Das Problem? Zu viele Hirnamputierte mit Wahlrecht (Bildquelle) |
Allerorten kracht es im gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Gebälk. Es scheint, als würde bald schon kein Stein mehr auf dem anderen bleiben. Wir müssen uns fragen, wie es dazu kam, nur 30 Jahren seit dem Ende des Kommunismus und dem damals allgemein angenommen Anbruch des globalen freiheitlichen Zeitalters. Hier eine Analyse, die den Schuldigen fand: Sie sind es, der dünnhäutige, egomanische Wähler mit immer weiter steigender Anspruchshaltung.
Quilette: Der Aufstieg der Unregierbaren
2019 jährt sich zum
dreißigsten Mal Francis Fukuyamas wegweisender Aufsatz „Das Ende
der Geschichte“. Seine zentrale Hypothese darin war, dass wir „den
Endpunkt der ideologischen Entwicklung der Menschheit und die
Universalisierung der westlichen liberalen Demokratie als endgültige
Form der menschlichen Regierung“ vor uns haben. Im Jahr 1989 wirkte
das plausibel, vor allem da die Berliner Mauer nur wenige Monate nach
der Veröffentlichung des Aufsatzes fiel. Dreißig Jahre später
allerdings - nicht so sehr.
Der Gerechtigkeit
halber sollte man erwähnen, dass Fukuyama nie davon ausging, dass
die Welt das Ende geopolitischer Konflikte erleben würde, oder dass
Demokratien keine weiteren Turbulenzen mehr erleben würden. Auch
heute noch betrachtet Fukuyama die liberale Demokratie als die beste
Regierungsform, ist aber weit weniger optimistisch hinsichtllich
ihrer Robustheit. Es ist schwer, mit ihm darin nicht einverstanden zu
sein. Das Brexit Chaos, die Trump Präsidentschaft, der Niedergang
zentristischen Parteien in ganz Europa und der allgegenwärtige
Aufstieg von Populismus und Nationalismus deuten auf die wachsende
Fragilität der liberalen Demokratie hin.
Nur, warum passiert
das ausgerechnet jetzt? Die übliche Antwort ist, alles auf die
Politik zu schieben. Staatschefs wie Orban und Trump untergraben die
gemeinsamen Institutionen, die das Herzstück der liberalen
Demokratie bilden. Politische Parteien wie die Alternative für
Deutschland und der Front National fördern eine illiberale und
fremdenfeindliche Politik. Wenn wir nur bessere Politiker hätten,
dann würde die Demokratie gedeihen - so das Argument.
Schlechte Politiker
jedoch sind kaum ein Novum. Vor zweitausend Jahren erklärte Cicero:
„Politiker werden nicht geboren, sie werden ausgeschieden.“
Shakespeares Hamlet beschrieb einen Politiker als „einen, den Gott
umgehen würde“. Wenn wir immer schlechte Politiker hatten, dann
muss es andere Erklärungen für die derzeitige Abwärtsentwicklung
der liberalen Demokratie geben. Die vier am häufigsten genannten
Erklärungen sind eine größere Konkurrenz durch alternative
politische Modelle, die zunehmende Komplexität moderner
demokratischer Politik in einer postmateriellen Welt, die durch die
Globalisierung auferlegten Zwänge für demokratische Staaten und das
Entstehen einer Reihe internationaler Bedrohungen wie der Klimawandel
und Terrorismus.
Aber es gibt noch
eine andere Erklärung für die Probleme der liberalen Demokratie,
über die viel weniger gesprochen und meiner Meinung nach mächtiger
wird - die Tatsache, dass die Wähler immer schwieriger zu regieren
sind.
Viele schreiben
diese Schwierigkeit den Wählern zu, die gegen die sich immer mehr
bildenden Schlaglöcher wirtschaftlicher Stagnation oder der
kulturellen Desintegration, gegen die auf die Straße gehen. Es wird
argumentiert, dass die Wähler Opfer von Ungleichheit und
Sparsamkeit, Einwanderung und Multikulturalismus sind; dass sie nur
auf Widrigkeiten reagieren. Aber hier geht etwas grundlegenderes vor
sich. Die Art der Wähler selbst hat sich verändert.
