4. Juli 2019

Der britische Blick auf die EU: Ein antidemokratischer Moloch kungelt sich drei neue Präsidenten aus


Drei neue Köpfe gebar Moloch (Bildquelle 1, 2, 3)

Mit etwas Abstand gewinnt man meist einen besseren Überblick. Eine Lebensregel, die quasi überall gilt und so trifft sie auch auf die EU zu. Mit den Briten als demnächst Ex-Mitglied des kontinentalen Klubs gewinnen wir damit eine interessante neue Perspektive hinzu, die nicht mehr von inneren Interessen und dem Streit über den Sinn und Zweck der Mitgliedschaft geprägt ist. Vielmehr können wir akkurate Zustandsbeschreibungen wie die folgende über jenes Gebilde erwarten, von dem wir alle mehr regiert werden als uns lieb ist.



Daily Mail: STEPHEN GLOVER: Die neue Führungsriege wurde komplett dem Hinterzimmer bestimmt. Gott sei Dank verlassen wir die EU!




Der Befreiungsprozess von der EU hat sich als so langwierig und schmerzhaft erwiesen, dass wir manchmal unsere ursprünglichen Gründe für den Austritt vergessen.

Ich bin mit Sicherheit nicht die einzige Person, die sich nach seiner Stimmabgabe für den Brexit gelegentlich fragt, ob der Austritt wirklich all die Bitterkeit und Spaltung wert ist: Die Beschimpfungen, ruinierte Dinnerpartys und ehemaligen Freunde, die einen auf der Straßen nicht mehr grüßen.

Es ist bemerkenswert, wie der Streit um einen Austritt ohne nachfolgenden Vertrag mit der EU und die Debatte um ein zweites Referendum praktisch sämtliche Argumente bezüglich der nationalen Souveränität mit der Kontrolle unserer Grenzen und die grundsätzliche Ablehnung eines europäischen Superstaates verdrängt hat.

Darum habe ich der EU in den letzten Tagen innerlich dafür gedankt, dass sich die europäischen Staats- und Regierungschefs stundenlang zum Kuhhandel hinter verschlossenen Türen versammelten. Sie haben die Nachfolger von Jean-Claude Juncker und Donald Tusk ausgekungelt, die in unser aller Leben eine so überragende Rolle einnahmen.

Dieses Treiben hinter den Kulissen erinnerte uns daran, wie grundlegend undemokratisch und mysteriös diese Organisation eigentlich funktioniert. Es wurden Personen ausgewählt für Posten, in denen sie über eine enorme Macht verfügen werden und das alles, ohne dass die Wähler Europas davor einen Blick darauf werfen konnten.

Gott sei Dank treten wir aus dieser Organisation aus! Gott sei Dank (also es sei denn, unnachgiebige EU-Befürworter bescheren uns ein zweites Referendum) werden wir bald nicht mehr Teil eines Gremiums sein, das heimlich unsere zukünftigen Herrscher auswählt, ohne das Volk darüber zu konsultieren - denn ja, diese Auserwählten sind weit mehr als nur Funktionäre.

Ein derartiger Klub ist nichts für mich. Ich glaube auch nicht, dass viele der EU-Befürworter das Ringen um die Neubesetzung der Spitzen mit irgendeinem Gefühl von Stolz verfolgt haben. In einem demokratischen Zeitalter ist es unmöglich, derartige Kungeleien zu verteidigen. Lasst uns einen Strich ziehen solange es noch geht, und bitte ohne Gift und Streit.

Daher fand ich auch das rüpelhafte Verhalten der 29 Abgeordneten der Brexit Party bei der Eröffnungsfeier des Europäischen Parlaments in Straßburg so entsetzlich. Sie wandten sich ab, als mit Beethovens Ode an die Freude die EU-Hymne aufgeführt wurde.

Wie unhöflich und kleinlich und boshaft das doch war. Wie schandhaft sie sich doch im Namen unseres Landes aufgeführt haben. Sie wurden in das EU-Parlament gewählt und ziehen ab sofort noch für einige Zeit fröhlich Diäten und Zulagen ab. Dennoch verhielten sie sich wie ungehobelte Mitglieder einer studentischen Debattenmannschaft.

