15. Juli 2019

Kennen die Grünen den Unterschied zwischen einem Forst und einem (Ur-)Wald?


 Hambacher Forst VS Reinhardswald: Es kann nur einen geben! (Bildquelle 1,2)

Während im Hambacher Forst noch immer hunderte Berufsprotestierer aggressiv gegen die Braunkohle demonstrieren, wurde gerade erst entschieden, Teile des Reinhardwaldes zugunsten von Windkraftanlagen zu roden. Im grünen Lager der Weltverbesserer scheinen diese beiden Maßnahmen völlig einleuchtend zu sein. Mir jedoch, als ein um Vernunft bemühter Naturliebhaber ist es ein Graus und völlig unverständlich. Daher möchte ich die beiden Entscheidungen im folgenden konstruktiv kritisieren. Denn man soll ja konstruktiv sein und nicht verschwörungstheoretisch oder gar „Fake News“ verbreiten.


Was ist ein Forst und was ist ein Wald? Fragen wir die Experten bei Wikipedia…



Ja, auch mir ist Wikipedia schon lange suspekt und wird es immer verdächtiger. Zu oft begegnen mir bei der dortigen Recherche politisch verdrehte Formulierungen, während in anderen Fällen die ein oder andere Passagen plötzlich nicht mehr da ist, weil sie eine bestimmte politische Position in negativem Licht erscheinen lässt.

Trotzdem und auch ein bisschen deswegen möchte ich für die beiden Begriffsdefinitionen auf Wikipedia zurückgreifen, da die dortige Version unverdächtig ist für eine mögliche „rechte Unterwanderung“.


A) Der Forst


In der Zusammenfassung des Eintrags für Forst ist zu lesen:

„Als Forst [..] werden heute bewirtschaftete Wälder bezeichnet. Die begriffliche Trennung zwischen Wald und Forst ist fließend, eindeutig ist nur die Abgrenzung zum Urwald. Damit ist die heutige Abgrenzung der ursprünglichen entgegengesetzt.“

Zur besseren Abgrenzung der beiden Begrifflichkeiten Forst und Wald heißt es weiter unten:

„Während die Begriffe ‚Wald‘ und ‚Forst‘ umgangssprachlich synonym verwendet werden, gibt es vor allem in der Vegetationskunde eine begriffliche Differenzierung: Als Wälder werden Waldgesellschaften bezeichnet, deren Zusammensetzung der Baumarten weitgehend der Regionalen Potentiellen Natürlichen Vegetation entspricht und insofern eine naturnahe Bestockung (Aufforstung) darstellen.
[..]
Im Gegensatz dazu ist von Forsten die Rede, wenn standortsfremde Baumarten, oft Nadelhölzer, in Reinbeständen und durch Pflanzung künstlich begründet, naturferne Bestockungen darstellen.“


B) Der Wald


In der Zusammenfassung für Wald heißt es:

„Wald im alltagssprachlichen Sinn und im Sinn der meisten Fachsprachen ist ein Ausschnitt der Erdoberfläche, der mit Bäumen bedeckt ist und eine gewisse, vom Deutungszusammenhang abhängige Mindestdeckung und Mindestgröße überschreitet. Die Definition von Wald ist notwendigerweise vage und hängt vom Bedeutungszusammenhang [..] ab.“

Da auch hier wieder die Heterogenität des Begriffs angedeutet wird bietet es sich an, ebenso den Paragrafen im Artikel über die Natürlichkeit zu zitieren:

„Wälder kommen ihrem natürlichen [..] Zustand umso näher, je weniger ihre Baumartenzusammensetzung durch kulturelle menschliche Einfluss verändert ist und je weniger ihre Zusammensetzung und Organisationsweise von der zusätzlichen Zufuhr von Energie in die biologischen Produktionsprozesse über die einstrahlende Sonnenenergie hinaus abhängig ist.“0


3) Der Urwald oder Primärwald


Die Zitatstellen haben es notwendig gemacht. Neben Forst und Wald benötigen wir für eine angemessene Einordnung der Baumbestände von Hambach und Reinhard noch den dritten Begriff des Urwaldes. In dessen Zusammenfassung heißt es:

„Als Primärwald wird von menschlicher Einflussnahme nicht berührter Wald (‚Urwald‘) bezeichnet, mithin eine ökologische Klimaxgesellschaft. Die Einstufung als ‚unberührt‘ ist von der Dauer einer weitgehend naturbelassenen Entwicklung abhängig. Auf vermutlich zehn Prozent der Böden Amazoniens bestehen Spuren menschlicher Bearbeitung als Terra preta, die gleichwohl als Standorte von Urwald betrachtet werden.