Offensichtlich kann
sich die menschliche Natur in evolutionärer Hinsicht in einigen
Jahrzehnten nicht ändern. Einstellungen und Erwartungen dagegen
können sich sehr schnell ändern, und das ist in einer Weise
geschehen, dass sie die demokratische Politik verändert hat. Im
Vergleich zu den Wählern in den Jahrzehnten nach dem Zweiten
Weltkrieg haben die Wähler des 21. Jahrhunderts ein erhöhtes
Anspruchsgefühl, eine höhere Wertschätzung für sich selbst und
ihre Meinungen und eine weniger tolerante Sicht auf andere. Sie sind
anspruchsvoller, dünnhäutiger und stets wütend. Und das betrifft
nicht nur Millennials und Generation X. Diese Veränderung betrifft
auch die Babyboomer-Generation.
Ich sage nicht, dass
moderne Wähler giftige Egomanen sind. Mein Punkt ist nur einfach,
dass sie relativ gesehen selbstbestimmter, selbstherrlicher,
intoleranter und reizbarer sind als frühere Wähler. Und diese
relativen Veränderungen haben es schwieriger gemacht, sie in einer
liberalen Demokratie zu regieren. Was hat diese Veränderungen
verursacht? Es war eine Reihe wichtiger Entwicklungen im Laufe des
letzten halben Jahrhunderts, von der Entstehung des Liberalismus
selbst bis zur Entwicklung der Sozialen Medien. Im Einzelnen waren
die meisten dieser Entwicklungen für die moderne Gesellschaft sehr
positiv. Dennoch haben sie auch indirekt und auf unterschiedliche
Weise Veränderungen in den Einstellungen und Erwartungen und damit
im Verhalten der Wähler bewirkt.
Die erste
Entwicklung war der Aufstieg des Liberalismus mit seinem Fokus auf
das autonome Individuum und seine Rechte. Während des Kalten Krieges
beharrte der Westen auf die Überlegenheit des liberalen
Individualismus gegenüber dem kommunistischen Kollektivismus, eine
Überlegenheit, die mit dem Zusammenbruch des Sowjetreichs bestätigt
wurde. In vielen Demokratien hat die Hegemonie des Individualismus
jedoch zu einem Rückgang des Sozialkapitals und einem Verlust des
Gemeinschaftsgefühls beigetragen. Das Ego rangiert heute ganz oben.
Seit den 1960er
Jahren löste der Liberalismus eine Explosion in der ausdrücklichen
Anerkennung der Menschenrechte aus - von den traditionellen
Grundrechten wie Redefreiheit und Religionsfreiheit über
Wohlfahrtsrechte wie das Recht auf Arbeit, Gesundheit und Bildung bis
hin zu einem riesigen Flickenteppich amorpherer Konzepte wie dem
Recht auf „Teilnahme am kulturellen Leben“ und dem Recht, „die
Vorteile des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendungen
zu genießen“ (aus dem Internationalen Pakt der Vereinten Nationen
über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966).
Während diese
Revolution der Rechte große Vorteile gebracht hat, bestand ein
beunruhigendes Nebenprodukt dessen in der Förderung einer
allgemeinen Anspruchsmentalität. Dies ist zum Teil darauf
zurückzuführen, dass mit den neuen Rechten zunächst keine
entsprechenden Pflichten eingeführt wurden. Angesichts der
Unterdrückung, auf denen die Neueinführung der Rechte basierte war
dies nachvollziehbar, es blieb jedoch nicht ohne Folgen.
Der Aufstieg des
Liberalismus ging einher mit dem Aufstieg des Konsumismus. Die
Massenproduktion führte zu einem Boom bei Konsumgütern und einem
entsprechenden Boom bei der Werbung, um eine Nachfrage nach diesen
Gütern zu erzeugen. Die Bürger wurden mit der Botschaft
bombardiert, dass sie all diese Waren benötigten, dass sie all diese
Waren wollten und schließlich, dass sie all diese Waren verdienten.
Letzteres wird perfekt von einem Slogan des Kosmetikunternehmens
L'Oreal verkörpert: „Weil du es wert bist“.
