20. Oktober 2019

Nach der Thüringenwahl wird keine Mehrheit möglich sein ohne die AfD

Thüringens nächster starker Mann (Bildquelle)

Nachdem die beiden Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg für die Blockparteien mit einem blauen Auge ausgingen, stehen am kommenden Wochenende in Thüringen Landtagswahlen an. Ähnlich wie bei den anderen beiden neuen Ländern wird voraussichtlich auch in Thüringen die AfD reüssieren, wobei für das System aufgrund der Personalie Björn Höcke besonders viel auf dem Spiel steht. Auch wenn mit dem vermutlich rechtsextremen Terroranschlag in Halle ein Unsicherheitsfaktor ins Spiel gebracht wurde und der politmediale Komplex erwartbar Schuldzuweisung in Richtung der AfD abgab, so zeigt die Mechanik der beiden anderen Wahlen eindeutig in Richtung der AfD als großem Wahlsieger, die zum entscheidendem Zünglein an der Waage werden könnte.



Vergangene Umfragen und wer darin über- und unterbewertet wurde



Bei Wahlrecht.de gibt es eine stets auf dem aktuellen Stand gehaltene Übersicht über die aktuellen Umfragewerte mitsamt Archiv der alten Umfragen für jeweils EU- und Bundestagswahlen, aber auch für die Länder, darunter Thüringen und die anderen beiden Ostländer, in denen kürzlich Wahlen stattfanden. Man kann an den Vergangenheitswerten vor den Wahlen gut ablesen, welche der Parteien von den Umfrageinstituten über- und welche unterbewertet wurde. Sofern die Verzerrung in beiden Bundesländern vorhanden ist, lässt sich daraus in etwa ableiten, welche Partei auch in Thüringen in den Umfragen über- oder unterbewertet wird und um wie viel.

Für die Berechnung der Verzerrung habe ich aus den sechs (Brandenburg) beziehungsweise sieben Umfragewerten aus den letzten drei Monaten vor der jeweiligen Wahl das arithmetische Mittel gebildet und dieses ins Verhältnis gesetzt zu den tatsächlichen Wahlergebnissen. Folgendes kam dabei heraus (Werte gerundet):


Erwartbare Verzerrungen in Sachsen (SN) und Brandenburg (BRB)

Eine negative Abweichung (rot) bedeutet, dass die Partei überbewertet wurde, während eine positive Abweichung (grün) eine Unterbewertung darstellt. Diese beiden Werten aus Sachsen und Brandenburg stellen die Bandbreite dessen dar, was auch in Thüringen erwartet werden kann.



Die etablierten Nischenparteien müssen Federn lassen



Auf den ersten Blick erkennbar ist, dass in den Mainstream Medien stark beworbenen Grünen bei den Wählern Mitteldeutschlands deutlich weniger gut ankommen, als es ihre mediale Präsenz vermuten lässt. Offenbar sind auch die Umfrageinstitute nicht gefeit vor dieser Art von Verzerrung, so dass sie die Partei sehr deutlich überschätzen.

Ähnliches gilt für die Linkspartei, die bislang zumindest im Osten den Charakter einer Volkspartei hatte und dies vermutlich bei der Bewertung ihrer Beliebtheit mit einfloss. Mit dem von Angela Merkel im Jahr 2015 eingeleiteten Zeitenwechsel scheint dies aber vorbei zu sein, nun da die praktischen Konsequenzen des linken Multikulturalismus und der grünen Energiewende auch in der Lausitz und den Braunkohlegebieten des Ostens wirken.

Dritter großer Verlierer für die Umfrageinstitute ist die FDP, die in der Vergangenheit bereits einen schweren Stand hatte und mit dem weichen bundesdeutschen Liberalismus nie eine wirkliche Heimat fand jenseits von Nischen wie etwa Dresden, wo die Partei den Oberbürgermeister stellt.

Bei den beiden ehemaligen Volksparteien CDU und SPD liegen die Umfrageinstitute näher an der Wahrheit - oder anders ausgedrückt, sie wissen zu wenig für eine passgenaue Prognose, aber noch immer genug, um nicht konsistent falsch zu liegen. Für die nach wie vor relativ starke CDU ist das eine gute Nachricht. Angesichts von 8 mageren Prozent für die SPD in den beiden Ländern dagegen kann man nur mehr von einer um fünf Jahre verlängerten Palliativbehandlung sprechen.

Der verbotene Gewinner dieses Spielchens ist selbstredend die AfD und mit den Freien Wählern an der Spitze die Kleinstparteien. Über deren Benachteiligung bei den Umfragewerten darf sich jeder selbst einen Reim machen.



