15. Juni 2020

Die „Prämiokratie“: Politikern eine freiwillige Leistungsprämie zahlen, wenn sie gute Entscheidungen treffen

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Gegen Zitronenmärkte und Bananenrepubliken (Bildquelle)

Im folgenden gehe ich der Frage nach, ob es sich für Bürger und Politiker gleichermaßen lohnen könnte, wenn wir den hohen Herrschaften in den Parlamenten einfach eine dicke, fette Belohnung zahlen, wenn sie einmal eine gute Entscheidung treffen.

Die Mehrwertsteuer als prototypisches Ergebnis des politischen Zitronenmarktes


Der YouTuber Horst Lüning ließ sich in einem seiner neuen Videos über den Sinn oder Unsinn der Mehrwertsteuersenkung aus. Dabei ging er ab circa Minute zwölf auch auf einen Sachverhalt ein, der mir in der von ihm beschriebenen Größenordnung bislang unbekannt war. Es geht um den Mehrwertsteuerbetrug, der den Staat jedes Jahr mehrere Dutzend Milliarden Euro kosten soll. (Umsatzsteuer = Mehrwertsteuer; weitere Erklärungen zur Steuer gibt es im Video.) Der Hebel für die Betrüger stellt dabei der Vorsteuerabzug dar, der insbesondere bei grenzüberschreitenden Geschäften im EU/Euroraum kaum rechtzeitig nachverfolgt werden kann.

Die Betrüger schließen bei dieser Betrugsform über Scheinfirmen mit sich selbst verschiedene Scheingeschäfte ab, bei denen jeweils die Vorsteuer abgezogen wird. Da die Umsatzsteuer nur beim Verkauf von Endprodukten anfällt, können sie die Vorsteuer jeweils beim Finanzamt geltend machen, während dieses wegen des inexistenten Verkaufs eines Endprodukts nur Geld an die Betrüger für die falschen Rechnungen herausgibt, allerdings keine Einnahmen über den abschließenden Umsatzsteuerbetrag erzielen kann. Lüning spricht von 50 Milliarden Euro, die Schätzungen zufolge jedes Jahr verloren gehen, so dass sich der Verlust bei dieser Steuer, deren Einnahmen bei knapp 95 Milliarden Euro im Jahr liegen, auf satte 50 Prozent beläuft.

Dieser Betrugsmasche könnte relativ leicht den Boden entzogen werden, da die Erhebung der Umsatzsteuer auch ohne den Weg über den Vorsteuerabzug ablaufen könnte. In diesem alternativen Modell würde nur der Verkäufer von Endprodukten die Mehrwertsteuer verlangen, während Geschäfte zwischen Unternehmen gänzlich ohne diese Steuer ablaufen würden. Der bisherige Betrug wäre dann nicht mehr möglich, da dieser über die falsche Verrechnung der Vorsteuer läuft, während der Staat weiterhin die selben Einnahmen erzielt. Als weiteren positiven Nebeneffekt würde der Verwaltungsaufwand deutlich sinken, da in den Unternehmensbilanzen - und damit den Rechnungsabteilungen und auch beim Finanzamt - ein kompletter Bereich wegfiele.

Es handelt sich also um eine verhältnismäßig klare Angelegenheit, wenngleich eventuell neue Betrugsmodelle entstehen könnten über den vorgetäuschten Verkauf von Produkten an Unternehmen, die in Wahrheit einen Privatkonsum darstellen. Insgesamt wäre jedoch zu erwarten, dass die Kosten der Steuererhebung deutlich sinken würden, während die Einnahmen mindestens auf ihrem jetzigen Niveau erhalten blieben.

Dennoch will die Politik nicht und verweigert seit Jahren schon eine Änderung, obwohl die Problemstelle wohlbekannt sit. Sie fürchtet, so Lüning, um ihre Pfründe in den Amtsstuben, wenn plötzlich weniger Beamte benötigt werden, wie auch viele „Bullshitjobs“ in den Unternehmensverwaltungen dieses Landes wegfallen könnten.

