31. Mai 2020

Britischer Pathologe: Manipulative Regeländerungen verwischen Unterschied zwischen Menschen, die am Coronavirus starben und jenen, die aufgrund der politischen Reaktion darauf starben

Seltsame Zufälle (Bildschirmfoto)

Vor einigen Wochen erhob der Hamburger Pathologe Dr. Klaus Püschel die Anklage gegen das Vorgehen der Behörden in der Coronakrise. Im genauen bemängelte er die Inexistenz von Pathologien, die in einem gegenintuitiven Akt bei Coronapatienten sogar untersagt wurden, da dies als zu gefährlich eingestuft wurde hinsichtlich einer Übertragung. Dr. Püschel hielt sich nicht an die Anweisung und führte an insgesamt acht offiziell am Coronavirus verstorbenen Patienten eine pathologische Untersuchung durch. Die Ergebnisse daraus war so eindeutig, dass es zu einer erheblichen Kurskorrektur hätte führen müssen, was nicht geschehen ist. Nun äußert sich auch Dr. John Lee, ein britischer Kollege von Dr. Püschel aus dem selben Fachgebiet, auf Basis seiner Expertise in vernichtender Weise über den von Politik und Behörden eingeschlagenen Weg in der Coronakrise.


The Spectator: Die Zählweise von „Coronatodesfällen“ ist ein nationaler Skandal


Als Pathologe bin ich es gewohnt, dass jeder denkt, ich beschäftige mich bei meiner Arbeit hauptsächlich mit Toten. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Daher bin ich wie viele meiner Kollegen so bestürzt über die im Rahmen der Coronaepidemie eingeführten Regeländerungen. Sie haben nämlich zur Folge, dass die Pathologie nicht jene Rolle spielen kann, die sie zum Verständnis dieser neuen Krankheit eigentlich spielen sollte.

Den Begriff „Pathologie“ verbinden viele mit Bildern von Leichensäcken, Leichenhallen und Mordermittlungen. „Hehe“, kommentieren manche meinen Berufszweig: „Wenigstens können sich Ihre Patienten sich nicht über die Behandlung beschweren“. Sie stellen sich dazu vor, wie ich den Tag lang über Felder zum Tatort stapfe, um dann in den nachfolgenden Nächten obskure Beweise an der Leiche feststelle, mit denen dann der Täter zur Strecke gebracht werden kann. Es gibt durchaus einen Typ von Pathologe, der genau das macht – es ist der forensische Pathologe – aber er ist recht selten.

Die meisten Pathologen verbringen tatsächlich den Großteil ihrer Karriere mit der Betreuung von Lebenden. Schließlich ist Pathologie das Studium von Krankheiten, und der ganze Sinn hinter dem Wissen über Krankheiten besteht darin, dass wir mit unseren Ansätze zu deren Prävention und Behandlung beitragen können.

Über die vier Pathologiegebiete


Es gibt vier Haupttypen von Pathologen. Mikrobiologen sind auf die Untersuchung von Infektionskrankheiten spezialisiert, ein Untertyp davon ist der Virologe, der im Moment besonders gefragt ist. Chemische Pathologen wiederum sind Experten für die flüssigen Teile des Blutes; sie analysieren die endlose Reihe an Proben, die Tag und Nacht in die Pathologielabors strömen. Dort suchen sie dann nach Veränderungen von Chemikalien und Hormonen, die auf die Existenz bestimmter Krankheiten hinweisen. Ein weiteres Gebiet besteht in der Hämatologie, bei denen es sich um Experten für Krankheiten der roten und weißen Blutkörperchen handelt, die besonders bedeutend sind bei Krankheiten wie Anämie oder Leukämie.

Und dann gibt es noch mein persönliches Spezialgebiet, die Histopathologie oder Zellularpathologie. Wir sind Experten in der Analyse von Veränderungen in der Struktur unseres Körpers, die durch Krankheiten hervorgerufen werden. Viele Krankheiten beeinträchtigen unser Gewebe auf eine Weise, die unter dem Mikroskop sichtbar wird, so dass sie insbesondere bei Tumoren und Entzündungen mit einer genauen Untersuchung diagnostiziert und überwacht werden können. 

