22. September 2020

Ist Saudi Arabiens geplante Diversifizierung der Wirtschaft rund um die Planstadt Neom gescheitert?

Klaus Kleinfeld, Bürgermeister von Neom (Bildquelle)

 

OilPrice.com: Ist Saudi Arabiens ehrgeizige Vision 2030 ein toter Plan?


Eine vernetzte Stadt zum Preis von 500 Milliarden Dollar. Dazu ein Solarpark zum Preis von 20 Milliarden Dollar. Weitere Milliarden an Investitionen für die kohlenstoffbasierte Chemie. Das waren einige zentrale Punkte von Saudi Arabiens Vision 2030 - vielleicht der ehrgeizigste Diversifizierungsplan für die Wirtschaft der Welt. Heute aber sind von dem Ehrgeiz hinter den Plänen nur noch Ruinen übrig. Die Frage ist, ob Saudi Arabien die Trümmer wieder zu einem Großne Ganzen zusammenfügen kann, um seine Wirtschaft wirklich endlich vom Öl zu diversifizieren - oder ob die ambitionierten Pläne im Sande verlaufen werden, und das Königreich auch künftig auf die Einnahmen aus dem Verkauf von Öl angwiesen sein wird?


Anfang dieser Woche hieß es bei Saudi Aramco, dass ein geplantes und mehrere Milliarden Dollar teures LNG-Terminal auf Eis gelegt wird. Daneben wurde auch mitgeteilt, dass sich die Entwicklung eines Raffinerie- und Petrochemieprojekts in Höhe von 20 Milliarden Dollar in Saudi Arabien verzögern würde. Der Grund: Einsparungen.

 

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Anfang dieses Jahres teilten Regierungsquellen aus Riad dem Wall Street Journal mit, dass Saudi Arabien sein 200-Milliarden-Dollar-Solarparkprojekt, das es in Partnerschaft mit der japanischen SoftBank konzipiert hatte, nicht weiterverfolgen wird. Niemand arbeite an dem Projekt, teilten die Quellen mit, wobei Riad das Großprojekt durch mehrere kleinere Solarprojekte ersetzen will.


Das 500-Milliarden-Dollar-Projekt rund um die vernetzte Planstadt Neom dagegen liegt offenbar immer noch auf dem Tisch. Das Ölministerium des Königreichs sagte kürzlich, es werde das Projekt mitfinanzieren und dafür sorgen, dass es rechtzeitig fertiggestellt wird.


Neom ist das Kernstück der Vision 2030. Es war eine Idee von Prinz Mohammed und zielt darauf ab, die Abhängigkeit Saudi Arabiens von den Öleinnahmen zu verringern. Ironischerweise stützten sich diese Diversifizierungsabsichten auf genau diesen Öleinnahmen. Und nun, da diese Einnahmen aufgrund der Auswirkungen der Coronapandemie deutlich zurückgegangen sind, ist Prinz Mohammeds Vision bedroht.


Zweifel gab es schon in der Vergangenheit, dass Saudi Arabien überhaupt in der Lage sein würde, die angedachten Projekte alle durchziehen zu können. die Gesamtosten waren einfach zu hoch und das selbst für den riesigen Staatsfonds des Landes. Zwar war nie geplant, dass sämtliche Teilprojekte vollumfänglich vom Königreich selbst finanziert werden. Allerdings war zu viel davon abhängig von Saudi Aramco - von deren Einnahmen und natürlich über die Einnahmen vom Börsengang.


Das Unternehmen wird seit letztem Jahr an der Börse gehandelt, jedoch wurde nur die Hälfte des ursprünglich angedachten Aktienpakets auch wirklich emittiert. Zunächst schlug sich die Aktie auch gut, und bald schon wurde das Unternehmen zum wertvollsten der Welt. Mit dem Absturz des Ölpreises aber stürzte auch der Aktienkurs von Saudi Aramco. Das geschah in diesem Frhjahr allen Ölaktien, nicht nur Saudi Aramco. Doch das Besondere beim saudischen Staatskonzern war, dass an dessen Marktpreis ein vollumfassendes Diversifizierungsprogramm einer Volkswirtschaft abhängt – und zwar zu einhundert Prozent. Nun aber muss Saudi Aramco auch eine hohe Dividenden zahlen, so dass die bereitstehenden Finanzmittel im Laufe dieses Jahres immer knapper wurden.


Das führt zur Verzögerung bei immer mehr wirtschaftliche Investitionsprojekten, darunter auch welchen, die nicht direkt mit der wirtschaftlichen Diversifizierung Saudi Arabiens zusammenhängen. Es handelt sich dabei zumeist um Projekte, die mit der internationalen Expansion von Saudi Aramco zu tun haben.