Den Verbrauchern von
heute wird ständig gesagt, sie sollen kaufen, weil sie es verdient
haben, weil sie es verdienen und einen Anspruch darauf haben. Das
gute Leben ist da draußen, um von allen genossen zu werden, und die
Befriedigung sollte sofort und nicht erst später erfolgen. Es
überrascht nicht, dass der Weg des Konsumverhaltens im Laufe der
Jahrzehnte unaufhaltsam zu berechtigten, narzisstischen und
anspruchsvollen Konsumenten geführt hat.
Der Aufstieg des
Konsumismus ging Hand in Hand mit dem Vormarsch des Neoliberalismus
und des Marktes. Ab den 1980er Jahren wurde Adam Smiths „unsichtbare
Hand“ von vielen als eine Rechtfertigung für Egoismus angesehen -
jeder profitiert vom Metzger, vom Brauer und vom Bäcker, wenn er bei
Geschäften stets seine eigenen Interessen verfolgt. Selbstsüchtiges
Verhalten, das früher verpönt gewesen wäre, ist nach dieser
Sichtweise als dem höheren Wohl dienend gerechtfertigt. Für den
Homo Oeconomicus ist der ausschließliche Fokus auf das Beste jetzt
sowohl moralisch richtig als auch wirtschaftlich sinnvoll.
In einer
Marktgesellschaft ist alles eine Markttransaktion. Wenn also jemand
etwas von dir will, muss er dir dafür etwas anbieten. Wie Ayn Rand
es in Atlas Shrugged formulierte gibt es keinen Altruismus. Darüber
hinaus bedeutet die Notwendigkeit, auf dem Markt erfolgreich zu sein,
dass der Einzelne sich selbst fördern und verkaufen muss. Die
Belohnungen gehen an die Durchsetzungsfähigen und die Aggressiven,
nicht an die Zurückhaltenden und Bescheidenen.
In der gleichen
Zeit, in der der Markt und der Neoliberalismus gediehen sind, hat es
in den meisten liberalen Demokratien einen Rückgang der
traditionellen sozialen Normen und der Religion gegeben. Diese Trends
stehen in einem klaren Zusammenhang. Die Aufwertung von Merkmalen wie
Eigeninteresse und Eigenwerbung stellt eine Verschiebung von
traditionellen Werten dar. Es steht auch im Widerspruch zu den
üblichen christlichen Lehren wie der Nächstenliebe, dass Stolz eine
Sünde ist und Bescheidenheit eine Tugend darstellt.
Der Niedergang der
Religion in den meisten liberalen Demokratien hat viele der
Einschränkungen beseitigt, die bisher für das persönliche
Verhalten galten. Amerika ist die große Ausnahme. Dort hat sich die
Religion behauptet, weil sie sich als viel anpassungsfähiger
erwiesen hat als anderswo, sei es in Bezug auf die Übernahme des
Marktethos oder dem Tolerieren der Moral von Präsident Trump.
Die Erosion
traditioneller sozialer Normen wurde durch Elemente der Postmoderne
und des Relativismus beschleunigt – also der Vorstellung, dass es
keine objektive Wahrheit oder Moral geben kann. Die Ansichten und
Gefühle aller sind gleichermaßen gültig. Niemand ist „falsch“.
Narzissten zweifelten nie daran.
Eng verbunden mit
dem Niedergang von Religion und traditionellen Werten und dem
Aufstieg der Selbstdarstellung ist der Fortschritt dessen, was der
Soziologe Frank Furedi „Therapiekultur“ nennt - die Anwendung
eines Therapiemodells auf die Gesellschaft und ihre Probleme. Für
einige bedeutet dies, sich auf das Selbst zu konzentrieren und Glück
durch Selbstverwirklichung zu erlangen. Dazu gehört die Förderung
von Emotionalität und eines hohen Selbstwertgefühls. Letzteres ist
in vielen Bereichen der Gesellschaft zu einem Ziel geworden. Alle
Elternteil der letzten Jahrzehnte wissen, dass im Sport und in den
Schulen stets jedes Kind eine Trophäe erhält. Die Gefahr in einer
Therapiekultur und insbesondere bei der wahllosen Förderung des
Selbstwertgefühls besteht darin, dass damit Egoismus, Narzissmus und
die Anspruchsmentalität noch mehr aufblühen.
