Seltsame Zufälle (Bildschirmfoto) |
Vor einigen Wochen erhob der Hamburger Pathologe Dr. Klaus Püschel die Anklage gegen das Vorgehen der Behörden in der Coronakrise. Im genauen bemängelte er die Inexistenz von Pathologien, die in einem gegenintuitiven Akt bei Coronapatienten sogar untersagt wurden, da dies als zu gefährlich eingestuft wurde hinsichtlich einer Übertragung. Dr. Püschel hielt sich nicht an die Anweisung und führte an insgesamt acht offiziell am Coronavirus verstorbenen Patienten eine pathologische Untersuchung durch. Die Ergebnisse daraus war so eindeutig, dass es zu einer erheblichen Kurskorrektur hätte führen müssen, was nicht geschehen ist. Nun äußert sich auch Dr. John Lee, ein britischer Kollege von Dr. Püschel aus dem selben Fachgebiet, auf Basis seiner Expertise in vernichtender Weise über den von Politik und Behörden eingeschlagenen Weg in der Coronakrise.
The Spectator: Die Zählweise von „Coronatodesfällen“ ist ein nationaler Skandal
Als Pathologe bin
ich es gewohnt, dass jeder denkt, ich beschäftige mich bei meiner
Arbeit hauptsächlich mit Toten. Nichts könnte weiter von der
Wahrheit entfernt sein. Daher bin ich wie viele meiner Kollegen so
bestürzt über die im Rahmen der Coronaepidemie eingeführten Regeländerungen. Sie haben nämlich zur Folge, dass die Pathologie nicht jene
Rolle spielen kann, die sie zum Verständnis dieser neuen Krankheit
eigentlich spielen sollte.
Den Begriff
„Pathologie“ verbinden viele mit Bildern von Leichensäcken,
Leichenhallen und Mordermittlungen. „Hehe“, kommentieren manche meinen Berufszweig: „Wenigstens können sich Ihre Patienten sich nicht über die Behandlung
beschweren“. Sie stellen sich dazu vor, wie ich den Tag lang über
Felder zum Tatort stapfe, um dann in den nachfolgenden Nächten
obskure Beweise an der Leiche feststelle, mit denen dann der Täter zur
Strecke gebracht werden kann. Es gibt durchaus einen Typ von Pathologe, der genau das
macht – es ist der forensische Pathologe – aber er ist recht
selten.
Die meisten
Pathologen verbringen tatsächlich den Großteil ihrer Karriere mit
der Betreuung von Lebenden. Schließlich ist Pathologie das Studium
von Krankheiten, und der ganze Sinn hinter dem Wissen über
Krankheiten besteht darin, dass wir mit unseren Ansätze zu deren
Prävention und Behandlung beitragen können.
Über die vier Pathologiegebiete
Es gibt vier
Haupttypen von Pathologen. Mikrobiologen sind auf die Untersuchung
von Infektionskrankheiten spezialisiert, ein Untertyp davon ist der
Virologe, der im Moment besonders gefragt ist. Chemische Pathologen
wiederum sind Experten für die flüssigen Teile des Blutes; sie
analysieren die endlose Reihe an Proben, die Tag und Nacht in die
Pathologielabors strömen. Dort suchen sie dann nach Veränderungen von
Chemikalien und Hormonen, die auf die Existenz bestimmter
Krankheiten hinweisen. Ein weiteres Gebiet besteht in der
Hämatologie, bei denen es sich um Experten für Krankheiten der
roten und weißen Blutkörperchen handelt, die besonders bedeutend sind
bei Krankheiten wie Anämie oder Leukämie.
Und dann gibt es
noch mein persönliches Spezialgebiet, die Histopathologie oder
Zellularpathologie. Wir sind Experten in der Analyse von
Veränderungen in der Struktur unseres Körpers, die durch
Krankheiten hervorgerufen werden. Viele Krankheiten beeinträchtigen
unser Gewebe auf eine Weise, die unter dem Mikroskop sichtbar wird,
so dass sie insbesondere bei Tumoren und Entzündungen mit einer
genauen Untersuchung diagnostiziert und überwacht werden können.
