Vorher/Nachher; Frage: Warum nicht gleich so? (Bildquelle) |
Während das äußere geopolitische Gerüst, mit dem Bosnien zusammengehalten wird, immer weiter wegbricht, sind von bosnischen Serben vermehrt Drohgebärden zu hören, die sich von Bosnien abspalten wollen, um sich dem Mutterland Serbien anzuschließen. Die Chancen stehen gut, dass es bald so weit sein könnte.
Balkan Insight: Bosniens „zweiter Zusammenbruch“ rückt in Richtung Unausweichlichkeit
Drei Jahrzehnte nach
dem ersten Zusammenbruch des unabhängigen Staates Bosnien und
Herzegowina steuert das Land gerade auf seinen zweiten Zusammenbruch
zu.
Auslöser ist die
Entscheidung des bosnischen Verfassungsgerichts, wonach die
landwirtschaftlichen Nutzflächen der Teilrepublika Srpska (RS) ein
Teil des öffentlichen Besitzes des bosnischen Staates sind und nicht
der RS selbst gehören. Es war eine Entscheidung, die diametral
Anspruch der Serben untergräbt, einen Anspruch auf ihr eigenes Land
zu haben. Das Urteil folgte auf eine Anrufung des Gerichts durch
bosnische Parlamentarier, und wurde schließlich getroffen mit der
Unterstützung der nicht-serbischen und drei ausländischen Richter
des neunköpfigen Gremiums.
Die Serben vertraten
daraufhin den Standpunkt, dass die Entscheidung eine rein politische
gewesen sei, wobei der bosnisch-serbische Führer Milorad Dodik mit
Unterstützung des Parlaments der RS, sowie der serbisch-orthodoxen
Kirche und einem Großteil der Wählerschaft darauf reagierte, indem
er den Bosniaken ein Ultimatum stellte: Stimmen Sie der Absetzung der
ausländischen Richter aus dem Verfassungsgericht innerhalb von 60
Tagen zu, oder die RS wird einseitig ihre volle Autonomie
wiederherstellen und ein Referendum über die volle Unabhängigkeit
einleiten. Des weiteren hat das Parlament der RS alle bosnischen
Serben dazu aufgefordert, sich nicht an den staatlichen Institutionen
Bosniens zu beteiligen, so dass deren Funktionsfähigkeit gelähmt
wird.
Es ist leicht,
dieses Ultimatum als eine weitere leere Drohung durch Dodik abzutun,
da es von diesen seit Mitte der 2000er Jahre eine ganze Reihe gab.
Dodik hätte alternativ auch ganz einfach nur das Urteil des
Verfassungsgerichts ignorieren können, wie es ihm frei steht, jedoch
entschied er sich dazu, von der prekären wirtschaftlichen Notlage
der bosnischen Serben abzulenken, indem er eine politische Krise
herbeiführt, um dann bei der im Oktober anstehenden Kommunalwahl
deren Früchte einzufahren.
Auch wenn das
sicherlich ein Kalkül in Dodiks Rechnung sein mag, so geht diese
Analyse jedoch an dem größeren strategischen Bild vorbei, und bei
dem es darum geht, dass das äußere Gerüst, das den bosnischen
Staat stützt, heute so gut wie zusammengebrochen ist und die
Umstände eine Abspaltung der RS von Bosnien möglich machen.
Über die in Dayton begonnene Willensschlacht
Wie andere
separatistische Gruppen sehen sich auch die bosnischen Serben als
eine eigene politische Gemeinschaft, deren Interessen nicht in
Einklang zu bringen sind mit jenen der Mehrheitsgruppe der Bosniaken.
Anfang der 1990er Jahre führte dieser Gegensatz zu einem Krieg, da
die bosnischen Serben kein Teil des neuen unabhängigen Staates
Bosnien werden wollten, wobei der einzige der Grund, weshalb sie noch
immer ein Teil Bosniens sind darin besteht, dass es ihnen nicht
gelungen ist, diesen Krieg auf Anhieb zu gewinnen. Stattdessen endete
der Konflikt im Jahr 1995 mit dem Friedensabkommen von Dayton, einem
widerwilligen Kompromiss, in dem die bosnischen Serben zwar eine
weitreichende Autonomie erhielten, sie jedoch formal innerhalb eines
vereinigten bosnischen Staates leben mussten.
