Das Multitalent aus Budapest (Bildquelle) |
Bis vor wenigen Jahren hielt ich George Soros für einen ziemlich brillanten Finanzmanager und nur für das. Der Erfolg gab ihm recht und nur wenige konnten über die Jahrzehnte mit ihm mithalten beim Geld vermehren. Seine Idee über die Funktionsweise der Märkte hat Soros dabei in einem Buch beschrieben und als „Reflexivität“ bezeichnet. Leider gerieten seine Meriten in dieser Hinsicht in den Hintergrund angesichts seiner dubiosen Aktivitäten auf dem Politmarkt. Zur Abwechslung gibt es an dieser Stelle einmal etwas, das nur von George Soros, dem Finanzmanager handelt.
Real Investment Advice: Die Reflexivität findet sich in der Ertragskurve wie überall
Der Name George
Soros ist so bekannt, wie der Name eines Hedge Fonds Manager
überhaupt bekannt sein kann. Er ist legendär für seine Milliarden,
er „sprengte“ die Bank of England und genießt den Ruf, der Kopf
einer global agierenden linken politischen Verschwörung zu sein. Für
mich jedoch besteht Soros beeindruckendste Leistung in seiner Theorie
der Reflexivität. Er beschrieb sie in seinem Buch „Die Alchemie
der Finanzen“ und heute sehe ich nur noch überall Reflexivität.
Es ist sogar so, dass wir wir uns gerade in diesem Moment, in dem ich
diese Zeilen schreibe, inmitten eines reflexiven Ereignisses
epochaler Ausmaße befinden.
Auch das Buch selbst
nicht gerade spannend zu lesen war, so begeisterte mich doch die
darin vorgestellte Reflexivitätstheorie. Heute ist sie allgemein
anerkannt, allerdings der Ansatz zum Zeitpunkt der Veröffentlichung
1987 wirklich bahnbrechend und höchst umstritten. Ich bin auch alles
andere als überrascht, dass es mit Soros eine philosophische
denkende Person brauchte, um so mutig gegen die übereifrigen
Mathematiker zu kämpfen, die immer mehr das Geschehen auf den
Märkten beherrschten. Reflexivität ist dabei alles andere als eine
saubere und ordentliche Theorie. Allerdings erscheint deren
potenzielle Erklärungskraft größer zu sein als vieles andere.
Was ist Reflexivität?
Im Kern besteht die
Reflexivitätstheorie aus der Beschreibung von
Rückkopplungsschleifen. Danach beeinflusst das Verhalten der
Marktteilnehmer von heute die Ergebnisse von morgen, wobei für dies
für Soros auch jenseits der Märkte relevant ist. Die Theorie steht
damit voll im Widerspruch zur Efficient Market Hypothesis (EMH) und
der damit verbundenen Theorie rationaler Erwartungen, die im modernen
Finanzdenken dominieren. Nach dieser Orthodoxie spiegeln die
Marktpreise alle aktuellen und bekannten Informationen wider; der
Handel als Anpassungsmechanismus ist sinnlos. Das Auftreten von Hochs
und Tiefs steht damit im Gegensatz zu EMH, wobei diese
Preisbewegungen aber eine Alltäglichkeit sind. Die Reflexivität
füllt diese Lücke und bietet meiner Meinung nach eine plausiblere
Erklärung für das Auf und Ab an den Märkten.
