Danke, Herr Hitler! |
Immer mal wieder
mischen sich Reichsbürger unter die wenigen Leserkommentatoren
meiner Artikel. Das ist mir im Grunde genommen völlig egal, so lange
sie nicht aufdringlich werden und der Kommentar inhaltlich halbwegs
zum Artikel passt. Nachdem mir gestern aber einer sein Häufchen
unter die
Vorschlagsliste für Heinz Hermann Tiehle gesetzt hat, habe ich
ihm eine Antwort gegeben und ich möchte den Gedanken darin im
folgenden noch einmal im Detail ausführen.
Die BRD ist kein Staat, sondern eine Föderation souveräner Staaten
Im Getöse des
allgemeinen Polit- und Medienbetriebs geht es gerne unter, aber
tatsächlich sind es die Bundesländer, die für das aktuelle
deutsche Verfassungssystem die entscheidende Gebietseinheit
darstellen und nicht die Bundesrepublik mit ihrem Grundgesetz.
Die Länder nämlich
wurden nach dem Krieg zumindest in den drei Westzonen noch vor der
BRD gegründet und ausgestattet mit jeweils einem Staatsgebiet, einem
Volk und einer Verfassung. Glaubt man Georg Jelinnek und seiner
Drei-Elemente-Lehre,
dann sind dies auch die drei entscheidenden Kriterien für die
Konstituierung eines Staatswesens.
Erst nachdem die
(meisten der) Länder ihre Verfassung hatten und über die
Landesparlamente Regierungen gebildet waren, haben sich diese –
selbstverständlich unter wohlwollender Begleitung der damaligen
Besatzungsmächte – daran gemacht, die souveränen Einzelstaaten
der deutschen Länder zu einem Staatenbund zusammenzufügen.
Wer also bemängelt,
dass die Bundesrepublik nicht souverän ist, weil nicht alle der drei
Elemente vorhanden sind, oder weil es den 2+4 Vertrag gibt oder
sonstige geheime und nicht so geheime Absprachen, der macht
schlichtweg den Fehler, dass er den Charakter der BRD
fehlinterpretiert. Diese wurde nicht als souveränes Gebilde erschaffen, sondern als abhängiges politisches Metasystem, das die einzelnen deutschen Länder zusammenhält, von denen sie dann auch abhängig ist.
Die BRD ist eben
nicht der Nachfolger des Zweiten Deutschen Reiches, vielmehr sind es
die einzelnen Bundesländer, die an dessen Stelle gesetzt wurden. Das
zeigt sich beispielsweise daran, dass die ersten DM Münzen die
Aufschrift „Bank
deutscher Länder“ trugen, weil die Bundesbank der „BRD GmbH“
erst später gegründet wurde und es zunächst nur die einzelnen Landesbanken gab, die
gemeinsam eine Bank für die gemeinsame Geldpolitik betrieben.
Genau genommen sind
wir auch keine deutschen Staatsbürger, sondern wir sind Hamburger,
Hessen, Brandenburger, Saarländer oder gehören einem anderen
deutschen Staatsvolk an. Nebenbei erklärt dies auch den
„Personalausweis“. Der macht uns nicht zum Personal, sondern er
gibt uns ganz einfach nur die Möglichkeit, ohne größere
bürokratische Hürden die Staatsbürgerschaft zu wechseln, wenn wir
beispielsweise von Freiburg nach Schwerin umziehen. Es handelt sich
dabei im Kern also um eine reine verwaltungstechnische Einrichtung
und nicht um einen Anstellungsbescheid bei irgendeiner GmbH nach dem
Recht des Deutschen Reiches.