Jedes Mal, wenn eine Biopsie oder eine chirurgische Probe entnommen
wird, dann kommt sie zur Untersuchung in das histopathologische
Labor. Die Histopathologie wird dabei oft als der „Goldstandard“ für die Diagnose von Krankheiten angesehen, da sämtliche Leiden eine nachweisbare Spur im
Gewebe hinterlassen. Denn eine klinische Untersuchung oder ein
Röntgenbild zwar kann darauf hindeuten, dass z.B. ein Tumor oder eine
Fibrose der Lunge vorliegt, aber Sie müssen dennoch eine Gewebeprobe
auch mikroskopisch untersuchen, um sicher zu sein, dass sie auch
wirklich vorhanden ist, welcher Art sie ist und wie weit
fortgeschritten die Krankheit ist. Gewebe kann auch genetisch
untersucht werden, um das Vorhandensein von Infektionserregern oder
zellulären Rezeptoren festzustellen, woraus auf deren Gefährlichkeit
geschlossen werden kann.
Der Sinn und Zweck von Autopsien
Einige unter den
Histopathologen machen auch Autopsien - daher vermutlich die
Verwechslung mit der forensischen Pathologie. Aber in diesem Fall
wird in der Regel nicht nach Beweisen für einen Mord gesucht.
Vielmehr werden Histopathologen genau dann aktiv, wenn ein
Gerichtsmediziner die Todesursache einer gestorbenen Person ermitteln
will. Verwandte und mitunter sogar Ärzte sind oft überrascht darübre, dass Autopsien zur Feststellung der wirklichen Todesursache in der Welt der modernen Medizin noch immer notwendig ist.
Denn
all die Untersuchungen, Tests und bildgebenden Verfahren, die im
Laufe des Lebens bei einem Menschen durchgeführt werden, sollten doch ausreichen, dass die behandelnden Ärzte wissen, was dem Patienten
fehlte, als er starb, möchte man meinen. Dem ist leider nicht so und es stellt sich
häufig heraus, dass Autopsien oft das Unerwartete offenbaren. Tests
und Bilder können irreführend sein, so dass die behandelnden Ärzte
aufgrund des ersten Eindrucks oder wegen der unvollständigen
Beweislage manchmal keine feste Vorstellung davon haben, was genau beim Patienten
vorliegt.
Der Begriff Autopsie
bedeutet dabei buchstäblich, selbst nachzusehen. Die Person, die
dieses Nachsehen vornimmt, sollte also einen klaren und unverzerrten
Blick haben - gemeint ist ein unabhängiger Facharzt ohne ein emotionales oder
professionelles Interesse am Schicksal des Patienten.
Regelmäßig große Diskrepanzen zwischen Diagnose und Autopsieergebnis
Autopsiestudien sind wichtig, da sie typischerweise in einem Viertel
bis zu einem Drittel der Fälle große Diskrepanzen zwischen den
tatsächlichen Befunden und der vorher vom behandelnden Arzt
erstellten Diagnose zeigen. In etwa bei einem Sechstel der Fälle
würde das Wissen um diese verborgenen Pathologien bei den Lebenden
einen so großen Unterschied in der Behandlung bewirken, dass dessen Leben hätte gerettet werden können.
Im Vereinigten
Königreich wurde in den letzten Jahrzehnten bei etwa einem von sechs
Todesfällen eine Autopsie durchgeführt – es ist das letzte
Geschenk eines Verstorbenen an die Lebenden. Die Ergebnisse daraus
tragen dazu bei, die medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten und zu verbessern,
die Qualität öffentlicher Gesundheitsstatistiken zu überprüfen
und aufrechtzuerhalten, diagnostisches Abdriften zu verhindern und
die Medizin grundsätzlich ehrlich zu halten. Autopsien ermöglichen
auch die Entnahme von Gewebeproben aus mehr Organen als
bei einem Lebenden möglich wäre, was molekulare und genetische
Studien erleichtert.
