4. Februar 2019

Ein Mitglied einer aus Indien stammenden "antinatalen" Bewegung mit dem Ziel der menschlichen Selbstausrottung will seine Eltern verklagen, weil sie ihn zur Welt brachten

Bald ist wieder Platz im Abteil (Bildquelle)

Der kulturelle Wechsel der Definitionsräume für „Normal“ und „Abnormal“ brachte uns bereits einige Leckereien des Irrsinns. Damit auch blos niemandem langweilig wird bei diesem Übergang der Werte folgt das postmoderne Drehbuch einem stetem Crescendo, so dass etwa Männer mit Bart in Frauenkleidung und Stöckelschuhen längst nicht mehr auffallen. Nachdem der lauteste Ton gerade erst vor ein paar Tagen ausgestoßen wurde mit der Legalisierungsforderung der postnatalen Abtreibung, folgt nun bereits der nächste Takt im Geschrei der Aufmerksamkeit: Es geht um die Geburt an sich als amoralischem und daher verzichtenswerten Vorgang. 


Daily Mail: Mitglied einer „Antigeburtsbewegung“ hält das Großziehen von Kindern für moralisch falsch und will seine Eltern verklagen, weil sie ihn ohne seine Zustimmung auf die Welt brachten


Ein Mann will seine indischen Eltern verklagen, weil sie ihn "ohne seine Zustimmung" zur Welt gebracht haben.

Raphael Samuel sagte, er pflege zwar eine „gute Beziehung“ zu seinen Eltern, hält die Geburt von Kindern an sich aber auch für „Entführung und Sklaverei“.

Der 27-Jährige Mann aus Mumbai bezeichnet sich als „Antinatalist“, der es für falsch hält, wenn Eltern zum eigenen Vergnügen Kinder in die Welt setzen, um sie in das „Hamsterrad des Lebens“ zu zwingen.

Die antinatalistische Bewegung gewinnt in Indien zunehmend an Bedeutung, da jüngere Menschen dem sozialen Druck widerstehen, eigene Kinder zu bekommen.

Im Gespräch mit The Print (siehe weiter unten) sagte Samuel: „Ich liebe meine Eltern und wir haben eine großartige Beziehung, aber sie hatten mich nur zur eigenen Freude und für ihr Vergnügen.

Mein Leben verlief durchaus positiv, aber ich verstehe nicht, warum ich mein Leben im Hamsterrad bestehend aus Bildung und dem Nachgehen einer Karriere führen sollte, vor allem da ich nicht darum gebeten habe, überhaupt zu existieren.“

Samuel betreibt ein Seite bei Facebook namens Nihilanand mit Hunderten von Mitgliedern, wo er regelmäßig anti-natalistisches Material veröffentlicht.

Ein Bild ist mit der Überschrift "Eltern sind Heuchler" versehen sowie dem Text: „Ein guter Elternteil stellt das Kind über seine Wünsche und Bedürfnisse.... aber das Kind selbst ist ein Fehler der Eltern“.

Ein ähnliches Mem, das auf der Seite veröffentlicht wurde lautet: „Wenn Eltern wirklich wissen, was gut für ihre Kinder ist.... warum hatten sie diese dann?“

Ein anderes fragt: "Zwingt man ein Kind nicht in diese Welt und zwingt es dann zu einer beruflichen Entführung und Sklaverei?“

In einem weiteren Bild schreibt er: „Der einzige Grund, warum deine Kinder Probleme haben ist, dass du sie hattest“.

Einige antinatalistische Aktivisten in Indien argumentieren darüber hinaus, dass Kinder zu haben eine Belastung für die Ressourcen der Erde darstellen und vermeiden daher die Fortpflanzung aus Umweltgründen.

Eine andere Aktivistin, Pratima Naik, sagte: „Wir wollen niemandem unsere Überzeugungen aufzwingen, aber mehr Menschen müssen zum Schluss kommen, dass es nicht richtig ist, ein Kind in die Welt zu setzen.“

Auf ihrer Seite mit dem Titel Childfree India hieß es letzten Monat: „Sollten wir wirklich weiterhin mehr Kinder in diese Welt bringen und den Prozess der ökologischen und sozialen Degradation beschleunigen?

Glaubst du, dass Existenz gleichbedeutend mit Schmerz ist, und dass wer kein Kind in diese Welt setzt einen garantierten Weg geht, der unnötiges Leiden für das Kind vermeiden wird?

