Drei neue Köpfe gebar Moloch (Bildquelle 1, 2, 3) |
Mit etwas Abstand gewinnt man meist einen besseren Überblick. Eine Lebensregel, die quasi überall gilt und so trifft sie auch auf die EU zu. Mit den Briten als demnächst Ex-Mitglied des kontinentalen Klubs gewinnen wir damit eine interessante neue Perspektive hinzu, die nicht mehr von inneren Interessen und dem Streit über den Sinn und Zweck der Mitgliedschaft geprägt ist. Vielmehr können wir akkurate Zustandsbeschreibungen wie die folgende über jenes Gebilde erwarten, von dem wir alle mehr regiert werden als uns lieb ist.
Daily Mail: STEPHEN GLOVER: Die neue Führungsriege wurde komplett dem Hinterzimmer bestimmt. Gott sei Dank verlassen wir die EU!
Der
Befreiungsprozess von der EU hat sich als so langwierig und
schmerzhaft erwiesen, dass wir manchmal unsere ursprünglichen Gründe
für den Austritt vergessen.
Ich bin mit
Sicherheit nicht die einzige Person, die sich nach seiner Stimmabgabe
für den Brexit gelegentlich fragt, ob der Austritt wirklich all die
Bitterkeit und Spaltung wert ist: Die Beschimpfungen, ruinierte
Dinnerpartys und ehemaligen Freunde, die einen auf der Straßen nicht
mehr grüßen.
Es ist
bemerkenswert, wie der Streit um einen Austritt ohne nachfolgenden
Vertrag mit der EU und die Debatte um ein zweites Referendum
praktisch sämtliche Argumente bezüglich der nationalen Souveränität
mit der Kontrolle unserer Grenzen und die grundsätzliche Ablehnung
eines europäischen Superstaates verdrängt hat.
Darum habe ich der
EU in den letzten Tagen innerlich dafür gedankt, dass sich die
europäischen Staats- und Regierungschefs stundenlang zum Kuhhandel
hinter verschlossenen Türen versammelten. Sie haben die Nachfolger
von Jean-Claude Juncker und Donald Tusk ausgekungelt, die in unser
aller Leben eine so überragende Rolle einnahmen.
Dieses Treiben
hinter den Kulissen erinnerte uns daran, wie grundlegend
undemokratisch und mysteriös diese Organisation eigentlich
funktioniert. Es wurden Personen ausgewählt für Posten, in denen
sie über eine enorme Macht verfügen werden und das alles, ohne dass
die Wähler Europas davor einen Blick darauf werfen konnten.
Gott sei Dank treten
wir aus dieser Organisation aus! Gott sei Dank (also es sei denn,
unnachgiebige EU-Befürworter bescheren uns ein zweites Referendum)
werden wir bald nicht mehr Teil eines Gremiums sein, das heimlich
unsere zukünftigen Herrscher auswählt, ohne das Volk darüber zu
konsultieren - denn ja, diese Auserwählten sind weit mehr als nur
Funktionäre.
Ein derartiger Klub
ist nichts für mich. Ich glaube auch nicht, dass viele der
EU-Befürworter das Ringen um die Neubesetzung der Spitzen mit
irgendeinem Gefühl von Stolz verfolgt haben. In einem demokratischen
Zeitalter ist es unmöglich, derartige Kungeleien zu verteidigen.
Lasst uns einen Strich ziehen solange es noch geht, und bitte ohne
Gift und Streit.
Daher fand ich auch
das rüpelhafte Verhalten der 29 Abgeordneten der Brexit Party bei
der Eröffnungsfeier des Europäischen Parlaments in Straßburg so
entsetzlich. Sie wandten sich ab, als mit Beethovens Ode an die
Freude die EU-Hymne aufgeführt wurde.
Wie unhöflich und
kleinlich und boshaft das doch war. Wie schandhaft sie sich doch im
Namen unseres Landes aufgeführt haben. Sie wurden in das
EU-Parlament gewählt und ziehen ab sofort noch für einige Zeit
fröhlich Diäten und Zulagen ab. Dennoch verhielten sie sich wie
ungehobelte Mitglieder einer studentischen Debattenmannschaft.