Es handelt sich dabei letztlich um ein klares Politikversagen. Der Widerspruch zwischen individuellem und kollektivem Interesse haben den Politmarkt in einen Zitronenmarkt verwandelt, der immer schlechtere Ergebnisse erzielt. Denn leider ist die Situation bei der Mehrwertsteuer kein Einzelfall. Kaum ein Politikbereich produzierte heute keine Zitronen, die den Bürger alleine schon beim Anblick das Gesicht verziehen lassen. Die Frage ist: Wie könnte man dem als Bürger ohne politische Macht abhelfen?

Die Prämiokratie als Katalysator für gute politische Entscheidungen


Will man Abhilfe schaffen, dann muss die individuelle Rationalität der politischen Entscheidungsträger verändert werden. Sie müssen für sich selbst erkennen, dass sie ein Interesse an einer Entscheidung haben, die für sie individuell zwar keine Vorteile hat (oder gar Nachteile, im Fall etwa der Abschaffung eines Ministerpostens), aber insgesamt für die Gesellschaft von Vorteil ist. Individuelle Interessen jedoch sind stets stärker als die Einsicht in eine kollektive Vorteilhaftigkeit, weshalb es überhaupt erst so etwas wie Zitronenmärkte gibt.

Da Politiker Menschen sind und politische Menschen vielleicht mehr noch als der Rest von uns aus sind auf Prestige, Macht und Geld, sind es diese drei Hebel, die einen individuellen Interessenwandel erzeugen können. Da Prestige rar ist und die Verleihung politischer Macht institutionalisiert und daher nur indirekt möglich ist, bleibt noch der dritte Hebel: Geld.

Daher schlage ich vor, dass man Politikern eine explizite geldwerte Belohnung verspricht für den Fall, dass sie ein bestimmtes messbares politisches Problem lösen; oder wenn sie eine politische Maßnahme durchsetzen, die der messbaren Verbesserung einer spezifischen Situation dient; oder wenn sie auf politischem Wege etwas einführen oder abschaffen, das als nützlich erachtet wird und dessen Nutzen sich zählen lässt.

Problem Korruption


So weit, so einfach. Es gibt aber einige Probleme. Die wohl wichtigste Frage im Zusammenhang ist, ob so etwas überhaupt legal wäre, oder ob es sich dabei um Korruption handelt.

Beispiele für mindestens zwielichtige politische Handelsgeschäfte gibt es einige. Etwa die Liberalisierung und Förderung des privaten Marktes für Rentenversicherungen unter Kanzler Gerhard Schröder im Zusammenhang mit den Rechten an der Autobiografie des späteren Altkanzlers, die vom Versicherungsunternehmer Carsten Maschmeyer für eine Million Euro gekauft wurden.

Das war und ist legal, da ein direkter kausaler Zusammenhang nicht juristisch hergestellt werden kann. Aber selbst in dem Fall, falls es sich um eine Bezahlung für ein Gesetz handelte, wäre es sehr wahrscheinlich nicht illegal, sondern nur anrüchig, da bei der Verabschiedung des Gesetzes kein Rechtsbruch begangen wurde.

Bei Prämien für bestimmte politische Entscheidungen wäre das anders, da hier ein dirkter Bezug nicht nur hergestellt werden kann, sondern beabsichtigt ist. Es fragt sich, ob auch dann Korruption vorliegt, wenn keine Gesetze gebrochen werden und bei der Transaktion Geld gegen politische Maßnahme alles transparent und offen von statten geht.

Problem Adressaten


Ein weiteres, vor allem praktisches Problem, bestünde in der Liste der Zielpersonen für eine Prämie. Die Änderung des Mehrwertsteuersystems wäre eine ziemliche Mammutaufgabe, die Bundesregierung, Länderregierungen und eventuell sogar die EU-Ebene beschäftigen würde.

Insgesamt kämen mindestens 17 Regierungen und Parlamente plus ein halbes Dutzend Parteien zusammen, die man belohnen müsste. Selbst wenn man die Regierungsbeteiligten auf den Kanzler/Ministerpräsidenten plus Finanzminister reduziert und den Parlamentsanteil auf die Regierungs- und Bundesratsmehrheit, dann wären am Ende noch immer circa 500 Personen und vier Parteien übrig, die in der ein oder anderen Weise am Kuchen beteiligt werden müssten.

