Griechenlands Geschichte zeigt: Es handelt sich dabei um kein Land mit Schulden, sondern einen Schuldendienst im Besitz eines Landes

Griechenland: Als Schuldenruine konzipiert (Bildquelle)

Wer Englisch beherrscht und sich für geopolitische Zusammenhänge interessiert, dem kann ich den YouTube Kanal Caspian Report nur ans Herz legen. In überaus gut recherchierten Videos werden dort häppchenweisen aktuelle und grundsätzliche geopolitische Zusammenhänge aufgezeigt. In einem aktuellen Video geht es dabei um das neuzeitliche Griechenland zwischen 1821, dem Jahr der Ausruf der Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich und 1942, als die Wehrmacht das unabhängige Griechenland für das faschistische Italien besetzte. Wie ein roter Faden zieht sich dabei das Schulden machen durch die Geschichte, wobei man in Anlehnung an Preußen, "dem Militär im Besitz eines Landes" fast zum Urteil kommen könnte, dass es sich bei Griechenland nicht um ein Land mit Schulden handelt, sondern um einen "Schuldendienst im Besitz eines Landes".


Griechenland, geboren in Schulden


Es war im Jahr 1821 nach fast 800 Jahren osmanischer Herrschaft, als die Griechen sich erhoben und gewaltsam die Unabhängigkeit anstrebten. Sukzessive schafften es griechische Freiheitskämpfer, auf dem Peloponnes einen Ort nach dem anderen unter ihre Kontrolle zu bringen, wo sie schließlich ihre Unabhängigkeit ausriefen.

Noch bestand dieses freie Griechenland aber nur aus einem Kern des heutigen Griechenlands und ihre Lage war prekär. Die Osmanen wussten um die Gefahr für ihren Vielvölkerstaat, zumal ihnen gerade ein Stück ihres Territoriums ging, das quasi in Spuckreichweite der großen Hauptstadt Istanbul lag, dem alten Konstantinopel.

Die provisorische Regierung des frisch ausgerufenen Griechenlands brauchte Geld, um ihren Status zu festigen. Sie ersuchten daher in den europäischen Finanzzentren London und Paris um Anleihen, die sie gleichzeitig als einen Hebel erachteten, mit dem sie ihrem freien Griechenland eine internationale Legitimation geben konnten. Der Gedanke dahinter war, dass ein Land ist, geradezu sein muss, wenn auf seinen Namen in anderen Ländern Schulden laufen.

In einer Mischung aus dem üblichen Gewinnstreben, kulturideologischer und geopolitischer Überlegungen, sowie möglicherweise unter fleißiger Mithilfe der großen griechischen Exilgemeinde schaffte es die bis dahin nur lose und mangelhaft organisierte provisorische Regierung des neuen Griechenlands, sich bei Investoren Kredite zu sichern. Die Unabhängigkeitsbestrebungen waren damit finanziert und viel mehr noch, es gab Urkunden in zahlreichen europäischen Hauptstädten, in denen Griechenland als eigenständige Entität existierte.

Aufgrund der Umstände mit politischen Amateuren an der Macht auf der griechischen Seite in Verbindung mit dem dubiosen Souveränitätsstatus, sowie osmanischen Herrschaftsansprüchen mitsamt Kanonenbooten, die diese unterstreichen konnten, und teils zwielichtigen Akteuren und Finanzkonstruktionen auf Seiten der europäischen Investoren jedoch, musste das freie Griechenland für die beiden Anleihen von 1824 und 1825 erhebliche Zinsen bezahlen. Mit sechs Prozent waren die beiden in London herausgegebenen Anleihen dotiert, wobei sich dennoch rasch Investoren fanden, die an die griechische Unabhängigkeit und damit an die Möglichkeit des Eintreibens der Schulden glaubten.




Wenn der Schuldner droht, den Krieg zu verlieren


Noch aber war die griechische Unabhängigkeit nicht in trockenen Tüchern. Nach Jahren der Kämpfe schließlich erlangten die geografisch, finanziell und militärisch überlegenen Osmanen die Oberhand. Der militärische Druck wirkte sich auf die Anleihepreise aus, so dass die Zinsen immer weiter stiegen, was das neue Griechenland dann im Jahr 1827 erstmals dazu zwang, gegenüber den Gläubigern seine Insolvenz zu erklären.