Jedes Mal, wenn eine Biopsie oder eine chirurgische Probe entnommen wird, dann kommt sie zur Untersuchung in das histopathologische Labor. Die Histopathologie wird dabei oft als der „Goldstandard“ für die Diagnose von Krankheiten angesehen, da sämtliche Leiden eine nachweisbare Spur im Gewebe hinterlassen. Denn eine klinische Untersuchung oder ein Röntgenbild zwar kann darauf hindeuten, dass z.B. ein Tumor oder eine Fibrose der Lunge vorliegt, aber Sie müssen dennoch eine Gewebeprobe auch mikroskopisch untersuchen, um sicher zu sein, dass sie auch wirklich vorhanden ist, welcher Art sie ist und wie weit fortgeschritten die Krankheit ist. Gewebe kann auch genetisch untersucht werden, um das Vorhandensein von Infektionserregern oder zellulären Rezeptoren festzustellen, woraus auf deren Gefährlichkeit geschlossen werden kann.

Der Sinn und Zweck von Autopsien


Einige unter den Histopathologen machen auch Autopsien - daher vermutlich die Verwechslung mit der forensischen Pathologie. Aber in diesem Fall wird in der Regel nicht nach Beweisen für einen Mord gesucht. Vielmehr werden Histopathologen genau dann aktiv, wenn ein Gerichtsmediziner die Todesursache einer gestorbenen Person ermitteln will. Verwandte und mitunter sogar Ärzte sind oft überrascht darübre, dass Autopsien zur Feststellung der wirklichen Todesursache in der Welt der modernen Medizin noch immer notwendig ist. 

Denn all die Untersuchungen, Tests und bildgebenden Verfahren, die im Laufe des Lebens bei einem Menschen durchgeführt werden, sollten doch ausreichen, dass die behandelnden Ärzte wissen, was dem Patienten fehlte, als er starb, möchte man meinen. Dem ist leider nicht so und es stellt sich häufig heraus, dass Autopsien oft das Unerwartete offenbaren. Tests und Bilder können irreführend sein, so dass die behandelnden Ärzte aufgrund des ersten Eindrucks oder wegen der unvollständigen Beweislage manchmal keine feste Vorstellung davon haben, was genau beim Patienten vorliegt.

Der Begriff Autopsie bedeutet dabei buchstäblich, selbst nachzusehen. Die Person, die dieses Nachsehen vornimmt, sollte also einen klaren und unverzerrten Blick haben - gemeint ist ein unabhängiger Facharzt ohne ein emotionales oder professionelles Interesse am Schicksal des Patienten. 

Regelmäßig große Diskrepanzen zwischen Diagnose und Autopsieergebnis

Autopsiestudien sind wichtig, da sie typischerweise in einem Viertel bis zu einem Drittel der Fälle große Diskrepanzen zwischen den tatsächlichen Befunden und der vorher vom behandelnden Arzt erstellten Diagnose zeigen. In etwa bei einem Sechstel der Fälle würde das Wissen um diese verborgenen Pathologien bei den Lebenden einen so großen Unterschied in der Behandlung bewirken, dass dessen Leben hätte gerettet werden können.

Im Vereinigten Königreich wurde in den letzten Jahrzehnten bei etwa einem von sechs Todesfällen eine Autopsie durchgeführt – es ist das letzte Geschenk eines Verstorbenen an die Lebenden. Die Ergebnisse daraus tragen dazu bei, die medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten und zu verbessern, die Qualität öffentlicher Gesundheitsstatistiken zu überprüfen und aufrechtzuerhalten, diagnostisches Abdriften zu verhindern und die Medizin grundsätzlich ehrlich zu halten. Autopsien ermöglichen auch die Entnahme von Gewebeproben aus mehr Organen als bei einem Lebenden möglich wäre, was molekulare und genetische Studien erleichtert.