Vorübergehen führte
Dayton zu einem vernichtenden Streit zwischen serbischen Hardlinern,
nach deren Ansicht zu viele Zugeständnisse gemacht wurden, und
Gemäßigten, die Dayton akzeptierten, weil es den bosnischen Serben
de facto ihre Unabhängigkeit gewährte. Am Ende konnte sich das
zweite Lager angeführt von Dodik durchsetzen, die dafür eintraten,
dass die bosnischen Serben ihre Zustimmung zum bosnischen Staat zu
den in Dayton festgelegten Bedingungen geben sollten.
Auf der anderen
Seite jedoch erachteten die meisten Bosniaken die Einigung für
inakzeptabel, und so weigerten sie sich, die Kontrolle über ein
Gebiet abzutreten, das für sie einen integralen Bestandteil ihres
Heimatlandes darstellt, und auf dem sie in großer Zahl gelebt
hatten, bis sie während des Krieges brutal vertrieben wurden.
Über die Jahre
wurden die mit Dayton festgelegten Regelung auch deshalb
abgeschwächt, da die eingebauten mehrfachen Regierungsebenen zu
einer drastischen Verwaltungsineffizienz führten und das komplexe
System aus Kontrollen und Ausgleichen inklusive ethnischer Quoten und
nationaler Vetos, Partikulargruppen die Entscheidungsfindung in den
gemeinsamen Institutionen dauerhaft zu blockieren.
Diese Probleme
stellten ein unüberwindbares Hindernis für die Integration Bosniens
in die EU und die NATO dar, was den Europäern und Amerikanern im
Land eigentlich als Ausstiegsstrategie dienen sollte. Entsprechend
ließ der Westen Ende der 1990er Jahre Reform der staatlichen
Institutionen zu, so dass Kompetenzen von den unteren
Regierungsebenen auf zentrale Institutionen übertragen wurden,
während das Recht der ethnischen Gruppen auf die Blockade der
Gesetzgebung eingeschränkt wurde.
Die bosnischen
Serben akzeptierten diese Reformen jedoch nie, da sie unter Zwang
durchgesetzt wurden. Als der Westen 2006 schließlich die Kontrolle
über Bosnien aufgab und die Politik wieder domestiziert wurde, da
begann Dodik damit, die Wiederherstellung der früheren Regelung zu
fordern und unterstrich seine Forderung mit der Drohung einer
Sezession.
Es überrascht
nicht, dass die bosnische Seite dies ablehnt und stattdessen alle
verfügbaren politischen, rechtlichen und diplomatischen Mittel dazu
nutzt, um den vom Westen begonnenen Zentralisierungsprozess
fortzusetzen. Die Serben wiederum wehren sich mit Händen und Füßen
dagegen, so dass sich dem Beobachter ein quälender Willenskampf
präsentiert, der die politische, soziale und wirtschaftliche
Entwicklung Bosniens stark verzögert.
Die Bosniaken können
diesen Kampf nicht gewinnen, weil das grundlegende Machtgleichgewicht
vor Ort diejenigen begünstigt, die den bosnischen Staat zerschlagen
wollen, und jene, die ihn überhaupt erst erschaffen wollen,
permanent im Rückstand sind. Soll das bosnische Ziel, eine
demokratische, multiethnische Gesellschaft zu errichten erfolgreich
sein, dann wird es die aktive Mitarbeit der Serben und Kroaten
erfordern, doch beide Gruppen halten sich zurück.
