6. Oktober 2018

Analyse: Warum Bayern grün wählt


Ministerpräsidentin Hofreiter Toni steht bereit (Bildquelle)

Etwas überraschend stehen die Grünen in Bayern nur eine Woche vor der nächsten Landtagswahl bei imposanten 18 Prozent. Dieses Ergebnis könnte man abtun als die übliche Manipulation der Prognosen. Es gibt aber auch einige handfeste Gründe, warum Bayern auf dem besten Weg ist politisch grün zu werden.


Bayern boomt und zieht vor allem junge, gebildete Frauen an



Aus bekannten Gründen wurden die Statistiken zum Wanderungssaldo nach Bayern in den letzten drei Jahren leider bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Daher lassen sich nur bedingt tendenzielle Rückschlüsse ziehen aus den Wanderungssaldi dieser Zeit zwischen den Bundesländern.

Davor aber war Bayern dank seiner starken Wirtschaft in Relation vor allem zu den neuen Ländern ein überaus beliebtes Ziel für junge Menschen auf der Suche nach einer gut bezahlten Arbeitsstelle. Zwischen den Jahren 1995 und 2015, also bis vor Merkels Grenzöffnung, stieg die Einwohnerzahl des Bundeslandes um etwa 800.000 Personen oder 6,25 Prozent an. Dies lag nicht an der dortigen Geburtenrate, die auch in Bayern unter dem Bestandserhalt liegt, sondern vor an Zuwanderern.

Von diesen Zuwanderern stammen sicherlich einige aus dem europäischen Ausland, jedoch kann man auch erwarten, dass einige von diesen heute bei uns wählen dürfen. Mindestens die Hälfte dieser Neubayern aber stammt aus anderen Regionen in Deutschland und sie dürfen damit auch an den Landtagswahlen teilnehmen, zumal es sich bei den Personen vor allem um Erwachsene handeln dürfte.

Seit den Landtagswahlen im Jahr 1998, als die CSU mit Edmund Stoiber noch knapp 53 Prozent holte, während die Grünen auf nur knapp 6 Prozent kamen, hat sich die Zusammensetzung der Wahlberechtigten also alleine durch die Zuwanderung von Wahlberechtigten um etwa 5 Prozent verändert.

Selbstverständlich erklärt dies nicht alles, da nicht alle Neubayern grün wählen, aber es gibt einen Hinweis darauf, was sich in Bayern (und übrigens auch in der neuen Grünenhochburg Baden-Württemberg) hauptsächlich verändert hat. Ich halte es nämlich für sehr wahrscheinlich, dass die Zuwanderer überproportional oft grün wählen. Dies aus mehreren Gründen.

Erstens, die meisten innerdeutschen Arbeitsmigranten nach Bayern dürften überdurchschnittlich hoch qualifiziert sein und diese wählen viel öfters die Grünen als andere, was bereits 2011 bekannt war (Seite 6). Zu dem Zeitpunkt wählten 30 Prozent der Wähler mit Abitur die Grünen, wodurch sie in dieser Kategorie weit vorne lag unter den Parteien.

Hinzu kommt die Tatsache, dass Bayern sehr wahrscheinlich überproportional viele weibliche Binnenzuwanderer hinzugewann. Beispielsweise zogen seit 1998 kanpp 200.000 Personen aus Mitteldeutschland nach Bayern. In den Herkunftsgebieten entstand dadurch nicht nur eine Personallücke unter den Talentierteren, sondern vor allem eine Lücke, die verursacht wurde von Frauen. Frauen wiederum wählen deutlich öfters die Grünen als Männer, wie eine Grafik auf Seite 26 am Beispiel Baden-Württembergs zeigt.

Nicht zuletzt sind viele der Zuwanderer eher jung. Auch das spricht für die Grünen mit dem niedrigsten Durchschnittsalter unter den Wählern, wie auch die Tatsache, dass der durchschnittliche Grünenwähler mit das höchste Haushaltseinkommen verfügt, das bekanntlich in Bayern am häufigsten gezahlt wird.

