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Selbst für Skeptiker klingt der Titel etwas absurd. Ist es überhaupt möglich, dass ein Land ausländische Hilfsgelder erhält, die in der Summe größer sind als die eigentliche Wirtschaftsleistung des Landes? Immerhin fließen die Entwicklungshilfezahlungen ein in die Berechnung des BIP, da dieses für das Inlandsprodukt steht, also alles beinhaltet, was unabhängig von der Herkunft im Inland umgesetzt wird. Und dazu gehört eben auch die Entwicklungshilfe. Glaubt man jedoch dieser offiziellen Seite zur Weltentwicklungshilfe, dann gibt es tatsächlich Länder, wo das BIP mitunter deutlich unterhalb der erhaltenen Hilfszahlungen liegt.
Die Großmachtmüllhalde Afghanistan ist kein entwicklungspolitischer Sonderfall
Eigentlich wollte
ich etwas schreiben zu den Geldern, die jährlich über
Militärausgaben und die Entwicklungshilfe nach Afghanistan fließen.
Zählt man nämlich die Ausgaben aller Geberländer und die
militärischen Ausgaben im Land zusammen, dann kommt man seltsam nahe
an die Zahl für das offizielle BIP von Afghanistan heran, das bei
ungefähr 20 Milliarden US-Dollar liegen soll.
Beispielsweise
zahlen die USA im Jahr alleine 5 Milliarden US-Dollar an das
potemkinsche Dorf, das sich „afghanisches Militär“ nennt. Falls
es bei der Berechnung des afghanischen BIP auch nur halbwegs korrekt
zugeht, dann muss diese 5 Milliarden Dollar schwere Militärhilfe als
Teil des afghanischen BIP verbucht werden. Anders gesagt, die
Direkthilfen des US-Militär alleine sind verantwortlich für
schlappe 25% der afghanischen Wirtschaftsleistung. Gleichzeitig würde es bedeuten, dass Afghanistan relativ gesehen weit mehr für sein Militär ausgibt, als es Hitlerdeutschland auf dem Höhepunkt der Totalen Kriegsdoktrin tat.
Hinzu kommen in Afghanistan weitere
militärische Ausgaben durch die USA und selbstverständlich auch die Ausgaben der
dort aktiven NATO Länder wie Deutschland, das
jährlich über eine halbe Milliarde in Afghanistan liegen lässt.
Nicht zuletzt ist die klassische Entwicklungshilfe intensiv tätig in
Afghanistan, deren Gesamtbudget aller Geberländer laut offizieller
Zahlen bei knapp vier Milliarden US-Dollar liegt.
Jenseits von seltsam wird es
bereits, wenn man alleine die drei genannten Zahlen einmal
aufsummiert. Sie entsprechen zusammen fast 50 Prozent des
afghanischen BIP. Bedenkt man dazu noch, dass der oben verlinkte Artikel
zu den US Zahlen betitelt ist mit „Afghanistankrieg kostet die USA
jährlich 45 Milliarden Dollar“, dann mus man sich fragen, aus
welchem Material die Wasserleitungen des für die afghanische BIP
Zahl verantwortlichen Statistikamtes bestehen. Bedeutet es doch, dass weit mehr als die Hälfte der
Wirtschaftsleistung des Landes irgendwo in einem großen, schwarzen
Loch verschwinden muss – und niemanden scheint es zu stören.
Afghanistan ist aber
bei Leibe nicht der einzige Fall, in dem das Zusammenrechnen und
Vergleichen offizieller Zahlen auf sehr viel Kreativität in den
Amtsstuben der Welt hindeutet.
Compare your Country… ok!