Ein Sekundärwald oder, nach massiven Eingriffen, zunächst eine Sekundärvegetation mit unterschiedlich stark veränderter Artenzusammensetzung entwickelt sich nach menschlichen Eingriffen wie Straßenbau, Holzeinschlag, Brandrodung, Etagenanbau.“



Was ist der Hambacher Forst und was ist der Reinhardswald?



Mit den gegebenen Definitionsräumen müssen wir uns nun fragen, in welche der Kategorien der Hambacher Forst und der Reinhardswald gehören und darauf aufbauend welcher davon schützenswerter ist und ob es die Aussicht auf Strom wert ist, einen, beide oder keinen davon zu roden.

Beim Hambacher Forst ist die Sache klar, da steht die Definition bereits im Namen. Die Bäume wurden dort angepflanzt mit dem Ziel der Ernte. Es ist ein reiner Nutzwald und der Zweck ist ein ökonomischer. Wird dieser nun abgeholzt, dann wird mit ihm nur das gemacht, was von Beginn an geplant war. Das Holz daraus wird zu Geld gemacht und überdies besteht der Plan darin, den Boden darunter darunter ebenso zu Geld zu verbrennen. Letzteres kann man mögen oder nicht, aus ökologischer Sicht jedoch gibt für den Hambacher Forst als Baumbestand keinen tieferen Grund, ihn vor der Abholzung zu schützen.

Im Anbetracht der Umstände würde ich beim Hambacher Forst sogar sagen, dass es sich bei diesem um einen Forst handelt, der auch relativ klar in die Definition für „Sekundärvegetation“ passt, also nicht einmal ein vollwertiger Sekundärwald ist.


Schauen wir uns nun den Reinhardswald an. Dieser wird ebenfalls bei Wikipedia folgendermaßen beschrieben:

„Der Reinhardswald umfasst eine sehr weitläufige, sanft gewellte, zumeist dicht bewaldete und seit Jahrhunderten nahezu unbewohnte Buntsandsteinhochfläche.
[..]

Mit über 200 km² Fläche ist der Reinhardswald eine der größten Waldflächen und eines der am wenigsten besiedelten Gebiete Deutschlands; innerhalb Hessens stellt er das größte in sich geschlossene Waldgebiet dar, in dem insbesondere Buchen und Eichen gedeihen. Außerdem gibt es weit ausgedehnte Hutewaldflächen bzw. -wälder. “

Teile des Reinhardswaldes sind also ein „Hutewald“, bei dem es sich um einen weiteren Bewaldungsbegriff handelt, der einer näheren Betrachtung bedarf. Wikipedia meint darüber:

„Ein Hutewald [..] ist ein vormaliger (Ur-)Wald, der auch oder ausschließlich als Weide zur Viehhaltung genutzt wird. [..] Bei dieser auch als Waldweide bezeichneten Form der Nutzung wird das Vieh in den Wald getrieben, um dort sein Futter zu suchen. [..] Dieser Verbiss reduziert je nach Anzahl der Weidetiere den Jungwuchs der Bäume und verschafft den fruchttragenden großen Bäumen mehr Licht. Durch diese vorwiegende historische Waldnutzung, die vom Beginn der europäischen Jungsteinzeit bis über das Mittelalter hinaus üblich war, entstanden im Laufe der Zeit lichte bis fast offene, parkartige Wälder bis hin zu baumbestandenen Weiden, die früher zusammenfassend als Hutweide bezeichnet wurden. Hutewald und Hutweide sind demnach alte Kulturlandschaften und keine Naturlandschaften, wie etwa der Name des bekannten ehemaligen Hutewaldes ‚Urwald Sababurg‘ in Hessen vermuten ließe.“