Was müssen kultivierte Europäer (und von denen gibt einige im EU-Parlament) nur von der britischen politischen Klasse halten, die einstmals auf dem Kontinent den Ruf hatte, höflich, gut erzogen und tolerant zu sein?

Das kleinere Kontingent der britischen Liberaldemokraten verhielt sich nicht besser, als sie gelben T-Shirts, den undemokratischen Slogan „Bollocks to Brexit“ zu Markte trugen [in etwa Brexit ist Scheißdreck]. Das war eine grobe und kindliche Geste - und hinterlässt ein beunruhigendes Gefühl.

Sprechen die Abgeordneten der beiden Parteien für das moderne Großbritannien? Falls dem so ist, dann wird die EU froh sein, wenn sie uns endlich los ist. Ich schäme mich für ein solches Verhalten genau so wie ich mich schämte, als britische Fußball Hooligans im Ausland auf die Jagd gingen. Es graust mir bei der Vorstellung, diese Trottel in Straßburg als unsere Vertreter zu sehen.

Meine Frage an die Brexit Party, deren rüpelhaftes Verhalten mir als besonders demütigend aufstieß wäre: Warum lenkt ihr die Aufmerksamkeit nicht auf den autokratischen Charakter der EU, und zwar mit begründeten Argumenten und ohne auf billige und abschätzige Tricks zurückzugreifen?

Beweise für den zwielichtigen Charakter der EU gibt es haufenweise und sie liegen offen da. Das schmutzige Abschließen dieser Hinterzimmergeschäfte, wie es die europäischen Staats- und Regierungschefs getan haben, ist nicht nur undemokratisch. Es führt auch zu Ergebnissen, die sich für die Bürger der EU sehr wahrscheinlich schädlich auswirken werden.

Der gesamte Prozess ist ein deutsch-französisches Flickwerk. Keines der beiden Länder bekommt jeweils die Personalien durch, die es will, aber sie beide müssen mit dem letztendlichen Kompromiss zufrieden sein. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte ursprünglich auf den mitte-rechten Reformpolitiker Manfred Weber für die entscheidende Rolle des Präsidenten der Europäischen Kommission als Nachfolger von Herrn Juncker gedrängt.

Der französische Präsident Emmanuel Macron jedoch mochte Weber nicht wegen seines politischen Hintergrunds. Er bevorzugte den mitte-linken Frans Timmermans, ehemals niederländischer Außenminister.

Verschiedene rechtsgerichtete Regierungen wie Polen, Ungarn und Italien lehnten Timmermans entschieden jedoch ab, woraufhin Macron für die deutsche Verteidigungsministerin Mitglied von Merkels mitte-rechter CDU eintrat.

Nach langem Hin und Her wurde sie schließlich ausgewählt, obwohl sie in ihrem Ministerium in eine Affäre wegen dubioser Auftragsvergaben verwickelt war (sie wurde inzwischen entlastet). Ab dem 1. November wird sie nun also die wichtigste Position in der EU bekleiden.

Ist sie die denn die geeignetste Person für die Stelle? Das kann niemand sagen - wenngleich sie nicht die erste Anwärterin für die Nachfolge Merkels war, wenn diese 2021 von der Kanzlerschaft zurücktritt. Anscheinend ist sie also nicht geeignet Deutschland zu führen, aber für die EU soll es reichen.

Fest steht bislang nur, dass kein einziger europäischer Wähler ein direktes Mitspracherecht bei der Wahl von Frau von der Leyen hatte, auch wenn es durchaus so ist, dass sie die Unterstützung des EU-Parlaments benötigt und einige Mitglieder der Linken dagegen stimmen können.

