25. Juli 2019

Dezentrale Finanzierung oder DEFI als die nächste Stufe bei Blockchain und Krypto

Dezentrales Grafikdesign vom Feinsten (Bildquelle)

Die Werbebanner auf Internetseiten aller Arten zeigen es, Bitcoin und Co. haben mittlerweile die volle Durchdringung erreicht. Kaum einer kennt den Begriff nicht und die sagenhaften Geschichten über 20-jährige, die mit ein bisschen Nichtstun am Computer reich wurden. Die wenigsten aber sind sich darüber bewusst, wo die Reise hingeht und was uns die Revolution der dezentralen, digitalen Währungen bringen wird. Im folgenden daher ein kleiner Einblick in das, was gerade entsteht und was daraus einmal werden könnte.


AIER.org: Wird es zu einer weiteren Dezentralisierung bei Geld und der Finanzindustrie kommen oder nicht?



Die dezentrale Finanzierung, kurz DEFI, ist eine relativ neue Entwicklung in der Kryptowährungsbewegung. Die erste Welle der Kryptowährungen begann im Jahr 2009 mit dem Debüt von Bitcoin. Bald danach tauchten Nachahmer auf, darunter Litecoin, Dogecoin, Sexcoin und Tausende weitere. Vermarktet werden alle diese blockchainbasierten Systeme als dezentrale Formen des elektronischen Geldes. Bislang aber verwenden nur sehr wenige Menschen Kryptowährungen für Geldtransaktionen. Bislang konnte man bei allen erfolgreichen Projekten davon sprechen, dass damit eine neue Art des Glücksspiels erfunden wurde.



Stabile Kryptos und ein komplettes dezentrales Finanzsystem



Mit der zweiten Kryptowährungswelle wurde das gesamte Unternehmen des dezentralen elektronischen Zahlungsverkehrs noch einmal neu gedacht. Die wichtigste Aufgabe dabei bestand darin, benutzerfreundliche Formen dieser neuen Art des elektronischem Geldes zu entwickeln, im Kern ging es dabei um die Frage, wie mit Hilfe der Technologie eine wertstabile Münze geschaffen werden kann. Für dieses Ziel müssen jene Elemente, die Bitcoin oder Dogecoin  - dank der erratischen Preissprünge und den gefährlichen Zusammenbrüchen - zu einer schlechten Währung, aber zu einem großen Glücksspiel machen so angewandt werden, dass im Ergebnis das Gegenteil herauskommt.

Die zweite Welle geht über eine stabile, dezentrale Währung hinaus. Ein völlig neues dezentrales Finanzsystem soll entstehen - eines mit Banken, Krediten und mehr. Genau dieise Ansätze werden manchmal als offene Finanzierung, dezentrale Finanzierung oder kurz als DEFI bezeichnet.

In nur wenigen Jahren ist eine verwirrende Anzahl von dezentralen Finanzinstrumenten entstanden. Die Frage ist, ob sie Nischenprodukte bleiben werden und damit ergänzende Dienstleistungen für das klassische Finanzgeschäft, oder ob sich diese Instrumente durchsetzen und zum neuen Standard werden.

Die Basis des DEFI-Ökosystems basiert über ein Protokoll namens Maker DAO. Es dient als Mechanismus zur Herstellung von stabilen Blockchainmünzen. Benutzer können dabei volatile Kryptowährungen beispielsweise in stabile Dai Münzen umwandeln, die den Wert des US-Dollars nachzeichnen. Im Gegensatz zu anderen stabilen Digitalwährungen wie Tether oder USDC, die beide zur Wertstabilisierung auf Reserven bei traditionellen Banken angewiesen sind, ist Dai völlig vom traditionellen Finanzsystem isoliert.

Maker DAO und die meisten anderen DEFI-Anwendungen basieren auf der Ethereum Blockchain. Ethereum kann man sich als einen globalen Computer vorstellen, der von Tausenden überall auf der Welt verteilten anonymen Einzelcomputern betrieben wird. Im Unterschied zu traditionellen Finanznetzwerken, bei denen die Kunden nur mit Bestätigung des Netzwerkbesitzers eine Transaktion durchführen dürfen, so ist das Netzwerk von Ethereum für jedermann offen. Diese Eigenschaft wird als zensurresistent bezeichnet, da es kaum möglich ist, jemanden bei Ethereum von der Teilnahme abzuhalten.