Auf der anderen
Seite dagegen brauchen die Serben für die Umsetzung ihrer Pläne
nicht die Mitarbeit der Bosniaken. So lange sich die Bosniaken
weigern, die ursprünglichen Abmachungen von Dayton
wiederherzustellen, bleibt den Serben immer die Möglichkeit, ihr
Gebiet einseitig von Bosnien abzutrennen und es mit ihrem Mutterland
jenseits der östlichen Grenze zu vereinen. So kam der Gemäßigte
Dodik irgendwann zu dem Schluss, dass falls seine Serben nicht zu den
in Dayton festgelegten Bedingungen in Bosnien leben dürfen, dann
bleibt keine andere Wahl, als dass sich die RS von Bosnien abspalten
muss.
Auch die Kroaten haben noch etwas zu gewinnen (Bildquelle) |
Äußere Interessenhalter, nicht Bosniaken, sind das Haupthindernis für die Serben
Im Gegensatz zu
anderen Sezessionsbewegung liegt das Haupthindernis für eine
mögliche serbische Abspaltung nicht im Widerstand der
Mehrheitsbevölkerung, da die Bosniaken selbst zu schwach und
gespalten sind, als dass sie den bosnischen Staat mit Gewalt
zusammenhalten könnten. Vielmehr liegt es an äußeren
Interessenhaltern, deren Vorgehen die Unabhängigkeit der RS fast
unmöglich gemacht haben.
Von Seiten der
Vereinigten Staaten als dem ultimative Garant für die Sicherheit auf
dem Balkan etwa gibt es nach wie vor eine implizite Strafandrohung
gegen die bosnischen Serben - einschließlich militärischer Angriffe
- falls diese den Versuch einer Abspaltung unternehmen sollten.
Russland wiederum
als traditionell der wichtigste externe Verbündete der Serben, hat
sich gegen die Auflösung Bosniens ausgesprochen. Zunächst geschah
dies aufgrund des russischen Interesses nach guten Beziehungen zum
Westen, während die RS später eine strategische Bedeutung innerhalb
Bosniens bekam, da sie dadurch die NATO-Mitgliedschaft für das
gesamte Land blockieren konnten.
Gleichzeitig boten
die Europäer den Balkanländern die EU-Mitglieder an mit allen
Vorteilen, die es mit sich bringt - Stabilität, gute
Regierungsführung, Wohlstand und nationale Vereinigung innerhalb
einer grenzenlosen Union - während als Gegenleistung die Aufgabe des
Nationalismus gefordert wurde, sowie die Übernahme des Polit- und
Wirtschaftsmodells des Westens.
In Bosnien, wo die
Politik weiterhin auf die primären Fragen der Bevölkerung, der
Grenzen und der Souveränität fixiert blieb, zeigte das Angebot
durch die EU nur wenig Wirkung. Zuerst akzeptierten jedoch Kroatien
und dann Serbien den Vorschlag aus Brüssel und lehnten in der Folge
die Sezessionsbestrebungen ihrer Landsleute in Bosnien ab.
Sowohl für die
bosnischen Serben als auch die unzufriedenen bosnischen Kroaten kam
das einer kalten Dusche gleich. Beide Gruppen verließen sich voll
darauf, dass ihre Mutterländer im Fall eines Bruchs mit Bosnien
politisch, wirtschaftlich und militärisch unterstützend eingreifen
würden.
Hinzu kommt die
weitere Komplikation für die bosnischen Serben. Denn Serbien selbst
war im letzten Jahrzehnt nach einem Krieg gegen die USA geführte
NATO dazu gezwungen, seine Souveränität über die ehemalige Provinz
Kosovo aufzugeben, das im Jahr 2008 seine Unabhängigkeit erklärte.
Belgrad hätte sich der Doppelmoral schuldig gemacht, hätte es auf
der einen Seite die Teilung Bosniens entlang ethnischer Grenzen
eingesetzt, dies aber im Falle des Kosovo abgelehnt. Darüber hinaus
konnte es sich Serbien auch nicht leisten, die USA als der
Schutzmacht des Kosovo mit dem Schlüssel zur Zukunft der Region noch
weiter zu entfremden, indem es das in Washington ausgeheckte
bosnische Staatsbildungsprojekt gefährdete.