Den Investoren in London gefiel die Aussicht auf einen Totalverlust ihrer lukrativen Anleihen überhaupt nicht und so kam es wie es kommen musste, sie wirkten hinter den Kulissen intensiv auf die Regierung der europäischen Großmächte ein, um eine europäische Flotte aufzustellen, die den Griechen zur Hilfe eilen sollte. Welche Argumente damals den politischen Entscheidungsträgern vorgetragen wurden und welche davon stachen ist unbekannt, jedenfalls hatten die Lobbyisten der Banker Erfolg in ihrem Streben und schafften es, dass Frankreich, Russland und Großbritannien Schiffe zur Verfügung stellten.

Am 20. Oktober 1827 traf die Koalition zur Rettung der griechischen Anleihen  vor der Küste des Peloponnes auf die vorrückende osmanische Marine, wo es zur Schlacht von Navarino kam. Die Koalition siegte entscheidend und die osmanische Flotte wurde so weit geschwächt, dass die Unabhängigkeit des neuen Griechenland gesichert war. Das spiegelte sich auch im Preis der griechischen Anleihen wider, der nach der Siegesnachricht sofort nach oben schoss.

Das erste unabhängige Griechenland (Bildschirmfoto)


Von der islamischen Knechtschaft in die Zinsknechtschaft

Mit gleich drei europäischen Großmächten als Schutzpatronen musste das Osmanische Reich am Ende klein beigeben und die Griechen in die Unabhängigkeit entlassen. Die Bedingungen dieser neuen Souveränität jedoch wurden weitgehend von den politischen Kreisen Londons, den Besitzern der Anleihen sowie der wohlhabenden griechischen Diaspora entschieden, nicht aber von deren provisorischer Regierung oder gar vom betroffenen griechischen Volk. Eine der Bedingungen in den Verträgen von 1830 bestand daher in der Zusicherung des freien Griechenlands, die bestehenden Anleihen wieder zu bedienen, auch wenn diese das Land davor bereits in den Bankrott getrieben hatten.

Eine weitere Maßnahme, um die Zahlung der bestehenden Anleihen sicherzustellen bestand darin, dass Griechenland im Jahr 1832 anachronistischer Weise in eine absolute Monarchie umgewandelt wurde mit einem schwachen, weil nur 17 Jahren alten Wittelsbacher als König, der Griechenland bis dahin vermutlich nur aus seinem Griechisch Unterricht am Starnberger See kannte. Die Herrschaft durch Otto von Wittelsbach, der beraten wurde durch zahlreiche weitere bayerische Adelige war ein heftiger Affront gegen die griechischen Revolutionäre, bedeutete dies doch das exakte Gegenteil des erstrebten. Effektiv bedeutete es, dass die absolute Herrschaft des fremden Sultans über die orthodoxen Griechen ersetzt wurde durch die absolute Herrschaft eines fremden katholisch-christlichen Königs.

Vielmehr noch, während die osmanische Herrschaft über ihre nicht-islamischen Völker sukzessive moderater wurde, so musste der neue König den drei europäischen Schutzmächten vertraglich zusichern, den Zinsdienst zur Priorität seiner Staatsführung zu machen. Diese unterstrichen ihre finanziellen Ansprüche gegenüber dem unabhängigen Griechenland zusätzlich, indem sie ihre eigenen Parteien im Land gründeten, um so den Druck auf die Staatsführung des Bayern konstant hoch zu halten und um ihn bei Bedarf stürzen und mit anderen Marionetten ersetzen zu können.

Diese seltsame Beziehung zwischen der bayerischen Herrschaft, den Griechen in der Staatsführung und den sich aktiv einmischenden Großmächten wurde bekannt unter dem Begriff "Troika".

