Das "Pakistan Monument"; links und rechts davon herrschen Not und Elend (Bildquelle) |
Hier der kurze Abriss der Geschichte eines Landes, das nach seiner Unabhängigkeit die besten aller Voraussetzungen mitbrachte: Geografie, Geopolitik und Durchschnittseinkommen sprachen alle für Pakistan, einem Land, das einst deutlich besser dastand als alle seine Nachbarn. Doch dann kamen die Hybris, der radikale Islam und die Staatsdoktrin des Dschihad und der Tiger auf dem Sprung verwandelte sich sukzessive in einen kaputten Fetzen, mit dem heute niemand mehr etwas zu tun haben möchte.
The Print: Pakistans 50 Jahre dauernde Blutfehde gegen Indien, die in die Selbstzerstörung führte und wie Imran Kahn die Entwicklung beenden kann
Pakistans Premier
Imran Khan kann genau so weitermachen in Pakistan wie es dort in der
Vergangenheit getan wurde, oder aber er kann ein neues Kapitel aufschlagen
und etwas neues versuchen.
Will man heute über
Pakistan sprechen, dann muss man zunächst zwei Fragen klären.
Erstens, ob man sich auf die Geschichte, die Geographie oder die
Politik des Landes konzentrieren will. Und zweitens, egal für
welchen Wendepunkt in der noch jungen Geschichte Pakistan man sich
entscheidet, wo soll man beginnen? Ich könnte zum Beispiel mit 2019
beginnen, also heute und auf die Heimkehr des über Pakistan abgeschossenen
Piloteneingehen. Ich hätte als Startpunkt aber
auch genauso gut 2009, 1999, 1989 oder 1979 wählen können.
Im folgenden möchte
ich ganz weit zurück ins Jahr 1969, aber keine Sorge, es wird nicht
allzu lange dauern.
Es war nämlich im
Jahr 1969, als muslimische Länder in ihrer Verzweiflung über den
spektakulären Sieg Israels im Sechstagekrieg von 1967 die
„Organisation der Islamischen Konferenz“ (heute „Organisation
der Islamischen Zusammenarbeit“; OIC) gründeten. Als Land mit großer
muslimischer Minderheit wollte die damals
regierende Indira Gandhi Indien nicht außen vor halten und beauftragte
Minister Fakhruddin Ali Ahmed (später Präsident von Indien) damit, eine
indische Delegation dorthin zu schicken.
Ihre Entscheidung
damals wurde von einem empörten Pakistan vereitelt. Es suchte
Unterstützer in der islamischen Umma und bekam diese. Die islamische
Welt übernahm dabei die Logik, dass kein Land Mitglied der OIC
werden kann, das nicht mehrheitlich muslimisch ist, auch wenn Indien
damals die größte muslimischen Bevölkerung der Welt beheimatete.
Zu dem Zeitpunkt, das sollte man dabei nicht vergessen, waren
Pakistan und Bangladesch noch nicht geteilt und so hatte Großpakistan
ein entsprechend schweres Gewicht. Indien jedenfalls wurde die
Mitgliedschaft verwehrt und international gedemütigt.
Springen wir nun
wieder genau 50 Jahre nach vorne zum heutigen Tag. Man beachte die
indische Außenministerin Sushma Swaraj, die als Ehrengast am
aktuellen OIC-Gipfel teilnimmt. Sie hielt dort eine fein ausgearbeitete Rede,
in der sie Indien als die Heimat der drittgrößten muslimischen Bevölkerung
der Welt bezeichnete. Sie sagte, Indiens Muslime seien ein
wesentlicher Bestandteil der Vielfalt unseres Landes, während weniger
als 100 von ihnen ISIS beigetreten seien.
Natürlich ließen
sich hier einige stichhaltige Argumente einwerfen, sei es
die Marginalisierung und „Desintegration“ wichtiger islamischer Strömungen unter
indischen Muslimen, oder die allgemeine Verteufelung der muslimischen Kaschmiri
Indiens. Dabei darf man aber nicht die Bedeutung übersehen, die es
hat, wenn derartige Worte an die Muslime der Welt gerichtet werden von einer Frau,
die Mitglied einer konservativen hinduistisch-nationalistischen
Regierung ist. Mehr noch, man spürt förmlich das schmollende
Pakistan dabei, das sich aus Protest gegen die Einladung Indiens von
diesem OIC-Gipfel fern hielt.