Für die Serben entsteht zunehmend Handlungsspielraum
In der zweiten
Hälfte des letzten Jahrzehnts haben sich die Positionen der
verschiedenen externen Akteure jedoch entscheidend verändert, so
dass sich für die Serben ein Zeitfenster öffnete, in dem sie
endlich einen Durchbruch erzielen können.
Am wichtigsten dabei
ist, dass die USA in ihrem Ansatz drei wichtige Neuerungen
vorgenommen haben. Die erste bestand darin, nicht mehr länger mit
einem militärischen Angriff auf die Serben zu drohen, wenngleich es
sehr lange dauerte, bis die Drohung aufgehoben wurde. Mit dem Abzug
der US-Truppen aus Bosnien im Jahr 2006 jedenfalls sank das Risiko
für die RS dramatisch. Während der Präsidentschaft von Barack
Obama war die Gefahr für die RS aufgrund der Abneigung gegen neue
militärische Interventionen in Übersee nur eine theoretische.
Mit der Wahl von
Donald Trump und seiner Ablehnung von „dummen Kriegen“ in
Randregionen wie dem Balkan war die Gefahr einer militärischen
Zerschlagung für die RS schließlich so gut wie gebannt. Auf die
Frage nach der NATO-Mitgliedschaft Montenegros fragte Trump, warum er
amerikanische Streitkräfte in ein „kleines Land“ mit „sehr
aggressiven“ Menschen entsenden sollte.
Theoretisch könnten
die USA immer noch strafend gegen die RS wirken, etwa in dem sie
Sanktionen verhängen. Washington hat bereits ein Reiseverbot und ein
Einfrieren der Vermögenswerte von Dodik erlassen, allerdings war
dies nicht gerade von Erfolg gekrönt, während es eher
unwahrscheinlich ist, dass man im Weißen Haus Wirtschaftssanktionen
gegen eine Bevölkerung befürwortet, die sich friedlich verhält und
keine direkte Bedrohung für die USA darstellt.
Die zweite Neuerung
in der amerikanischen Politik ist die Entscheidung, auf auf dem
Balkan den „Neuen Kalten Krieg“ zu führen, nachdem die
Beziehungen zu Russland wieder von Spannungen geprägt sind und die
USA das Land nun als die größte Bedrohung für die Stabilität der
Region ansehen. Nach den Erfolgen in Montenegro und Nord-Mazedonien
konzentrieren sich die USA nun darauf, Russlands Einfluss in Serbien
zu neutralisieren, indem sie das Kosovo anerkennen und schließlich
auch jenes Problem lösen, das Russland Einfluss auf die serbische
Außenpolitik verleiht.
Diese Entwicklung
hat dann auch zur dritten Neuerung geführt - dem Ende von
Washingtons Willen, die Multiethnizität auf dem Balkan
aufrechtzuerhalten, nachdem es mit der Abspaltung des Kosovo die
Gliederung der Region nach ethnischen Trennlinien eingeleitet hat.
Zum Teil handelt es sich dabei um eine Frage der Praktikabilität:
Washington akzeptiert nun, dass es im Gegenzug zu Serbiens Zustimmung
zur kosovarischen Unabhängigkeit ein Gegenangebot benötigt, wofür
sich der serbisch dominierten Norden Bosniens perfekt anbietet.
Darüber hinaus ist auch eine Frage der Ideologie: Als Nationalist
hat Trump wenig Interesse am Multikulturalismus, und als kreativer
Zerstörer des Status Quo kann ihm der Willen und der Ruf der höheren
Beamtenebene im US-Außenministerium egal sein, wo man viel in den
Erfolg des multiethnischen Bosniens investiert hat.
Unterdessen hat auch
die EU ihr früheres Angebot für die Mitgliedschaft des gesamten
Balkans zurückgezogen, nachdem es durch die mächtigen EU-Mitglieder
verstärkt zu Widerstand gegen die Integration der Region kam.