„Ich behaupte,
dass die Finanzmärkte immer in dem Sinne falsch sind, als dass sie
mit einer vorherrschenden Verzerrung arbeiten, wobei sich diese
Verzerrung selbst bestätigen kann, da sie nicht nur die Marktpreise,
sondern auch die so genannten Fundamentaldaten beeinflusst, die sich
Marktpreise widerspiegeln sollen.“ (George Soros, Die Alchemie der
Finanzen)
Reflexivität als
Modell für das Marktverhalten wird heute von immer mehr Akteuren
akzeptiert. Meist wird es als Komplexitätstheorie, komplexe adaptive
Systemanalyse oder ähnlichem bezeichnet, wobei sowohl die Forschung
in dieser Richtung als auch der Status des Ansatzes insgesamt
populärer wird. (Bitte beachten Sie, dass ich für den Rest dieses
Artikels "Reflexivität" verwenden werde, wenn ich auf auf
diesen Analysetypus als ganzes verweise.) Sicherlich gibt es noch
viele Vertreter, die der EMH anhängen, was vor allem auf die
institutionelle Trägheit und die mathematische Sauberkeit des
Modells zurückzuführen ist. Reflexivität dagegen erfordert eine
unordentliche Abstraktion und die Akzeptanz von Unbekannten.
Sicherlich eignet sich die EMH als Instrument zur Annäherung an das
Marktverhalten, allerdings ist sie kaum mehr als das. Die
Reflexivität im Gegensatz leistet bei weitem mehr, obwohl deren
Umsetzung in der Praxis alles andere als profan ist.
„Der Kern der
Debatte liegt darin, ob wir Investoren als rational, gut informiert
und homogen erachten sollten – wie es derzeit im Standardmodell für
Kapitalmärkte der Fall ist - oder ob sie nicht eher potenziell
irrational handeln, weil sie mit unvollständigen Informationen
arbeiten und sich die Akteure basierend auf unterschiedlichen
Entscheidungsregeln handeln. Letztere Eigenschaften sind Teil eines
relativ neu artikulierten Phänomens, das Forscher am Santa Fe
Institute und anderswo als komplexe adaptive Systeme bezeichnen.“
(Michael J. Mauboussin, Revisiting Market Efficiency: The Stock
Market as a Complex Adaptive System)
Nach Mauboussins
Forschungsergebnissen lassen sich mit Hilfe der Reflexivität eine
Reihe von wesentlichen Defiziten beheben, die
der EMH zugrunde liegen. Erstens
erklärt es besser die „dicken Enden“ der Renditeverteilungen
(sprich Hochs und Tiefs), während die EMH davon ausgeht, dass
Renditen insgesamt normalverteilt sind, was die historischen Zahlen
allerdings nicht bestätigen. Die Reflexivität zeigt auch, wie
Renditen unter bestimmten Bedingungen dauerhaft sein können, anstatt
dem „Zufallsprinzip“ der EMH zu folgen. Es zeigt ebenfalls, wie
sich die verschiedenen Anlegermeinungen im Laufe der Zeit ändern
können, und warum die meisten Portfoliomanager weniger wachsen als
der Markt, während einige wenige dagegen weit überproportional
wachsen. Auch hier weist die EMH eine große Erklärungslücke auf.
Seitdem ich mich
mehr mit der Idee der Reflexivität vertraut gemacht habe sehe ich
schlicht und ergreifend überall die Reflexivität am Werk.
Ich sehe Reflexivität bei Bitcoin
Der Wert von Bitcoin
ist untrennbar mit seiner Verwendung verbunden. Je mehr Menschen über
das Bitcoin Netzwerk handeln, desto größer müsste dessen Wert
sein. Schließlich braucht man Bitcoins, um sie zu verwenden. Das
bedeutet, Bitcoins werden nach Bedarf gekauft und verkauft. Daraus
folgt, dass hinsichtlich des Werts von Bitcoin und der Anzahl seiner
Nutzer eine Rückkopplungsschleife existiert.
Das fixierte
Angebots an Bitcoins und die erste Adaption der Blockchaintechnologie
an sich schufen eine optimale Voraussetzung für Spekulationen. Die
Reflexivität kann dabei etwas Licht in die entstandene Blase und
deren anschließendes Platzen bringen.
Ich sehe Reflexivität im Momentum.