Insgesamt sprechen bei den deutschen Binnenzuwanderern nach Bayern vom Geschlecht, über das Alter, die Bildung und das Einkommen sämtliche Faktoren dafür, dass sie deutlich öfters als der Durchschnitt grün wählen. Ich würde mich daher nicht wundern, wenn die Grünen unter dieser Personengruppe bei der Wahlpräferenz an erster Stelle steht, zumal sich die klassische Bindung an die CSU meist aus der Verwurzelung in der Region speist. Bei Neubayern braucht es vermutlich erst ein paar Jahrzehnte, bis diese auch bei ihnen wirkt.

Ich würde schätzen, dass die Grünen mindestens zwei der 18 Prozent der Binnenwanderung nach Bayern zu verdanken haben.



Bayern hat Lebensqualität, Lebensqualität bedeutet „bio“ und Bio ist grün



Es handelt sich bei dieser Kaskade um ein eher weiches Argument, das angesichts der dem Ruf her noch immer wertkonservativen CSU mit einer mutmaßlichen urig-naturverbundenen Ader noch weiter geschwächt wird. Man darf aber nicht vergessen, dass auch in Bayern der Kulturmarxismus mit all seinen Auswirkungen bis in den letzten Winkel wirkt und auch dort die alte Mentalitätsverbindungen systematisch gekappt wurden.

Bei den Älteren mit grünem Daumen mag die Orts- und Naturverbundenheit der CSU noch ein Wahlgrund sein, bei den Jüngeren in Bayern aber sind der CO2 Wahn und das Ökolebensgefühl beim Lebensmitteleinkauf genauso präsent wie überall und diese ist in erster Linie verbunden mit dem Wirken der Grünen.

Schaut man sich nun wieder den Vergleich an zwischen 1998 und heute, dann sind in diesen 20 Jahren auch 20 grün angehauchte CSU wählende Jahrgänge von uns gegangen, während 20 neue grün angehauchte und auf Grün gepolte Jahrgänge nachgewachsen sind.

Wenn jeder Jahrgang etwa 0,5 Prozent der Wählerschaft ausmacht und nur ein Drittel der jungen Ökoangehauchten das Lager gewechselt hat, dann wären das weitere drei Prozent mehr für die Grünen als noch 1998.



Die wahrgenommene Konservativität der bayerischen Grünen



Es hat lange gedauert, bis die Grünen in Bayern strukturell Fuß fassen konnten und in einigen Gegenden ist es heute noch immer nicht vollzogen. Wenn aber erst einmal ein einheimischer Grüner beispielsweise Bürgermeister in einem 5.000 Seelen Kaff wird, dann ist das ein Keil in der politischen Mentalitätsspange, der so schnell nicht wieder zu entfernen ist. Dafür sorgt die Verwurzelung, die im Alltagsgeschäft meist stärker wirkt als die Ideologie und nicht jeder hippe und offen schwule Bürgermeister endet so abschreckend wie der Fall eines hochgejazzten Mannes von der roten Konkurrenz.

Kommen zur überraschenden Alltagstauglichkeit des grünen Mannes im Rathaus dann noch einige neue Bauflächen für „Solarstadl“ hinzu, dann lächelt am Ende auch der treue CSU Wähler.

In Bayern verhält es sich dabei letztlich wie in Baden-Württemberg, wenn auch mit einer Zeitverzögerung von einem Jahrzehnt, was ich auf die notorisch links verseuchten Universitätsstädte Freiburg und Tübingen schieben würde, die es in Bayerns Mittelzentren dank der harten CSU Hand lange nicht gab.

Der allmählichen Formierung einer stabilen grünen Klientel in der bayerischen Fläche würde ich in etwa ein Prozent der 18 Prozent zuschreiben.



Die SPD hat auch in Bayern abgedankt, die Linke gab es noch nie und der Rest steht rechts der Mitte



Während die Fläche immer fest hinter der CSU stand, so waren die bayerischen Großstädte lange Zeit fest in SPD Hand und dank einiger weniger medienaffiner Personen wie Christian Ude konnte die Partei im Bundesland mehr darstellen, als sie effektiv war. Ich denke aber, diese Zeiten gehören der Vergangenheit an.

Oder kennt noch jemand einen SPD Mann aus Bayern? Richtig, ich ebenso wenig.