In keinem Gebiet der
medizinischen Forschung sind Autopsiestudien wichtiger als bei der
Erforschung neuer Krankheiten und neuer Behandlungsmethoden. Das
beste Beispiel dafür war in den letzten Jahrzehnten das erworbene
Immunschwächesyndrom, kurz AIDS. Als AIDS Anfang der 1980er Jahre
zum ersten Mal auftrat, da wusste niemand um die Krankheit, wie sie die Patienten betraf, wie man diese behandeln sollte, oder welche
Auswirkungen mögliche Behandlungen hatten.
Das Wissen über all
diese Aspekte wurde im Wesentlichen durch die Untersuchung von
Gewebeproben bei Lebenden und durch Autopsieuntersuchungen inklusive
der Entnahme von Proben bei Gestorbenen gewonnen. Damals herrschte
große Unsicherheit und Besorgnis darüber, wie sich die Krankheit
ausbreitete, und wie sie sich möglicherweise auf das
Gesundheitspersonal und nachfolgend auf die allgemeine Bevölkerung
ausbreiten würde. Die Ergebnisse der pathologischen Untersuchungen
waren für das weitere Verständnis der Krankheit und die Entwicklung
von Behandlungsmethoden von immenser Hilfe.
Eine Extrawurst für die Coronadiagnose
Betrachtet man die
gegenwärtige Krise, so waren die Reaktionen darauf in aller Welt bisher sehr
unterschiedlich. Wir haben immer noch Mühe, das Coronavirus zu
verstehen. Ich kann mir keine Zeit in meiner medizinischen Laufbahn
vorstellen, in der es wichtiger gewesen wäre, eine genaue Diagnose
für eine Krankheit zu haben und genau zu verstehen, warum Patienten
daran sterben. Doch sehr früh in der Epidemie wurden die Regeln für
die Todesbescheinigung geändert – und das in einer Weise, mit der die
Statistiken unzuverlässig wurden. Faktisch wurden Leitlinien herausgegeben,
mit denen die Zahl der Autopsien eher verringert als erhöht werden.
Normalerweise werden
zwei Ärzte benötigt, um einen Todesfall zu bescheinigen, von denen
einer den Patienten behandelt hat oder der ihn kennt und ihn vor
kurzem noch lebend gesehen hat. Das wurde geändert. Als einzige
Krankheit kann die Bescheinigung bei Covid-19 nun von einem einzigen
Arzt vorgenommen werden, während es gleichzeitig nicht einmal
erforderlich ist, dass dieser den Patienten untersucht oder auch nur
in Person gesehen hat. Alles was es noch braucht, ist eine
Videokonferenz mit dem Patienten aus den letzten vier Wochen vor
dessen Tod, um Covid-19 als Todesursache festlegen zu können.
Bei Todesfällen in
Pflegeheimen ist die Situation noch außergewöhnlicher. Denn obwohl nur die wenigsten Pflegeheimbetreiber über eine medizinische Ausbildung
verfügen, können sie dennoch festlegen, dass ein Patient an
Covid-19 gestorben ist. Nach den Worten des britischen Behörde für Nationale
Statistik kann diese Festlegung „mit einer medizinischen Diagnose
oder einem Testergebnis übereinstimmen oder nicht, oder auch dann, wenn es [lediglich] in
der Sterbeurkunde geschrieben steht“.
Seit dem 29. März werden in der offiziellen Zahl mit „Coronatodesfällen“ auch all jene
erfasst, bei denen Covid-19 einfach nur in der Sterbeurkunde erwähnt
wurde – also unabhängig von einem positiven Testergebnis und
unabhängig davon, ob die Infektion möglicherweise nur zufällig
vorlag, oder ob sie direkt für den Tod verantwortlich war.
Seit dem 29. April wiederum umfassen die offiziellen Zahlen auch all jene
Todesfälle in den Pflegeheimen, bei denen einfach davon ausgegangen
wurde, dass es sich um einen Covid-19 Fall gehandelt haben muss.
Sterben die Menschen am Virus - oder sterben sie an der Reaktion auf den Virus?