Wir sind eine Gruppe von Menschen, die sich entschieden haben, sich nicht fortzupflanzen. Wir sind kinderlose Inder!“


The Print: Diese Inder wollen, dass man keine Kinder bekommt, weil das Leben scheiße ist


Eine immer größer werdende Gruppe von "Kinderlos" Befürwortern glaubt, dass Kinder nicht auf die Welt gebracht werden sollten, weil man ihnen damit Leid des Leben erspart, und weil es der beste Weg sei, die menschliche Last der Erde zu verringern.

Der in Mumbai lebende Raphael Samuel, 27, plant seine Eltern vor Gericht zu bringen, weil sie ihn ohne seine Zustimmung geboren haben.

„Ich möchte allen indischen Kindern sagen, dass sie ihren Eltern nichts schuldig sind“, sagte er ThePrint. „Ich liebe meine Eltern und wir haben eine großartige Beziehung, aber sie hatten mich nur zur eigenen Freude und für ihr Vergnügen. Mein Leben verlief durchaus positiv, aber ich verstehe nicht, warum ich mein Leben im Hamsterrad bestehend aus Bildung und dem Nachgehen einer Karriere führen sollte, vor allem da ich nicht darum gebeten habe, überhaupt zu existieren.“

Der Begriff, mit dem Samuels Einstellung bezeichnet wird lautet „Antinatalismus“.

So dramatisch wie es klingt, haben Anti-Natalisten wie Samuel jedoch keine negative Einstellung zu Kindern oder dem Leben an sich, sie glauben nur einfach, dass alles Leben, das seine Zustimmung zum Leben nicht gegeben hat nicht in die Welt gebracht werden sollte. Mit anderen Worten, wenn ein Kind seiner Geburt nicht zugestimmt hat - und damit den Schwierigkeiten des Lebens ausgesetzt zu sein – dann haben die Eltern nicht das Recht, das Kind zu gebären.

„Andere Inder müssen wissen, dass es ein gangbarer Weg ist keine Kinder zu bekommen, und sie sollten ihre Eltern um eine Erklärung zu bitten, warum sie ihre Geburt überhaupt vorgenommen haben", so Samuel.

Eine Freiwilligenbewegung der menschlichen Selbstausrottung

Samuel ist Teil einer Bewegung, die ich mitunter als „Freiwilligenbewegung zur Ausrottung der Menschheit“ (VHEM) oder „Efilisten“ bezeichnen, die glauben, dass Kinder grundsätzlich nicht auf die Welt gehören.

Obwohl die Zahl der Mitglieder gering ist, hat die Bewegung (die bis zur Entscheidung über einen offiziellen Namen den Spitznamen "Stop Making Babies" tragen wird) große Träume: Den Aufbau einer nationalen Organisation, die daran arbeiten soll, das Bewusstsein für ein kinderfreies Leben zu stärken.

An der Spitze der Bewegung steht Pratima Naik, eine Ingenieurin aus Bengaluru. Wie Samuel ist Naik jung (28) und fest entschlossen, keine Kinder zu bekommen.

„Wir sind eine völlig freiwillige und gewaltfreie Bewegung“, sagte Naik. „Wir wollen niemandem unsere Überzeugungen aufzwingen, aber mehr Menschen müssen zum Schluss kommen, dass es nicht richtig ist, ein Kind in die Welt zu setzen.“

Naik sagte, es gäbe viele Gründe, sich der Bewegung anzuschließen – die Argumente reichen dabei vom Entzug vom gesellschaftlichen Druck zur Fortpflanzung bis hin zur Entlastung der Ressourcen der Erde. Außerdem gibt es viele Kinder, die eine Adoption benötigen.

Kinderlos Befürworter haben in den Sozialen Medien ihre eigenen Seiten eingerichtet, von denen einige an Bedeutung gewonnen haben. Samuels Antinatalistenseite wird von fast 400 Personen verfolgt. Naiks Seite wiederum nennt sich "Childfree India" und hat fast 100 Mitglieder. Einige andere wie „Childfree by Choice INDIA“ und „Childfree by Choice“ haben ebenfalls eine nennenswerte Fangemeinde.

Ttsächlich entscheiden seit Jahren immer mehr junge, städtische Inder gegen eigene Kinder und das trotz des damit verbundenen Stigmas. Indiens aufkommende Kinderlosbewegung versucht nun, die Last dieser Entscheidung für Einzelpersonen und Paare zu verringern, indem sie Solidarität und Unterstützung leistet und sich gleichzeitig für das Ende der Fortpflanzung einsetzt, um die Erde zu „retten“.

