9. März 2019

Länder, deren BIP kleiner ist als die erhaltene Entwicklungshilfe


(Bildquelle)

Selbst für Skeptiker klingt der Titel etwas absurd. Ist es überhaupt möglich, dass ein Land ausländische Hilfsgelder erhält, die in der Summe größer sind als die eigentliche Wirtschaftsleistung des Landes? Immerhin fließen die Entwicklungshilfezahlungen ein in die Berechnung des BIP, da dieses für das Inlandsprodukt steht, also alles beinhaltet, was unabhängig von der Herkunft im Inland umgesetzt wird. Und dazu gehört eben auch die Entwicklungshilfe. Glaubt man jedoch dieser offiziellen Seite zur Weltentwicklungshilfe, dann gibt es tatsächlich Länder, wo das BIP mitunter deutlich unterhalb der erhaltenen Hilfszahlungen liegt.



Die Großmachtmüllhalde Afghanistan ist kein entwicklungspolitischer Sonderfall



Eigentlich wollte ich etwas schreiben zu den Geldern, die jährlich über Militärausgaben und die Entwicklungshilfe nach Afghanistan fließen. Zählt man nämlich die Ausgaben aller Geberländer und die militärischen Ausgaben im Land zusammen, dann kommt man seltsam nahe an die Zahl für das offizielle BIP von Afghanistan heran, das bei ungefähr 20 Milliarden US-Dollar liegen soll.

Beispielsweise zahlen die USA im Jahr alleine 5 Milliarden US-Dollar an das potemkinsche Dorf, das sich „afghanisches Militär“ nennt. Falls es bei der Berechnung des afghanischen BIP auch nur halbwegs korrekt zugeht, dann muss diese 5 Milliarden Dollar schwere Militärhilfe als Teil des afghanischen BIP verbucht werden. Anders gesagt, die Direkthilfen des US-Militär alleine sind verantwortlich für schlappe 25% der afghanischen Wirtschaftsleistung. Gleichzeitig würde es bedeuten, dass Afghanistan relativ gesehen weit mehr für sein Militär ausgibt, als es Hitlerdeutschland auf dem Höhepunkt der Totalen Kriegsdoktrin tat.

Hinzu kommen in Afghanistan weitere militärische Ausgaben durch die USA und selbstverständlich auch die Ausgaben der dort aktiven NATO Länder wie Deutschland, das jährlich über eine halbe Milliarde in Afghanistan liegen lässt. Nicht zuletzt ist die klassische Entwicklungshilfe intensiv tätig in Afghanistan, deren Gesamtbudget aller Geberländer laut offizieller Zahlen bei knapp vier Milliarden US-Dollar liegt.

Jenseits von seltsam wird es bereits, wenn man alleine die drei genannten Zahlen einmal aufsummiert. Sie entsprechen zusammen fast 50 Prozent des afghanischen BIP. Bedenkt man dazu noch, dass der oben verlinkte Artikel zu den US Zahlen betitelt ist mit „Afghanistankrieg kostet die USA jährlich 45 Milliarden Dollar“, dann mus man sich fragen, aus welchem Material die Wasserleitungen des für die afghanische BIP Zahl verantwortlichen Statistikamtes bestehen. Bedeutet es doch, dass weit mehr als die Hälfte der Wirtschaftsleistung des Landes irgendwo in einem großen, schwarzen Loch verschwinden muss – und niemanden scheint es zu stören.

Afghanistan ist aber bei Leibe nicht der einzige Fall, in dem das Zusammenrechnen und Vergleichen offizieller Zahlen auf sehr viel Kreativität in den Amtsstuben der Welt hindeutet.



Compare your Country… ok!



Bei aller Kritik am Prinzip und der praktischen Anwendung der Entwicklungshilfe gibt es eine Sache, die inzwischen erstklassig gehandhabt wird. Es ist die Transparenz bei den Zahlungen, die unter anderem hier gut nachvollziehbar aufgeschlüsselt werden nach Geber- und Empfängerländern, sowie nach den Sektoren, wo die Gelder genau versenkt werden. Also vorausgesetzt, man glaubt den Zuständigen für das Erstellen des Zahlenmaterials, aber das ist ein anderes Thema.

Auf der Karte mit den Empfängern sind viele Kreise zu sehen, wobei jeder Kreis für ein Empfängerland steht. Je größer der Kreis, desto mehr Geld bekommt das Land zugeschoben und je dunkler der Kreis, desto größer ist der pro-Kopf Wert für die Einwohner.

Ganz vorne in beiden Kategorien liegt derzeit aus nachvollziehbaren Gründen Syrien, das insgesamt über 10 Milliarden US-Dollar an Hilfen erhält (sollte ich Hilfen in Gänsefüßchen setzen?). Für den Durchschnittssyrer bedeutet das, dass offiziell etwa ein Viertel seines Einkommens aus Entwicklungshilfe besteht. Klar ist, dass der tatsächliche Prozentanteil deutlich darunter liegen dürfte, aber der Wert der Schattenwirtschaft wird dort wie überall nicht mitgezählt.

Hinter dem Großempfänger Syrien gibt es einige Länder, in denen die Relationen noch viel krasser sind und dies mitunter ohne ersichtlichen Grund, weil es keinen Krieg gibt und der Ort auch sonst nicht für Elend bekannt ist. Den Südsudan als ebenfalls wichtiges Empfängerland mit deutlich über 2 Milliarden Dollar kann man noch als kriegszerrissenes Elendsloch bezeichnen. Allerdings ist es in meinen Augen nur schwer vorstellbar, dass über 150 Dollar pro Kopf und Jahr an Hilfsgeldern fließen, während das pro-Kopf BIP des Landes bei gerade einmal knapp über 200 Dollar liegt.