Frankreich ist dabei
der Hauptgegner einer Integration des gesamten Balkans, da man in
Paris von einer weiteren Schwächung er Position Frankreichs
innerhalb der EU zugunsten Osteuropas ausgeht, und eine Aufnahme der
Region das empfindliche Machtgleichgewicht zwischen Frankreich und
Deutschland als dem Hauptnutznießer der Erweiterung aus dem
Gleichgewicht bringen würde. Bezeichnenderweise genießt Frankreich
in der Angelegenheit sogar das demokratisches Mandat für seine
Haltung, da die Mehrheit der europäischen Bürger ebenso gegen die
EU-Integration des Balkans ist, da befürchtet wird, dass es mit dem
Einbezug der Region zu einer verstärkten Migration, mehr
organisierter Kriminalität und politischer Instabilität kommen
könnte.
Bis 2018 hat Paris
die EU-Linie zur Erweiterung eingehalten, um einen Streit mit
Deutschland und Großbritannien, die beide die Politik unterstützen,
zu vermeiden. Da Deutschland politisch gelähmt und Großbritannien
nicht mehr da ist, steht es Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
nun frei, die EU-Erweiterung auf dem Balkan zu blockieren.
Formal hat Macron
kein französisches Veto gegen die Erweiterung eingelegt und er wird
es wahrscheinlich auch zulassen, dass die begonnenen
Beitrittsprozesse weitergeführt werden, jedoch mit einer neuen
Methode, die eine erheblich strengere Kriterienprüfung mit sich
bringt. Dennoch machte Macron in den letzten Wochen mit einer Reihe
von öffentlichen Kommentaren sehr deutlich deutlich, dass Frankreich
den Beitritt des Balkans zur EU nicht will und Paris mit Hilfe der
neuen Methode den Beitrittsprozess auf unbestimmte Zeit
hinauszuzögern kann.
Diese
internationalen Entwicklungen hatten unweigerlich Konsequenzen für
die serbische Regionalpolitik. Die Entscheidung Washingtons, den
russischen Einfluss im Land zu neutralisieren etwa, hat die Position
Belgrads erheblich gestärkt. Denn Serbien ist nun in der Lage, mit
der Entscheidung über die Beendigung der engen Beziehungen zu
Russland über den Erfolg der US-Politik auf dem Balkan zu bestimmen.
In der Zwischenzeit haben Frankreich und andere EU-Mitglieder den
Hauptanreiz für Serbien beseitigt, den ethnischen Nationalismus
aufzugeben, um eine alternative Zukunft innerhalb der Europäischen
Union zu suchen.
Wie vorherzusehen
war, hat Belgrad nachfolgend mit der Wiederbelebung seines
historischen Ziels in Form der Gründung eines ethnisch serbischen
Nationalstaates reagiert. Sollte die EU-Mitgliedschaft ausfallen,
dann hat Serbien nichts zu verlieren, indem es seine Energien wieder
auf die alten Ziele der 1990er Jahre konzentriert. Gleichzeitig
könnte Serbien mit den USA einen Handel eingehen, bei dem beide
Seite sich gegenseitig bei der Umsetzung ihrer Pläne unterstützen.
Das hat die USA
bereits gezwungen, der Forderung Belgrads nach einer Teilung des
Kosovo nach ethnischen Gesichtspunkten zuzustimmen. Vermutlich aber
ist das nicht der einzige Punkt auf der Wunschliste Belgrads, da nur
eine kleine Zahl Serben im Kosovo leben und es vielmehr Bosnien ist,
wo die meisten Serben außerhalb Serbiens leben.
Vorerst verzichtet
Belgrad auf explizite Forderungen im Namen der RS. Die bosnische
Frage muss noch eine Weile warten, da zunächst die Hilfe Washingtons
notwendig ist bei der Abspaltung der serbisch bewohnten Teile des
Kosovo. Irgendwann wird das Thema jedoch unumgänglich werden, da die
Belgrader Regierung die Zustimmung des serbischen Volkes für die
Anerkennung des Kosovo einholen muss und es für das Wohlwollen des
Volkes eine Entschädigung braucht, für die sich nur die RS eignet.