Die Bewegung wird am 10. Februar in Bengaluru ihr erstes nationales Treffen abhalten, wo sie entscheiden wird, wie die Bewegung konkret aussehen soll.

Eine Last für die Erde

„Jedem ist sich bewusst darüber, wie sehr wir alle unser Leben durchleiden“, so Alok Kumar, 34, einem weiteren Antinatalisten, der einen YouTube Kanal zum Thema betreibt und dort das Bewusstsein für ein kinderfreies Leben und andere Tabuthemen verbreitet. Er hat eine Anhängerschaft von über 1.500 Menschen, von denen die meisten seine Inhalte zu schätzen wissen.

„Ich dachte darüber nach, ob unsere Welt überhaupt ein guter Ort für das Großziehen von Kindern ist und kam zum Schluss, dass es besser wäre, keine Kinder zu bekommen."

Kumars Entscheidung war mit hohen sozialen Kosten verbunden. Als er sich dem „heiratsfähigen“ Alter näherte waren seine Eltern empört, als sie erfuhren, dass er am liebsten eine Frau heiraten würde, die ebenfalls keine Kinder will. Trotzdem begannen sie damit, ihm eine Partnerin zu suchen.

„Viele der Frauen, die ich traf, stimmten beim Thema Kinderlosigkeit mit mir überein“, sagte Kumar. „Trotzdem aber schwiegen sie. Entweder hatten sie zu viel Angst, die Wahrheit zu sagen, oder sie wollten ihren eigenen Eltern gefallen.“

Als sich die Suche als ergebnislos erwies, probierte er eine Dating App und traf schließlich seine heutige Frau Shweta (39), einer Rollstuhlfahrerin, die ebenso eine Verfechterin der Kinderlosigkeit ist. Kumars Entscheidung zur Kinderlosigkeit verbunden mit seiner Entscheidung, eine Person mit Behinderung zu heiraten war für seine Eltern dann Grund genug, ihn zu verleugnen.

Ein kinderfreies Leben ist für die meisten Menschen eine harte Medizin, zumal traditionell die Fortpflanzung als der nächste natürliche Schritt in einer Ehe gilt.

„Sobald sie verheiratet ist wird von einer Frau erwartet, dass sie ihre Fruchtbarkeit unter Beweis stellt und so lange Kinder bekommt, bis ein Junge geboren wird“, so Alok Vajpeyi, Leiter des Wissensmanagements bei der Population Foundation of India.

„Das Problem ist, dass Familien weiterhin Kinder bekommen ohne die negativen Folgen einer planlosen Geburt zu berücksichtigen.“

Für VHEM Aktivisten ist die schlimmste Folge von Kindern die Umweltzerstörung. Einer der Maxime wurde daher, dass man Kinderlos bleiben sollte, damit sich die Biosphäre der Erde wiederherstellen kann, und so leben die meisten VHEM-Aktivisten nach dem Motto: „Mögen wir lange leben und dann aussterben.“

Klar ist, die Auswirkungen der Überbevölkerung auf die Umwelt sind nicht zu leugnen, was einer der Hauptgründe dafür ist, dass die globale Erwärmung in den letzten Jahren so schnell zugenommen hat. Die indische Bevölkerung explodiert mit 1,3 Milliarden Menschen, wobei jede Person einen durchschnittlichen CO2-Fußabdruck von etwa 1,8-2 Tonnen pro Jahr aufweist.

„Das Problem liegt in der Verteilung des CO2-Fußabdrucks in Indien“, sagte Dr. Chandra Bhushan, Direktorin des Centre for Science and Environment.

„Für die unteren 50 Prozent der Bevölkerung beträgt ihr CO2-Fußabdruck weniger als eine halbe Tonne. Unterdessen liegt der CO2-Fußabdruck für die obersten 10 Prozent bei etwa 6 Tonnen“.

Die in Indien entstehende Bewegung der Kinderlosen besteht zumeist aus hochgebildeten, bürgerlichen Menschen, die nicht zu den unteren 50 Prozent gehören. Aus diesem Grund glauben auch Menschen wie Akash Varia (41), dass es der beste Weg ist, die Auswirkungen auf die Umwelt zu reduzieren, indem man kein Kind hat.

„Aufgrund der Überbevölkerung haben wir mehr Konsumenten von natürlichen Ressourcen und wir zerstören die Natur für unsere Eigeninteressen. Wissenschaft, Technologie und Geld tragen nicht dazu bei, diese Ressourcen am Leben zu erhalten. Ich möchte meinen CO2-Fußabdruck reduzieren und mein Bestes tun, um die allgemeine Lebensqualität zu verbessern", sagte Varia.