Bei aller Kritik am
Prinzip und der praktischen Anwendung der Entwicklungshilfe gibt es
eine Sache, die inzwischen erstklassig gehandhabt wird. Es ist die
Transparenz bei den Zahlungen, die unter
anderem hier gut nachvollziehbar aufgeschlüsselt werden nach
Geber- und Empfängerländern, sowie nach den Sektoren, wo die Gelder
genau versenkt werden. Also vorausgesetzt, man glaubt den Zuständigen
für das Erstellen des Zahlenmaterials, aber das ist ein anderes
Thema.
Auf der Karte mit
den Empfängern sind viele Kreise zu sehen, wobei jeder Kreis für
ein Empfängerland steht. Je größer der Kreis, desto mehr Geld
bekommt das Land zugeschoben und je dunkler der Kreis, desto größer
ist der pro-Kopf Wert für die Einwohner.
Ganz vorne in beiden
Kategorien liegt derzeit aus nachvollziehbaren Gründen Syrien, das
insgesamt über 10 Milliarden US-Dollar an Hilfen erhält (sollte ich
Hilfen in Gänsefüßchen setzen?). Für den Durchschnittssyrer
bedeutet das, dass offiziell etwa ein Viertel seines Einkommens aus
Entwicklungshilfe besteht. Klar ist, dass der tatsächliche Prozentanteil
deutlich darunter liegen dürfte, aber der Wert der
Schattenwirtschaft wird dort wie überall nicht mitgezählt.
Hinter dem
Großempfänger Syrien gibt es einige Länder, in denen die
Relationen noch viel krasser sind und dies mitunter ohne
ersichtlichen Grund, weil es keinen Krieg gibt und der Ort auch sonst
nicht für Elend bekannt ist. Den Südsudan als ebenfalls
wichtiges Empfängerland mit deutlich über 2 Milliarden Dollar kann
man noch als kriegszerrissenes Elendsloch bezeichnen. Allerdings ist es in meinen Augen
nur schwer vorstellbar, dass über 150 Dollar pro Kopf und Jahr
an Hilfsgeldern fließen, während
das pro-Kopf BIP des Landes bei gerade einmal knapp über 200 Dollar
liegt.
Was läuft dort nur
falsch, frage ich mich, dass der Entwicklungshilfeanteil am BIP bei
75 Prozent liegt? Nicht einmal die notorisch betteläugigen
Palästinenser mit ihrem 7,5 Prozent Anteil Entwicklungshilfe am BIP
(450$/6.000$) sind so
heftig abhängig vom internationalen Tropf wie das
ölreiche Land im Osten Afrikas.
Aber es geht noch
deutlich abhängiger, wie ich erstaunt feststellen musste, als ich
mir einmal die kleiren Flecken auf der Übersichtskarte näher
angesehen habe. Vor allem tropische Inselstaaten, so scheint es,
haben sich mit der Entwicklungshilfe eine veritable Einkommensquelle
gesichert, mit der sie ihre Kokos-Rum-Drinks am Strand ordentlich
versüßen. Hier die Liste (Zahlen jeweils gerundet und in
US-Dollar):
Über 100 Prozent
Entwicklungshilfe am BIP - ist das nicht großartig? Der Fairness
halber muss man natürlich erwähnen, dass einige der Inseln über
eine strategische Bedeutung verfügen und es dort militärische
Einrichtungen gibt, die den Einheimischen mit Finanzhilfen
schmackhaft gemacht werden müssen. Vor allem St. Helena dürfte ein
solcher Fall sein und wer weiß schon, was Neuseeland und Australien
in Tokelau treiben, dass sie dort gleich das siebenfache an Geld
verbrennen, als in der offiziellen Statistik auftaucht.
Unsere besten
französischen EU-Freunde wiederum tauchen gleich mehrere Male auf
als bedeutungsschwere Großspender des entwicklungspolitischen
Irrsinns am tropischen A-der-W. Ich nehme stark an, dass man sich
damit den nominalen Großmachtstatus erkaufen will, auch wenn es wie
in Wallis und Futuna bedeutet, dass knapp 50 Prozent des Geldes dahin
verschwindet, wo die karibische Sonne selten hinscheint. Man darf annehmen, dass
der Irrsinn französischer Provinienz dann bald auf EU-Ebene
fortgesetzt wird, sobald Macrons Großmacht der gefallenen Großmächte
steht. An den Palmenstränden der Welt wird man sich freuen.
