14. Mai 2020

Der ewige Benjamin Netanjahu und wie es dazu kommen konnte

Kein Abschiedsgruß (Bildquelle)

Ob man Israel mag oder nicht, es ist definitiv ein unterhaltsamer Ort, innenpolitisch betrachtet. Die Politik dort ist unsteter als in Italiens, sie strotzt mit mehr Kraftmeiereien als die Türkei und lädt bereitwillig mehr Einwanderer unterschiedlichster Prägung ein (und macht sie Stande Pede zu Staatsbürgern) als Merkel in ihren besten Zeiten. Dennoch funktioniert der, tschuldigung, Sauhaufen auf hohem Niveu, spielt technologisch ganz oben mit und wehrt sich wie eh und je erfolgreich gegen permanente Bedrohungen von allen Seiten. Ob das trotz oder wegen Benjamin Netanjahu der Fall ist, bleibt dahingestellt, so wie es aber aussieht, wird er trotz Wahlproblemen der israelischen Politik und damit auch uns als Beobachtern des Schauspiels so schnell nicht verloren gehen.


The Spectator: Wie Benjamin Netanjahu alle seine politischen Rivalen überleben konnte



Nach einem Jahr der Ungewissheit mit drei Wahlen konnte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu endlich einen Koalitionsvertrag unterzeichnen, der ihn noch mindestens anderthalb Jahre an der Macht halten soll. Sollte alles gut gehen mit dem Korruptionsprozess gegen ihn, der wegen der Coronapandemie verschoben wurde und am 24. Mai beginnen soll, wird er seine Gegner wieder einmal alle überlistet haben und mehr als ein Jahrzehnt im Amt bleiben. 

Die große Frage ist, wie der israelische Ministerpräsident dieses Kunststück fertig brachte, obwohl seine eigene Partei nie mehr als 35 Sitze in der 120 Mitglieder zählenden Knesset des Landes hielt und er mit politischen Parteien aus dem gesamten Spektrum über Kreuz zu liegen scheint?

Netanjahu konnte bislang sämtliche seiner Rivalen so lange überdauern, weil er es immer wieder schaffte, sie gegeneinander auszuspielen. In den meisten Ländern wäre es wahrscheinlich an der Zeit für den Abtritt, wenn er wie es Netanjahu passierte zwei Wahlen in Folge nicht gewinnen kann, weil es nicht gelingt, eine Regierung zu bilden. Genau das passierte in Ländern wie Italien oder Großbritannien in den letzten Jahren, wenn das politische Führungspersonal gestolpert ist. Nicht so in Israel. 

Die Politik des Landes ist so sehr von religiös-sektiererischen Fraktionen balkanisiert, dass Netanjahu die eine Lücke finden konnte, in der er sich als unverzichtbar für einen großen Teil der Bevölkerung darstellen konnte. In gewisser Weise hat er mit seiner Art das politische System der parlamentarischen Demokratie in Israel gesprengt und konnte es so über ein Jahrzehnt lang in einer Gänze dominieren, dass es schwer vorstellbar ist, dass ihn einmal jemand ersetzen könnte.

Man denke nur einmal an die letzten Wahlen. Netanjahu warnte monatelang davor, dass die zentristische Blau-Weiß-Partei unter Führung seines ehemaligen Stabschefs Benny Gantz eine linke Regierung bilden würde, sollte Netanjahu nicht die erneute Führung des Landes übernehmen dürfen. Doch als Netanyahu im April in den Koalitionsverhandlungen saß, da stimmte er einer Partnerschaft mit Gantz zu, weshalb die rechte Yamina Partei in die Opposition musste. Das war ein klassischer Netanyahu: Erst kämpfte er für rechte Stimmen und ließ sich von diesen am Wahltag über die Ziellinie tragen, nur um sich dann wieder in Richtung Mitte zu bewegen.

Netanjahus andere Taktik zum Machterhalt ist seine Schwächung seiner zentristischen Gegner. Israels Sozialdemokratie hat in den letzten Jahrzehnten einen herben Bedeutungsverlust erfahren und fiel von bis zu 44 Sitzen vor einem Vierteljahrhundert auf nur noch eine Handvoll Sitze in der aktuellen Wahlperiode. Als Reaktion auf den Zusammenbruch der Linken hat sich eine Reihe von zentristischen Parteien herausgebildet, darunter Kadima (die 2009 mit 28 Sitzen den ersten Platz belegte), Yesh Atid (die 2013 19 Sitze gewann) und Blau-Weiß (die 2019 33 Sitze gewann). 

Netanjahu verstand, dass die wirkliche Herausforderung für den Erhalt seiner Machtposition darin bestand, die Auflösung der alten Rechts-Links-Ideologie und den Entwicklung der Gesellschaft an der Küste in Richtung Hightech, Säkularität und Zentrismus berücksichtigen. Er schächte die für diesen neuen gesellschaftlichen Status Quo stehenden Zentristen ganz einfach, indem er sie kooptierte. Er band ihre Parteien als Juniorpartner in Regierungskoalitionen mit ein und nahm ihnen so den Wind aus den Segeln. Es überrascht nicht, dass Gantz, dessen blau-weiße Partei zweimal vom israelischen Präsidenten den Auftrag zur Regierungsbildung bekam, schließlich vor Netanjahu kapitulierte und ein Abkommen unterzeichnete, das Netanjahu die Spitzenposition brachte.

Das finale politische Meisterstück Netanjahus besteht wiederum darin, dass er die religiösen jüdisch-orthodoxen Parteien dazu brachte, nur noch auf ihn zu bauen. Aus Furcht vor Zentristen, denen die orthodoxe Macht über die religiösen Fragen des Staates verringern wollten, haben die beiden orthodoxen Parteien in Israel während der letzten Koalitionsvereinbarungen Netanjahu die Treue geschworen. Die Opposition in Israel wurde dadurch endgültig in hoffnungsloser Weise gespalten. 

Sie besteht nunmehr aus einer kleinen rechten Oppositionspartei, den Überbleibseln einer zentristischen Partei, einer winzigen Partei der extremen Linken und mehreren Parteien für Wähler der arabischen Minderheit. Dabei hassen sich die Oppositionsparteien gegenseitig mehr als sie Netanjahu hassen. So ähnelt die israelische Politik ein wenig jener der Türkei, wo die Opposition ebenso unüberbrückbar in sich gespalten ist.

Netanjahu befindet sich jetzt auf dem Höhepunkt seiner Macht. Und mit einer freundlichen US-Regierung, einer mächtigen Armee und Wirtschaft, einer besiegten palästinensischen Nationalbewegung und einer Innenpolitik, die sich eher wie ein Zirkus als wie eine Opposition verhält, sieht es nicht so aus, als würde er bald schon abtreten müssen.


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