Eine Studie aus dem Jahr 2009 ergab, dass das "CO2-Vermächtnis" von nur einem Kind 20-mal mehr Treibhausgase produzieren kann als eine Person durch das Fahren eines Autos mit hoher Laufleistung, das Recycling, die Verwendung energieeffizienter Geräte und Glühbirnen usw. einsparen würde. Eine neuere Studie ergab, dass zumindest in den entwickelten Ländern die Geburt eines Kindes der wirksamste Weg ist, den eigenen CO2-Fußabdruck zu reduzieren, was zu einer Reduzierung von etwa 58 Tonnen CO2 pro Lebensjahr eines Elternteils führt.

Haben wir überhaupt eine Wahl?

Während sowohl Vajpeyi als auch Bhushan skeptisch sind, dass eine solche Bewegung notwendig ist sind sich beide einig, dass das Recht auf Bildung und Wahlfreiheit für die Bevölkerungskontrolle von zentraler Bedeutung sind, was die bereits heute in Indien als auch im Rest der Welt zurückgehenden Fruchtbarkeitsraten zeigen.

Die Gruppe „Stop Making Babies“, die durch das ganze Land gereist ist, will dass diese Wahlfreiheit, wonach jeder überall offen „Nein zu Kindern“ sagen kann in dem Land, das noch immer von einer stark pronatalistischen Kultur geprägt wird. Mitglieder der Bewegung wurden oft kritisiert, weil sie „egoistisch“, „eitel“ und geradezu „verrückt“ seien wegen ihrer Entscheidung und dem Eintreten dafür.

Priya Kurian (28), Professorin für Psychologie aus Bengaluru, die eines Tages gerne Kinder bekommen würde, sagt: „Es ist sinnlos, sich auf die Entscheidung eines ungeborenen Kindes zu verlassen, ob sie Teil dieser Welt sein wollen oder nicht“.

„Nach dieser Logik, wenn wir die Kinder einfach ihren Entscheidungen überlassen, könnten sie etwas Lebensbedrohlichem zustimmen, und würden wir es dann zulassen, dann hätte es starke Auswirkungen auf die Kindersterblichkeitsrate“, sagte Kurian.

Antinatalisten wie Kumar jedoch sind davon überzeugt, dass sich weder die Frage nach Gefahren und Schäden und auch nicht die Aussicht auf Suizid stellt, wenn das Kind erst gar nicht existiert.

„Ich bereue nicht und fühle mich nicht unwohl, weil ich geboren wurde“, sagte er. „Aber ich kann nicht dasselbe für mein Kind annehmen.“

Sprich aus, was du sowieso in dir fühlst

Naik gibt zu, dass viele Fragen beantwortet werden müssen, bevor sich 'Stop Making Babies' zu einer formalen Plattform entwickeln kann: Wie wird die Organisation zum Thema Selbstmord, Hilfeleistung oder anderweitigem stehen? Was ist mit Abtreibung? Oder der Todesstrafe?

Da Fortpflanzung und Geburt die Grundlagen unseres Lebens bilden, sind die Möglichkeiten der Bewegung vielfältig, auch wenn sie momentan nur von geringer Bedeutung ist.

In gewisser Weise ist das, was die Bewegung antreibt wirklich radikal. Fortpflanzung, Geburt und Mutterschaft sind seit Jahrtausenden weltweite Normen. In Indien prägt die Mutterschaft fast alles, angefangen von grundlegenden familiären Strukturen bis hin zur staatlichen Rhetorik. Da die Bewegung nun jedoch das Ende der Fortpflanzung fordert, stellt sie all diese Normen in Frage. Allerdings sind jedoch noch Lichtjahre bis zu einer größeren Reichweite der Botschaft, was insbesondere die ländliche Bevölkerung betrifft.

„Die Menschen haben sich verändert“, sagte Naik. Obwohl der Gedanke immer noch unbequem ist, sind immer mehr Menschen empfänglich für die Idee des kinderfreien Lebens. „Wir bitten sie nur, einen Schritt weiter zu gehen und keine Angst zu haben, das zu sagen, wie sie stark in sich spüren.“

Damit können wir auch hinter dieses Problem ein Häkchen setzen. Übrig bleiben wird am Ende zwar eine riesige Unterschicht. Aber diese wird zu inkompetent sein, um sich jene Strukturen für die Versorgung mit moderner Medizin zu erhalten, die sie zum überleben braucht.