Neben Maker DAO gibt es eine Reihe weiterer Programmierwerkzeuge, die auf Basis von Ethereum funktionieren. Uniswap etwa ist eine Börse, an der Nutzer mit Kryptowährungen handeln können. Mit Dharma und Compound wiederum sind Kreditplattformen entstanden. Nutzer können dort ihre Kryptowährungen hinterlegen, die dann gegen Zinsen an Kreditnehmer ausgeliehen werden. Laut Loanscan.io liegt das Volumen der dadurch vergebenen DEFI-Kredite derzeit  bei 120 Millionen US-Dollar.



Was treibt die Entwicklung von DEFI an?



Für Vitalik Buterin, dem Erfinder von Ethereum ist die Finanzwelt „wahnsinnig ineffizient“ und angriffsanfällig. Während die traditionellen Finanzprodukte nicht wegkommen vom dunklen Zeitalter der Bankschalter und Geldautomaten, so glauben die Anhänger dezentralisierter Finanzprodukte, dass die Programmierbarkeit von Ethereum zur Entwicklung schnellerer und besserer Finanzprodukte führen wird.

Neben der Verbesserung des Finanzsektors treibt viele Programmierer im Bereich der DEFI-Anwendungen auch die Annahme an, dass sich die traditionelle Finanzierung fatal auf viele Menschen auswirkt. Ihr Ziel ist es daher, auch jenen Bankdienstleistungen zu eröffnen, die entweder herausgefallen sind aus dem System oder nie dabei waren.

Schließlich stehen die Vertreter der DEFI-Bewegung der traditionellen Finanzarchitektur zutiefst skeptisch gegenüber, da die Anbieter von ihren Kunden zu viel Macht innehaben. Die Welt der DEFI soll Kunden und Anbietern Werkzeuge zur Verfügung stellen, die der Transparenz dienen, um damit den großen zentralisierten Finanzgiganten die Macht zu nehmen.



Jeder dieser Ambitionen ist bewundernswert. Aber wird DEFI dem Hype gerecht?



Als Beispiel für „wahnsinnig ineffizient“ verweist Buterin darauf, wie schwer es ist Geld zwischen Konten zu bewegen, was vor allem für internationale Transaktionen gilt. Allerdings greift Buterin hier eine veraltete Version des traditionellen Finanzsystems an. Die Zentralbanken weltweit haben in den letzten zehn Jahren aggressiv investiert in Echtzeitzahlungssysteme investiert, mit denen die Kunden rund um die Uhr kostenlos innerhalb des Landes Geldüberweisungen tätigen können.

Bei internationalen Zahlungen wiederum bietet der Überweisungsanbieter Transferwise als Sofortzahlungsmöglichkeit heute internationale Überweisungen an, die in zehn Sekunden abgeschlossen sind. Auch SWIFT hat sich stark verbessert und konnte in den letzten zwei Jahren bei 20 Prozent aller grenzüberschreitenden Zahlungen die Transaktionsdauer auf bis zu fünf Minuten oder weniger beschränken und erwartet, dass ihre Methode innerhalb weniger Jahre den Standard darstellen wird.

Sicher, bestimmte Länder (wie die USA) liegen hier deutlich zurück, aber auch sie werden aufholen. Was es zu bedenken gilt ist, dass DEFI-Entwickler darauf achten müssen, dass sie ihre Konkurrenz nicht unterschätzen. Die althergebrachten Methoden der Finanzindustrie sind wesentlich effizienter als es Buterin vorgibt.



Wie sieht es mit der Programmierbarkeit für DEFI aus?



Ethereum bietet eine Programmiersprache, mit der Entwickler ihre eigenen dezentralen Finanzwerkzeuge erstellen können. Dabei handelt es sich zweifelsohne um eine starke Eigenschaft. Geld an sich ist schon seit langem eine ziemlich dumme Angelegenheit. Was wäre also, wenn ihm Entwickler Leben einhauchen könnten, damit Geld zu neuen und nützlichen Dingen fähig wird?