Eine einfache Sache ist das also nicht und das gilt umso mehr, je höher die administrative Zielebene angesiedelt ist und je komplexer die verfassungsmäßige Verschachtelung der Zuständigkeiten ausfällt. Eine prinzipielle Unmöglichkeit wäre es dagegen nicht, so lange die beteiligten Institutionen alle bekannt sind.

Was allerdings passieren könnte ist, dass es eventuell zu einer Ausdehnung des politischen Interessenbereichs führt und infolgedessen ein neuer Zitronenmarkt entsteht. Ob das wahrscheinlich ist oder nicht sei dahingestellt, aber man sollte das im Hinterkopf behalten, da Politiker bei der Optimierung ihrer Rente bekanntlich sehr erfindungsreich sein können.

Problem Belohnungshöhe


Ebenso eine praktische Frage wäre, wie viel Geld für die Lösung eines Problems bezahlt werden müsste. Oder anders gefragt: Wie viel ist die politische Lösung eines politischen Problems wert?

Das würde grundsätzlich den interessierten Bürgern überlassen, die selbst entscheiden können, wie viel es ihnen wert ist, dass ein Problem gelöst wird. Ebenso bliebe es den zuständigen Politikern überlassen, ab wann ihnen die Belohnung ausreicht für das Inangriff nehmen einer Angelegenheit - sich ihre Interessen also weg bewegt haben vom persönlichen politischen Interesse und hin zum geldwerten Vorteil.

Bedenkt man aber, wie viel Geld mitunter eingespart werden könnte, etwa über die Umstellung des Mehrwertsteuersystems oder über die Abschaffung der GEZ, dann erscheint selbst eine Belohnung von 100 Millionen Euro nicht viel als Opportunität. Verteilt sich diese Summe bei erfolgreicher Umsetzung dann auf 500 Politiker und vier Parteien, dann könnte jeder einzelne der Volksvertreter und Regierungsmitglieder mit einer Einmalzahlung 120.000 Euro rechnen und die Parteien jeweils mit 10 Millionen Euro.

Nicht übel, würde ich sagen. Die Größenordnung, um de es geht wird dabei vor allem dann deutlich, wenn man bedenkt, dass es die Belohnung für nur EINE Entscheidung darstellt, während es gleich Dutzende offensichtliche Politbaustellen gibt, die pro Jahr unmittelbare Einsparungen in Milliardenhöhe nach sich zögen.

Problem Spender


Angesichts derartiger Geldbeträge muss man sich fragen, wer dafür aufkommt. Die wenigsten Bürger haben so viel Geld und so bestünde die Gefahr, dass sich ein derartiges Prämiensystem in ein Konzern- und Elitenprogramm zur persönlichen Systemoptimierung deformieren könnte.

Es sollte daher ein paar Regeln geben, die eine derartige Fehlentwicklung verhindern:
  1. Nur natürliche Personen dürfen spenden, keine Kapitalgesellschaften oder Vereine.
  2. Wer für eine Maßnahme spendet, der muss in der Gebietskörperschaft leben, für die sie gedacht ist.
  3. Die maximale Spendenhöhe pro Maßnahme darf 100 Euro nicht überschreiten. (Man darf aber für unterschiedliche Maßnahmen des selben Themas mehrfach spenden; z.B. für die Anhebung des Mindestwahlalters auf 21 Jahre und getrennt davon auf 25 Jahre.)

Bei einem Großthema wie etwa der GEZ, die jeden der 40 Millionen Haushalte jährlich mehr als 200 Euro kostet, könnte damit eine Maximalprämie für alle Politiker von vier Milliarden Euro zusammenkommen. Stört sich nur ein Viertel der Menschen daran, dann sänke die Gesamtprämie für alle zuständigen Politiker auf eine Milliarde Euro. Wobei sicherlich auch einige Menschen gerne dafür bezahlen, dass die GEZ beibehalten wird. Dies müsste als Opportunität noch von der Gesamtprämie abgezogen werden.