Falscher Sieger in der Seeschlacht von Navarrino? (Bildquelle)

Schulden, Schulden und noch mehr Schulden


Den Beginn der neuerlichen Zinszahlungen für die griechischen Gründungsschulden markierte im Jahr 1832 eine neue Anleihe. Von dieser flossen aber nur 3,3% in die griechische Volkswirtschaft, während der große Rest zum Begleichen der verpassten Zinsen auf die Altschulden direkt in die Taschen der Anleihehalter ging. Diese voll in die Vergangenheit gerichtete Maßnahme half den Griechen nicht viel. Bald schon kam der griechische Staat trotz der Prioritätensetzung wieder in Zahlungsschwierigkeiten aufgrund der nach wie vor hohen Zinsen auf die Altschulden, zu denen nun auch noch die Zinsen auf die neuen Schulden hinzu kamen.

Die Troika setzte daher strikte Austeritätsmaßnahmen durch, mit denen die griechische Verfassung offen verletzt wurde, da König Otto die alleinige Autorität über das Festlegen der Steuern gegeben wurde. Als Gegenmaßnahme gab die Regierung günstige Kredite an die Bauern des Peloponnes aus, mit denen sie ihre Produktion steigern sollten. Da gleichzeitig aber auch Steuern auf landwirtschaftliche Produkte erhoben wurden, die nahe am Prohibitivpreis lagen, geriet nun auch die Bevölkerung als ganzes in die selbe Schuldenfalle wie ihr Staatswesen.

Im Ergebnis sah sich die Bevölkerung dazu gezwungen, bei der griechischen Diaspora Schulden aufzunehmen, um die Zinsen auf ihre Schulden beim griechischen Staat zu bezahlen, der die Kredite überhaupt erst ausgab in einem Versuch, über die Einnahmen daraus die eigenen Schulden im Ausland begleichen zu können.

Griechenland befand sich inmitten einer sich beschleunigenden Schuldenspirale, auf die das Land nur mit einem neuerlichen Bankrott reagieren konnte. Im Jahr 1843 war es so weit, als Otto den zweiten Bankrott erklärte.

Zusammengenommen Anleihen in Fünffacher Höhe des BIP (Bildschirmfoto)

Noch mehr Austeritätsmaßnahmen

Dieser zweite Bankrott gefiel den Gläubigern in London und Paris vergleichbar wenig wie der erste. Mit dem Krimkrieg, in den Griechenland als Juniorpartner auf Seiten Russlands eintrat und in dem Frankreich, Großbritannien und das Osmanische Reich auf der anderen Seite standen, sah man daher eine Gelegenheit, um die Ansprüche auf den Zins der griechischen Anleihen noch einmal zu unterstreichen.

Frankreich und Großbritannien reagierten, indem sie den Hafen von Piräus als Vorposten von Athen besetzten, ein Hafen, der sich heute im Besitz Chinas befindet. Mit diesem Druckmittel in der Hand erwirkten die beiden Großmächte eine Nachverhandlung der Schuldzahlungen mit Griechenland. Mit der relativen Machtlosigkeit Ottos von Griechenland war das Ergebnis daraus überaus vorhersehbar. Es kam noch einmal zu verschärften Austeritätsmaßnahmen gegenüber der griechischen Gesellschaft.

Der neue Zinsregime hielt ein ganzes Jahrzehnt, bis Otto aufgrund des finanziellen Jochs auf dem Rücken der Bevölkerung deren Rückhalt verlor und schließlich vom griechischen Militär abgesetzt wurde.

Otto & Georg; Könige wechseln, Schulden bleiben (Bildquelle 1,2)

The same procedure as every Jubeljahr


Die wirklichen Machthaber über das souveräne Griechenland setzten einen neuen König ein. Bei diesem handelte es sich mit dem Dänen Georg I. erneut um einen 17-jährigen, der das Land vermutlich wie sein Vorgänger nur aus dem Schulunterricht kannte. Auch Georg versuchte sich in einigen Reformen, allerdings steckten das Staatswesen und die Bevölkerung so sehr im Schuldensumpf fest, dass es einem Kampf gegen Windmühlen gleichkam. Mehr als die Zinsen auf die bestehenden Altschulden konnte die neue Regierung nicht abführen, an eine finale Rückzahlung der bestehenden Schulden war nicht zu denken. 