Vor fünfzig Jahren
hatte Pakistan die Macht, gegen die Präsenz Indiens in der ersten
islamischen Organisation ein Veto einzulegen. Heute kann das Land nur
noch seinen hohlen Ärger nach außen kehren und die Demütigung mit einem
Boykott ausdrücken. Die Frage ist, wie schaffte es Pakistan - das
sich immerhin als "Zitadelle des Islam" (Islam ka Qila)
bezeichnet, das über Atombomben und fortschrittliche Raketen verfügt und
in dem fast 200 Millionen Muslime leben - dass es in so einer prekären
Lage endete? Das sollte einem einiges an Kopfzerbrechen bereiten.
Gehen wir noch
einmal zurück, dieses Mal um 40 Jahre ins Jahr 1979. Pakistan hatte
noch den verlorenen Krieg von 1971 im Gedächtnis und löste sich in
seine beiden Teile auf. Es war immer noch im Begriff des
Wiederaufbaus, was ganz gut lief, als die Sowjetunion in
Afghanistan einmarschierte. Dies rief Amerika und seine Verbündeten
auf den Plan - darunter Saudi-Arabien - und die heutige Af-Pak-Region
wurde zum heißesten Schlachtfeld des Kalten Krieges. Pakistan wurde
in der Zeit zu Amerikas willigem, fähigen und unverzichtbaren
Verbündeten. Was begann war der Prozess einer einfachen
Wiederbewaffnung des pakistanischen Militärs, was den neuen Diktator
Zia-ul Haq stärkte, der sich im Laufe der Zeit aber als der wahre
Feldherr des Dschihad zu sehen begann.
Die neue Macht war
ihm zu Kopf gestiegen. Sein Kalkül bestand darin, dass wenn sie doch
so erfolgreich Krieg gegen eine Supermacht führen können, warum
soll das eigentlich nicht auch gegen Indien funktionieren? Daraus
entwickelte sich in Pakistan eine Art nationale Hybris. Die
militanten Aktionen im indischen Punjab begannen 1981 und auf den
dortigen Einsatz von AK-47s folgten schnell auch RPG-7 Granatwerfer. Das waren
auch die beiden Standardwaffen des afghanischen Dschihad.
Meine erste Reise
nach Pakistan fand im Sommer 1985 statt, als die militante Phase im
indischen Punjab ihren Höhepunkt erreichte, und ich wollte dort den
Prozess gegen den Sikh Kapitän eines Flugzeugs der Indian Airlines
verfolgen. Ich war beeindruckt von den Unterschieden in Bezug auf den
Wohlstand der Bürger, die Lebensqualität, die Infrastruktur und
sogar die Qualität der Telekommunikationsdienste, die in der Zeit
vor dem Internet wie Sauerstoff für Journalisten waren. Kurz gesagt,
im Jahr 1985 führte der durchschnittliche Pakistani ein viel besseres Leben
als der Durchschnittsinder. Die Zahlen zeigen, warum das so war. Das
Pro-Kopf-Einkommen Pakistans lag damals rund 60 Prozent höher als
jenes von Indien.
Und noch einmal ein
Sprung nach vorne ins Jahr 2019. Heute verdient der durchschnittliche
Inder etwa 25 Prozent mehr als der Pakistani. Wie, stellt sich die
Frage, konnten die Pakistanis trotz ihres neu gefundenen
geostrategischen Wertes für die Gewinner des Kalten Krieges nicht
nur einen Vorsprung von 60 Prozent verlieren, sondern gleich so weit
zurückfallen? Dieser Abstand nimmt jedes Jahr um fast fünf
Prozentpunkte zu. Die indische Wirtschaft wächst um rund drei
Prozentpunkte schneller als die pakistanische, während ihre
Bevölkerung doppelt so schnell wächst wie die indische. Das
Nettoergebnis dieser Diskrepanz führt zu einer immer größeren
Differenz im BIP pro Kopf zwischen den beiden Ländern.
Wie konnte das nur
so kommen? Zulfikar Ali Bhutto drohte in seiner Zeit mit einem 1.000
Jahre dauernden Krieg gegen Indien. Seit 1969 hat Pakistan seine
Vorrangstellung gegenüber Indien so sehr verloren, dass inzwischen sogar die
Weltumma Indien bevorzugt. Im Lauf der letzten 40 Jahre,
seitdem das Land die Doktrin des Dschihad in sein Staatsverständnis
aufgenommen hat, wurde gleichzeitig Pakistans gesamte Wirtschaft
ruiniert. Aber das ist nicht der ganze Preis, den Pakistan für diese
permanente Blutfehde mit Indien zahlen musste. Es gibt mehr.