Der Blick auf ältere Umfrageergebnisse zeigt, dass der Niedergang der SPD mit der Migrationskrise begann. Von stabilen 20 Prozent hangelte sie sich zügig herunter auf noch etwas mehr als die Hälfte davon, aber auch hier ist der Boden vermutlich erst bei knapp über Null erreicht.

Warum ausgerechnet die Migrationskrise bei der Bayern-SPD wie ein Dolchstoß wirkte leuchtet mir gerade nicht ein, da ich ihre bayerisch-städtische Kernklientel eher im Rotwein trinkenden Lager verorten würde denn an der Pissrinne im Hofbräukeller. Ein Vergleich mit der Entwicklung der AfD im selben Zeitraum allerdings zeigt, dass die SPD offenbar die meisten ihrer Anhänger in diese Richtung verloren hat, da die AfD das gewann, was die Spezialdemokraten verloren haben.

Im Hinblick auf Zugewinne der Grünen interessanter ist offenbar die CSU, da FDP, Linke, Freie Wähler und die Sonstigen im längeren Vergleich mehr oder weniger konstant geblieben sind.

Über die Gründe für diese eher gegenintuitive Wählerwanderung kann ich nur spekulieren, kann mir aber vorstellen, dass für viele bayerische Wähler die CDU auf Bundesebene wohl genau richtig positioniert ist, sie aber vom konservativen Schein der CSU und den Unpersonen von Seehofer bis Söder angewidert sind. Während ich dieses Gefühl selbst völlig nachvollziehen kann, so müssen die Wechsler von Schwarz zu Grün offenbar von der anderen Seite her angeekelt sein. Also von den als unerbittlich hart wahrgenommenen Ankündigungen einer harten Hand bei der Einwanderung, dem Durchsetzen der Leitkultur mit dem Pflaster von Kreuzen in Klassenzimmern und anderen Augenwischereien.

Persönlich kann ich das zwar nicht nachvollziehen, aber mir fällt angesichts der politischen Großwetterlage keine andere Erklärung für eine solchen Präferenzwechsel ein.

Die CSU jedenfalls, sie stand noch im Jahr 2015 bei gut 45 Prozent, während die Grünen bei 10 Prozent standen. Heute liegt die CSU 10 Punkte darunter und die Grünen knapp zehn darüber. Es müssen also einige besonders kreative kognitiv dissonante Wahlpräferenzen entstanden sein im Land der Bayern der letzten Jahre.

Was bleibt ist, dass die SPD so schwach ist, dass sie an Inexistenz grenzt und sie daher nicht in der Lage ist, missmutige CSU Wähler links der Mitte anzuziehen. In Abwesenheit einer Sympathie für eine der anderen Parteien (die relevanten liegen alle rechts der Mitte) machen sie nun eben ihr Kreuzchen beim Hofreiter Toni und seinen Freundinni*xen.

Ich schätze, dass die CSU in den letzten Jahren wohl so ungefähr zwei Prozent an die Grünen verloren hat.



Der Rest unterm Strich ist klassische Umfragenmanipulation



Ausgehend vom Wahlergebnis im Jahr 1998 von knapp sechs Prozent gewannen die bayerischen Grünen also hinzu:

  • 2 Prozent durch Binnenzuwanderinnen aus Ostdeutschland
  • 3 Prozent wegen des normalen Generationenwechsels in Verbindung mit einem Verlust der übergenerationellen Mentalitätsbindung
  • 1 Prozent aufgrund der strukturellen Etablierung der Grünen in der bayerischen Fläche
  • 2 Prozent tendenziell linke CSU Flüchtlinge, die keine andere politische Zufluchtstätte fanden

In der Summe ergibt das acht Prozent und zuzüglich der sechs Prozent aus dem Jahr 1998 hätten wir 14 Prozent. Die aktuell ermittelten 18 Prozent enthalten damit einen Interpretationsspielraum von circa vier Prozent. Ich schließe daraus, dass die Umfrageinstitute in Bezug auf die Grünen den üblichen Ermessensspielraum aktuell voll nach oben ausnutzen.

Bei der Wahl, das wage ich zu spekulieren, werden die Grünen aber nicht über diese 14 Prozent kommen. Ein Wert in dieser Höhe aber, das zeigt die obige Analyse, ist durchaus realistisch.