Die staatliche
Struktur der BRD selbst ist dabei eng angelegt an jene des Heiligen
Römischen Reiches, beziehungsweise jenem der Vereinigten Staaten von
Amerika. Tatsächlich war das Erste Deutsche Reich sogar das
explizite Vorbild für die USA, als es an deren Formierung ging als
föderalen Staatenbund. Zwischen der BRD und den USA gibt es dann
auch nur wenige sichtbare Unterschiede, die da wären:
- Der US-Präsident wird direkt gewählt, während der deutsche Kanzler über das Parlament gewählt wird (das ist eine Schutzvorkehrung vor einem zweiten Hitler)
- Die Mitglieder des US-Senats werden direkt gewählt, während im Bundesrat Vertreter der Landesregierungen sitzen (bis 1913 galt in den USA die selbe Regel wie in der heutigen BRD, was aber mit dem 17. Verfassungszusatz abgeändert wurde)
- Die deutschen Länder haben als souveräne Staaten das Recht, aus dem föderalen Bund der deutschen Länder auszutreten (siehe Bayernpartei), während dies in den USA trotz entsprechendem Artikel seit dem Ende des Bürgerkrieges 1865 nicht mehr möglich ist (zumindest vertrat diese Ansicht der ehemalige Verfassungsrichter Antonin Scalia)
- Die deutschen Landtage und der Bundestag werden über das System der relativen Mehrheit gewählt, während in den USA alles direkt gewählt wird (das ist mehr ein nerviges tagespolitisches Detail als eine bedeutungsschwangere Alternative)
Wer sich also
näher über die Auffälligkeiten am System BRD informieren möchte,
der sollte einen Blick in die USA werfen oder in die ältere deutsche
Geschichte. Dadurch erklärt sich einiges und auch im alten Reich wie in den USA heute sind die
Bürger nicht Bürger der USA, sondern Bürger von Virginia, Utah
oder einem der anderen 48 souveränen Bundesstaaten.
Über das völkerrechtlich bindendste Instrument: Die Volksabstimmung
Die entscheidende
Instanz bei der Frage über die Legitimität des BRD Systems sind
letztlich die Bundesländer als Gründungsmitglieder des föderalen
Bundes auf deutschem Boden. Es gilt nun herauszufinden, ob diese auf
ihrem Gebiet legitime Nachfolger des Deutschen Reiches darstellen,
oder ob hier ebenfalls eine potenzielle Legitimationslücke besteht
wie dem Anschein nach bei der BRD.
Das völkerrechtlich
wohl wichtigste Instrument zur Selbstbestimmung eines Volkes ist die
Volksabstimmung. Sobald die drei oben genannten Elemente Volk,
Staatsgebiet und Verfassung zusammen sind, dann muss das Volk noch
darüber entscheiden, ob es mit der gebotenen Kombination
einverstanden ist oder nicht. Es braucht also ein Referendum über
die Verfassung, mit der definiert wird, was genau das Staatsvolk ist,
wo sich das Staatsgebiet befindet und wie es regiert werden soll.
Stimmt das Volk zu,
dann liegt ein völkerrechtlich äußerst potentes Argument vor.
Sollte in den einzelnen Ländern also die Landesverfassungen über
Volksabstimmungen bestätigt worden sein, dann spricht das für die
Hypothese, wonach es die deutschen Länder waren, die das Staats- und
Rechtskonstrukt des Deutschen Reiches ersetzt haben. Falls dagegen
keine Volksabstimmungen durchgeführt wurden, dann wäre es ein
Argument dafür, dass uns die Alliierten des Zweiten Weltkrieges noch
immer ein schlechtes Schauspiel vorführen.
Konkret lautet
die Frage nun: Wurden die einzelnen Länderverfassungen über
Volksabstimmungen bestätigt oder nicht?
Alle Deutschen Reichsgebiete geordnet nach der Frage, ob auf deren Gebiet nach 1945 eine Volksabstimmung über die neue Verfassung abgehalten wurde
Zunächst jene Gebiete, die das Deutsche Reich in eindeutiger Manier hinter sich ließen, indem sich die dort lebenden Menschen per Volksabstimmung eine neue Verfassung gaben:
- Gebiete der Trizone mit Volksabstimmung: Bremen (12. Oktober 1947), Nordrhein-Westfalen (11. Juli 1950), Rheinland-Pfalz (18. Mai 1947), Bayern (1. Dezember 1946), Hessen (1. Dezember 1946), Baden (18. Mai 1947)
- Gebiete der SBZ mit Volksabstimmung: Berlin (22. Oktober 1995), Brandenburg (14. Juni 1992), Mecklenburg-Vorpommern (12. Juni 1994), Thüringen (16. Oktober 1994)
- Annektierte Gebiete mit Volksabstimmung: Elsass-Lothringen (Frankreich; 4. Oktober 1958), Ostpreußen (Russland; 12. Dezember 1993), Memelland (Litauen; 25. Oktober 1992), Ostelbien (Polen; 25. Mai 1997)
Völkerrechtlich
betrachtet gibt es in den genannten Gebieten hieb- und stichfeste Argumente, die gegen die weitere Existenz des Deutschen Reiches sprechen. Die Menschen bekamen eine neue Verfassung vorgelegt und sie haben sie in allen Fällen angenommen und in den meisten davon auch mit einer sehr deutlichen Mehrheit (die Ausnahme bildet Rheinland-Pfalz, wo es mit 53% sehr knapp zuging).