Ausgerechnet in
einer Zeit also, in der präzise Todesstatistiken wichtiger wären denn
je, wurden die Regeln so geändert, dass sie weniger zuverlässig
sind als jemals zuvor. Man muss sich fragen, bei wie vielen Verstorbenen die
Krankheit tatsächlich vorlag, nachdem sie als Coronatote in die Statistik
einflossen. Und in wie vielen Fällen, falls tatsächlich eine Infektion vorlag,
war Covid-19 ursächlich für den Tod verantwortlich?
Ungeachtet dessen,
was Sie vielleicht aus den täglichen Pressekonferenzen mitgenommen
haben, lautet die schockierende Wahrheit, dass wir es einfach nicht
wissen. Wir wissen nicht, wie viele der überdurchschnittlich vielen
Todesfälle während der Epidemie auf Covid-19 zurückzuführen sind
– und wie viele aufgrund der gesellschaftlichen Reaktion mit der
Reorganisation des Gesundheitswesens, wegen der Alltagsbeschränkungen oder in Folge der sozialen Distanzierung gestorben sind. Beides wissen wir nicht.
Und entgegen der Behauptungen, wonach alle überzähligen Toten auf
Covid-19 zurückgeführt werden können, gibt es starke Hinweise
darauf, dass viele, vielleicht sogar die Mehrheit, eher aufgrund der
allgemeinen Reaktion auf die Krankheit starben - nicht aber an der
Krankheit selbst.
Möglicherweise hätte man über die
Autopsie von Verstorbenen die genaue Relation zwischen beidem herausfinden können. Aber zu einer Zeit, als
Autopsien eine wichtige Rolle für das Verständnis dieser Krankheit
hätten spielen können, wurden gezielte Änderungen vorgenommen, die
derartige Untersuchungen weniger wahrscheinlich machten, als es sonst
der Fall gewesen wäre.
Der Chefpathologe des Landes gab am 26. März
einen Leitfaden heraus, der offenbar darauf abzielte, Fälle von
Covid-19 aus der Pathologie herauszuhalten: „Das Ziel des Systems
besteht darin, dass jeder Tod von Covid-19, der aus gesetzlichen
Gründen eine Überweisung an die Pathologie erfordert, über den
[Todesbescheinigungs-]Prozess abgewickelt werden sollte.“ In einem
Leitfaden vom Royal College of Pathologists vom Februar diesen Jahres
heißt es sogar: „Im Allgemeinen ist es unwahrscheinlich, dass bei
Todesfällen nach einer bestätigten Covid-19-Infektion eine
Obduktion durchgeführt oder ein ärztliches Attest über die
Todesursache ausgestellt werden muss.“
Völlig abwesende Erfolgskontrolle für die getroffenen Maßnahmen
Eigentlich bräuchten
wir angemessene Informationen, um unsere Reaktionen auf das Virus
sowohl in klinischer als auch in gesellschaftlicher Hinsicht zu
überprüfen. Stattdessen haben wir keine Ahnung, wie viele der
Covid-19 zugeschriebenen Todesfälle wirklich auf die Krankheit
zurückzuführen sind. Ebenso wenig wissen wir, wie viele der
überzähligen Todesfälle tatsächlich auf Covid-19 zurückzuführen sind, oder ob sie an den
Auswirkungen der Alltagsbeschränkungen gestorben sind.
Die Behörden
sollten dringend detaillierte Informationen herausgeben über den
Anstieg der Todesfälle und zwar getrennt nach offensichtlichen
Coronatodesfällen und Nicht-Coronatodesfällen - insbesondere die
Zahlen aus den Pflegeheimen sind dabei bedeutend. Und: Wie viele der
Coronatodesfälle sind auf eine Infektion im Krankenhaus
zurückzuführen? Meine Vermutung ist, dass es auch hierzu Daten
gibt, jedoch werden sie nicht veröffentlicht.
Die erste Regel
während einer Pandemie sollte stets darin bestehen, bei
den Informationen darüber für Transparenz zu sorgen. Denn ohne Offenheit in diesem Bereich
können Fehler unentdeckt bleiben - und führt bei Krankheiten
meist zu unnötigen Todesfällen. So wie die Dinge derzeit stehen, werden wir nie mit Sicherheit
herausfinden können, wie sich diese Krankheit genau auswirkte und
wie sie sich im Frühstadium der Krise verbreiten konnte.