8. Mai 2019

Südafrika wählt... zwischen Not und Elend und wer die kommende Apokalypse im Land politisch begleiten darf


Zigeuner haben Lunik 9, schwarze Südafrikaner haben den Ponte Tower (Bildquelle)

Nicht nur in Indien wird gewählt dieser Tage, auch in Südafrika stehen Wahlen an als dem zweiten Land dieser hochgelobten „BRICS“ Länder, denen die Zukunft gehören soll. Aber nicht nur im Falle Indiens muss bei näherem Hinsehen ein großes Fragezeichen hinter der Zukunftsfähigkeit des Landes gesetzt werden, wie dieser Artikel zeigt. Auch Südafrika plagen hausgemachte existenzielle Probleme, mit denen der große Sprung in die Zukunft als ein großer Fall ins Nichts enden könnte.


Quilette: Die eigentliche Frage bei der Wahl in Südafrika lautet, wie sich das Land vor dem Zerfall bewahren lässt



Am 8. Mai findet die sechste Wahl Südafrikas seit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts statt. Es ist nunn 25 Jahre her, seitdem das Land den moralischen Abgrund der Apartheid hinter sich brachte. Die edlen und würdigen Träume von damals aber, die in der Zeit von Nelson Mandela die Stimmung prägten wurden allesamt von der Realität zerschlagen. In der Tat ist das Land von der schrecklichen Ironie konfrontiert, dass ausgerechnet die nagativen und sich um die Mehrheitsregel drehenden Prognosen weißer Nationalisten des Landes wahr geworden zu sein scheinen.

Das Land befindet sich in einem schrecklichen Zustand: Ein aktueller Bloomberg Bericht ergab, dass Südafrika in den letzten fünf Jahren bei einer Vielzahl von Indikatoren schlechter abgeschnitten hat als jedes andere Land der Welt - mit Ausnahme jener, die sich in einem Kriegszustand befinden. 

Die Korruption grassiert auf allen Ebenen und vor allem bei der Polizei. Die seit 2007 immer wieder auftretenden Stromausfälle haben sich stetig verschärft. Und obwohl es der Regierung gelungen ist, das Licht für den Wahlkampf anzulassen, so ist die optimistischste Prognose, dass wir uns auf weitere fünf Jahre mit sporadisch aussetzender Versorgung einstellen müssen. Dies wohlgemerkt in einem Land, das 1994 noch mit Strom überversort war und das zu einem der günstigsten Tarife der Welt. 

Die aggressive Quotenpolitik für Benachteiligte hat dafür gesorgt, dass die qualifizierten und erfahrenen Weißen, die einst die Kraftwerke betrieben, verschwanden und nun woanders auf der Welt Kraftwerke am laufen halten. An ihrer Stelle getreten sind viele tausend mehr Arbeiter, die zwar höhere Löhne erhalten, die aber über kein ausreichendes technisches Wissen verfügen. Südafrikas nationaler Stromversorger Eskom hat heute eine so hohe Schuldenlast, dass das Unternehmen nicht einmal die Zinsen auf seine Schulden zahlen kann, geschweige denn seine Kapitalkosten.



Alles ist schlechter als vor Ende der Apartheit



1994, als der Afrikanische Nationalkongress (ANC) an die Macht kam lag die Arbeitslosigkeit bei 3,7 Millionen, während sie heute fast 10 Millionen beträgt, und neueste Zahlen zeigen, dass Südafrika in den Kategorien Einkommen, Konsum und Vermögen das ungleichste Land der Welt. Sicherlich haben die Architekten der Apartheid eine Gesellschaft hinterlassen, die bereits nicht nur rassistisch, sondern auch ungleich war. Doch die Situation hat sich durch den Aufstieg einer riesigen, überbezahlten Bürokratie und einer korrupten politischen Elite noch verschärft. 

Das Programm der staatlich vorgeschriebenen schwarzen „Ermächtigung“ verlangt, dass Unternehmen effektiv Eigenkapital an stille Gesellschafter verschenken, mit dem nichts anderes erreicht werden soll, als die Rassenbilanz auszugleichen. Nur wenige Unternehmen sind bereit zu solchen Bedingungen zu investieren, so dass selbst viele der ertragreichsten Minen geschlossen wurden und viele Arbeitsplätze verloren gingen. Südafrika befindet sich nun im fünften Jahr in Folge mit sinkenden Realeinkommen.

Soziale Unruhen sind weit verbreitet. Mehr als 80 große öffentliche Bauprojekte liegen brach, weil örtlichen Syndikate einen Anteil an den daraus erwirtschafteten Gewinnen fordern. Kürzlich traf ein großer Wirbelsturm die Provinz KwaZulu-Natal und tötete 70 Menschen. Die Reaktion der vor Ort arbeitenden öffentlichen Angestellten bestand darin, die Wasserversorgung zu den wohlhabenderen Vororten zu unterbrechen und dazu drohten sie auch mit Stromausfällen, weil sie die Krise als idealen Zeitpunkt sahen, um ihre Interessen durchzusetzen. Die Regierung, deren Armee und Polizei in den letzten Jahren immer mehr an Durchsetzungskraft verloren, scheint machtlos diese Art von Verhalten zu stoppen, selbst wenn sie es wollte.