Das so genannte „programmierbare Geld“ ist nicht nur bei Ethereum zu finden. Die Open-Banking-Revolution, die in Großbritannien und Europa begonnen hat und sich immer mehr in anderen Ländern ausbreitet, wird die Programmierbarkeit auch in das traditionelle Bankengeschäft tragen. Von Banken wird verlangt, dass sie den Fintech-Unternehmen direkten Zugang zu Bankdienstleistungen und Kundeninformationen gewähren. Dieser Zugriff erfolgt über Anwendungsprogrammierschnittstellen oder APIs. Entwickler werden mit der offenen Programmierbarkeit künftig umfassend in der Lage sein, ihre eigenen einzigartigen Finanzdienstleistungen direkt über die Schnittstelle der Banken zu erstellen.



Was ist mit der Einbindung von Armen und jener gänzlich ohne Bankkonto?



Für viele Menschen ist Bargeld das einzige monetäre Instrument, das ihnen zur Verfügung steht. Selbst wenn Banken eine Option sind, so sind Geldscheine und Münzen für sie einfacher und zugänglicher.

Entwickler von dezentralen Finanzanwendungen müssen versuchen, diese Einfachheit in den digitalen Bereich zu übertragen. Leider sind die meisten DEFI-Anwendungen nach wie vor entmutigend in der Anwendung. Werkzeuge wie Maker DAO und dYdX werden nicht mit Blick auf Nomaden oder Buschmänner gebaut. Vielmehr wurden sie von Personen mit relativ anspruchsvollem finanziellen Hintergrund entworfen für Personen mit anspruchsvollem finanziellen Hintergrund – es sind also all überwiegend Personen involviert, die bereits über ein Bankkonto verfügen.

Man darf aber nicht vergessen, dass noch immer viele der Armen auf der Welt weder ein Smartphones noch einen mobilen Internetzugang haben, sie also nicht einmal über einen Zugang zur grundlegenden Infrastruktur verfügen.



Kommen wir schließlich zum Aspekt der „vertrauenslosen“ Werkzeuge für Bankdienstleistungen – also Werkzeuge ohne Mittelsmann



Da es sich bei Ethereum um ein offenes System handelt, das automatisch arbeitet, ist es schwer zu verhindern, dass Menschen es benutzen. Gleichzeitig schließen normale Banken und Zahlungsnetzwerke wie Visa regelmäßig bestimmte Arten von Kunden aus. Der bisher entstandene DEFI-Markt stellt gleichzeitig vorerst einen Nischenmarkt dar. Aber wer weiß was passieren wird, sollte sich die Geopolitik verschärfen und ganze Länder vom globalen Bankensystem getrennt werden. In diesem Fall könnten offene Werkzeuge schnell zum Hauptinstrument des Zahlungsverkehrs werden.

Bis dahin könnte die dezentrale Finanzierung zur Wahl des „bewussten Finanzkonsumenten“ werden. Die Wahl von DEFI anstelle von regulären Finanzinstitutionen wäre in etwa wie die bewusste Wahl von nicht gentechnisch veränderten Produkten, oder dem Kauf von Fair-Trade-Kaffee anstatt regulärem Kaffee, oder ethische Geldanlagen unter Ausschluss der Waffenindustrie.

Zu vermuten ist jedoch, dass die sogenannte Vertrauenslosigkeit für die überwiegende Mehrheit der Menschen bei finanziellen Entscheidungen kein bedeutender Entscheidungsfaktor darstellen sein – so lange die klassischen Banken oder Fintechanbieter gute Arbeit leisten.

Was DEFI für den großen Siegeszug wirklich braucht ist etwas ganz Neues. Etwas, das die normale Finanzwelt nicht bieten kann. Etwas so vorteilhaftes, das normale Bankkunden dazu bewegen wird, dass sie ihrer Bank den Rücken kehren, um es zu nutzen. Bislang wurde diese Killeranwendung noch nicht erfunden. Momentan scheint es sich bei den meisten DEFI Produkten um Kopien dessen zu handeln, was bereits existiert. Trotzdem wünsche ich der Bewegung viel Erfolg.