Im Jahr 1989
verhandelten die besiegten Sowjets über ihren Rückzug aus
Afghanistan. Die mit siegreichen Pakistaner richteten daraufhin
instinktiv ihre Aufmerksamkeit nach Osten. Genau zu diesem Zeitpunkt
begannen dann die anhaltenden Probleme im indisch kontrollierten Jammu und Kaschmir. Die
selbst ernannten Ghazis in Khaki sollten nun jenen Dschihad gewinnen,
der Pakistan wirklich wichtig war. Die nächsten drei Jahre waren die
blutigsten von allen. In Kaschmir und Punjab zählten sie die Leichen zu
Tausenden.
Aber Pakistan
kämpfte zu der Zeit auch mit einigen internen Veränderungen.
Demokratische Kräfte schlugen oft zurück, und Zias militärische
Erben stritten sich mit den zivilen Politikern. Nawaz Sharif,
ursprünglich ein Favorit der Armee, bevorzugte den Frieden. Er wagte
es, genau ein Jahrzehnt nach dem Beginn des Aufstands in Kaschmir, im
Januar 1999, Frieden mit Vajpayee zu schließen. Seiner Armee gefiel
das nicht und so infiltrierte sie Kargil noch im selben Winter.
Pakistan hat diesen
Krieg und dazu zwei weitere wichtige Positionen verloren: Erstens, die global
anerkannte Ansicht, wonach Kaschmir ein umstrittenes Gebiet sei
endete hier. Auf dem internationalen Parkett herrschte von da an eine neue Einigkeit darüber,
dass die Kontrolllinie zwischen Indien und Pakistan die faktische
Grenze zwischen Indien und Pakistan darstellte, die es zu respektieren galt. Zweitens verlor Pakistan
noch im selben Jahr wieder seine hart erarbeitete Demokratie, als
Pervez Musharraf Nawaz die Regierung stürzte. In nur 10 Jahren
verlor Pakistan also sein moralisches Anrecht auf Kaschmir und kehrte
darüber hinaus zu einer Militärregierung zurück. Das alles nur
wegen der selbstzerstörerischen Besessenheit, die mit der Ideologie
des Dschihad einhergeht.
Seitdem sind wir
einen langen Weg gegangen. Mit dem Wahnsinn des 26.11.2008, als sich
der Terrorangriff in Mumbai ereignete, erhielt Pakistan den
schrecklichen wie wohlverdienten Status der Heimstätte des globalen
Dschihad. Damals, wie auch bei den Auseinandersetzungen mit Pakistan
zuvor, hatte Indien die Welt auf seiner Seite, indem es
verantwortungsbewusst handelte und keine Vergeltungsmaßnahmen
ergriff. Heute hat Indien die Welt fest auf seiner Seite - und zwar einschließlich Saudi-Arabiens und
der VAE, wie auch dem Recht auf eine angemessene Vergeltung gegen pakistanische Aggressionen.
Zeit für eine
Bilanz:
- Im Verlauf der letzten 50 Jahre verlor Pakistan seine Vormachtstellung in der islamischen Welt. Die Araber empfehlen dem Land immer öfters sich zurückzuhalten, während der westliche Nachbar, die islamische Theokratie des Iran, gegenüber Pakistan offen feindselig gestimmt ist.
- In den letzten 40 Jahren hat das Pro-Kopf-Einkommen im relativen Vergleich zu Indien fast 90 Prozent seines Wertes verloren und ein Ende ist nicht in Sicht.
- In den letzten 30 Jahren hat Pakistan seine Kampagnen im indischen Punjab und Kaschmir verloren, während sich gleichzeitig in seinen Städten und Institutionen dschihadistische Gruppen und Strukturen verankern konnten.
- Und in den letzten zwei Jahrzehnten ist die Waffenstillstandslinie zur De-facto-Grenze in Kaschmir geworden, niemand hat Verständnis für Terror als politisches Instrument, tatsächlich gibt es nicht einmal eine symbolische Missbilligung dafür, dass Indien gerade das pakistanische Festland bombardiert hat, während Indien und der Rest der Welt Pakistans Atomwaffenbluff keinen Glauben mehr schenken.
Pakistans Premier
Imran Khan kann genau so weitermachen in Pakistan wie es dort in der
Vergangenheit getan wurde, oder er kann ein neues Kapitel aufschlagen
und etwas neues versuchen. Sollte Khan den Versuch einer Erneuerung
wagen, dann mag dies riskant sein, aber es gibt durchaus auch eine
Chance auf Erfolg. Wenn er es dagegen nicht versucht, dann sind zwei
Dinge garantiert: Erstens, der persönliche Misserfolg für ihn, und
zweitens das weitere kontinuierliche Abrutschen seines Landes und das
trotz eines talentierten Volkes, trotz des starken Nationalismus,
trotz der geographischen Vorteilhaftigkeit und trotz einer gewaltigen
Armee. Das ist es, was für Pakistan und seine Regierung unter Imran
Kahn auf dem Spiel steht.