Die jüngste
Entwicklung, die zu Veränderungen in den Einstellungen und
Erwartungen der Wähler beigetragen hat, ist das Aufkommen des
Internets und Sozialen Medien. Dadurch haben sich der private und der
öffentliche Diskurs miteinander vermischt. Die meisten Individuen
fühlen sich wohler, wenn sie anonym bleiben können, und vielen,
selbst wenn sie identifiziert werden, fällt es einfacher, jemanden
zu beleidigen, wenn sie es nicht unter Preisgabe ihrer Idendität
machen müssen. Die Sozialen Medien erleichtern beider dieser
Kommunikationsformen erheblich und haben daher die Schleusen für
Angriffe auf die Persönlichkeit und Charaktermord geöffnet. Mit
ihrer zunehmenden Verbreitung wurden sie dazu auch immer akzeptabler.
Unvermeidlich ist dies in die Welt jenseits des Internets
übergegangen. Im letzten Jahrhundert erlebten wir den Niedergang der
Achtung. Die Bewunderung von Fachwissen birgt die Gefahr einer
ähnlichen Entwicklung, da das Internet das Wissen verallgemeinert
und gleichzeitig die Wahrheit untergräbt. Wir sind jetzt alle
Experten.
Neben der Wirkung
als Katalysator auf Wutanfälle fördern die Sozialen Medien auch
Echokammern, in denen verwandte Geister in vehementer Übereinstimmung
kommunizieren können, indem sie sich gegenseitig stärken und
gleichzeitig sicherstellen, dass gegenteilige Ansichten
ausgeschlossen bleiben. Bestätigungsverzerrungen und kognitive
Dissonanzen herrschen vor. All dies schafft Sicherheit, Intoleranz
und Unwissenheit. Diese Probleme werden durch die unvermeidliche
Untiefe so vieler Sozialer Medien noch verschärft. Wie Henry
Kissinger feststellte, „hemmt die Betonung der Geschwindigkeit in
der digitalen Welt die Reflektion; ihre Anreizstrukturen befähigt
die Radikalen über die Nachdenklichen; ihre Werte werden durch den
Konsens der Untergruppen und nicht durch Selbstbeobachtung geprägt“.
Für viele Menschen
haben die Sozialen Medien eine „Affirmationssucht“ geschaffen -
die Verzweiflung darüber, beachtet und gemocht zu werden. Zusammen
mit dem Wachstum der Emotionalität in unserer Therapiekultur hat
dies zu einer Bevorzugung von Gefühlen gegenüber Fakten und zu
einer Überempfindlichkeit gegenüber allem geführt, was die
Identität oder Weltanschauung des Einzelnen herausfordert.
Wenn man sich die
kollektiven Auswirkungen all dieser Entwicklungen ansieht, kann man
dann bezweifeln, dass sich die heutigen Wähler sehr stark von denen
vor 30 Jahren unterscheiden, als Fukuyama die Aussichten auf eine
liberale Demokratie optimistisch einschätzte? Seit Jahrzehnten
bekommen die Bürger liberaler Demokratien eingetrichtert, dass sie
würdig, geschätzt, rational und verdienstvoll sind, und dass sie
sich energisch für sich selbst einsetzen und ihre eigenen Interessen
verfolgen sollten. Gleichzeitig sind viele der traditionellen
sozialen und moralischen Einschränkungen ihres Verhaltens
weggefallen. Niemand sollte sich daher wundern, dass dies zu Wählern
geführt hat, die anspruchsvoller, wütender und dünnhäutiger sind
und eine hohe Anspruchshaltung entwickelt haben, und die darüber
hinaus auch ihre eigene Meinung mehr achten als jene anderer und
gegenüber diesen eine weit weniger tolerante Sichtweise aufweisen
als noch vor einer Generation.
Die Auswirkungen
dieser Entwicklung auf Politik und Staatsführung sind gravierend.