Die Bandbreite der Prognoseverzerrungen auf Thüringen umgerechnet



Für Thüringen stehen aus den letzten drei Monaten sechs Prognosen zur Verfügung. Den Mittelwert der Prognosen zu Grunde legt ergeben sich daraus die folgenden prozentualen Verteilungen (grün unterlegt ist jeweils die Partei mit dem größten Prozentanteil):

Ob insgeheim auch der Güllner Manni über diese Werte informiert ist?

Auf den ersten Blick fallen drei Dinge ins Auge, die jeweils mit dem absehbar (zu) schlechten Abschneiden der FDP zusammenhängen.

Erstens, die FDP wird nicht in den Landtag einziehen. Damit bestätigt sich das Ergebnis von 2014, als sie mit 2,5% krachend gescheitert ist und zwei Drittel ihrer Stimmen verlor. Das kommt effektiv dem Ende der Partei in Thüringen gleich und damit dem Ende des bundesdeutschen Liberalismus in einem Teil Mitteldeutschlands.

Zweitens, selbst wenn die FDP den Einzug in den Landtag nicht verfehlen soollte wird die außerparlamentarische Opposition sehr groß ausfallen. Es könnte sich in Thüringen genau jenes im Kleinen wiederholen, was ab 2013 auf der großen Bühne bereits geschah, als FDP und AfD nur knapp scheiterten. Die danach entstandenen Brüche sind Legende, für Thüringen könnte vergleichbares anstehen.

Drittens, unabhängig davon, ob die FPD in den Landtag einzieht oder nicht wird keine Mehrheit entstehen können ohne die AfD. Sie hat damit nach sechs Jahren ihrer Existenz erstmalig die Sperrminorität erreicht, so dass ohne eine „Querfront“ von CDU bis Linkspartei keine Mehrheit mehr möglich sein wird. Überdies steht sogar im Raum, dass die AfD sogar zur größten Partei im Landtag avanciert. Sie wäre damit Thüringens neue „Volkspartei“.

Lediglich wenn neben der FDP auch die in Thüringen nur sehr kleinen Freien Wähler einen herausragenden Sieg einfährt, oder falls es massive Verschiebungen aufgrund der Erststimmenverteilung gibt, dann könnte dieses Szenario mit der AfD auf dem Platz an der Sonne noch verhindert werden. Mit der zugrunde gelegten Bandbreite anhand der beiden anderen mitteldeutschen Länder allerdings sieht es nicht danach aus. Die AfD und damit federführend Björn Höcke werden erwartbar ein gewichtiges Wörtchen mitreden bei der Bildung der kommenden Regierung.

Dazu eine Auflistung möglicher Mehrheitskoalitionen unter Berücksichtigung der Fünfprozenthürde:

Bereiten Sie sich auf viel politisches Fremdschämen vor


Der CDU wird die Qual der Wahl bleiben, so viel steht fest. Noch scheint eine Koalition mit der Linkspartei nach logischen und weltanschaulichen Gesichtspunkten ausgeschlossen, in den Raum der reellen Möglichkeiten rückt sie nur unter Berücksichtigung der vergangenen vier Jahre Bundespolitik. Da eine Koalition mit der AfD vermutlich nicht erwogen werden wird, bleibt mit der völligen Abwesenheit einer Mehrheitsmöglichkeit für Rot-Rot-Grün (immerhin Regierungskoalition) nur noch eine von links geduldete Minderheitenregierung unter Führung der CDU.



Keine Steuererhöhungen, dafür Turbulenzen und Neuwahlen voraus

 

Da die zu erwartenden Mehrheitsverhältnisse dem Wählerwillen aufgrund der zu erwarteten Abwahl und Deklassierung der bisherigen Regierung jedoch alles andere entspricht, werden in Thüringen ab übernächster Woche harte politische Zeiten anbrechen. Mit einer ungeliebten und schwachen Regierung, sowie einer außerparlamentarischen Opposition in der Größenordnung einer mittelgroßen Fraktionen könnte es daher bald schon wieder zu Neuwahlen kommen. Die Alternative wäre lediglich ein eher unwahrscheinliches Ausscheren der Thüringer CDU vom generellen AfD-Verbot zum Wohle der Wähler.

So bleibt als Fazit nur die Hoffnung, dass Horst Lüning recht behält, der schwache Regierungen aufgrund der Verschiebung der Souveränität hin zu den Abgeordneten für eine gute Idee hält und das Fehlen einer Regierung insofern goutiert, als dass es eine handlungsfähige Regierung benötigt, um die Steuern zu erhöhen oder neue Abgaben zu erfinden.

Ob diese Regierungsfreiheit allerdings auch eine gute Idee ist im Stammland der Stasi und mit einer kontroversen (Un-)Person wie Björn Höcke auf dem politischen Podium? Bald werden wir es wissen.