Was müssen
kultivierte Europäer (und von denen gibt einige im EU-Parlament) nur
von der britischen politischen Klasse halten, die einstmals auf dem
Kontinent den Ruf hatte, höflich, gut erzogen und tolerant zu sein?
Das kleinere
Kontingent der britischen Liberaldemokraten verhielt sich nicht
besser, als sie gelben T-Shirts, den undemokratischen Slogan
„Bollocks to Brexit“ zu Markte trugen [in etwa Brexit ist
Scheißdreck]. Das war eine grobe und kindliche Geste - und
hinterlässt ein beunruhigendes Gefühl.
Sprechen die
Abgeordneten der beiden Parteien für das moderne Großbritannien?
Falls dem so ist, dann wird die EU froh sein, wenn sie uns endlich
los ist. Ich schäme mich für ein solches Verhalten genau so wie ich
mich schämte, als britische Fußball Hooligans im Ausland auf die
Jagd gingen. Es graust mir bei der Vorstellung, diese Trottel in
Straßburg als unsere Vertreter zu sehen.
Meine Frage an die
Brexit Party, deren rüpelhaftes Verhalten mir als besonders
demütigend aufstieß wäre: Warum lenkt ihr die Aufmerksamkeit nicht
auf den autokratischen Charakter der EU, und zwar mit begründeten
Argumenten und ohne auf billige und abschätzige Tricks
zurückzugreifen?
Beweise für den
zwielichtigen Charakter der EU gibt es haufenweise und sie liegen
offen da. Das schmutzige Abschließen dieser Hinterzimmergeschäfte,
wie es die europäischen Staats- und Regierungschefs getan haben, ist
nicht nur undemokratisch. Es führt auch zu Ergebnissen, die sich für
die Bürger der EU sehr wahrscheinlich schädlich auswirken werden.
Der gesamte Prozess
ist ein deutsch-französisches Flickwerk. Keines der beiden Länder
bekommt jeweils die Personalien durch, die es will, aber sie beide
müssen mit dem letztendlichen Kompromiss zufrieden sein.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte ursprünglich auf den
mitte-rechten Reformpolitiker Manfred Weber für die entscheidende
Rolle des Präsidenten der Europäischen Kommission als Nachfolger
von Herrn Juncker gedrängt.
Der französische
Präsident Emmanuel Macron jedoch mochte Weber nicht wegen seines
politischen Hintergrunds. Er bevorzugte den mitte-linken Frans
Timmermans, ehemals niederländischer Außenminister.
Verschiedene
rechtsgerichtete Regierungen wie Polen, Ungarn und Italien lehnten
Timmermans entschieden jedoch ab, woraufhin Macron für die deutsche
Verteidigungsministerin Mitglied von Merkels mitte-rechter CDU
eintrat.
Nach langem Hin und
Her wurde sie schließlich ausgewählt, obwohl sie in ihrem
Ministerium in eine Affäre wegen dubioser Auftragsvergaben
verwickelt war (sie wurde inzwischen entlastet). Ab dem 1. November
wird sie nun also die wichtigste Position in der EU bekleiden.
Ist sie die denn die
geeignetste Person für die Stelle? Das kann niemand sagen -
wenngleich sie nicht die erste Anwärterin für die Nachfolge Merkels
war, wenn diese 2021 von der Kanzlerschaft zurücktritt. Anscheinend
ist sie also nicht geeignet Deutschland zu führen, aber für die EU
soll es reichen.
Fest steht bislang
nur, dass kein einziger europäischer Wähler ein direktes
Mitspracherecht bei der Wahl von Frau von der Leyen hatte, auch wenn
es durchaus so ist, dass sie die Unterstützung des EU-Parlaments
benötigt und einige Mitglieder der Linken dagegen stimmen können.
Ach, fast hätte ich
es vergessen: Frau von der Leyen ist wie Jean-Claude Juncker eine
leidenschaftliche Verfechterin der Vereinigten Staaten von Europa und
tritt für den Aufbau einer europäischen Armee ein. Und wie ihr
Vorgänger hasst auch sie die Idee des Brexit. Gestern sagte sie vor
einer Privataudienz, dass die EU-Verhandlungsführer „respektable
Arbeit“ geleistet hätten.