Was Russland
betrifft, so hängt deren Engagement für die territoriale Integrität
Bosniens in der Schwebe. Das russische Interesse, die weitere
Ausdehnung der NATO aufzuhalten, begünstigt zwar nach wie vor eine
Politik der Opposition gegen die Unabhängigkeit der RS. Die Position
Moskaus auf dem Balkan ist jedoch nicht stark genug, um politische
Ergebnisse zu bestimmen. Das Land kann lediglich die unausweichlichen
Entwicklungen zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen.
Sobald also die
Serben auf beiden Seiten der Drina ihre Absicht zu einer Vereinigung
aller ethnischen Serben unter einem nationalen Dach äußern werden,
dann wird Russland das Beste aus dieser neuen Realität machen und
seine Politik gegenüber den Serben ganz einfach neu ausrichten
müssen. Effektiv bedeutet es, dass wenn zu einem Großserbien kommen
sollte, dann muss Russland der wichtigste externe Verbündete des
neuen Staates werden, denn nur so ließe sich ein NATO-Beitritt des
neuen Serbien verhindern.
Im Hintergrund all
dessen steht schließlich noch Kroatien, das in den letzten Jahren
eine revisionistische Position gegenüber Bosnien eingenommen hat und
sich im offenen Streit mit den Bosniaken befindet. Der Kern des
Problems besteht in der Sorge Kroatiens, dass sich die Position der
bosnischen Kroaten stark verschlechtert hat, während die Chancen auf
eine Abhilfe von der prekären Situation in Form einer
EU-Mitgliedschaft Bosniens weiter schwinden.
In Zagreb ging man
daher dazu über, die Idee einer kroatischen Staatlichkeit innerhalb
von Bosnien zu propagieren, so dass sich die bosnischen Kroaten
analog zu den bosnischen Serben eine eigene politische Führung
geben können, anstatt, dass sie weiterhin politisch von Bosniaken
regiert werden. Es überrascht nicht, dass sich die Bosniaken gegen
eine klare Bedrohung der Integrität des Staates wehren. Politische
Spannungen zwischen Zagreb und Sarajevo waren die Folge.
Bisher allerdings
unterstützt Kroatien nicht den Zerfall Bosniens, da eine
Instabilität an der sehr langen gemeinsamen Grenze befürchtet
werden. Daher ist man in Zagreb auch nicht gut zu sprechen auf die
Sezessionsdrohungen durch die RS. Die Schlüsselfrage ist jedoch, was
Kroatien unternehmen würde, sollte die Unabhängigkeit der RS zu
einer vollendeten Tatsache werden. Denn vor dem Hintergrund der
angespannten Beziehungen mit Sarajewo könnte sich das Land in einem
offenen Streit zum Schutz der bosnischen Kroaten mit den Serben
zusammentun.
Unter den
gegenwärtigen Umständen erscheint das noch unwahrscheinlich.
Wahrscheinlicher ist, dass Kroatien das Vorgehen der Serben
ignorieren würde und sich ausschließlich darauf konzentriert, die
bosnischen Kroaten vor den daraus resultierenden politischen
Auswirkungen zu schützen und unabhängig vom serbischen Vorgehen das
bosnisch-kroatische Territorium informell vom Rest Bosniens abtrennen
würde - wie der neue kroatische Präsident bereits 2016 in
durchgesickerten Kommentaren vorschlug.
Unterm Strich sogen
die Positionsverschiebungnen der äußeren Mächte dafür, dass
Bosnien einen Stützpfeiler nach dem anderen verliert. Dadurch erst
ist die RS in der Lage, erneut die Forderung nach der eigenen
Unabhängigkeit zu stellen.
Im Gegensatz zu
anderen Sezessionsstreitigkeiten braucht es niemanden, der eine
Abspaltung anerkennen müsste (obwohl einige Staaten dies tun
könnten), da die RS formell oder informell mit Serbien fusionieren
würde und kein neuer Staat entstünde. Es genügt dabei, dass
Serbien das Angebot für zusätzliches Territorium als Entschädigung
für den Verlust des Kosovo annimmt - und dass sich die Großmächte
dem nicht widersetzen. Nach dem Abzug der RS wird Kroatien dann die
westliche Herzegowina in Kroatien integrieren. Was bliebe, ist ein
neuer ethnisch bosniakischer Nationalstaat rund um Sarajevo, der ein
Gebiet von der Größe Sloweniens umfassen würde.