Momentum ist ein
Marktphänomen, bei dem die leistungsstärksten Vermögenswerte
weiterhin über dem Durchschnitt des Marktes liegenn, während die
„Verlierer“ weiterhin zurückbleiben. Nach der EMH ist ein
derartiges Momentum nicht möglich. Zahlreiche wissenschaftliche
Untersuchungen jedoch bestätigen die Existenz des Phänomens – und
zwar eindeutig, dass die Dynamik dieses Phänomens bei quantitativen
Anlagestrategien quasi standardmäßig als Faktor einbezogen wird.
Praktisch bedeutet
es, dass bei Momentumstrategien Gewinner am Markt gekauft und
Verlierer verkauft werden. Dieses Verhalten erzugt eine
selbstverstärkende Schleife. Dabei trägt nicht nur die immer
größere Beliebtheit dieser Strategie dazu bei, dass sie immer mehr
Erfolg verspricht, vielmehr trägt auch das regelmäßige Säubern
des Portfolios von schlecht abschneidenden Werten dazu bei. Selbiges
gilt auch bei passiven marktpreisorientierten Anlagestrategien.
Ich sehe Reflexivität im "FED Put".
Der "FED Put"
[Put = Kaufsignal] stammt aus der Zeit, als Alan Greenspan in den
90er und 2000er Jahren die Federal Reserve (FED) leitete.
Ursprünglich als „Greenspan
Put“ bezeichnet, wurde damit eine Theorie bezeichnet, wonach
sich die Geldpolitik der FED vor allem am Stand der Aktienmärkte
orientiert und weniger an den gegebenen makroökonomischen Faktoren.
Die FED handelt oder reagiert, um die Börse zu unterstützen – und
insbesondere dann, wenn die Preise zu sinken drohen, anstatt seiner
eigentliche Aufgabe in Form der Förderung des Wachstums und der
Preisstabilität nachzugehen. Obwohl von der FED stets bestritten
haben eine Reihe von Forschungsarbeiten (wie diese
und diese)
gezeigt, dass dem tatsächlich so ist.
"Wir stellen
fest, dass die Erklärung der Handlungsentscheidungen durch die
Federal Reserve über negative Aktienrenditen besser ist, als der
Zustand fast aller 38 von Bloomberg erfassten Makrovariablen.“
(Anna Cieslak und Annette Vissing-Jorgensen, The Economics of the FED
Put)
Viele Händler am
Markt versuchen, das Vorgehen der FED zu antizipieren. Da die
Geldpolitik das (kurzfristige) Marktverhalten beeinflussen kann und
das Abschneiden der Börse die Geldpolitik beeinflussen kann, besteht
hier eindeutig eine reflexive Beziehung. Die FED achtet auf die
Signale der Börse, und die Börse schaut auf die FED; es handelt
sich quasi um eine zirkuläre Kausalkette.
Ich sehe Reflexivität auf den Kreditmärkten.
Unternehmen (und
Personen) geraten in Verzug, wenn sie ihre Rechnungen nicht bezahlen
können. Es fehlt ihnen in diesem Fall an Liquidität. In den
seltensten Fällen geschieht dies durch Zufall. Mit dem Zugang zu
Krediten kann den Tag der Abrechnung herausgeschoben werden und dem
Schuldner Zeit geben, um heil durch die schwierige Phase zu kommen.
Je größer jedoch der Liquiditätsbedarf ist, desto größer ist das
Ausfallrisiko und desto geringer ist auch die Bereitschaft der
Kreditgeber, das benötigte Geld zu verleihen. Darüber hinaus werden
die Kreditkonditionen bei finanzieller Not zunehmend unbezahlbar. Die
Kreditgeber verlangen höhere Zinsen verlangen, was die operative
Flexibilität einschränkt. Mit den hohen Zinsen können sich die
Kreditgeber zwar absichern, allerdings schränkt dies gleichzeitig
die Fähigkeit des Unternehmens ein, die Kredite zurückzuzahlen, was
wiederum zu einem Anstieg des Ausfallrisikos führt. Mit dieser
inhärenten Rückkopplungsschleife ist die Reflexivität daher eine
eindeutige Qualität von Kreditmärkten.