Ach, fast hätte ich es vergessen: Frau von der Leyen ist wie Jean-Claude Juncker eine leidenschaftliche Verfechterin der Vereinigten Staaten von Europa und tritt für den Aufbau einer europäischen Armee ein. Und wie ihr Vorgänger hasst auch sie die Idee des Brexit. Gestern sagte sie vor einer Privataudienz, dass die EU-Verhandlungsführer „respektable Arbeit“ geleistet hätten.

Was wäre passiert, wenn sich Großbritannien gegen den Austritt aus der EU entschieden hätte? Man hätte sie in dem Fall trotzdem zur Kommissionspräsidentin gekürt, ganz einfach weil sie die Inkarnation der Werte der EU darstellt - genau wie Juncker, gegen dessen Krönung sich David Cameron 2014 vergeblich einsetzte und dabei eine demütigende Niederlage erlitt.

Ursula von der Leyen ist nichts anderes als mehr vom selben: Ein nicht gewähltes (zumindest in Brüssel) Mitglied einer europäischen politischen Elite, deren Ziel es ist, Befugnisse der EU gegenüber einzelnen Ländern zu erweitern. Deswegen bin ich froh, dass wir gehen.

Übrigens ziehe ich nicht viel Trost aus der Nachricht, dass der ältere Eurokrat Martin Selmayr, der kein Freund Großbritanniens zu sein scheint, noch in diesem Jahr seine Stelle verlieren könnte. Denn da wo er herkommt gibt es noch einige von seiner Sorte.

Nebenbei wählten die Staats- und Regierungschefs der EU gleich noch einen zweiten Präsidenten. Charles Michel wird den Posten des belgischen Interimspremierministers aufgeben, um Donald Tusk als Präsidenten des Europäischen Rates nachzufolgen und für die Koordination der Mitgliedstaaten verantwortlich sein wird.

Michel ist ein enger Freund von Macron, es wird also gemütlich zugehen ganz oben. Bei ihm handelt es sich um einen weiteren knallharten Euro-Föderalisten, der eine „immer engere Union“ will, und so lange Großbritanniens die seine wertvolle EU verlässen will ist der sicherlich nicht deren Freund.

Als gäbe es nicht schon genug davon kürten die europäischen Staats- und Regierungschefs noch ein dritter Präsidenten: Christine Lagarde, die seit 2011 den Internationalen Währungsfonds leitet und dabei selbstverständlich steuerfreie 3,5 Millionen Euro einsackt, wird Präsidentin der Europäischen Zentralbank.

Vor allem bei ihr handelt es sich um eine völlig bizarre Personalie. Zum einen, weil sie in der Vergangenheit in Frankreich in einem Korruptionsskandal wegen krimineller Fahrlässigkeit verurteilt wurde, obwohl das vermutlich keinen Unterschied mehr machen wird angesichts der Kanonenkugel, auf die sie gerade geschnallt wurde.

Zum anderen ist sie eher eine Politikerin als eine Ökonomin und damit nicht die erste Wahl für die Rolle der Zentralbankerin. Vor dem Brexit Referndum Referendum im Juni 2016 war sie ein Dreh- und Angelpunkt im Projekt Angst der Austrittsgegner und prophezeite Großbritannien eine wirtschaftliche Katastrophe, die bislang aber noch immer nicht eintrat.

Da Großbritannien den Euro nicht eingeführt hat geht uns die neue Rolle von Frau Lagarde im Grunde genommen nichts an. Andererseits muss man auch sagen, kann es in niemandes Interesse sein, dass die Eurozone wegen Managementfehlern in der EZB ins Stocken gerät.

Fakt ist, diese drei frisch gebackenen Präsidenten werden eine enorme Macht über die Völker Europas ausüben. Sie werden versuchen, die Macht Brüssels zu stärken, obwohl sie mit Sicherheit heftigen Widerstand bekommen werden von populistischen Regierungen in Ungarn, Italien und Polen.

Niemand kann sagen, wie das Experiment der weiteren europäischen Integration enden wird. Wenn ich mir die jüngste Manifestation dieser Entwicklung aber ansehe, dann kann ich nur sagen, dass ich mehr denn je froh darüber bin, dass Großbritannien schon bald kein Teil mehr davon sein wird.