Was wäre passiert,
wenn sich Großbritannien gegen den Austritt aus der EU entschieden
hätte? Man hätte sie in dem Fall trotzdem zur
Kommissionspräsidentin gekürt, ganz einfach weil sie die
Inkarnation der Werte der EU darstellt - genau wie Juncker, gegen
dessen Krönung sich David Cameron 2014 vergeblich einsetzte und
dabei eine demütigende Niederlage erlitt.
Ursula von der Leyen
ist nichts anderes als mehr vom selben: Ein nicht gewähltes
(zumindest in Brüssel) Mitglied einer europäischen politischen
Elite, deren Ziel es ist, Befugnisse der EU gegenüber einzelnen
Ländern zu erweitern. Deswegen bin ich froh, dass wir gehen.
Übrigens ziehe ich
nicht viel Trost aus der Nachricht, dass der ältere Eurokrat Martin
Selmayr, der kein Freund Großbritanniens zu sein scheint, noch in
diesem Jahr seine Stelle verlieren könnte. Denn da wo er herkommt
gibt es noch einige von seiner Sorte.
Nebenbei wählten
die Staats- und Regierungschefs der EU gleich noch einen zweiten
Präsidenten. Charles Michel wird den Posten des belgischen
Interimspremierministers aufgeben, um Donald Tusk als Präsidenten
des Europäischen Rates nachzufolgen und für die Koordination der
Mitgliedstaaten verantwortlich sein wird.
Michel ist ein enger
Freund von Macron, es wird also gemütlich zugehen ganz oben. Bei ihm
handelt es sich um einen weiteren knallharten Euro-Föderalisten, der
eine „immer engere Union“ will, und so lange Großbritanniens die
seine wertvolle EU verlässen will ist der sicherlich nicht deren
Freund.
Als gäbe es nicht
schon genug davon kürten die europäischen Staats- und
Regierungschefs noch ein dritter Präsidenten: Christine Lagarde, die
seit 2011 den Internationalen Währungsfonds leitet und dabei
selbstverständlich steuerfreie 3,5 Millionen Euro einsackt, wird
Präsidentin der Europäischen Zentralbank.
Vor allem bei ihr
handelt es sich um eine völlig bizarre Personalie. Zum einen, weil
sie in der Vergangenheit in Frankreich in einem Korruptionsskandal
wegen krimineller Fahrlässigkeit verurteilt wurde, obwohl das
vermutlich keinen Unterschied mehr machen wird angesichts der
Kanonenkugel, auf die sie gerade geschnallt wurde.
Zum anderen ist sie
eher eine Politikerin als eine Ökonomin und damit nicht die erste
Wahl für die Rolle der Zentralbankerin. Vor dem Brexit Referndum
Referendum im Juni 2016 war sie ein Dreh- und Angelpunkt im Projekt
Angst der Austrittsgegner und prophezeite Großbritannien eine
wirtschaftliche Katastrophe, die bislang aber noch immer nicht
eintrat.
Da Großbritannien
den Euro nicht eingeführt hat geht uns die neue Rolle von Frau
Lagarde im Grunde genommen nichts an. Andererseits muss man auch
sagen, kann es in niemandes Interesse sein, dass die Eurozone wegen
Managementfehlern in der EZB ins Stocken gerät.
Fakt ist, diese drei
frisch gebackenen Präsidenten werden eine enorme Macht über die
Völker Europas ausüben. Sie werden versuchen, die Macht Brüssels
zu stärken, obwohl sie mit Sicherheit heftigen Widerstand bekommen
werden von populistischen Regierungen in Ungarn, Italien und Polen.
Niemand kann sagen,
wie das Experiment der weiteren europäischen Integration enden wird.
Wenn ich mir die jüngste Manifestation dieser Entwicklung aber
ansehe, dann kann ich nur sagen, dass ich mehr denn je froh darüber
bin, dass Großbritannien schon bald kein Teil mehr davon sein wird.