Washington steht vor einigen schwierigen Entscheidungen
Es ist jedoch
unwahrscheinlich, dass die weiterhin eine führende Rolle auf dem
Balkan tragenden USA einen Prozess, der leicht außer Kontrolle
geraten könnte, passiv beobachten werden. Damit stehen Washington
schwierige Entscheidungen bevor.
Die Versuchung wird
darin bestehen, Bosnien mit einem weiteren Vorstoß zur
euro-atlantischen Integration, erneuten Geldversprechen und Plädoyers
für Versöhnung und Reformen wieder zusammenzufügen. Die Ereignisse
sind inzwischen jedoch weit über jenen Punkt hinausgegangen, an dem
dieser genauso bewährte wie erfolglose Ansatz noch bei jemanden
verfangen könnte. Die Serben stehen an der Schwelle zur Lösung
ihrer nationalen Frage und daher werden sie diese nicht wegen einiger
hundert Millionen Euro und der leeren Versprechung auf eine
EU-Mitgliedschaft wider aufgeben.
Das führt zu einer
zweiten Option, bei der die USA versuchen werden, Bosnien zur
Lebensverlängerung einige neue Regeln aufzuzwingen. Wollten sie die
bosnischen Serben dafür gewinnen, dann müssten sie deren
Kernforderung nach einer Wiederherstellung des ursprünglichen Dayton
Abkommens erfüllen, laut dem die Serben praktisch unabhängig waren
inklusive einer offenen Grenze und vielfältigen Verbindungen
zwischen der RS und Serbien. Dasselbe würde für die bosnischen
Kroaten gegenüber Kroatien gelten.
Dieses Ergebnis
würde jedoch nicht die serbische nationale Frage lösen, sondern
lediglich den Schwerpunkt vom Kosovo auf Bosnien verlagern, während
es gleichzeitig die Abhängigkeit Serbiens von Russland verlängern
würde. Will Washington weiterhin erreichen, dass Belgrad seine
besonderen Beziehungen zu Moskau beendet, dann muss es den Widerstand
gegen die serbische nationale Vereinigung aufgeben und Serbiens
Forderungen bezüglich der RS nachgeben.
Damit bleibt eine
dritte Option, die darin besteht, den Zerfall Bosniens und die
Entstehung eines Großserbiens zu akzeptieren und diese Entwicklung
in Richtung der von Washington gewünschten Ziele zu lenken. Dies
wahrscheinlich als Teil einer umfassenderen Neuordnung des Balkans
unter Einschluss einer Fusion Albaniens mit dem Kosovo - ein Prozess,
der ebenso bereits in vollem Gange ist.
Im Gegenzug könnten
die USA darauf bestehen, dass das neue Großserbien der NATO und
damit dem amerikanischen Lager beitritt. Es handelt sich dabei um ein
Angebot, das sowohl für die Linke als auch für Nationalisten
akzeptabel wäre, da es dem gemeinsamen Zweck dient, endlich einen
ethnischen serbischen Nationalstaat zu gründen, der in das
Wohlstandssystem des Westens integriert ist. Gleichzeitig würde
Russland jedoch einen Verlust seiner historisch gewachsenen
Verbindungen und damit auch seine Interessen in der Region verlieren.
Dieses Ende käme
einem endgültigen Sieg der USA an der Balkanfront gleich und wäre
ganz zur Zufriedenheit der Neuen Kalten Krieger in Washington - der
Preis aber wäre das endgültige Auseinanderbrechen des
multiethnischen bosnischen Staates. Da der Wettstreit mit Russland um
die Kontrolle über den Balkan die USA zwingt, die Kräfte des
serbischen Nationalismus als Hebel zu verwenden und sich die Europäer
gleichzeitig von der Spielfläche verabschieden lässt sich daher
schlussfolgern, das der zweite und endgültige Zusammenbruch Bosniens
eindeutig näher rückt.