Aha, halten wir also fest. Der Reinhardswald ist ein sehr großer, unbewohnter Wald. Er ist aber kein Urwald im eigentlichen Sinn, sondern eine alte Kulturlandschaft, auch genannt Sekundärwald. Dazu ist er vermutlich beliebt ist bei Touristen wegen der Urtümlichkeit in seiner Anmutung, und er wird seit Jahrhunderten für die biologische Landwirtschaft genutzt. Jedenfalls stelle ich mir glückliche Schweine genau so vor: Den Alltag tobend im Wald verbringen und sich dabei mit Eicheln satt fressen.

In den Tagen nach dem 21. April diesen Jahres, das sollte ich vielleicht noch erwähnen, kam es beim Eintrag für Hutewald zu einer umfangreichen lexikalen Neudefinition des Reinhardswaldes, wobei mit Bezug auf die hessische Kulturlandschaft früher von einem „ehemaligen Hutewald“ die Rede war, was danach aber komplett gestrichen wurde.

Hier ein Auszug dazu aus der inzwischen überarbeiteten Version für Hutewald aus dem Jahr 2018:

„Der ‚Urwald Sababurg‘ im Reinhardswald [..] sind ehemalige Hutewälder, die heute nach mehr oder weniger ungestörter natürlicher Sukzession als Wald in einen naturnahen Zustand – mit besonders alten (aber nicht (ur-)waldtypischen) Bäumen – aufweisen. Neben dem naturschutzfachlichen Mehrwert, der durch die besonderen Baumformen entstehen kann, erzeugt auch der höhere Lichtanteil eine höhere Biodiversität.“

Schade, dass das offenbar so nicht gestimmt hat mit diesem „naturnahen Zustand“ und der „höheren Biodiversität“. Denn ansonsten wäre der Reinhardswald eindeutig näher in die Ecke des definitiv schützenswerten Urwaldes gefallen. So aber endet er irgendwo im Mittelbereich und damit als Verschiebemasse auf dem Verhandlungstisch für höhere Zwecke.

Mit den aktuellen Definitionen im Hinterkopf wie sie Wikipedia bietet komme ich zum Schluss, dass sich der Reinhardswald auf einer Skala von 1 (=Unkraut und Gestrüpp) bis 10 (=der Amazonasregenwald) irgendwo im Bereich der 6 liegt. Dem Hambacher Forst wiederum würde ich eine 2 geben.



Welche Vor- und Nachteile bieten die beiden potenziellen Stromlieferanten?



Neben dem ökologischen Wert gilt es nun zu berechnen, wie groß die Opportunität der Stromerzeugung wäre. Auf der einen Seite haben wir in diesem Zusammenhang die schmutzige Braunkohle und ein drohendes Loch in der Erde, und auf der anderen Seite haben wir mehrere große, grüne Windräder.

Hinsichtlich der erwartbaren Strommenge und der Vor- und Nachteile der jeweiligen Technik und ihrer Auswirkungen lässt sich vorzüglich streiten, da es jede Menge Details zu beachten gibt. Darauf einzugehen würde leider diesen ohnehin schon viel zu langen Artikel sprengen, weshalb ich mich auf einen einzigen Aspekt beschränken möchte, an dem beide Technologien in den kommenden Jahrzehnten scheitern werden.

Es geht um die Fixierung auf den Standort und damit den Bedarf an großer Infrastruktur. Diese nämlich wird es bald nicht mehr geben, beziehungsweise, sie wird aufgrund der erwartbar zunehmenden Autonomisierung der Stromerzeugung über die Photovoltaik auf dem Dach plus einer leistungsstarken Batterie im Keller immer teurer für jene Erzeugungsmethoden, die auf einen fixen Standort angewiesen sind.