Mit einem wachsenden Anspruchsgefühl bewaffnete Wähler fordern
immer mehr Dienstleistungen und Vorteile von ihrem staat. Sie
reagieren negativ auf Versuche, diese Forderungen abzuweisen. Je
höher die Erwartungen der Wähler sind, desto größer ist das
Gefühl der Unzufriedenheit, wenn diese Erwartungen nicht erfüllt
werden. Mit zunehmender Erwartungslücke wird die liberale Demokratie
immer brüchiger. Die derzeitigen Rekordzahlen von Unzufriedenheit,
Rückzug und Misstrauen in vielen liberalen Demokratien sind eher auf
die steigenden Erwartungen der Wähler mit ohnehin bereits hoher
Anspruchshaltung zurückzuführen, denn auf unglückliche Politiker,
die versuchen, all diese immer weiter wachsenden Erwartungen zu
erfüllen.
Diese unmögliche
Situation wird noch verschärft durch die zunehmende Polarisierung,
die von diesen selbstbewussten Wählern ausgeht. Überzeugt von der
Weisheit ihrer eigenen Ideen, sind solche Wähler weniger
kompromissbereit und weniger nachgiebig, wenn Politiker zur
Streitbeilegung einen Mittelweg wählen.
Als Marktteilnehmer
sind moderne Wähler Verbraucher und nicht Bürger. Sie verlangen
etwas als Gegenleistung, wenn ein Politiker seine Stimme haben will.
Dementsprechend wird der Wahlkampf häufig durch nur wenig getarnte
Stimmenkäufe beeinträchtigt. Die Folgen für die Staatsfinanzen
zeigen sich in Haushaltsdefiziten in der gesamten demokratischen
Welt. Leider muss man davon ausgehen, dass die Wähler heute entweder
ungläubig oder verwirrt davon wären, würde ihnen ein Politiker
sagen, was John F. Kennedy als Losung ausgab: „Frage nicht, was
dein Land für dich tun kann, sondern frage, was du für dein Land
tun kannst.“
Während sie vom
Staat immer mehr verlangen, hinterlässt diese Selbstsucht der
modernen Wähler bei anderen meist nicht den besten Eindruck. Viele
sind anfällig für das, was Professor Michael Sandel als
„meritokratische Hybris“ bezeichnet – also die Ansicht, dass
der Erfolg einer Person allein das Ergebnis ihrer eigenen Bemühungen
darstellt. Mit Hilfe dieser Sichtweise rationalisieren sie ihre
mangelnde Bereitschaft Steuern zu zahlen oder weniger begünstigte
Mitbürger zu unterstützen.
Staatliches Handeln
benötigt eine langfristige Planung. Das steht im Widerspruch zur
Gegenwartspräferenz der Wähler, deren Mentalität auf die sofortige
Befriedigung ausgerichtet ist. Ein Staat lebt auch von der Anwendung
geeigneter Fachkenntnisse bei der Politikgestaltung. Der
selbstbestimmte, internetgebildete Wähler stellt eine
Herausforderung für diesen Ansatz dar. Versuchen Sie beispielsweise
einmal jemandem, der sich im Internet über den Klimawandel
informiert hat zu sagen, dass er mehr für seine Stromrechnung
bezahlen sollte.
Erfolgreiche
demokratische Politik erfordert informierte Bürger und die
Fähigkeit, in einem bestimmten Rahmen aufeinander zuzugehen, so dass
eine sinnvolle Debatte stattfinden kann. Das Verhältnis der heutigen
Wähler zu den Fakten ist eine zunehmend problematische Sache. Mit
der Überbetonung von Gefühlen wird es nur noch komplizierter, einen
Sachverhalt angemessen zu analysieren.
Vor dreißig Jahren
blieben Politiker am Puls der Gesellschaft über Veranstaltungen mit
Wählern und durch das Verfolgung der „alten Medien“. Heute
dagegen stolpern sie durch eine sich permanent wandelnde Internetwelt
herum, um jenes zu destillieren, was die Wähler wirklich wollen. In
einem virtuellen Feuerwerk von Forderungen, Warnungen und Empörung
steht aber oftmals das eigene politische Überleben im Vordergrund
und nicht die Kommunikation.
Die Gestaltung
freiheitlich-demokratischer Politik war noch nie so schwierig. Wenn
Sie sich also das nächste Mal darüber ärgern, wie Politiker uns in
die Irre führen und den demokratischen Prozess zerstören, dann
denken Sie auch an die selbstgerechten, egoistischen, anspruchsvollen
und leicht reizbaren Wähler, mit denen sich diese abgeben müssen.