoruba Königreich Ijebu verdankten, wurde derselbe Grad an Selbstversorgung und Unabhängigkeit festgestellt. Sie repräsentierten Orte, an denen der Schwarze Tod wenig bis gar keine Auswirkungen hatten.

Heute können wir ein vergleichbares Vertrauen in die lokalen Behörden erkennen. Die Gouverneure der Bundesstaaten der Vereinigten Staaten, Brasiliens und Mexikos sind für die jeweilige Bevölkerung noch vor den Zentralregierung die Autorität der Stunde. Regionale Gruppierungen amerikanischer Bundesstaaten - im Nordosten, im Mittleren Westen und an der Westküste - haben sich verstärkt um Maßnahmen gegen die Pandemie gekümmert, während die Trump Regierung kaum mit klaren Anweisungen aufwartete. Diese Unterstützung für Kommunalverwaltungen zeigt sich in Umfragen, aus denen hervorgeht, dass 59 Prozent der Amerikaner die Reaktion ihrer Lokalregierungen auf die Coronakrise als „ausgezeichnet“ oder „gut“ bewerten. Fragt man dagegen nach der Qualität der Reaktion durch die Regierung von Trump, dann erhält man erheblich niedrigere Werte.

Die gleiche Wertschätzung für lokale und staatliche Behörden besteht in Indien. Ende April 2020 wurden die Bundesstaaten Goa, Sikkim, Nagaland, Arunachal Pradesh, Manipur und Tripura für coronafrei erklärt. Diese und andere indische Bundesstaaten, in denen ein Rückgang der Infektionen zu verzeichnen ist, werden alles daran setzen, dass dies auch so bleibt. In Indien und anderen Staaten könnten die Kontrollen an den Binnengrenzen, Gesundheitskontrollen für Reisende, eine Verstärkung der örtlichen Polizeibehörden und andere Maßnahmen sogar dauerhaft werden. Und mit einer solchen lokalen und regionalen Kontrolle wird eine populäre Forderung nach einer Übertragung anderer Befugnisse an regionale und lokale Behörden einhergehen, einschließlich öffentlicher Gesundheit, Besteuerung, Handel, Aufenthaltsgenehmigungen und anderer Funktionen.

Das Konzept der „asabiyya“ als der Autarkie zum Schutz vor sich wiederholenden Infektionswellen des Coronavirus und anderen Pandemien könnte schließlich zur Bildung oder in einigen Fällen zur Neugründung unabhängiger Stadtstaaten und anderer politischer Formationen führen, deren oberste Priorität der Gesundheitsschutz und die Sicherheit ihrer eigenen Bevölkerung wäre und das unabhängig davon, ob es sich um städtische Gebiete wie Hongkong handelt, Singapur, Dubai, Venedig, New York City, London, Gaza, Sao Paulo, Istanbul, Karatschi, Bangkok oder Lagos, oder auch ganzen Regionen wie das Baskenland (das den Schwarzen Tod praktisch unbeschadet überstanden hat).

Die Aktivitäten der Hanse im Balktikum wurden während des Schwarzen Todes des 14. Jahrhunderts weitgehend eingestellt. Wir sind bereits Zeugen der Einstellung bestimmter Aktivitäten innerhalb der Europäischen Union. Obwohl die Hanse auf dem Papier bis ins 19. Jahrhundert existierte, könnte die Europäische Union dieser folgen und in eine bloße Papierorganisation mutieren und nichts anderes darstellen, als eine altmodische Vorstellung dessen, wie die Welt einmal aussah, bevor die Pandemie einen Paradigmenwechsel brachte. Bemerkenswert ist auch, dass sich die Volkswirtschaften der Hanse und der italienischen Seerepubliken, darunter Lübeck, Hamburg, Danzig, Amsterdam, Venedig, Genua und Florenz, nach dem Schwarzen Tod schneller einen Aufschwung erlebten, als nationale Monarchien wie Frankreich, England oder Spanien.

So wie der Schwarze Tod den Lauf der Weltgeschichte veränderte, so könnte denn auch Covid-19 dem Lauf der Weltgeschichte eine neue Richtung geben. Weltweit gibt etwa 5.000 geographische Einheiten, die von homogenen Völkern bewohnt werden. Sollten sie beschließen, dass sie im Falle einer Pandemie von ihren Zentralregierungen keine medizinische und sonstige Hilfe mehr erhalten, dann könnten sie zum Schluss kommen, dass ein Alleingang die bessere Lösung ist.



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