Braunkohlekraftwerke lohnen sich aber nur da, wo nebenan viel Braunkohle in der Erde liegt. Ganz ähnlich lohnen sich Windkraftanlagen (in industrieller Größe) nur da, wo erwartbar viel Wind weht. Das heißt, sie brauchen Transformatoren und viele, große Stromleitungen zu den Verbrauchern, denn zumindest bei den Windkraftanlagen im Reinhardswald sind die Verbraucher sehr weit weg. Fallen aufgrund der immer besseren Preisleistung für autonom betriebene Stromerzeuger jedoch immer mehr Kunden weg, dann wird es für die verbleibenden Kunden immer teurer, das große Netz in Schuss zu halten. Infolgedessen wird es für immer mehr Kunden lohnenswert, ebenso auf Photovoltaik umzusteigen.

Aufgrund dieser Zwangsläufigkeit steht für mich deswegen fest, dass die Windkraft jenseits des Jahres 2030 keine Zukunft haben wird. Die Investitionen müssen entweder ihre Kosten davor schon eingespielt haben, oder aber es werden riesige Investitionsruinen entstehen, an denen sich, sofern sie in einem Hutewald stehen, Sau und Eber reiben werden.

Da für den Reinhardswald angedacht ist, diesen ab dem Jahr 2020 zu roden, dann wird es wenigstens drei weitere Jahre dauern, bis die Windräder stehen und an das Stromnetz angeschlossen sind. Für die wirtschaftliche Amortisation blieben dann noch weniger als sieben Jahre, was selbst in sehr windigen Gegenden äußerst knapp sein dürfte und wie ich meine zu knapp sein wird.

Im Vergleich dazu noch ein kurzer Abstecher zur Braunkohlegewinnung im Hambacher Forst. Wie gesagt wird der Braunkohle ein ähnliches Schicksal drohen wie der Windkraft, jedoch in etwa ein bis eineinhalb Jahrzehnte danach. Der deutliche Vorteil besteht in der Nähe zu den industriellen Stromabnehmern im Ruhrgebiet, so dass die Braunkohle im Boden des Hambacher Forsts vermutlich genau ausreichen wird für die Verstromung, bis auch dort das letzte Stündlein für die Technik geschlagen hat.

In der Kategorie der Stromopportunität für beide Bewaldungsgebiete steht es also relativ unentschieden. Der eine Standort erzeugt schmutzigen Strom, wird aber noch eine Weile profitabel arbeiten können, während der andere erwartbar nicht einmal seine Investitionskosten wird einspielen können. Beiden Standorten aber ist gemein, dass sie absehbar nicht mehr mithalten können werden auf dem Markt für Stromerzeugung. Sie werden beide bald schon ihre Produktion einstellen müssen.



War da nicht etwas, von wegen „Der Wald wird uns retten“?



Was ist also das Fazit des ganzen? Nun, wenn der Hambacher Forst fehlt, dann ist etwas passiert, was von Beginn an geplant war. Wenn dagegen der Reinhardswald fehlt, dann müssen wir uns ernsthaft fragen, ob wir am Ende nicht selbst schuld sind an unserer Selbstausrottung, denn wie man sich bei Telepolis rhetorisch fragt: Retten uns die Wälder?

Natürlich retten uns die Wälder! Und je natürlicher die Wälder sind, desto geeigneter sind sie für unsere Rettung! Das ist eine völlig natürliche und überaus grüne Perspektive. Auch wenn es sich beim Reinhardswald um keine reinrassige „Klimaxgesellschaft“ handeln mag, er ist noch immer das beste, was wir bieten können. Und sollten wir nicht immer das beste versuchen? So wie während der Schulzeit jeden Freitag?

Egal wie ich es mir ansehe, es ergibt für mich einfach keinen Sinn, dass die Grünen sich so vehement für den Hambacher Forst einsetzen, während sie dem Reinhardswald die eiskalte Schulter zeigen. Weder finanziell, noch technologisch oder ökologisch hält diese Haltung einer näheren Betrachtung stand. Menschen, die sich wirklich für die Bewahrung der Ökologie einsetzen, würden es genau anders herum machen: Den Hambacher Forst opfern und dafür den Reinhardswald erhalten.