Ein politisches Personal bestehend aus Extremisten, Kriminellen und Verbrechern



Das Ergebnis der anstehenden Wahl selbst steht jetzt bereits fest. Der ANC, der sich immer noch stark auf seine Geschichte als Anti-Apartheidspartei der Befreiung der Schwarzen stützt, wird wahrscheinlich fast 60% der Stimmen gewinnen. Umfragen deuten darauf hin, dass die liberal-demokratische Allianz an Boden verlieren wird, und dass die extrem linken populistischen Kämpfer für wirtschaftliche Freiheit [Economic Freedom Fighters] ihre Stimme verdoppeln werden. 

Die ANC-Regierung hat sich bereits dazu entschieden, deren Forderung einer Enteignung von Eigentum ohne Entschädigung umzusetzen, dazu will die Partei einen völlig unbezahlbaren nationalen Gesundheitsdienst aufbauen und eine Vielzahl anderer populistischer Maßnahmen umsetzen. Aber auch ohne all diese Programme liegt die Staatsverschuldung des Landes bei 60% des BIP, während zwei Ratingagenturen die Schulden des Landes als Junk [Schrott] eingestuft haben. 

Die wichtigste Lehrergewerkschaft verkauft inzwischen Lehrstellen an den Meistbietenden - und wer diese Machenschaften aufdecken will, der wird eingeschüchtert oder sogar ermordet. Krankenhäuser und Schulen sind unter das Niveau der Apartheidsära gefallen. In vielen Fällen werden Medikamente und Decken von korruptem Krankenhauspersonal verkauft. Überall im Land kollabieren kleinere Ortschaften, weil die kommunalen Cliquen der ANC sämtliche verfügbaren Mittel gestohlen haben, so dass die lokalen Behörden nicht in der Lage sind, die dysfunktionale Infrastruktur zu reparieren oder zu ersetzen, und so kann man des öfteren das Abwasser auf den Straßen fließen sehen.

Für die Demokratische Allianz (DA) als der politisch mittigen offiziellen Opposition des Landes, deren Anteil in den letzten 25 Jahren stetig zugenommen hat, mag eine solche Situation ein gutes Zeichen sein. In dieser Wahl jedoch ist ihr Spitzenkandidat der junge unerfahrene Mmusi Maimane, der es versäumte, schwarze Wähler anzuziehen und der sogar die bestehende, hauptsächlich asiatische „farbige“ und weiße Wählerschaft der Partei bei der Stange zu halten. Sollte die DA am 8. Mai Stimmen verlieren, dann könnte er seinen Job verlieren und in der Partei würde es interne Streitereien geben.

Unterdessen genießt Cyril Ramaphosa als Parteichef des ANC einen Zustimmungswert von 60% und sieht sich innerhalb seiner Partei keinem veritablen Konkurrenten gegenüber. Er selbst ist zwar ein liebenswürdiger und wohlmeinender Mann, aber er ist auch schwach und völlig unfähig, die verschiedenen ANC-Fraktionen zu kontrollieren. Nicht nur die südafrikanischen Wähler, sondern auch eine ganze Reihe von weißen Geschäftsleuten (und sogar Redakteure des Economist) setzten große Hoffnungen auf Ramaphosa, der nach dem Rücktritt von Jacob Zuma im Jahr 2018 in sein Amt kam. Die Chancen aber stehen nicht gut, dass er die in ihrn gesteckten Erwartungen erfüllen kann. 

Die ANC-Wahlliste ist vollgepackt mit verurteilten Kriminellen, die wegen grob korrupten Verhaltens für schuldig befunden wurden. Dazu gehören der stellvertretende Präsident David Mabuza, dem die New York Times ein großes Exposés widmete, sowie der ANC-Generalsekretär Ace Magashule, dem Protagonisten des Buches Gangster State: Unravelling Ace Magashule’s Web of Capture [in etwa „Kriminellenstaat: Ace Magshules Schleppnetz enttarnt“]. Bei der Veröffentlichung des Buches stürmten Magashules Anhänger die Buchhandlungen, um Kopien des Buches zu verbrennen, während Magashule selbst mit einer Klage drohte, auch wenn bislang noch keine dahingehende Anzeige bekannt wurde.