Zum Verhängnis sollte der Politik des neuen Königs werden, dass die Zahlungen der Zinsen auf die Gründungsschulden von 1824 und 1825 ausgesetzt wurden. Denn mit der Stabilisierung der Zinszahlungen auf die neueren Kredite sahen die Gläubiger nun auch Raum für das Bedienen dieser Schulden, was sie prompt durchsetzen konnten.

Mit dem Beginn der 1870er Jahre wurde der europäische Kontinent dann von einer Rezession ergriffen, die sich auf das kleine und von außen abhängige Griechenland umso heftiger auswirkte, das nach der allgemeinen Erholung wirtschaftlich nicht wieder auf die Beine kam. Die logische Konsequenz daraus war, dass im Jahr 1893 auch Georg den Bankrott Griechenlands erklären musste.

Am Tisch Exilgriechen, darunter Heimatgriechen? (Bildquelle)

Warum überhaupt Griechenland?


Die einzigen beiden Gründe, warum Griechenland überhaupt unabhängig werden konnte und warum es das blieb war die strategische Bedeutung des Landes für die europäischen Mächte, sowie der starke Nationalismus der Griechen, denen die Zinsknecht und die sich daraus ergebende Armut offenbar als ein bezahlbarer Preis erschien für die nominelle Unabhängigkeit ihres Landes.

Ganz so, als hätten die Griechen in ihrem Selbstverständnis eine Immunität dagegen entwickelt, rafften sie sich im Jahr 1897, nur ein halbes Jahrzehnt nach dem letzten Bankrott, erneut auf zu einem Schlag gegen die Osmanen, um den Rest des griechischen Kernlandes auf der europäischen Seite zu befreien. Dieses Mal jedoch kam ihnen niemand zur Hilfe und so wurden sie von den Osmanen entscheidend geschlagen.

Was für Griechenland eine Katastrophe darstellte war für die Investoren ein Fest. Denn da Griechenland unabhängig war und unbedingt unabhängig bleiben wollte konnten sie jeden Preis von ihnen verlangen für weitere Kredite. Und weil Griechenland den Krieg gegen die Osmanen verlor, zwang ihnen der Sultan Reparationen auf, die das notorisch bankrotte Land nur über frische Auslandskredite bedienen konnte.

Bitterböse oder doch eher bittersüß? (Bildquelle)

Alle machen mit bei der "internationalen Finanzkontrollkomitee"


Der griechische Honigtopf war ein so süßer, dass dieses Mal alle mitmachen wollten. Neben den obigen drei Mächten saßen nun auch das Deutsche Reich, die Habsburger und das Königreich Italien mit am Wühltisch griechischer Schuldverschreibungen. Unter dem Namen "Internationales Finanzkontrollkomitee" setzten sie ein Gremium ein, das künftig die griechischen Finanzen handhaben sollte, um sicherzustellen, dass Griechenland fortan zuverlässig seine Schulden bedient und sich nicht erneut in den Bankrott stiehlt.

Es war eine Troika auf Steroiden, die kein Problem darin sah, die griechische Volkswirtschaft ohne Rücksicht auf Verluste nach dem Gusto der Gläubiger auszunehmen. So erwirkten sie "Kontrollgesetze" für Griechenland, mit denen auf finanzieller Ebene alles sofort abgegrast wurde, wenn etwas entstand.

Das Ergebnis war, dass die Entwicklung Griechenlands stark dem Rest Europas hinterher hinkte. Die bestehende Infrastruktur wurde nicht an das industrielle Zeitalter angepasst, Häfen wurden nicht ausgebaut, bedeutende Verbindungen nicht hergestellt. Vielmehr vergammelte alles, so dass der allgemeine Entwicklungsrückstau chronisch wurde.

Das hatte nicht nur Folgen für die industriellen Fähigkeiten des Landes, sondern sorgte dafür, dass sich das Land nicht einmal selbst ernähren konnte. Dies bedeutete einen weiteren Aderlass über einen konstanten Kapitalabfluss zur Aufrechterhaltung der grundlegenden Überlebensfunktionen.

Griechenland war eine ausgepresste Zitrone, deren einziger Zweck darin bestand, im Schraubstock finanzieller Interessen weiter ausgequetscht zu werden. Ein Ende fand die griechische Malaise erst mit der deutschen Besatzung des Landes im Jahr 1942.
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