Ist auch die Zinskurve reflexiv?
Vor kurzem hat sich
die Zinskurve für US-Staatsanleihen umgekehrt. Die Rendite für
Anleihen mit einer 90 Tagefrist übertraf jene von Anleihen mit einer
Laufzeit von zehn Jahren. Das kommt nur selten vor und ist in der
Regel ein klares Zeichen für eine Rezession. Tatsächlich ist eine
Umkehrung der Zinskurve der wohl zuverlässigste Indikator für eine
Rezession seit den 1960er Jahren.
Wichtig ist, dass
diese Beziehung alleine noch keine Kausalität darstellt. Sicherlich
gibt es Theorien, wonach hier eine Kausalität vorliegt. Die meisten
davon arbeiten mit der FED als Einflussfaktor, wenn diese die Zinsen
zu stark anhebt. Derartige in der Vergangenheit liegenden
Entscheidungen können jedoch irrelevant sein. Was genügt ist das
Wissen für solche Ereignisse, mit dem die Möglichkeit der
Reflexivität in Form des Handelns über deren Erwartung überhaupt
erst Realität wird.
Die Aussagekraft der
Zinskurve ist allgemein bekannt. Könnte daher das bloße Auftreten
einer solchen Umkehrung eine Rezession auslösen? Werden Investoren,
die mit dem Geschehen der Vergangenheit vertraut sind, auf die
Aussicht einer Rezession reagieren und an den Märkten einen
Ausverkauf lostreten?
Ich persönlich
halte das für eine der interessantesten Fragen, mit denen wir als
Anleger konfrontiert sind. Wären Sie ein Fondsmanager, wie würde
das Wissen um die mögliche Konsequenz aus der Umkehrung der
Zinskurve Ihre Anlageentscheidungen beeinflussen? Denken Sie an das
Karriererisiko für den Manager, falls er viel Geld verliert, weil
ein potenziell sehr starkes Signal ignoriert. Dazu kann man auch kaum
jemandem einen Vorwurf machen, der sich zur Vorsicht entschied und am
Ende daneben lag.
Aber gehen wir noch
einen Schritt weiter. Betrachten Sie die oben beschriebene und
nachgewiesene Beeinflussung von Entscheidungen durch die FED vom
Geschehen am Aktienmarkt. Einerseits könnten sich die Märkte
abschwächen, andererseits würden die Zentralbanken darauf
reagieren. Was löst diese potenziell gegensätzlichen Kräfte aus?
Im ernst, wie sollte man auf die Reflexivität reagieren?
Reflexivität ist
ein faszinierendes Thema, welches als Forschungsgebiet noch immer am
Anfang steht. Ich persönlich sehe die Reflexivität einfach überall,
wo ich danach suhe. Aber auch wenn die Reflexivität viele
Marktphänomene hervorragend erklären kann, so ist ihre Umsetzung
und der Einbezug in die Anlagestrategie alles andere als einfach.
Dazu braucht es einen wirklich begabten Geist. Es braucht starke
Prinzipien und zuverlässige Instrumente zur Datenerfassung. Die
Beherrschung von Induktion und Schlussfolgerung ist Voraussetzung.
Leider gibt es keine
abschließende Antwort auf das Rätsel der Umkehrung der Zinskurve,
wie wir es kürzlich erlebten. Nur die Zeit wird zeigen, was wirklich
geschieht. Wie George Soros vor über dreißig Jahren feststellte
könnte das Ergebnis von unseren gemeinsamen Aktionen abhängen, auf
der gegenseitigen Erwartungshaltung basieren. Wenn die
Reflexivitätstheorie zutrifft, dann sind wir es, die heute die
Antwort für Morgen in der Hand halten. Daher fragt sich: Wie sollte
man auf die Reflexivität reagieren?