Da die GEZ gleichzeitig aber über die Bundesländer geregelt ist, könnten die Befürworter einer Abschaffung zusätzlich auch für die Abschaffung der GEZ in ihrem Bundesland eintreten. So käme für die Abschaffung der GEZ in Baden-Württemberg bei obigen Einschränkungen bis zu 150 Millionen Euro an Belohnung zusammen für die Politiker im Ländle, sollten sie denn willig sein.

Je nachdem, inwieweit die Prämie mit jener für Gesamtdeutschland abgestimmt wird, würde im einen Fall die andere Prämie nicht gezahlt werden, oder aber es käme ein doppelter Geldregen auf die Politiker herunter. Allgemein stellen derartige Mehrfachprämien kein Problem dar, im speziellen sollte aber auf möglichst geringe und klare Schnittmengen geachtet werden.

Spenden- und Prämienopportunismus


Das Problem unterschiedlicher Prämien für den selben Sachverhalt bringt das Problem des Opportunismus zutage. Denn wenn andere zahlen, dann muss man selbst nicht und so könnte man durch taktisch geschicktes Vorgehen eine Zahlungsbereitschaft signalisieren, nur um sie im richtigen Augenblick wieder zurückzuziehen. Für politische Entscheider entsteht dadurch Unsicherheit, was der Entscheidungsfreude abträglich wäre.

Dem lässt sich vorbeugen, indem 10 Prozent der versprochenen Spende vorab eingezahlt werden müssen, während dieser Anteil bei einem Näherrücken der Entscheidung über die Prämienzahlung sukzessive steigen müsste, damit die Politik weiß, wo sie dran ist.

Ebenso braucht es eine Mindestlaufzeit für eine Spende. Sie sollte mindestens sechs Monate betragen, so dass wer die Beteiligung an einer Prämie versprach, dieses Versprechen erst nach sechs Monaten wieder zurückziehen kann. Das wird der Politik dabei helfen, aus einer Position der persönlichen Sicherheit zu agieren.

Nicht anders muss es auf politischer Seite laufen. Eine Prämie darf nicht sofort ausgezahlt werden, sondern muss in Raten erfolgen, damit die Politik nicht sofort nach Eingang des Geldes das Gesetz wieder neu verabschiedet. Ebenso muss es Absicherungen geben, dass nicht neue, aber gleichartige Gesetze verabschiedet werden, die das selbe verursachen, was gerade über den Hebel der Prämie abgeschafft wurde.

Wäre das was? Ließen sich damit der deutsche Staat, die Länder und Gemeinden retten?


Die mit einem derartigen Prämiensystem einhergehenden Probleme sind klar. Sie lassen sich aber bei einer angemessenen Umsetzung und Handhabung des Systems in einem akzeptablen Rahmen halten, so dass die Vorteile eindeutig die Nachteile überwiegen würden.

Vor allem aber würde jenseits der unmittelbaren Verbesserung des politischen Managements auch eine Verbesserung der Darstellung politischer Interessen im Volk einhergehen. Denn wer bereit ist, seinen Worten Taten folgen zu lassen, also politische Forderungen mit der Bereitschaft zur Spende unterstreicht, der bringt Transparenz und mit dieser Zuverlässigkeit in das System politischer Interessen. Politiker, Medien, Bürger, Konsumenten und sonstige Interessenhalter könnten über die Zahlungsbereitschaft für die Abhilfe bei bestimmten Sachverhalten wesentlich besser abschätzen, wo die Gesellschaft steht und wo sie hin will.

Ebenso verbessert würde die Situation der heute bereits normalen politischen Korruption. Was bislang ein reines Konzern- und Elitengeschäft ist oder auf politischen Abhängigkeiten beruht, könnte endlich zu einem Aspekt der Volkssouveränität werden.

Die mittelbaren und unmittelbaren Vorteile von Prämien für Politiker und politische Entscheidungen sind so klar, dass über die Einführung einer Prämiokratie in kurzer Zeit die zahlreichen, sich in Schieflage befindlichen öffentlichen Haushalte und Gebietskörperschaften gerettet werden könnten. Ebenso könnte es der gesellschaftlichen Kohäsion dienen, und der wachsenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung hinsichtlich der zahlreichen politischen Missstände entschieden entgegenwirken.


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