Was läuft dort nur falsch, frage ich mich, dass der Entwicklungshilfeanteil am BIP bei 75 Prozent liegt? Nicht einmal die notorisch betteläugigen Palästinenser mit ihrem 7,5 Prozent Anteil Entwicklungshilfe am BIP (450$/6.000$) sind so heftig abhängig vom internationalen Tropf wie das ölreiche Land im Osten Afrikas.

Aber es geht noch deutlich abhängiger, wie ich erstaunt feststellen musste, als ich mir einmal die kleiren Flecken auf der Übersichtskarte näher angesehen habe. Vor allem tropische Inselstaaten, so scheint es, haben sich mit der Entwicklungshilfe eine veritable Einkommensquelle gesichert, mit der sie ihre Kokos-Rum-Drinks am Strand ordentlich versüßen. Hier die Liste (Zahlen jeweils gerundet und in US-Dollar):



Über 100 Prozent Entwicklungshilfe am BIP - ist das nicht großartig? Der Fairness halber muss man natürlich erwähnen, dass einige der Inseln über eine strategische Bedeutung verfügen und es dort militärische Einrichtungen gibt, die den Einheimischen mit Finanzhilfen schmackhaft gemacht werden müssen. Vor allem St. Helena dürfte ein solcher Fall sein und wer weiß schon, was Neuseeland und Australien in Tokelau treiben, dass sie dort gleich das siebenfache an Geld verbrennen, als in der offiziellen Statistik auftaucht.

Unsere besten französischen EU-Freunde wiederum tauchen gleich mehrere Male auf als bedeutungsschwere Großspender des entwicklungspolitischen Irrsinns am tropischen A-der-W. Ich nehme stark an, dass man sich damit den nominalen Großmachtstatus erkaufen will, auch wenn es wie in Wallis und Futuna bedeutet, dass knapp 50 Prozent des Geldes dahin verschwindet, wo die karibische Sonne selten hinscheint. Man darf annehmen, dass der Irrsinn französischer Provinienz dann bald auf EU-Ebene fortgesetzt wird, sobald Macrons Großmacht der gefallenen Großmächte steht. An den Palmenstränden der Welt wird man sich freuen.

Der größte Teil der Zahlungen an tropische Inseln, die nicht aus EU-Land oder Neuseeland und Australien kommen, stammen übrigens von den Briten. Auch dort lässt man sich den nominalen Status einer Großmacht (plus die Akzeptanz der britischen Monarchie) noch immer einiges kosten. 

Mir völlig unverständlich ist das luxemburgische Engagement in Kap Verde. Nicht nur liegt deren pro Kopf BIP in einem annehmbaren Bereich, vielmehr sollte sich Luxemburg mit seinen begrenzten Ressourcen nach meinem Verständnis von Vernunft vor allem da helfen, wo es am meisten bringt und damit helfen, was es am besten kann. Seine Munition aber auf einer verhältnismäßig wohlhabenden tropischen Insel zu verballern ist nicht gerade das, was ich mir unter effektiver Hilfe am optimalen Ort vorstelle. Das wäre momentan eher da, wo gemeinhin die Burka im kalten Wind weht.

Auch Portugals finanzielles Interesse an einigen Inseln ist mir schleierhaft jenseits einer gewissen historischen Bedeutung. Hat das Land doch genug eigene Probleme und entwicklungsbedürftige Regionen im Inland. Sao Tome als kleines entwicklungspolitisches Nebenprojekt ist eine Ohrfeige für jeden Portugiesen, der im Jahre elf der Finanzkrise noch immer verzweifelt eine Arbeit sucht.

Bleiben noch die beiden – Vorsicht Ironie - Extremarmenhäuser der Mongolei und Serbien. Beide Länder wie auch Dominica und die Cook Inseln gehören hinsichtlich ihrer Wirtschaftsleistung überhaupt nicht auf die Liste der Empfängerländer. Angesichts des dortigen relativen Wohlstandes ist es eine absolute Frechheit für jeden Steuerzahler, dass dort noch immer umfassend Entwicklungshilfe getrieben wird. Drei bis sieben Prozent der Wirtschaftsleistung sind nicht gerade wenig, man muss sich das nur einmal für Deutschland vorstellen. Im drei Prozentfall entspräche es in etwa der Wirtschaftsleistung Schleswig-Holsteins (93 Mrd Euro) und sieben Prozent am deutschen BIP erwirtschaftet das Bankenland Hessen (279 Mrd Euro).

Bedenklich im Fall von Serbien ist auch das seltsame Interesse der Vereinigten Arabischen Emirate an dem Land. Der Golfstaat VAE ist verantwortlich für nicht weniger als 70 Prozent der geleisteten Entwicklungshilfe, wobei die 1,2 Milliarden Dollar komplett in „Programmassistenz“ fließen. Was auch immer das heißen mag, aber Moscheen können heute vieles sein.



Fazit



Was bleibt ist der feste Eindruck, dass es bei Entwicklungshilfe um vieles geht, nur nicht um Entwicklungshilfe, sondern eher um politischem Einfluss, um militärische Absicherung und um die Verteidigung von Pfründen.

Am fatalsten jedoch ist die Erkenntnis, dass die offiziellen Zahlen – sowohl jene der Entwicklungshilfe als auch die BIP Werte – vielem entsprechen, nur offensichtlich nicht der Wahrheit. Sie sind letztlich nichts weiter als der Ausdruck von Interessen und als deutscher Steuerzahler spiegeln sich meine Interessen darin eindeutig nicht wieder. Dass man deren Falschheit so leicht nachweisen kann sollte einem zu denken geben.