Leider kamen aber
nicht alle Deutschen überall in den Genuss einer eindeutigen
souveränen Selbstbestimmung für ihre künftiges, nachhitlerisches,
staatliches Dasein. Hier jene Regionen, in denen das Rechtssystem des
Deutschen Reiches völkerrechtlich nicht ganz eindeutig oder gar nicht überwunden
wurde:
- Je nachdem wie man die Genese der DDR Verfassung völkerrechtlich beurteilt gilt in Sachsen und in Sachsen-Anhalt noch immer die Verfassung des Deutschen Reiches, da in beiden lediglich ein verfassungsgebender Landtag einberufen wurde der über die Annahme der neuen Verfassung entschied, jedoch wurde keine Volksabstimmung dazu abgehalten.
- Weder in der Tschechoslowakei, noch in der Tschechischen Republik wurden Volksabstimmungen abgehalten über die jeweilige Verfassung. Allerdings durften Tschechen und Slowaken bei der Landestrennung per Volksabstimmung über die künftige Zugehörigkeit zu einem der beiden Nachfolgestaaten entscheiden, darunter auch die Bewohner des Hultschiner Ländchens. Da das Deutsche Reich aber nicht zur Auswahl stand, könnte die Gegend noch immer zu diesem gehören.
- Dänemark und Belgien sind Königreiche, eine völkerrechtliche Volkssouveränität gibt es dort nicht. In beiden Ländern bestimmt das königliche Oberhaupt über die Verfassung, weshalb die annektierten deutschen Reichsgebiete Nordschleswig (Dänemark) und Eupen-Malmedy (Belgien) nie an einer verfassungsbestätigenden Volksabstimmung teilnehmen durften, sondern nehmen mussten, was ihnen das jeweilige Königshaus vorgesetzt hat. Je nachdem könnten also beide besetzten Gebiete im strengst möglichen Sinne noch immer zum Deutschen Reich gehören und dessen Verfassung unterliegen.
- Das Saarland hielt keine Volksabstimmung über ihre Verfassung ab, aber über ihre Landeszugehörigkeit. Im zunächst unabhängigen Saarland wurde ein verfassungsgebender Landtag einberufen, der die Landesverfassung annahm, das Volk hatte also nur indirekt ein Mitspracherecht. Später dann aber gab es eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit, bzw. die Zugehörigkeit zu Frankreich oder Deutschland. Je nachdem wie man das bewertet ist also auch das Saarland noch Teil des Reichsgebiets.
- Dank der SPD – wem sonst – gehört auch der Stadtstaat Hamburg noch immer zum Deutschen Reich. Eigentlich hat die Stadt eine lange Verfassungstradition und es wäre wohl ein leichtes gewesen, eine neue Verfassung vom Volk absegnen zu lassen. Allerdings brachen die Spezialdemokraten in der neuen politischen Arena mit Maximalforderungen einen Streit vom Zaun, was die Briten schließlich dazu bewog, ihr Hausrecht durchsetzten. Am Ende verabschiedete die Bürgerschaft die neue Verfassung der Stadt per einfacher Abstimmung.
- Baden-Württemberg ist ein Sonderfall, da der badische Landesteil nach dem Krieg eine Volksabstimmung durchführte und diese angenommen wurde, das Deutsche Reich dort also nicht mehr existiert, während ich keine dahingehenden Informationen über die anderen beiden Teile Württemberg-Baden (US-Besatzungszone) und Württemberg-Hohenzollern (französisch) finden konnte. Mein Gefühl sagt mir aber, dass es dort keine Volksabstimmungen gab. Die beiden Gebietseinheiten wurden sehr wahrscheinlich nur aus Interessengründen der Besatzer gegründet (Haigerloch, Sigmaringen, Stuttgart) und weniger wegen der historischen Homogenität und Kontinuität. Das beinahe Scheitern der verfassungsbestätigenden Volksabstimmung in der Neugründung Rheinland-Pfalz zeigte, dass in zusammengewürfelten Gebieten das Risiko des Scheiterns einer neuen Verfassung deutlich höher ist als anderswo, weshalb ich vermute, dass deswegen auch in WB und WH von einer Volksabstimmung abgesehen wurde. Der Zusammenschluss der drei Länder zu Baden-Württemberg schließlich ging zwar mit einer Volksabstimmung hinsichtlich ihrer Zusammenlegung einher, aber ohne eine Volksabstimmung über die neue Verfassung, lediglich ein verfassungsgebender Landtag wurde einberufen. Daher gehört ein Teil des Ländle möglicherweise nach wie vor zum Deutschen Reich.