Wenn die Apokalypse zum erwartbaren Szenario wird



Theoretisch könnte Ramaphosa durch Kräfte, die seinem korrupten Vorgänger Jacob Zuma treu ergeben sind, aus der ANC-Führung gedrängt werden. Aber selbst Ramaphosas Feinde erkennen, dass seine Popularität als Person so ziemlich das letzte ist, was der ANC noch übrig hat. Im besseren Fall wird Ramaphosa nach seiner Wahlbestätigung beim IWF einen Rettungskredit beantragen. Allerdings ist der ANC ideologisch dagegen, weil jedem in der Partei klar ist, dass ein solcher Schritt Strukturreformen und einen Kampf gegen die Korruption mit sich brächte. Das wahrscheinlichere Szenario besteht also darin, dass die Regierung Pensionsfonds und sämtliche anderen Kapitalkrümel, die sie finden können, beschlagnahmen oder Finanzinstitute dazu zwingt, Staatsanleihen zu kaufen, um sich aus der derzeitigen Krise herauszuziehen - auch wenn ein solches Vorgehen einfach nur die Kapitalflucht beschleunigen und jene ausländischen Investoren abschrecken würde, die Ramaphosa unbedingt anziehen will.

Ein weiteres mögliches Szenario ist tendenziell eher apokalyptisch einzuordnen. Die Abwärtsspirale könnte sich so beschleunigen, dass eine immer verzweifelter werdende politische Elite die Schuld an der Misere auf die Weißen und Asiaten des Landes schiebt (die 9% bzw. 2,5% des Landes ausmachen) und damit eine offene Kernschmelze auslöst, wie es in der Vergangenheit in Robert Mugabes Simbabwe beobachtet werden konnte. Ich bin beileibe nicht der erste Journalist, der sich dieses Szenario durch den Kopf gehen lässt, und es sind Ängste vor genau diesem Szenario, die seit Jahren die massive Auswanderung von qualifizierten und wohlhabenden Weißen und Asiaten aus dem Land antreibt.

Ein weiteres katastrophales Szenario besteht darin, dass die Regierung immer mehr die Kontrolle über das Land verliert, was mimt einer Aufteilung Südafrikas in seine regionalen Teile enden würde. Frans Cronje, Leiter des linken Instituts für Rassenbeziehungen sieht eine Zukunft auf uns zu kommen, in der eine kleine weiß-schwarze Mittelschicht in einigen der größeren Städte weiterhin in einer wohlhabenden Blase leben wird, während das Umland von räuberischen Häuptlingen regiert und der Rest des städtischen Südafrika von mörderischen Banden heimgesucht wird. Manche meinen, wir seien jetzt schon nicht mehr weit davon entfernt.



Selbst wenn der Wille vorhanden wäre, der Punkt ohne Wiederkehr ist möglicherweise bereits überschritten



Abschließend sei darauf hingewiesen, dass Südafrika zwar durch sein Erbe der Apartheid einzigartig ist, sich aber mit dem gleichen Problem der unkontrollierten Migration herumschlagen muss, wie es andere und weitaus reichere Länder betrifft. Das System der Grenzkontrollen ist zusammengebrochen, was dazu führte, dass Millionen von Simbabwern, Malawiern, Kongolesen und anderen in ein Land geströmt sind, das schon für die Einheimischen nicht über genügend Arbeitsplätze verfügt. 

Umfragen zeigen, dass eine große Mehrheit meint, es gäbe zu viele Ausländer in Südafrika, und dazu kommt es immer wieder zu sporadischen Ausbrüchen fremdenfeindlicher Gewalt . Der Regierung sind derartige Zwischenfälle zwar peinlich, hat aber keine Mittel für eine wirksame Reaktion. Stets lauert die schreckliche Gefahr, dass zu wirklich katastrophalen Gewaltexzessen gegen Neuankömmlinge kommen könnte.

Man muss nicht extra betonen, dass es sich beim heutigen Südafrika nicht mehr um jenes Land handelt, das 1994 von Nelson Mandela und einer glücklichen Welt 1994 mit Begeisterung begrüßt wurde. Es war stets ein etwas zu hoher Anspruch an die ANC-Elite, nach Generationen institutionalisierter weißer Vorherrschaft in die Rolle des kompetenten Machthabers hineinzuwachsen. Allerdings haben sie an der Macht bei weitem katastrophalere Dinge getan, als jeder erwartet hätte. 

Nur dann, wenn Ramaphosa den Mut hat, nach der Wahl große Reformen durchzusetzen und seine korrupten Kollegen ins Gefängnis zu werfen, dann wäre eine Stabilisierung Südafrikas in der langen Perspektive noch denkbar. Jedoch wäre das viel verlangt von einem 66-jährigen Mann, der noch immer in überkommenen afro-nationalistischen Phrasen gefangen zu sein scheint. Die traurige Wahrheit ist, dass er eher den Vorsitz über den anhaltenden Niedergang meines Landes hin zu immer mehr Armut und Chaos führt, als den Vorsitz darüber, diese Entwicklung abzuwenden.