In keinem Gebiet der medizinischen Forschung sind Autopsiestudien wichtiger als bei der Erforschung neuer Krankheiten und neuer Behandlungsmethoden. Das beste Beispiel dafür war in den letzten Jahrzehnten das erworbene Immunschwächesyndrom, kurz AIDS. Als AIDS Anfang der 1980er Jahre zum ersten Mal auftrat, da wusste niemand um die Krankheit, wie sie die Patienten betraf, wie man diese behandeln sollte, oder welche Auswirkungen mögliche Behandlungen hatten.

Das Wissen über all diese Aspekte wurde im Wesentlichen durch die Untersuchung von Gewebeproben bei Lebenden und durch Autopsieuntersuchungen inklusive der Entnahme von Proben bei Gestorbenen gewonnen. Damals herrschte große Unsicherheit und Besorgnis darüber, wie sich die Krankheit ausbreitete, und wie sie sich möglicherweise auf das Gesundheitspersonal und nachfolgend auf die allgemeine Bevölkerung ausbreiten würde. Die Ergebnisse der pathologischen Untersuchungen waren für das weitere Verständnis der Krankheit und die Entwicklung von Behandlungsmethoden von immenser Hilfe.

Eine Extrawurst für die Coronadiagnose


Betrachtet man die gegenwärtige Krise, so waren die Reaktionen darauf in aller Welt bisher sehr unterschiedlich. Wir haben immer noch Mühe, das Coronavirus zu verstehen. Ich kann mir keine Zeit in meiner medizinischen Laufbahn vorstellen, in der es wichtiger gewesen wäre, eine genaue Diagnose für eine Krankheit zu haben und genau zu verstehen, warum Patienten daran sterben. Doch sehr früh in der Epidemie wurden die Regeln für die Todesbescheinigung geändert – und das in einer Weise, mit der die Statistiken unzuverlässig wurden. Faktisch wurden Leitlinien herausgegeben, mit denen die Zahl der Autopsien eher verringert als erhöht werden.

Normalerweise werden zwei Ärzte benötigt, um einen Todesfall zu bescheinigen, von denen einer den Patienten behandelt hat oder der ihn kennt und ihn vor kurzem noch lebend gesehen hat. Das wurde geändert. Als einzige Krankheit kann die Bescheinigung bei Covid-19 nun von einem einzigen Arzt vorgenommen werden, während es gleichzeitig nicht einmal erforderlich ist, dass dieser den Patienten untersucht oder auch nur in Person gesehen hat. Alles was es noch braucht, ist eine Videokonferenz mit dem Patienten aus den letzten vier Wochen vor dessen Tod, um Covid-19 als Todesursache festlegen zu können.

Bei Todesfällen in Pflegeheimen ist die Situation noch außergewöhnlicher. Denn obwohl nur die wenigsten Pflegeheimbetreiber über eine medizinische Ausbildung verfügen, können sie dennoch festlegen, dass ein Patient an Covid-19 gestorben ist. Nach den Worten des britischen Behörde für Nationale Statistik kann diese Festlegung „mit einer medizinischen Diagnose oder einem Testergebnis übereinstimmen oder nicht, oder auch dann, wenn es [lediglich] in der Sterbeurkunde geschrieben steht“. 

Seit dem 29. März werden in der offiziellen Zahl mit „Coronatodesfällen“ auch all jene erfasst, bei denen Covid-19 einfach nur in der Sterbeurkunde erwähnt wurde – also unabhängig von einem positiven Testergebnis und unabhängig davon, ob die Infektion möglicherweise nur zufällig vorlag, oder ob sie direkt für den Tod verantwortlich war. Seit dem 29. April wiederum umfassen die offiziellen Zahlen auch all jene Todesfälle in den Pflegeheimen, bei denen einfach davon ausgegangen wurde, dass es sich um einen Covid-19 Fall gehandelt haben muss.

Sterben die Menschen am Virus - oder sterben sie an der Reaktion auf den Virus?