- Ein vorläufiger Landtag war es, der die Verfassung von Schleswig-Holstein in Kraft setzte. Der Fall ist also relativ eindeutig, das Volk hatte nichts zu bestimmen, sondern bekam sein neues Verfassungsrecht von oben aufoktroyiert, ohne dass es zu einem völkerrechtlich zwingenden Wechsel weg von der Verfassung des Deutschen Reiches kam.
- Bei Niedersachsen als letztem Fall bin ich mir nicht sicher, da es dort seit dem Zweiten Weltkrieg gleich zwei Verfassungen gab. Zunächst gab es die selbst deklariert provisorische ab 1951, die bis zur Wiedervereinigung gelten sollte. Danach dann, ab 1993 als die Wiedervereinigung durch war, wurde der provisorische Charakter der Landesverfassung abgeändert und sie zu einer dauerhaften Einrichtung erklärt. Leider konnte ich nichts dazu finden, ob in mindestens einem der beiden Fälle eine Volksabstimmung durchgeführt wurde. Ich vermute aber eher nicht, da die Abänderung von provisorisch zu dauerhaft eine eher kleinere, technische Sache ist und auch Niedersachsen eine Neugründung durch die Besatzungsmacht Großbritannien darstellte, in der vier ehemalige Gebietseinheiten zusammengefasst wurden. Das Risiko eines Scheiterns der verfassungsbestätigenden Volksabstimmung wäre in den 1950ern viel zu hoch gewesen, wie der Versuch Oldenburgs belegt, ein eigenes Bundesland zu werden.
Hier noch einmal alle Gebiete, in denen das Deutsche Reich völkerrechtlich eindeutig nicht mehr existiert:
- Bremen
- Baden
- Bayern
- Brandenburg
- Hessen
- Mecklenburg-Vorpommern
- Memelland
- Ostelbien
- Ostpreußen
- Rheinland-Pfalz
- Thüringen
Hier noch einmal alle Gebiete, in denen das Deutsche Reich völkerrechtlich nicht eindeutig überwunden wurde und es noch immer existieren könnte:
- Eupen-Malmedy
- Hultschiner Ländchen
- Nordschleswig
- Saarland
- Sachsen
- Sachsen-Anhalt
- Württemberg-Baden
- Württemberg-Hohenzollern
Hier noch einmal alle Gebiete, in denen das Deutsche Reich und sein Recht völkerrechtlich ganz offenbar noch immer existiert:
- Hamburg
- Niedersachsen
- Schleswig-Holstein
Unterm Strich denke
ich wird deutlich, dass in der Nachkriegszeit vor allem pragmatisch
vorgegangen wurde beim völkerrechtlich korrekten Ersetzen des
Deutschen Reiches und es der Situation entsprechend größtenteils
angemessen zuging. Dort, wo eine Annahme der neuen
Verfassung wahrscheinlich wahr, da gab es eine Volksabstimmung, und
dort, wo es weniger wahrscheinlich war, da setzte man eben sein
Besatzungshausrecht durch.
Wer also will, der
kann tatsächlich behaupten, dass jene Gebiete noch immer dem Recht
des Deutschen Reiches unterliegen, in denen nach 1945 keine verfassungsbestätigende Volksabstimmung abgehalten wurde. In all jenen
Gebieten aber mit einer solchen Volksabstimmung wurde die Verfassung und das
Recht des Deutschen Reiches im Sinne des Völkerrechts eindeutig abgeschafft, indem sie mit der maximalen Volkssouveränität ersetzt wurden durch etwas neues.
Ich denke, damit
dürfte das Thema erledigt sein und Xavier Naidoo kann sich nun
wieder auf das Musikmachen konzentrieren. Bitte, gern
geschehen.
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