Der größte Teil der Zahlungen an tropische Inseln, die nicht aus EU-Land oder Neuseeland und Australien kommen, stammen übrigens von den Briten. Auch dort lässt man sich den nominalen Status einer Großmacht (plus die Akzeptanz der britischen Monarchie) noch immer einiges kosten.
Mir völlig unverständlich
ist das luxemburgische Engagement in Kap Verde. Nicht nur liegt
deren pro Kopf BIP in einem annehmbaren Bereich, vielmehr sollte sich
Luxemburg mit seinen begrenzten Ressourcen nach meinem Verständnis von Vernunft vor allem da helfen, wo es am meisten bringt und damit
helfen, was es am besten kann. Seine Munition aber auf einer
verhältnismäßig wohlhabenden tropischen Insel zu verballern ist
nicht gerade das, was ich mir unter effektiver Hilfe am optimalen Ort
vorstelle. Das wäre momentan eher da, wo gemeinhin die Burka im
kalten Wind weht.
Auch Portugals
finanzielles Interesse an einigen Inseln ist mir schleierhaft
jenseits einer gewissen historischen Bedeutung. Hat das Land doch
genug eigene Probleme und entwicklungsbedürftige Regionen im Inland.
Sao Tome als kleines entwicklungspolitisches Nebenprojekt ist eine
Ohrfeige für jeden Portugiesen, der im Jahre elf der Finanzkrise
noch immer verzweifelt eine Arbeit sucht.
Bleiben noch die
beiden – Vorsicht Ironie - Extremarmenhäuser der Mongolei und
Serbien. Beide Länder wie auch Dominica und die Cook Inseln gehören hinsichtlich ihrer
Wirtschaftsleistung überhaupt nicht auf die Liste der
Empfängerländer. Angesichts des dortigen relativen Wohlstandes ist
es eine absolute Frechheit für jeden Steuerzahler, dass dort noch
immer umfassend Entwicklungshilfe getrieben wird. Drei bis sieben
Prozent der Wirtschaftsleistung sind nicht gerade wenig, man muss
sich das nur einmal für Deutschland vorstellen. Im drei Prozentfall
entspräche es in etwa der Wirtschaftsleistung Schleswig-Holsteins (93 Mrd Euro) und sieben
Prozent am deutschen BIP erwirtschaftet das Bankenland Hessen (279
Mrd Euro).
Bedenklich im Fall
von Serbien ist auch das seltsame Interesse der Vereinigten
Arabischen Emirate an dem Land. Der Golfstaat VAE ist verantwortlich
für nicht weniger als 70 Prozent der geleisteten Entwicklungshilfe,
wobei die 1,2 Milliarden Dollar komplett in „Programmassistenz“
fließen. Was auch immer das heißen mag, aber Moscheen können heute
vieles sein.
Fazit
Was bleibt ist der
feste Eindruck, dass es bei Entwicklungshilfe um vieles geht, nur
nicht um Entwicklungshilfe, sondern eher um politischem Einfluss, um
militärische Absicherung und um die Verteidigung von Pfründen.
Am fatalsten jedoch
ist die Erkenntnis, dass die offiziellen Zahlen – sowohl jene der
Entwicklungshilfe als auch die BIP Werte – vielem entsprechen, nur
offensichtlich nicht der Wahrheit. Sie sind letztlich nichts weiter
als der Ausdruck von Interessen und als deutscher Steuerzahler
spiegeln sich meine Interessen darin eindeutig nicht wieder. Dass man
deren Falschheit so leicht nachweisen kann sollte einem zu denken
geben.