Das Unternehmen etwa erwägt den Stopp einer Investition in Höhe von 6,6 Milliarden Dollar für dessen Motiva-Raffinerie in den Vereinigten Staaten, wie das Wall Street Journal in dieser Woche unter Berufung auf ungenannte Quellen aus dem Umfeld des Unternehmens berichtete. Das Unternehmen friert auch für ein Jahr seine Pläne ein, die Ölförderkapazität auf 13 Millionen Barrel pro Tag zu erhöhen. Diese Entscheidung ist natürlich kaum überraschend angesichts der weltweiten Angebots- und Nachfragesituation. Alles in allem deuten die Zeichen bei Saudi Aramco - und auch Riad als ganzes – auf einen Rückzieher hin bei den Bestrebungen zur Diversifizierung der Wirtschaft.


Diese Wende könnte kaum dramatischer ausfallen. Vor einigen Jahren noch gab es bei einigen Beobachtern die Sorge, dass höhere Ölpreise das Königreich aus Selbstgefälligkeit davon abhalten könnten, die Vision für eine Diversifizierung bis 2030 zu verfolgen.


„Wenn Länder bei niedrigen Ölpreisen mit Reformprogrammen beginnen, lässt die Begeisterung manchmal nach, wenn die Rohstoffpreise wieder steigen. Das ist auch in diesem Fall ein potenzielles Risiko. Wir müssen weiterhin diszipliniert bleiben, damit die Initiativen auch mit steigendem Ölpreis weiterhin umgesetzt werden“, so der Verantwortliche für die Bonitätsbewertung von Staaten bei Fitch Ratings im Jahr 2017.


Doch als die wirkliche Bedrohung für die umfassenden Diversifizierungspläne stellte sich das genaue Gegenteil heraus, nämlich der durch die niedrigen Ölpreise verursachte Finanzengpass.


So lange die Preise hoch waren, ließ der Enthusiasmus in Saudi-Arabien für den Umbau der Wirtschaft in keinster Weise nach. Regelmäßig gab es Meldungen über Multimilliardenprojekte, während sich das Königreich in der Kundenakquise für seine zukünftigen Produkte bemühte.


Und dann kam der zweite Preissturz innerhalb von fünf Jahren.


Im zweiten Quartal dieses Jahres verbuchte Saudi Arabien ein Defizit von 29 Milliarden Dollar. Das saudische Bruttoinlandsprodukt schrumpft, was ebenso gilt für die ölreichen und ölabhängigen Nachbarländer am Golf. Weitere Sparmaßnahmen mussten umgestetzt werden, es kommt zunehmend zu Ausgabenkürzungen, während Saudi Aramco weiterhin die versprochene Dividende von 75 Milliarden Dollar zahlen muss, die es im Dezember letzten Jahres den Aktionären versprach, 5 Prozent der Unternehmensaktien an der Börse platziert wurden. Das Unternehmen muss diese jährlichen Zahlungen mindestens für die nächsten fünf Jahre aufrechterhalten. Im Unterschied zu den anderen Ölmultis am Markt kann sich das Unternehmen nicht den Luxus leisten, die Dividende einfach zu kürzen. Denn der Mehrheitsaktionär ist weiterhin die saudische Regierung ist und für sie ist Saudi Aramco die Haupteinnahmequelle.


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Ist bei all diesen Stressfaktoren die Vision 2030 noch in Sicht?


Die Vision 2030 lebt noch immer, doch sie verwandelt sich zunehmend in eine Fata Morgana. Zwar beibt ein niedriger Ölpreis die beste Motivation für die saudischen Diversifizierungsbemühungen, allerdings sind die Kosten unglaublich hoch, weswegen die weitere Verfolgung der Pläne sehr schmerzhaft ist. Möglich wäre daher, dass sich Riad für etwas Flexibilität entscheidet und einige der Multimilliardenprojekte durch kleinere ersetzt, so wie es angeblich mit den Plänen für den Solarpark geschehen sein soll.


Das wäre der wohl vernünftigste Weg, nachdem man in Riad akzeptiert musste, dass sich eine Volkswirtschaft selbst mit Hunderten von Milliarden Dollar als Budget nicht über Nacht transformieren lässt. Denn ein derartiges Großprojekt erfordert nicht nur Geld, sondern auch Zeit und eine realistische Planung. Abschließend bleibt zu hoffen, dass der zweitgrößte Ölproduzent der Welt aus der Pandemie jene Lektion gelernt hat, bei der es um die Auswirkung von unvorhersehbaren Ereignissen auf Diversifizierungspläne geht.


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