Ausgerechnet in einer Zeit also, in der präzise Todesstatistiken wichtiger wären denn je, wurden die Regeln so geändert, dass sie weniger zuverlässig sind als jemals zuvor. Man muss sich fragen, bei wie vielen Verstorbenen die Krankheit tatsächlich vorlag, nachdem sie als Coronatote in die Statistik einflossen. Und in wie vielen Fällen, falls tatsächlich eine Infektion vorlag, war Covid-19 ursächlich für den Tod verantwortlich?

Ungeachtet dessen, was Sie vielleicht aus den täglichen Pressekonferenzen mitgenommen haben, lautet die schockierende Wahrheit, dass wir es einfach nicht wissen. Wir wissen nicht, wie viele der überdurchschnittlich vielen Todesfälle während der Epidemie auf Covid-19 zurückzuführen sind – und wie viele aufgrund der gesellschaftlichen Reaktion mit der Reorganisation des Gesundheitswesens, wegen der Alltagsbeschränkungen oder in Folge der sozialen Distanzierung gestorben sind. Beides wissen wir nicht. Und entgegen der Behauptungen, wonach alle überzähligen Toten auf Covid-19 zurückgeführt werden können, gibt es starke Hinweise darauf, dass viele, vielleicht sogar die Mehrheit, eher aufgrund der allgemeinen Reaktion auf die Krankheit starben - nicht aber an der Krankheit selbst.

Möglicherweise hätte man über die Autopsie von Verstorbenen die genaue Relation zwischen beidem herausfinden können. Aber zu einer Zeit, als Autopsien eine wichtige Rolle für das Verständnis dieser Krankheit hätten spielen können, wurden gezielte Änderungen vorgenommen, die derartige Untersuchungen weniger wahrscheinlich machten, als es sonst der Fall gewesen wäre. 

Der Chefpathologe des Landes gab am 26. März einen Leitfaden heraus, der offenbar darauf abzielte, Fälle von Covid-19 aus der Pathologie herauszuhalten: „Das Ziel des Systems besteht darin, dass jeder Tod von Covid-19, der aus gesetzlichen Gründen eine Überweisung an die Pathologie erfordert, über den [Todesbescheinigungs-]Prozess abgewickelt werden sollte.“ In einem Leitfaden vom Royal College of Pathologists vom Februar diesen Jahres heißt es sogar: „Im Allgemeinen ist es unwahrscheinlich, dass bei Todesfällen nach einer bestätigten Covid-19-Infektion eine Obduktion durchgeführt oder ein ärztliches Attest über die Todesursache ausgestellt werden muss.“

Völlig abwesende Erfolgskontrolle für die getroffenen Maßnahmen


Eigentlich bräuchten wir angemessene Informationen, um unsere Reaktionen auf das Virus sowohl in klinischer als auch in gesellschaftlicher Hinsicht zu überprüfen. Stattdessen haben wir keine Ahnung, wie viele der Covid-19 zugeschriebenen Todesfälle wirklich auf die Krankheit zurückzuführen sind. Ebenso wenig wissen wir, wie viele der überzähligen Todesfälle tatsächlich auf Covid-19 zurückzuführen sind, oder ob sie an den Auswirkungen der Alltagsbeschränkungen gestorben sind.

Die Behörden sollten dringend detaillierte Informationen herausgeben über den Anstieg der Todesfälle und zwar getrennt nach offensichtlichen Coronatodesfällen und Nicht-Coronatodesfällen - insbesondere die Zahlen aus den Pflegeheimen sind dabei bedeutend. Und: Wie viele der Coronatodesfälle sind auf eine Infektion im Krankenhaus zurückzuführen? Meine Vermutung ist, dass es auch hierzu Daten gibt, jedoch werden sie nicht veröffentlicht.

Die erste Regel während einer Pandemie sollte stets darin bestehen, bei den Informationen darüber für Transparenz zu sorgen. Denn ohne Offenheit in diesem Bereich können Fehler unentdeckt bleiben - und führt bei Krankheiten meist zu unnötigen Todesfällen. So wie die Dinge derzeit stehen, werden wir nie mit Sicherheit herausfinden können, wie sich diese Krankheit genau auswirkte und wie sie sich im Frühstadium der Krise verbreiten konnte.




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